Sunday, June 25, 2017

PODCAST: Hochgebirge in Georgien. Tuschetiens heilige Orte. Von Lottemi Doormann via @DLF

(deutschlandfunk.de) Majestätische Bergwelten, archaische Volksfeste: Im östlichsten Zipfel Georgiens führt der auf 3000 Metern gelegene Abanopass zu den abgeschiedenen Bergdörfern Tuschetiens. Heidnische Traditionen sind hier weit verbreitet: Auch heute noch opfern die Bewohner ihren Halbgöttern.

Podcast zum Hören: Tuschetiens heilige Orte. Von Lottemi Doormann


Cattle Drive in Tusheti 2010 (Caucasian Mountains in Georgia)

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Auszüge aus dem Feature: Als Suliko ein Baby von drei Monaten war, ist sein Onkel mit ihm über den fast 3000 Meter hohen Abanopass nach Tuschetien geritten. Im Dorf Alvani am Fuße des Großen Kaukasus war der Reiter aufgebrochen, um den Winzling zu seiner Oma ins tuschetische Dorf Iliurta zu bringen. Das war 1978. Damals gab es die unbefestigte Straße noch nicht, auf der wir jetzt mit Fahrer Suliko im Allrad-Geländewagen zum Abanopass unterwegs sind. Die gefährliche Strecke ist der einzige Zugang zu den abgeschiedenen Bergdörfern Tuschetiens, einer der ursprünglichsten Regionen im äußersten Nordosten Georgiens.

[...] Beim Abendessen berichtet Tamuna Latsabidze (Reiseleiterin), unsere georgische Reisebegleiterin, über das traditionelle Leben der Tuschen: Die Tuschen haben ein gewisses Nomadentum hier schon immer gehabt.

[...] "Die ältesten Wehrtürme Tuschetiens sollen schon im 12. bis 13. Jahrhundert entstanden sein. In einem der hohen Wohnwehrtürme von Omalo hat ein Bewohner des Dorfes namens Nugsar Idoidse vor ein paar Jahren ein ethnografisches Museum geschaffen. Wir müssen uns bücken, um den Turm zu betreten."

"Der Eingang ist extra so niedrig, damit, wenn Fremde oder wenn Feinde einfallen würden, sie mussten sich verbeugen, sie konnten nicht aufrecht gehen, da sind sie in der Position gewesen, dass sie nicht schießen konnten. Außerdem ist es eigentlich so’n bisschen Demut - Demut vor dem Türengel, das ist der Beschützer des Hauses."

Drinnen führen grobe Holzstufen aufwärts und durch ein Deckenloch in die "Schua", den Wohnraum für die ganze Familie. Früher gab es nur eine Hühnerleiter, die man bei Gefahr schnell hochziehen konnte, und eine Klappe, mit der das Loch verschlossen wurde.

"Das ist die Männerecke. Und das ist die Frauenecke - hier, wo die Küchenecke ist und wirtschaftliche Sachen. Das ist jetzt so eine ganz typische Konstruktion von Lagerfeuer im Haus, wo man gekocht hat. Das ist zum Butter machen, also stampfen, Butterfass. Das ist eine Wiege, die man aber aufgehängt hat. Das ist zum Beispiel für Bier, wenn man Bier gebraut hat. Bier hat man ja nur zu feierlichen Anlässen gebraut, für diese Dorffeste. Hier gab es ja keinen Wein. Und das war eigentlich das Getränk."

In der Abgeschiedenheit dieses Tales entwickelten die einst dort lebenden Tsova-Tuschen ihre eigene Sprache. Doch schon lange haben sie das Dorf Tsaro verlassen.

Wir wandern zu den steil am Hang liegenden Ruinen, verfallenen Häusern und Türmen aus übereinander geschichteten Schiefersteinen. Tamuna berichtet, dass in diesem Dorf Kranke aus Angst vor Ansteckung mit etwas Nahrung in ein abgelegenes Haus geschickt wurden und dort verhungerten. Schwangere mussten ihr Kind allein gebären und durften erst 40 Tage nach der Geburt in die Gemeinschaft zurückkehren. Viele Mütter und Babys haben das nicht überlebt. Ob das Dorf daran zugrunde ging? Oder an Epidemien? Inmitten der Landschaft sind überall Reste archaischer Türme zu sehen, Zeichen einer mystischen Welt, durch die manchmal eine Horde weißer wilder Hunde streift.

Mindestens zehn bewohnte Dörfer gibt es noch in Tuschetien. Eines davon ist das düstere Dochu, dessen Häuser sich auf einer Bergspitze und einem schwindelerregend steilen Hang eng aneinanderdrängen.

"Um das achte, neunte Jahrhundert haben die Tuschen gezwungenermaßen das Christentum angenommen - 500 Jahre später als im übrigen Georgien. Doch richtige Christen sind sie nicht geworden. Bis heute sind heidnische Traditionen und der Glaube an Naturgeister weit verbreitet. Es gibt nur ein, zwei kleine Kirchen in Tuschetien. Gebetet wird an heiligen Plätzen, an Nischen und Steinhaufen, "khati" genannt, wo sie ihrem Halbgott Kopala Opfer bringen. Frauen dürfen sich diesen Plätzen nicht nähern, geschweige denn etwas berühren. Von diesem Kopala hat der Heilige Georg, christlicher Schutzpatron Georgiens, ein paar Funktionen übernommen. Tamuna sagt: "Auch dem Heiligen Georg opfert man Schafe - das darf der Heilige Georg gar nicht wissen."

Als die Perser im 17. Jahrhundert in Kachetien einfielen, sollen die tollkühnen Kämpfer der Tuschen dem kachetischen König geholfen haben, sie zu vertreiben. Zum Dank gestattete man ihnen, die Alazani-Ebene unten im Tal als Winterweide zu nutzen. Später, nachdem Georgien 1801 von Russland annektiert worden war, erbaten die Tuschen die Erlaubnis, dort im Winter auch zu leben. So blieb es bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts - im Sommer oben, im Winter unten.

Doch dann wollten die Sowjets, dass die Bergbevölkerung unten sesshaft wird.

"Also die Sowjets, die fanden das zu mühsam, es war einfach zu abgelegen und zu schwierig hier, die sowjetische Struktur einzubringen. Also haben sie die Leute gezwungen, nach unten überzusiedeln. Das hat man da unten ganz gezielt gewollt. Unten gab es Krankenhäuser, Schulpflicht, den Fortschritt, oben gab es nichts, nicht mal eine Straße. Also sie haben auf alles verzichten müssen, was man unten schon an Fortschritt hatte. So sind sowohl Tuschetien als auch Chewsuretien, die benachbarte Region, leer geworden."

Erst Ende der 70er Jahre kam der Umschwung, in der Regierungszeit von Eduard Schewardnadze. Um der Entvölkerung der Region entgegenzuwirken, erhielt Omalo eine Krankenstation, eine Schule, und der Reitweg über den Abanopass wurde zur Straße ausgebaut. Seither kehren die tuschetischen Familien in den Sommermonaten in ihre Dörfer zurück, reparieren die Häuser, bauen Balkone und pflegen ihre Traditionen.

Hundert Tage nach dem orthodoxen Osterfest finden in den Dörfern traditionelle Volksfeste mit archaischen, teils vorchristlichen Bräuchen statt. Undenkbar wäre es für die Tuschen, diese Feste anderswo als hier oben in den Bergen zu feiern, mögen sie auch mittlerweile in Tiflis oder Telawi wohnen. Oft werden die genauen Termine erst kurzfristig festgelegt oder wieder verschoben, sodass Reisende ein bisschen Glück brauchen, um am richtigen Ort zur richtigen Zeit ein Fest mitzuerleben.

Der ganze Beitrag hier: deutschlandfunk.de/hochgebirge in georgien

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