Angesichts der gestrigen Ereignisse in Tiflis fühle ich mich bestürzt oder gar schockiert: Aus einer Manifestation gegen Homophobie im Zentrum der Stadt sind Massenschlägereien geworden, angeführt durch die Vertreter der orthodoxen Kirche.
Ich bin traurig. Denn bis vor kurzem schien es mir, dass die Georgier dem Gott am nächsten stehen, dass der Wille Gottes in diesem Land überall spürbar ist. In meiner persönlichen Empfindung wird dieser Wille direkt durch die Vibration der Berge übertragen. Ich war und bleibe überzeugt, dass die hiesigen Menschen ihre Nächsten, die Kinder, die Frauen und den Gott aufrichtig lieben – mit einer unnachahmlichen bedingungslos reinen Liebe.
Ich dachte, ich hätte hier zum ersten Mal deutlich gespürt, was angewandte Toleranz bedeutet. Ich fühlte mich glücklich, da es schien, dass hier niemand versucht, die anderen Menschen nach seiner eigenen Art umzukrempeln oder sie besserwisserisch zu belehren. Eine weise und bescheidene kleine Nation.
Die Georgier sind fromm und religiös, dessen war ich mir schon immer bewusst. Und dies wirkt auf viele Vertreter der westlichen Welt, die den Gott längst abgelegt haben, verängstigend und gar abstoßend. Doch ich persönlich neigte immer dazu, in der nahezu kindischen Frömmigkeit der Georgier mehr Positives als Negatives zu sehen. Aus einem einfachen Grund, und zwar: Wie vor kurzem eine hier lebende russische Freundin von mir anmerkte, „kann man in Georgien sogar einen Verbrecher schnell zum Gewissen aufrufen, indem man ihn daran erinnert, dass er erst vor kurzem, ja heute sich bekreuzigt und in der Kirche gebeten habe“. Oder man erinnere ihn an die Ehre seiner Ahnen.
Was passierte nun gestern in Tiflis? Aus einem Tag gegen Homophobie, den man weltweit beging, wurde ein Tag für Homophobie. Ich fürchte, diese Ereignisse am Rustaveli Prospekt durchstrichen meine Vorstellungen von Georgiern als der tolerantesten Nation der Welt. Eine Frage ging mir nicht aus dem Kopf: Ist das tatsächlich der Gott, der uns lehrt, all jene, die anders als die Mehrheit leben, denken, fühlen und lieben, zu schlagen und umzubringen?
Im Zusammenhang mit den Ereignissen von gestern habe ich zweierlei Assoziationen. Zum einen ist das die Heimat meines Mannes, Deutschland. Dort wurden im Mittelalter die so genannten Hexen verbrannt. Einige behaupten, damit hätten die Germanen den genetischen Fonds ihrer Nation beschädigt (da die Hexen bekanntlich überwiegend wunderschön waren). Ist das vielleicht der Grund, warum sich viele deutsche Männer heute gezwungen sehen, sich bei der Wahl der Partnerin in anderen Teilen der Welt umzuschauen?
Zum anderen ist das meine Heimat. Ich komme aus Weißrussland. Einst, im Russischen Zarenreich, war in diesem so genannten Nord-Östlichen Gebiet die so genannte Siedlungsgrenze für die Juden. Sie hatten damals die offizielle Erlaubnis, in diesem Teil des Reiches zu leben, doch sie durften keinesfalls weiter gen Osten ziehen, sprich: nach Sankt Petersburg oder Moskau. Und dennoch lebten die Juden in meiner Heimat in immerwährender Angst vor Pogromen, die regelmäßig, gott- und gnadenlos gegen sie veranstaltet wurden. Mitbeteiligt daran waren die gefürchteten so genannten ‚schwarzen Hundertschaften‘ (Tschornyje sotnji), monarchistisch-nationalistischen Truppen, die gegen Juden und Revolutionäre vorgingen.
Ich möchte mich für diese Vergleiche im Zusammenhang mit Georgien entschuldigen. Aber ich kann nicht umhin: Gestern standen mir stets Inquisitionsfeuer und Pogrome der Schwarzhunderter vor Augen.
Dennoch weigere ich mich dagegen zu glauben, dass die Georgier so sind.
TatjanaMontik, Journalistin
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Saturday, May 18, 2013
KOMMENTAR: Schockiert ... über die Homophobie in Georgien. Von Tatjana Montik
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