Friday, January 16, 2015

BLOG: Wiederentdeckungen deutscher Dörfer in Georgien. Von Stéphane Voell (stephanevoell.wordpress.com)

(stephanevoell.wordpress.com) Anfang des 19. Jahrhunderts machten sich württembergische Pietisten auf den Weg in den Kaukasus. Sie waren vom Zar eingeladen worden, sich an der Südgrenze des Reiches niederzulassen. In Georgien gründeten sie unter anderem die Orte Katharinenfeld (heute Bolnisi) und Elisabethtal (Asureti). 1941 wurden die deutschen Kolonisten von Stalin nach Zentralasien deportiert. Zurück blieben nur leere Fachwerkhäuser und Kirchen. Zusammen mit meiner Kollegin wohnten ich 2009 einige Wochen in Asureti, als Deutsche in einem ehemaligen deutschen Dorf. In den folgenden Jahren kammen wir immer wieder zurück nach Asureti. Der Dorfkern bestand nur aus maroden Fachwerkhäusern, doch mit teils blühender Phantasie berichteten uns die Georgier in Asureti von dem Leben und Errungenschaften der Deutschen.

Haus in Asureti (2009)
Das Interesse an den deutschen Dörfern in Georgien scheint zu wachsen. Der Landkreis Tetritskaro, in dem Asureti liegt, hat ein Projekt mit dem Titel “Deutsches Dorf” ins Leben gerufen. Hier soll es darum gehen, “die wirtschaftlichen Traditionen der deutschen Siedler – Weinbau, Bierherstellung, Getreide- und Kartoffelanbau, Viehhaltung und Herstellung der Milchprodukte – wieder herzustellen.” Sie haben auch schon eine Delegation nach Deutschland geschickt. Es wurde auch ein Verein in Tbilisi gegründet, in dem sich motivierte Deutsche und Georgier die Unterstützung des Erhalts des kulturellen Erbes auf die Fahnen geschrieben haben. Auch im Deutschlandfunk gab es einen Bericht über die Renovierungspläne für die ehemaligen deutschen Dörfer. — Ich finde es gut, dass die Dörfer jetzt renoviert werden sollen und es auch eine wirtschaftliche Perspektive für die aktuellen Bewohner gibt. Doch ich bin skeptisch, wenn man die anderen “Renovierungen” in der Region sieht.

Im Sommer 2013 arbeiteten wir mit einem studentischen Forschungsprojekt zu den Kaukasusdeutschen. Eine Gruppe forschte in Bolnisi und Asureti, eine andere Gruppe reiste nach Göygöl (Helenendorf). Letzteres liegt in Aserbaidschan und dort hat man schon seit einiger Zeit das deutsche Erbe entdeckt. Beispielsweise wurde die Kirche in Helenendorf als Museum hergerichtet oder man erfand den “letzten Deutschen“, in dessen Haus ein Museum geplant ist. Bemerkenswert ist allerdings die Renovierung der alten deutschen Häuser dort. Alle wurden gleichermaßen weiß gestrichen, im oberen Teil mit einfachen Kieferpanelen versehen und die Sockel mit überall gleichen Mustern beklebt, die den Eindruck von gemauerten Wänden erwecken sollen.
 
Die deutschen Dörfer in Georgien wirken gegen Helenendorf wie Bruchbuden, aber das soll sich nun ändern. Es ist wichtig, doch es macht mir gleichermaßen Angst. Wie werden Bolnisi und Asureti in Zukunft aussehen? Die bisherigen Renovierungsmaßnamen in Georgien stimmen zumindest nachdenklich. Stephan Wackwitz schreibt über Renovierungen der Altstadt von Tbilisi, dass Kritiker dieser Bauvorhaben anmerkten, die „historischen“ Bauten seien nur noch als „Anmutungen“ enthalten. Treffend scheibt er weiter: „Hätte man sich in den Kopf gesetzt, den kaukasischen Orientalismus der Tifliser Innenstadt in Disneyland zu rekonstruieren, wäre das Ergebnis genauso ausgefallen, wie die historischen Stadtteile von Tiflis nach ihrer Überarbeitung durch die Saakaschwili-Administration jetzt tatsächlich aussehen“.

Das gilt auch für Batumi, die Stadt am Schwarzen Meer: Sie erscheint wie ein bunter und schriller Themenpark in Las Vegas oder Mestia, dem Hauptort in Swanetien, erweckt nach den massiven Investitionen in die Entwicklung des Tourismus den Eindruck, als hätte man ein schweizer Bergdorf im Kaukasus errichten wollen. Was wird nun in den ehemaligen deutschen Dörfern passieren? Eine den Gebäuden angemessene Renovierung wäre teuer und langwierig. Darüber hinaus wurden viele Häuser seit der Deportation 1941 von den neuen Bewohnern erweitert und umgebaut: Müsste man das alles zerstören?

Vielleicht wird man mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein, denn die Häuser könnten – obwohl originalgetreu restauriert – nicht mehr “authentisch” wirken. Wackwitz schließt sein Kapitel zu den Renovierungen in der Hauptstadt damit, dass die Bewohner und Besucher in hundert Jahren vielleicht nicht mehr die Diskussionen über mangelnde Authentizität der Renovierungen nachvollziehen werden. Nun, lassen wir uns überraschen.

No comments: