(stephanevoell.wordpress.com) Anfang des 19. Jahrhunderts machten sich württembergische Pietisten
auf den Weg in den Kaukasus. Sie waren vom Zar eingeladen worden, sich
an der Südgrenze des Reiches niederzulassen. In Georgien gründeten sie
unter anderem die Orte Katharinenfeld (heute Bolnisi) und Elisabethtal
(Asureti). 1941 wurden die deutschen Kolonisten von Stalin nach
Zentralasien deportiert. Zurück blieben nur leere Fachwerkhäuser und
Kirchen. Zusammen mit meiner Kollegin wohnten ich 2009 einige Wochen in
Asureti, als Deutsche in einem ehemaligen deutschen Dorf. In den
folgenden Jahren kammen wir immer wieder zurück nach Asureti. Der
Dorfkern bestand nur aus maroden Fachwerkhäusern, doch mit teils
blühender Phantasie berichteten uns die Georgier in Asureti von dem
Leben und Errungenschaften der Deutschen.
Das Interesse an den deutschen Dörfern in Georgien scheint zu
wachsen. Der Landkreis Tetritskaro, in dem Asureti liegt, hat ein
Projekt mit dem Titel “Deutsches Dorf”
ins Leben gerufen. Hier soll es darum gehen, “die wirtschaftlichen
Traditionen der deutschen Siedler – Weinbau, Bierherstellung, Getreide-
und Kartoffelanbau, Viehhaltung und Herstellung der Milchprodukte –
wieder herzustellen.” Sie haben auch schon eine Delegation nach Deutschland geschickt.
Es wurde auch ein Verein in Tbilisi gegründet, in dem sich motivierte
Deutsche und Georgier die Unterstützung des Erhalts des kulturellen
Erbes auf die Fahnen geschrieben haben. Auch im Deutschlandfunk gab
es einen Bericht über die Renovierungspläne für die ehemaligen
deutschen Dörfer. — Ich finde es gut, dass die Dörfer jetzt renoviert
werden sollen und es auch eine wirtschaftliche Perspektive für die
aktuellen Bewohner gibt. Doch ich bin skeptisch, wenn man die anderen
“Renovierungen” in der Region sieht.
Im Sommer 2013 arbeiteten wir mit einem studentischen Forschungsprojekt zu den Kaukasusdeutschen. Eine Gruppe forschte in Bolnisi und Asureti, eine andere Gruppe reiste nach Göygöl (Helenendorf).
Letzteres liegt in Aserbaidschan und dort hat man schon seit einiger
Zeit das deutsche Erbe entdeckt. Beispielsweise wurde die Kirche in
Helenendorf als Museum hergerichtet oder man erfand den “letzten Deutschen“,
in dessen Haus ein Museum geplant ist. Bemerkenswert ist allerdings die
Renovierung der alten deutschen Häuser dort. Alle wurden gleichermaßen
weiß gestrichen, im oberen Teil mit einfachen Kieferpanelen versehen und
die Sockel mit überall gleichen Mustern beklebt, die den Eindruck von
gemauerten Wänden erwecken sollen.
Die deutschen Dörfer in Georgien wirken gegen Helenendorf wie
Bruchbuden, aber das soll sich nun ändern. Es ist wichtig, doch es macht
mir gleichermaßen Angst. Wie werden Bolnisi und Asureti in Zukunft
aussehen? Die bisherigen Renovierungsmaßnamen in Georgien stimmen
zumindest nachdenklich. Stephan Wackwitz schreibt über Renovierungen der Altstadt von Tbilisi,
dass Kritiker dieser Bauvorhaben anmerkten, die „historischen“ Bauten
seien nur noch als „Anmutungen“ enthalten. Treffend scheibt er weiter:
„Hätte man sich in den Kopf gesetzt, den kaukasischen Orientalismus der
Tifliser Innenstadt in Disneyland zu rekonstruieren, wäre das Ergebnis
genauso ausgefallen, wie die historischen Stadtteile von Tiflis nach
ihrer Überarbeitung durch die Saakaschwili-Administration jetzt
tatsächlich aussehen“.
Das gilt auch für Batumi, die Stadt am Schwarzen Meer: Sie erscheint wie ein bunter und schriller Themenpark in Las Vegas
oder Mestia, dem Hauptort in Swanetien, erweckt nach den massiven
Investitionen in die Entwicklung des Tourismus den Eindruck, als hätte
man ein schweizer Bergdorf im Kaukasus errichten wollen. Was wird nun in
den ehemaligen deutschen Dörfern passieren? Eine den Gebäuden
angemessene Renovierung wäre teuer und langwierig. Darüber hinaus wurden
viele Häuser seit der Deportation 1941 von den neuen Bewohnern
erweitert und umgebaut: Müsste man das alles zerstören?
Vielleicht wird man mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein, denn die
Häuser könnten – obwohl originalgetreu restauriert – nicht mehr
“authentisch” wirken. Wackwitz schließt sein Kapitel zu den
Renovierungen in der Hauptstadt damit, dass die Bewohner und Besucher in
hundert Jahren vielleicht nicht mehr die Diskussionen über mangelnde
Authentizität der Renovierungen nachvollziehen werden. Nun, lassen wir
uns überraschen.
Friday, January 16, 2015
BLOG: Wiederentdeckungen deutscher Dörfer in Georgien. Von Stéphane Voell (stephanevoell.wordpress.com)
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