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Giorgi Margwelaschwili ist zum neuen Präsidenten Georgiens gewählt worden in Wahlen, die als demokratisch und fair gelobt wurden.
Er ist Amtsnachfolger von Micheil Saakaschwili und wird unterstützt vom
Parteienbündnis Georgischer Traum und dem milliardenschweren
Noch-Regierungschef Bidsina Iwanischwili. Christian Papke traf
Margwelaschwili zu einem sehr persönlichen Gespräch über Philosophie,
Mauern und Visionen in dessen Wohnung in Tiflis.
Die Welt:
Sie sind von Ihrer Ausbildung her Philosoph. Was ist Ihre persönliche
Lebensphilosophie, um schwierige Zeiten zu überleben, zum Beispiel
Politiker zu werden und zu sein?
Giorgi Margwelaschwili:
Es ist nicht einfach, die politische Schwungkraft mit philosophischen
Begriffen zu beschreiben. Aber zwei der größten Philosophen, die meine
Gedanken oder meine Haltungen bestimmt haben, waren Immanuel Kant und
Meister Eckhart. Sie haben mir aufgezeigt, dass im Zusammenhang mit der
Komplexität der Dinge, die man um sich herum wahrnimmt, diese eventuell
nicht genau in diesem Kontext gesehen werden, den die öffentliche
Wahrnehmung über sie hat. Aber was das Alltagsleben anbelangt, ist
Machiavelli der passende Philosoph, um die Politik allgemein zu
verstehen, nicht nur heute in Georgien.
Die Welt:
Wenn Sie die Gelegenheit hätten, einen europäischen Philosophen
auferstehen lassen zu können, um ihn nach Georgien zu bringen und das
Volk zu unterrichten, welcher wäre das und was würden Sie ihn bitten zu
lehren?
Margwelaschwili:
Ich glaube nicht, dass die politische Philosophie den Kern der
Philosophie ausmacht. Die Hauptmasse der Philosophie liegt im
Verständnis der Welt, nicht nur der sozialen Prozesse. Ich würde auf die
angelsächsische Philosophie und den angelsächsischen Ansatz zurückgehen
und Hobbes oder Locke bitten, über das Fundament zu sprechen, wie ein
Staat zu ordnen ist.
Die Welt: Was könnten die Philosophen den georgischen Politikern beibringen?
Margwelaschwili:
Rationalismus, grundsätzlich Rationalismus! Ein rationales und
vernunftorientiertes Denken als Basis politischen Lebens anzulegen. Ich
glaube, es wäre sehr eindrucksvoll, wenn viele Politiker von ihrer
emotionalen Agenda abrückten und anfingen, über wirklich logische
Schlussfolgerungen und die Rettung von Abläufen nachzudenken,
politische, wirtschaftliche oder andere laufende Prozesse in unserer
Gesellschaft zu reflektieren.
Und außerdem
glaube ich, es ist sehr wichtig, dass die Politik in Georgien ruhiger
wird. Wir leben hier in einer Gesellschaft, in der die Politik einen
überwältigt. Sie hat alle anderen Entwicklungsbereiche in sich
aufgesaugt und übermannt. Politik ragt in die Kunst hinein, in Sport, in
Wissenschaft, in das öffentliche Leben, in jeden Bereich, der sich in
normalen Gesellschaften unabhängig entfaltet. Mäßigung ist etwas, das
wir in der Politik lernen müssen, um eine neue Gesellschaft zu bilden,
eine Zivilgesellschaft, in der sich alle diese Bereiche unabhängig
entwickeln können.
Die Welt: Was in Georgien geht denn in die richtige Richtung?
Margwelaschwili: Die Veränderungen, die wir in den durchregulierten Bereichen umgesetzt haben. Die Aufgabe von Machtpositionen. Ich bin (als Rektor und Bildungsminister, Anmerkung d. Red.)
in ein System gekommen, das von speziellen Kräften dominiert wurde, die
nur dazu angestellt waren, die Disziplin in den Schulen zu überwachen.
Sie kontrollierten nicht nur das Benehmen der Studenten, sondern auch
der Lehrer und ihre Richtlinien. Ich habe das einfach geändert.
Wir haben sehr
klar kommuniziert: "Big Brother überwacht dich nicht mehr, aber du musst
deine Pflichten erfüllen. Andernfalls gibt es angemessene
Wirkungsmechanismen." Das ist eines der Beispiele, wie wir das System
befreit haben. Wir hatten auch eine riesige Begnadigungswelle, weil wir
in einem Land mit 4,5 Millionen Einwohnern in den vergangenen zehn
Jahren 330.000 Menschen in Gefängnisse eingesperrt hatten.
Die Welt: Um also die andere Seite der Medaille zu betrachten, welches sind die größten Herausforderungen?
Margwelaschwili:
Natürlich die Wirtschaft. Und aktuell ist das auch ein Teil der neuen
Freiheit. Denn Unternehmen wurden früher sehr effektiv kontrolliert. Und
die Unternehmer wurden insbesondere von hohen Regierungsvertretern
darauf hingewiesen, dass sie in diesen oder jenen Bereich reinvestieren
sollten. Heute, da ihnen keiner mehr diesen Hinweis gibt, besteht ein
Moment der Unlust zu investieren. Viele Unternehmer beobachten nur das
politische Umfeld und warten ab, bis sich die Situation beruhigt hat.
Das ist auch
eine Form der unternehmerischen Freiheit. Deswegen entwickelt sich die
Wirtschaft nicht so zügig. Und wir haben ernsthafte Probleme mit unseren
russischen Nachbarn und den zwei Regionen, die seit dem Krieg von 2008
durch Russland besetzt sind. Der Unwille der Russen anzuerkennen, dass
in Europa Schranken zu errichten und Mauern zu bauen nichts ist, das
irgendetwas Gutes bringt, nicht nur nicht für Georgien, sondern auch
nicht für Russland selbst, weder seiner Eigenstaatlichkeit noch seiner
Diplomatie, noch seinem Image bei der internationalen Gemeinschaft. Das
hat nie Gutes gebracht.
Die Welt: Georgien hat keine territoriale Souveränität. Russland hält 20 Prozent Ihres Landes besetzt. Was kann getan werden?
Margwelaschwili:
Ich kenne nur eine Mauer, die nicht zerstört worden ist, das ist die
Chinesische Mauer. Alle Mauern in Europa wurden niedergerissen. Auch die
innerdeutsche hatte kein langes Leben. So ergeht es Mauern. Selbst Pink
Floyd hat dieses Thema hervorgehoben ... Great Pink Floyd! Versuche,
eine Grenze zu errichten, stellen in meinem Verständnis bereits ein
Scheitern dar. Leider sehe ich, dass die Mauern und Zäune, die derzeit
hochgezogen werden, gebaut sind, damit das Volk nicht mehr untereinander
kommunizieren kann. Sie haben keine strategische Bedeutung, sie tragen
keinen militärischen Inhalt in sich. Es ist nur ein Versuch, die
Georgier voneinander zu entfremden. Und zu verhindern, dass die Leute,
die in Ossetien leben, intensiver kommunizieren.
Aktuell
verursacht das jede Menge Schmerz. Tag für Tag Schmerzen für die normale
Bevölkerung. Das beleidigt uns sehr. Der Prozess, der dahinter abläuft,
ist ein Versuch der Menschen, die auf beiden Seiten der Grenze leben,
sich miteinander in Verbindung zu setzen. Wie in Berlin. Man musste die
Mauer bauen, weil beide Teile der Stadt miteinander reden wollten, sich
sehen wollten. Selbst in den vielen Fällen, in denen sie politisch
andere Einstellungen hatten, wollten sie noch immer miteinander
kommunizieren. Es war eine Mauer notwendig, um die Kommunikation zu
zerstören.
Die Welt:
Es gibt eine jüngere politische Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung,
die festhält, dass die georgische Zivilgesellschaft Nachholbedarf bei
seiner staatsbürgerlichen Bewusstseinsbildung hat. Andererseits scheint
ein Wert der georgischen Gesellschaft in Gefahr zu sein: die Toleranz.
Sehen Sie das auch so?
Margwelaschwili:
Wir bauen einen neuen georgischen Staat. Und wenn man einen neuen Staat
aufbaut, dann tut man das mit den Bausteinen seiner Individuen und
ihrer verinnerlichten Kultur. Man versucht, das Gebäude in Einklang mit
diesen einzelnen Bausteinen zu errichten, ohne dabei vom Gesamtkonzept
abzuweichen. Wir Georgier sind tolerant, bereit, uns auf andere
Gebräuche und Einstellungen einzulassen. Aber es gibt die
Herausforderung, sie in soziale Institutionen umzuwandeln und in eine
politische Tradition zu überführen.
Es gibt die
Herausforderung, einen zeitgenössischen Staat zu bauen, der identisch
ist mit seiner Kultur, der georgischen Kultur. Ich meine damit nicht nur
Institutionen wie das Parlament, den Präsidenten, die Regierung,
sondern es ist auch sehr bedeutsam, dass wir eine Tradition aufbauen.
Eine politische Kultur, die eins ist mit unserer sozialen Kultur und der
Art entspricht, wie Menschen über die Dinge denken. Unsere soziale
Kultur, die Art, wie wir erzogen wurden, ist gänzlich tolerant. Unser
Staat wird sagen: "Wir werden sein, wie wir es als natürlich empfinden,
wir werden tolerant sein." Und das ist auch realistisch für das
politische Haus, in dem wir wohnen wollen. Das entspricht Europa.
Die Welt: Würden Sie sagen: Georgien hat seine Identität schon gefunden?
Margwelaschwili:
Kulturell haben wir unsere Identität gefunden und definiert. Wir haben
sie in unserem gesellschaftlichen Leben bestimmt, in unseren
Traditionen, in unserer Kultur, in unseren lang anhaltenden historischen
Erfahrungen. Aber die Übersetzung dessen, der öffentlichen Kultur in
die politische Kultur ist noch nicht geschehen. Das muss passieren. Wir
müssen das europäische Georgien bauen, das – noch einmal – nicht in
Widerspruch zum traditionellen Georgien steht.
Die Welt:
Welche gesellschaftlichen Transformationen, Veränderungen in der
Zivilgesellschaft, was konkret wollen Sie als Präsident erreichen, um
diese Vision weiterzuverfolgen?
Margwelaschwili:
Ich denke, die Zivilgesellschaft wird wachsen und zwar in die Richtung,
ihre Freiheit zu nutzen und darin effektiv zu sein, sie umsetzen zu
können. Aber ich habe politische Ambitionen. Mein Bestreben ist es, in
fünf Jahren unterschiedliche Herausforderer für die nächsten
Präsidentenwahlen zu sehen, europäische Visionäre, die im Wettbewerb
miteinander stehen, gut oder die Besten zu sein. Die Tradition einer
Zivilgesellschaft sowie ein politisch stabiler Staat sollten dann
geschaffen sein.
Ebenso muss die
politische Einmischung aus dem Alltagsleben der Bürger verschwunden
sein. Sie diktiert dann hoffentlich nicht mehr: Du solltest Geschäfte so
machen. Sie erzählt dem Opernsänger nicht mehr: Du solltest ein
bisschen anders singen. Sie erzählt dem Maler nicht mehr: Du solltest
ein bisschen mehr Blau oder Rot nehmen. Das ist meine politische
Ambition für die nächsten fünf Jahre. Und natürlich steht das in Bezug
zu unseren internationalen Beziehungen. Je schneller wir zu Europa
dazukommen und je ruhiger wir unsere Probleme mit den Russen lösen,
desto weniger problematische Kanten gibt es zwischen uns – hier, in der
Nachbarschaft und in Übersee.
Die Welt: Und was wird das Erste sein, das Sie ändern werden?
Margwelaschwili:
Ich werde anfangen, an die Gesellschaft zurückzukommunizieren. Und ich
werde versuchen, das politische Umfeld zu stabilisieren. Man muss der
Gesellschaft erklären, was es bedeutet, einen neuen Präsidenten zu
haben. Es ist sehr wichtig, zu kommunizieren und neue Regeln in einem
neuen Umfeld zu schaffen. Das wird den Boden bereiten und schafft das
Fundament für wirtschaftliche Entwicklung.
Die Welt: Was kann Georgien zum europäischen Kontext und der europäischen Identität beitragen?
Margwelaschwili:
Wir sind eine Brücke. In mehrfacher Hinsicht. Sowohl auf politischer
wie auch auf wirtschaftlicher Ebene. Wir sind eine Brücke zwischen zwei
beträchtlichen Wirtschaftsräumen, dem kaspischen Raum und der
Schwarzmeerregion. Wir bieten eine sehr interessante Handels- und
Wirtschaftsmöglichkeit an, sowohl für Europa wie auch für Asien. Wir
sind bei Fragen regionaler Sicherheit ein sehr ernst zu nehmender
Partner und aktiv in Fragen der internationalen Sicherheit engagiert.
Wir können
einen kulturellen Einstieg für asiatische Prozesse anbieten, weil ich
glaube, dass wir Georgier als Europäer Asien sehr gut verstehen. Wir
sind auch Teil der asiatischen Kultur und können damit ein attraktiver
Akteur des europäischen Prozesses sein, ein sehr interessanter
emotionaler, kultureller, wachstumsfähiger Akteur des europäischen
Prozesses. Vielleicht wirtschaftlich kein Schwergewicht, aber kulturell
und erfahrungsmäßig können wir eine Menge interessanter Themen in die
europäische Diskussion einbringen.
Die Welt:
Was würden Sie sagen, warum es Sinn habe, am Wochenende nicht schon
wieder nach Wien oder Rom oder Paris zu fahren, sondern nach Georgien zu
kommen?
Margwelaschwili:
Als Bergführer, einem meiner früheren Berufe, kann ich diese Frage sehr
genau beantworten. Ich glaube, es ist sehr selten, dass man an einem
Ort auf so kleinem Raum so viel Verschiedenes finden kann: das Schwarze
Meer, die Berge, Skigebiete, Wandergebiete, selbst Wüste. Hinzu kommt,
dass alle 15 Kilometer verschiedene Mikrokulturen zu finden sind. Denn
die Menschen am Schwarzen Meer sprechen eine andere Sprache, sie haben
andere Traditionen, sie haben eine andere Küche. In den Bergen ist
wieder alles anders. Man kann die ganze Welt sehen, wenn man ein paar
Wochen zu uns kommt.
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