Wednesday, June 18, 2014

ARTIKEL: 1914/2014- Letzte Spuren Bertha von Suttners im Kaukasus verschwinden (tt.com)

(tt.com) Tiflis/Wien (APA) - Bertha von Suttner war Österreichs erste Nobelpreisträgerin. Österreich zieht sie anlässlich des Gedenkens an den Ersten Weltkriegs heran, um das Land als Friedensnation zu präsentieren, etwa bei einem Gedenkakt zum Thema „Krieg und Frieden“ am morgigen Mittwoch in der Nationalbibliothek. Was im Kaukasus, wo von Suttner mehrere Jahre verbrachte, von ihr geblieben ist, verfällt indes.

Im Familienalbum der Dadianis sieht man Bertha von Suttner wie sonst selten. Als Österreicher ist man sie vom früheren Tausend-Schilling-Schein als streng und erhaben wirkende, ältere Dame mit Witwenschleier gewöhnt. Hier erscheint sie als junge, fröhliche Frau in weiten Krinolinenröcken oder im Reitkostüm. Trotz der widrigen Umstände, in denen sich die spätere Friedensnobelpreisträgerin damals befand, beschrieb sie die Zeit im heutigen Georgien von 1876 bis 1885 in ihren Lebenserinnerung später als glücklich, ja geradezu idyllisch.

Bertha hatte sich, als Gouvernante im Hause von Baron Suttner tätig, in einen der Söhne, den sieben Jahre jüngeren Arthur, verliebt. Gegen den Willen der Familie wurde heimlich geheiratet. Doch wie und wo leben als Verstoßene? Die Rettung für das junge Paar war Ekaterine Dadiani, die Bertha auf Sommerfrische im deutschen Homburg kennengelernt hatte. Die Fürstin von Mingrelien (mingrelisch: Samargalo, georgisch: Samegrelo) hatte sie auf ihre Güter im heutigen Westgeorgien eingeladen.

Schließlich mussten sich die Suttners aber selbst in der Fremde durchlagen mehr schlecht als recht mit Musik- und Sprachunterricht - Arthur zeichnete auch Baupläne - und mit der journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit, die beide begannen.

Die letzten Jahre im „Exil“ verbachten sie als der Teil der bunten Ausländergemeinde in Tiflis. Davon ist nur das zweistöckige Haus in der Usnadse Straße, das sie bewohnten, übrig. Eine Gedenktafel auf Georgisch und Deutsch neben der Eingangstür aus der Zeit mit Holzschnitzereien, wie man sie auch an Altbauten der Jahrhundertwende in Wien findet, erinnert heute an Bertha und Arthur.

Gleich neben der Tür werden in einem Kabäuschen heute medizinische Messgeräte verkauft - vom Blutzuckertester bis zum Fieberthermometer. Im Keller, über dem sich früher eine Terrasse erstreckte, hat sich ein kleines Lokal eingenistet, das auf einem Plakatständer mit Abbildungen von Würstel, Bier und Rippchen für sich wirbt.

Die Wohnung selbst erreicht man empor über eine schmale Treppe. Hier muss das Ehepaar Suttner heruntergekommen sein, als es - obwohl „bitterarm“ - „vornehme Abendeinladungen“ in Tiflis wahrnahm, wie die Historikerin Brigitte Hamann schreibt.

Die Räumlichkeiten sind heute unbewohnt und im aktuellen Zustand unbewohnbar. „Der Strom ist abgeschaltet“, sagt Eigentümer Ilia Tsikurischwili. Er hat ein Plakat mit „For Sale 300 m2“ und seiner Telefonnummer über das Portal gehängt. Er führt durch die düsteren Zimmer, die abgesehen von einer Kommode, einer Blechabwasch und einem Luster, der wie ein Vogelkäfig aussieht, leer stehen. Von den Fischgrätparketten lösen sich Dielen; hereingewehtes Laub liegt welk verstreut.

Tsikurischwili hat das Haus erst vor zwei Jahren gekauft. Damals wusste er nicht mehr, als dass „irgendwelche österreichischen Schriftsteller“ einmal dort lebten. Er wollte im Haus Büros für seine Firma für Nahrungsergänzungsmittel einrichten. Weil die Renovierung aber zu lange gedauert hätte und zu teuer gewesen wäre, habe er das aufgeben. Er will nun wieder verkaufen - „230.000 Dollar (circa 167.000 Euro) Verhandlungsbasis“.

Wenn es nach Mzia Galdawadse geht, sollte Österreich zuschlagen und das Suttner-Haus herrichten. Ihr schwebt - etwas unkonkret - vor, es als Kulturzentrum oder für Veranstaltungen nutzen. Galdawadse, Übersetzerin von Franz Kafka und Felix Mitterer ins Georgische, leitet die Österreich-Bibliothek an der staatlichen Ilia-Tschawtschawadse-Universität in Tiflis, die vom Wiener Außenamt unterstützt wird.

In Österreich hat sich das Künstlerehepaar Johanna und Helmut Kandl des historischen Erbes Bertha von Suttners angenommen. Sie schließen sich Galdawadse an: „Natürlich wäre es schön, wenn das Haus (...) für österreichische kulturelle Aktivitäten zur Verfügung stünde.“ Im Außenministerium winkt man jedoch ab: Es gebe keine Pläne, das Suttner-Haus in Tiflis zu kaufen. „Wir haben das rechtlich überprüft, es ist leider nicht möglich“, verweist Botschafterin Heidemaria Gürer auf Anfrage der APA auf nicht klare Absichten des Besitzers.

Bertha von Suttner sei den Georgiern noch heute ein Begriff, erzählt Galdawadse - nicht nur wegen des Friedensnobelpreises, auch wegen des (gescheiterten) Versuchs, gemeinsam mit ihrem Mann das um 1200 entstandene georgische Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“ von Schota Rustaweli erstmals ins Deutsche zu übersetzen. Auch gebe es in der mingrelischen Hauptstadt Sugdidi noch eine - wenn auch wenig aktive - Suttner-Gesellschaft. Arthur von Suttner habe für seine Romane und Erzählungen gerne kaukasische Sujets gewählt, weiß Galdawadse.

Den beiden Österreichern gelang es nicht, sich eine gesicherte Existenz in Georgien aufzubauen. Sie versöhnten sich schließlich nach Jahren mit den (Schwieger)Eltern. Bertha von Suttner pflegte auch nach ihrer Heimkehr noch Kontakte jenseits des Schwarzen Meeres. Mit Wehmut erinnerte sie sich in ihren Lebenserinnerungen an den Abschied: „Nicht ohne Herzleid sagten wir dem Kaukasus Valet; wir hatten das schöne Land lieb gewonnen (...).“

Suttner starb vor 100 Jahren wenige Tage vor den verhängnisvollen Schüssen von Sarajevo, die Europa in den Ersten Weltkrieg stürzten. Am morgigen Mittwoch gedenkt Bundespräsident Heinz Fischer mit Spitzenrepräsentanten Österreichs in der Wiener Nationalbibliothek beider Ereignisse.

In Georgien könnte an die Friedensnobelpreisträgerin indes bald kaum etwas Materielles mehr erinnern. Hauseigentümer Tsikurischwili will seinen Besitz zwar keinem der Interessenten verkaufen, die sich schon bei ihm angemeldet haben und auch Grund in der Nachbarschaft für ein größeres Bauprojekt erwerben wollen. Er bestehe auf einem Abnehmer, der das Objekt renoviert, sagt er. Aber bleibt er dabei? „Wenn es ein ausländischer Investor kauft, wird er es sofort abreißen und ein Hochhaus errichten. Dann gibt es keine Spur von Suttner in Tiflis mehr“, ist Bibliothekarin Galdawadse überzeugt.

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