Es ist noch nicht lange her, da saß Guram Odischaria im Tifliser Café Diwan. Gehüllt in blauen Zigarettenqualm hörte der breitschultrige Mann still zu, was seine Freunde, allesamt Schriftsteller, Theatermacher und Musiker von ihm erwarteten, sollte er der neue Kulturminister Georgiens werden.
Die einstige Direktorin des „Internationalen Kunstfestivals Tiflis“, Ketevan Dolidze, beschwor Odischaria, endlich die unter Präsident Saakaschwili herrschende „totale Kontrolle über die Kultur“ zu beenden: „Ich hoffe, dass unter dir die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit angehören und wir endlich wieder eine freie Kultur haben werden.“ Und Gaga Cheidze, Organisator des Tifliser Filmfestivals, sagte, er erhoffe sich von Odischaria sogar eine „große Wende“ für die georgische Kultur.
Schon damals versuchte Guram Odischaria die Euphorie zu dämpfen. Der Lyriker und Romancier ist nun seit Dezember im Amt – seit dem spektakulären Wahlsieg des Milliardärs Bidzina Iwanischwili, der nach knapp zehn Jahren den langjährigen Präsidenten Micheil Saakaschwili ablöste.
Odischaria weiß, dass man mit 38 Millionen Euro, 0,8 Prozent des georgischen Staatsbudgets, nur kleine Brötchen backen kann. Dabei sind die Herausforderungen riesig: Seit seinem Amtsantritt reist Odischaria durchs Land und begutachtet das Erbe, das ihm die Vorgängerregierung hinterlassen hat. „Vor einiger Zeit habe ich die alte Residenz von König Irakli II in der Stadt Telavi besucht. Zwei Gebäude sind komplett zerstört, bei den Häusern der Hauptstraße wurden einfach die Fassaden angemalt“, sagt er.
Wenn die Decken einstürzen
Doch nicht nur der Zustand historischer Baudenkmäler bereitet dem neuen Mann im georgischen Kulturministerium Kopfschmerzen. Etwa, wenn er Schulen besucht, bei denen jeden Moment die Decken einstürzen können. „Diese Beispiele erzählen etwas über die Korruption unter der Vorgängerregierung. Schon mein erster Blick in die Unterlagen des Ministeriums zeigte, das alle öffentlichen Aufträge ohne Ausschreibung vergeben wurden.“
Die vielen historischen Denkmäler aber sind nicht die einzige Baustelle, auf der Odischaria aufräumen muss. Das politisch-kritische Theater Georgiens liegt in Agonie, seit viele Direktorenposten mit Parteifreunden des ehemaligen Präsidenten Saakaschwili besetzt wurden. Auch das unter Odischarias Vorgänger aufgegebene „Internationale Kunst Festival“ soll wieder zum Leben erweckt werden.
„Wenn es in Georgien dunkel wird, erstirbt das Leben“
Für die georgische Kulturförderung sollen in Zukunft nur noch ästhetische Kriterien den Ausschlag geben. Wie aber all das umsetzen bei derart knappen Kassen? Der Kulturminister sieht nur einen Weg: „Das Volk muss mitreden können, welche Prioritäten in der Kulturpolitik gesetzt werden sollen. Nur dann wird es auch schmerzliche Entscheidungen mittragen.“ Dazu aber müssten erst einmal Orte für einen solchen Dialog geschaffen werden. „Wenn es in Georgien dunkel wird, erstirbt in den meisten Orten das Leben. In unserem Land gibt es gerade einmal zwei Kinos. Es gibt auch keine Kulturzentren mehr, an denen sich die Menschen treffen können. Deshalb wollen wir als erstes alte Kulturhäuser neu beleben. Die Idee ist, dass die Leute sich dort treffen, diskutieren, Ideen entwickeln.“
Eigentlich sollten Künstler sich von der Politik fernhalten und sie eher kritisch begleiten, ist Guram Odischaria überzeugt. Dass man ihn bat, das Amt dennoch zu übernehmen, hat auch mit dem festen Willen der neuen Regierung zu tun, die Kontakte zu den abtrünnigen Provinzen Süd-Ossetien und Abchasien neu zu knüpfen, die seit dem Krieg im Jahr 2008 völlig abgerissen sind.
Neue Dialog-Möglichkeiten mit den Osseten
Eine gemeinsame Anthologie mit süd-ossetischen und abchasischen Autoren begründete Odischarias Ruf als Vermittler. Er ist deshalb einer der wenigen georgischen Politiker, die frei in der Region reisen können. „Mein Freund Daur Nachkebia ist jetzt Bildungsminister in Abchasien. Meine Freundin Marina Chibirova ist in Süd-Ossetien Bildungsministerin. Es ist wie ein Schicksal, das wir drei an dieser Anthologie zusammengearbeitet haben. Das eröffnet natürlich ganz neue Möglichkeiten für einen Dialog.“
Auch international soll und will Odischaria die Kultur seines Landes bekannter machen. Sein Ziel: Georgien soll keine Kriege mehr führen, sondern mit Büchern die Welt erobern. 2015 möchte Georgien Gastland der wichtigsten europäischen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt werden. Keine leichte Aufgabe. „Die Frankfurter Buchmesse ist für die Literatur das, was für den Film der Oscar ist. Um Gastland werden zu können, müssen wir schon heute beginnen, die georgische Literatur im deutschen Sprachraum bekannt zu machen: Bücher zu übersetzen, Verlage zu überzeugen, aber auch unsere Kultur vorzustellen. Dazu gehört unsere in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommene Musik ebenso wie der georgische Film und natürlich – unser hervorragender Wein.“
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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.
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