Thursday, April 05, 2012

BLOG: Georgien: Mein Himmelreich - Ein wunderbarer Beitrag von Tatjana Montik. (montik.de)

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(montik.de) Nachdem ich nach Georgien gekommen war und hier zu arbeiten anfing, zerbrach ich mir eine gute Weile den Kopf darüber, wie die Georgier es schaffen, irgendwelche Geschäfte zu machen und dabei erfolgreich zu sein, wenn ihre Zeiteinteilung und ihre Terminplanung so chaotisch sind? Man verabredet sich hier in der Regel tatsächlich frühestens von heute auf morgen. Und ich fragte mich im Ernst: Wie können die Georgier bei solchen Gepflogenheiten überhaupt in der Geschäftswelt etwas Anständiges zustande bringen?


Alles funktioniert hier hat nach dem folgenden Schema: Ich möchte bei jemandem einen Termin bekommen und rufe diese Person an, um zu erfahren, ob er/sie Zeit für mich, sagen wir, morgen hätte. Als Antwort bekomme ich: „Gut, rufen Sie mich doch morgen in der Früh an“. Was soll man sich dabei denken? Wird die Person dann für mich Zeit haben? Und wenn, wann? Werde ich morgen einen Termin bei ihr bekommen, oder ist das noch nicht sicher? Alles Fragen über Fragen, die meine Arbeit ziemlich verkomplizieren.

In den meisten Fällen geschieht jedoch wie folgt: Ich rufe die betreffende Person am nächsten Morgen (doch nicht vor 10 Uhr!) an, und wir verabreden uns für irgendeine Zeit desselben Tages. Unglaublich! In Georgien scheinen alle (oder fast alle) Zeit zu haben! Doch niemand ist gewillt, sie im Voraus zu verplanen.  Hier wird nur der ungefähre Ablauf der Dinge abgezeichnet, indem man seine Pläne und Absichten vorsichtig verlautbart. Und dann wartet man erst Mal ab…



Ein Bekannter von mir aus Deutschland war in Tiflis damit beschäftigt, verschiedene Kultur-Projekte zwischen Georgien und der EU zu koordinieren. Wohlgemerkt: Er genoss das Land und seine Leute in vollen Zügen. Doch eine diese Besonderheit brachte ihn voll zum Verzweifeln – die Gepflogenheiten bei der Terminplanung! Und das ist nicht verwunderlich, plant man doch in Westeuropa üblicherweise alles im Voraus, manchmal sogar Jahren als Vorsprung. Doch mit georgischer Seite gehen solche Sachen nicht durch. Und diesem Bekannten war eine eher weniger beneidenswerte Rolle zuteil geworden: an der Dockstelle zweier Kulturen und Mentalitäten zu arbeiten, stets zwischen den beiden Polen lavierend…


Ähnliches gilt auch für Einladungen zu offiziellen Veranstaltungen. Man kann die Einladungskarten zwei-drei Wochen im Voraus versenden, wie dies internationale Vertretungen und Firmen zu tun pflegen. Dabei wird die eingeladene Seite üblicherweise darum gebeten, ihre mögliche Teilnahme an der Veranstaltung zu bestätigen. Doch in Georgien ist die Wahrscheinlichkeit, eine Antwort darauf zu bekommen, äußerst gering. Es kann aber so kommen: Sie bekommen eine Bestätigung, doch die betreffende Person wird letztendlich nicht erscheinen. Oder umgekehrt: Der Eingeladene gibt überhaupt keine Antwort, aber er kommt zur Veranstaltung dennoch. Also man lasse sich lieber einfach überraschen!


Eine goldene Regel für alle Georgien-Anfänger lautet: Man lädt die Georgier zu Besuch mindestens zwei-drei Tage im Voraus ein, und unmittelbar vor dem Event ruft man seine Gäste an, um sie an die Veranstaltung vorsichtshalber zu erinnert. Doch man sollte nicht versuchen, von ihnen irgendeine Antwort zu bekommen, gibt es dort im Leben so viele force-major-Umstände, so viele außerordentliche Einflüsse! Und kein Georgier würde auf die Idee kommen, gegen diesen Strom der Ereignisse zu schwimmen. Also schwimme man mit!


Eine Tatsache ist dabei erfreulich: Dieses Schema gilt nicht bei der Terminplanung etwa beim Arzt oder beim Frisör. Dafür ist der Raum für Manöver in privaten Freundschaften umso größer. Das heißt: Man kann sich heute über das Treffen morgen verabreden, und letztendlich wird man einige Tage nicht zusammenkommen (wenn auf Ihrem Weg etwa schlechtes Wetter, schlechte Laune oder Geldmangel stehen sollten). Man kann seine Gäste für sechs Uhr abends einladen, aber sie erscheinen erst …. um halb acht. Es stellt sich heraus, dass es in Georgien als Zeichen des schlechten Tons gilt, rechtzeitig zu Besuch zu kommen. Also wenn man zu spät kommt, dann bitte mit anständiger Verspätung! Anderenfalls läuft man Gefahr, seinen Gastgebern gehörig zur Last zu fallen bzw. ihnen zu verstehen zu geben, dass man einen großen Hunger hat (weshalb tanzt man schließlich so früh an?).


Ausgehend von all dem Gesagten drängt sich eine Schlussfolgerung auf: In Georgien sollte man seine Gewohnheiten und seine Mentalität nach und nach ändern und flexibler und anpassungsfähiger werden. Mir persönlich gelingt das, glaube ich, schon recht gut. Zum letzten Kindergeburtstag haben wir Gäste eingeladen – „ab 16 Uhr“. Und wir stellten uns dabei darauf ein, dass das Fest lange dauern würde. Und genauso ist es geschehen: Die ausländischen Gäste kamen Punkt 16 Uhr, und sie gingen spätestens nach drei Stunden. Die georgischen Gäste hingegen fingen an, gegen 19 Uhr zu erscheinen, um uns dann bis in die Mitternacht hinein Gesellschaft zu leisten.


Ich muss zugeben: Einige Male habe ich dennoch versucht, die in Georgien üblichen Schemata zu brechen und penibel genauen Pläne mit langem Vorsprung zu schmieden. Und was glauben Sie? All diese Pläne sind mit Erfolg … gescheitert! Immer kam etwas Unvorhergesehenes dazwischen, um mich zu zwingen, entweder meine Absichten völlig zu verwerfen oder sie gehörig zu revidieren.


Erst dann wurden mir der Sinn und das Wesen der georgischen Mentalität bezüglich der Zeitplanung verständlich. In Georgien leben alle nach dem Prinzip „Möchte man den Gott lachen sehen, schmiede man Pläne“. Hier Georgien drängt sich mir zwangsläufig das Gefühl auf, dieses Land grenze so nahe an Himmelreich, dass man mit jeder Art fester Pläne den Herrngott im besten Fall zum Lachen, und im schlimmsten Fall zur Wut bringt.


Die Georgier sind ein altes weises Volk. Und sie kennen diese Weisheit oder sie erahnen sie rein intuitiv. Darum lebt man hier nach dem Motto „Der Mensch denkt, und der Gott lenkt“.


Tiflis, März 2012

Mehr von Tanjana Montik: www.montik.de

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