Friday, November 01, 2013

GEORGIEN: Kein neuer Lenin, einfach ein Premier gewünscht. Von Julia Smirnova (welt.de)

(welt.de) Wahlbeobachter sind mit dem Ablauf der Präsidentschaftswahl in Georgien zufrieden: Ein demokratischer Machtwechsel wurde gemeistert. Giorgi Margwelaschwili steht nun an der Spitze des Landes.  

In den Herbsttagen verlässt Mamuka Burduli besonders gerne sein Büro in Tiflis und fährt in seinen Garten im Vorort Gldani. Das ist sein besonderer Stolz. Seine Quevri, die großen im Boden vergrabenen Tongefäße, sind im Oktober gefüllt mit gepressten Weintrauben der Sorte Rkatsiteli. Noch sechs Monate werden sie in den Quevris gären, bis der trockene georgische Weißwein entsteht. Es ist eine der ältesten Methoden der Weinherstellung auf der Welt, schon mehrere Jahrtausende vor Christus machte man es in dieser Gegend so.

Jetzt werden die Quevris bei den Herstellern von Bio-Weinen im Westen populär. Burduli stellt im Jahr etwa 1000 Liter Wein her, nicht für den Verkauf, sondern für sich selbst und seine Touristen. Er ist Besitzer einer mittelgroßen Reisefirma und hat das ganze Jahr über Kunden.

Im Winter verleiht er Skier im Bergort Gudauri. Im Sommer organisiert er Rafting-, Mountainbike- und Bus-Reisen durch Georgien. Und im Herbst hat er Zeit für seinen Wein. Seine Reisegruppen lädt er gerne in den Garten ein und spielt selbst den Tischmeister, den Tamada, der Trinksprüche sagt.

In dieser Sommer-Saison hatte er rund 1400 Gäste und hofft, dass die Zahl noch steigt. "Wenn es dem Land gut geht, werden auch mehr Touristen kommen", sagt er. Und jetzt ist er der Meinung, dass Georgien wieder auf gutem Weg ist, weil sich die Politik beruhigt hat und der Machtwechsel ohne Revolutionen abgelaufen ist.

Die Macht des georgischen Traums

Am Sonntag hat er bei der Präsidentenwahl für Giorgi Margwelaschwili gestimmt, den Kandidaten der Regierungskoalition Georgischer Traum. Der Philosoph und frühere Bildungsminister holte nach vorläufigen Ergebnissen 61 Prozent der Stimmen. Damit wurde die Macht des Georgischen Traums befestigt. Vor einem Jahr gewann die Koalition des Milliardären Bidsina Iwanischwili schon die Parlamentswahlen.

Das Leben des 49-jährigen Burduli wurde in der turbulenten Geschichte seines Landes in den 20 Jahren der Unabhängigkeit immer wieder durcheinander gewirbelt. Als mit dem Zerfall der Sowjetunion Ende der 80er-Jahre die Privatwirtschaft erlaubt wurde, begann der studierte Ingenieur als Ski- und Snowboardlehrer in Gudauri auf eigene Faust Geld zu verdienen. Die Arbeit in den 90er-Jahren war abenteuerlich.

"Manchmal kamen Gäste aus Europa am Flughafen in Tiflis an und es gab am ganzen Flughafen kein Licht", erzählt er. Nach dem damaligen Bürgerkrieg um die versuchte Abspaltung der Gebiete Abchasien und Südossetien trug fast jeder Waffen und nur wenige Touristen trauten sich, in der Südkaukasus-Republik Urlaub zu machen. Später, in der Regierungszeit des vormaligen sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse, peinigte die Korruption das Land.

Seit 2001 organisiert Burduli eigene Touren, er ging für einen Sommer nach Österreich, um Erfahrung im Rafting zu sammeln und war der erste, der solche Spezialreisen in Georgien anbot. Die Rosenrevolution von 2003 löste bei ihm Begeisterung aus. Tatsächlich profitierte er von den Reformen von Micheil Saakaschwili, der 2004 mit 96 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde.

Als Bürokratie wegfiel, zahlte er Steuern

In diesem Jahr meldete Burduli seine Firma an. "Damals war es ganz einfach, ein Unternehmen zu leiten", erzählt Burduli. "Die Regulierungen fielen weg, die unnötige Bürokratie auch." Er fing an, seine Steuern zu zahlen, was bis dahin nur wenige Georgier taten. "Jetzt kenne ich mich bestens mit der Buchhaltung aus, weil die Strafen für jeden Fehler so hoch sind", lacht er.

Der Präsident Saakaschwili hat für die Reise-Branche viel getan, gibt Burduli zu. "Er hat in der ganzen Welt Werbung gemacht für Georgien. Früher kannte uns niemand", sagt er.

Nach Angaben des Nationalen Georgischen Fremdenverkehrsverbands ist die Zahl ausländischer Besucher tatsächlich rasant gestiegen. Im Jahre 2005 kamen 560.000 Ausländer ins Land, im vergangenen Jahr bereits 4,3 Millionen – dabei leben in Georgien nur etwa 4,5 Millionen Menschen.
Natürlich sind nicht alle Besucher Touristen, aber immerhin angeblich bis zu 40 Prozent. Burdulis meiste Gäste kommen aus Israel, Polen und den baltischen Republiken. Und trotzdem sagt er: "Vor einem Jahr dachte ich, ich würde auswandern, wenn Saakaschwilis Partei weiter an der Macht bleibt."

Es gab Zwangsenteignungen

Zu hoch sei der Druck auf diejenigen gewesen, die Saakaschwili und seine Reformen nicht unterstützen. Und je größer das Geschäft wurde, desto mehr Probleme konnte man mit dem Staat bekommen. Im vergangenen Jahr berichtete das georgische Büro der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International über mehrere Fälle, in denen Menschen gezwungen wurden, ihr Eigentum an den Staat abzugeben.

"Außerdem meldeten sich nach den Parlamentswahlen Unternehmer und erzählten, sie seien gezwungen worden, Saakaschwilis Partei zu finanzieren", sagt Eka Gigauri, die Leiterin von Transparency International in Georgien. Nun habe sich die Situation mit der Parteifinanzierung verbessert.

Saakaschwili schwärmte einst vom "europäischen Singapur" und ließ in seinem bitterarmen Land teuere Infrastrukturprojekte bauen. Das umstrittenste Beispiel war die Traumstadt Lasika, die aus dem Nichts an der sumpfigen Schwarzmeeresküste entstehen sollte. Nach dem Regierungswechsel wurden die Baupläne gestoppt. "Saakaschwili fragte die Menschen nicht nach ihrer Meinung", sagt Mamuka Burduli.

"In Gudauri wurde eine teuere Eislaufhalle gebaut, weil der Präsident es so wollte, doch es gab kaum Besucher." Die neue Regierung ließ in Gudauri vergangenes Jahr eine einen regionalen Fremdenverkehrsverein gründen. "Nun fangen wir an, selbst zu besprechen, was wir brauchen", sagt Burduli. "Saakaschwili hat manchmal gute und manchmal schlechte Sachen gemacht. Doch eine Person kann nicht immer alles besser wissen."

"Wir brauchen keinen neuen Lenin"

Der Unternehmer findet es gut, wenn es in Georgien keine charismatischen Politiker mehr gibt, die für allgemeine Begeisterung sorgen. "Wir brauchen keinen neuen Lenin oder Stalin, sondern einen normalen Premier und Präsidenten", sagt er. "Wir müssen selbst härter arbeiten und dürfen nicht darauf hoffen, dass jemand kommt, der unsere Probleme löst." Saakaschwili verlässt jetzt die politische Bühne genauso wie der Premierminister Bidsina Iwanischwili.

Der reichste Geogier kündigte an, nach der Wahl zurückzutreten, nachdem er seine wichtigstes Ziel – den Machtwechsel in Georgien – erreicht hat. Am Dienstag oder Mittwoch will er verkünden, wen er als seinen Nachfolger an der Regierungsspitze vorschlägt. Der Premierminister wird dann der einflussreichste Amtsträger in Georgien sein. Nach den Wahlen treten die Verfassungsänderungen in Kraft, die Georgien von einer präsidialen zu einer parlamentarischen Republik machen.
Der Rücktritt von Iwanischwili lässt allerdings auch Fragen offen. Mit seinem geschätzten Vermögen von etwa 5,3 Milliarden US-Dollar, von dem er eine Milliarde in die georgische Wirtschaft investieren will, bleibt er ohne Zweifel sehr einflussreich. Der gewählte Präsident Giorgi Margwelaschwili steht ihm sehr nahe.

"Das Risiko ist hoch, dass Iwanischwili weiter die georgische Politik beeinflusst, ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen", sagt Elene Khoshtaria, Mitgründerin der NGO "Georgischer Bund für Reformen" und ehemalige Vize-Ministerin für Euroatlantische Integration.

Im vergangenen Jahr konnte Iwanischwili tatsächlich schlecht mit der Kritik umgehen. Kurz vor den Wahlen hatte er Treffen mit georgischen Journalisten und politischen Beobachtern abgehalten und sie öffentlich belehrt. Als Manager, der in seinem Unternehmensreich immer der Mächtigste war, fühlte er sich offenbar nicht wohl in der Rolle eines Politikers, der ständig Kritik ausgesetzt ist.

Zwiespältige Bilanz

Die Bilanz des ersten Jahres seiner Regierung fällt zwiespältig aus. "Für Demokratie gab es diesem Jahr Verbesserungen", sagt Transparency-Frau Gigauri. Die Medienlandschaft sei insgesamt pluralistischer geworden. Allerdings gab es einen Konflikt um den Aufsichtsrat des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zwischen unterschiedlichen Einflussgruppen.

Positiv sei, dass das georgische Parlament nicht mehr von einer Partei dominiert wird, sondern dass es mit Saakaschwilis Vereinter Nationalbewegung eine ziemlich starke Opposition gibt. "Zum ersten Mal seit Jahren gab es im Parlament richtige politische Diskussionen", sagt Gigauri.

Im vergangenen Jahr wurden Ermittlungen gegen Dutzende ehemalige Amtsträger eingeleitet. Die "Vereinte Nationalbewegung" kritisierte die Prozesse als politisch motiviert. "Die Entscheidung, dass diese Fälle aufgeklärt werden, war eindeutig politisch", sagt Eka Gigauri. "Doch ob der Prozess selbst und das Urteil politisch ist, kann man nur beurteilen, wenn der Prozess zu Ende ist und die Gerichte ihre Entscheidungen treffen."

Es gebe leichte Verbesserungen, was die Unabhängigkeit der Justiz angeht. Nicht immer stimmten im vergangenen Jahr die Richter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zu, was früher so gut wie nie vorkam. "Früher waren die Staatsanwälte sicher, dass sie mit ihren Beweisen im Gericht immer durchkommen, jetzt müssen sie erleben, dass ungenügende Beweise auch abgelehnt werden können", sagt sie.

Aufarbeitung der Vergangenheit

Das größte Problem seien kleinere Prozesse, die in den Regionen aufgerollt werden und Fälle betreffen, die bereits mehrere Jahre zurückliegen.

Die neue georgische Regierung steht nun vor einer viel wichtigeren Herausforderung, als der Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Institutionen müssen in Georgien so gestärkt werden, dass sie nicht mehr davon abhängen, wer gerade an der Macht ist. "Das wichtigste ist, dass sich das ganze System ändert", sagt Mamuka Burduli.

Er hofft, dass er sein Unternehmen in gutem Zustand seinem Sohn übergeben kann, der gerade 20 Jahre alt ist und BWL in Tiflis studiert. Im Alter will sich Burduli vor allem um seinen Wein kümmern, dann hat er genug Zeit dafür. Auswandern will er nicht mehr.

No comments: