Monday, January 05, 2009

BERICHT: „Der Abschied vom Imperium im 20. und 21. Jahrhundert. Mittel- und osteuropäische Erinnerungen“

Internationale Konferenz des Zentralinstituts für Mittel- und Osteuropastudien an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, 13.-15.11.2008
Von: John Andreas Fuchs


Wenig verändert die politische Weltkarte so sehr wie der Untergang eines Imperiums. Auf der internationalen Konferenz „Der Abschied vom Imperium im 20. und 21. Jahrhundert“, die vom 13. bis 15. November 2008 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt stattfand, analysierten Historiker und Politologen aus fünf Nationen die Folgen des Untergangs des Sowjetimperiums, wobei sie vergleichend auf den Untergang des Wilhelminischen, des Habsburger, des osmanischen sowie des zarischen Reiches zurückgriffen. Auch die Situation der USA, als letztem verbliebenem Imperium, wurde berücksichtigt. Untersucht wurden nicht nur die unmittelbaren Folgen des Unterganges, sondern auch die nostalgische Sehnsucht nach Imperien, neue imperialistische Strömungen sowie nationalistische Tendenzen.

Lassen sich aus dem Untergang der alten Imperien auch Lehren für die heutige Zeit ziehen? In seinem verlesenen Grußwort an die Teilnehmer der Konferenz sagte der Direktor des ZIMOS, NIKOLAUS LOBKOWICZ, dazu folgendes: „Historiker sollen sich hüten, Aussagen über die Zukunft zu machen. Aber ihre Untersuchungen und Überlegungen erlauben, besser zu verstehen, wie sich die Welt heute entwickelt“.

Leonid Luks (Eichstätt), der die Tagung in Zusammenarbeit mit Christian Holtz (Denkendorf) organisierte, sprach in seinem einführenden Statement von einer Renaissance des Begriffs „Imperium“, die ausgerechnet nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, eines der letzten multinationalen Großreiche der Erde, zu beobachten war. Die von den USA geprägte „neue Weltordnung“ sei gelegentlich als eine Art neue „Pax Romana“ bezeichnet worden. Dann wies Luks auf die Brüchigkeit dieses neuen Imperialmodells hin: „Radikale Gegner des amerikanischen Hegemonialkonzepts traten sehr schnell auf den Plan und begannen imperiale Gegenentwürfe zu entwickeln.“

Der erste Vortrag wurde von KARSTEN RUPPERT (Eichstätt) zum Thema „Der Zusammenbruch der Imperien im Ersten Weltkrieg und seine Folgen für Europa“ gehalten. Im europäischen Machtvakuum, ausgelöst durch den Machtverlust Frankreichs und den Rückzug der angelsächsischen Mächte, besonders der USA, gediehen nationalistische und, besonders bei den Verlierern, revisionistische Bestrebungen. Einzige Ausnahme bildete unter den Verlierer-Nationen die Türkei, deren imperialistische Träume Thema des Vortrages von AYGUL ASHIROVA (Eichstätt) zum „Panturkismus“ waren. Auch wenn in der Türkei heute eine pro-europäische Realpolitik betrieben wird, lebt die Vision eines islamischen Panturkismus weiter. So lange allerdings weiterhin Uneinigkeit unter den Turkstaaten Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Türkei, Türkische Republik Nordzypern, Turkmenistan und Usbekistan herrscht und die EU der Türkei mehr Vorteile zu bieten hat als ein imaginäres Imperium, bleibt der Panturkismus ein Traum, so Ashirova.

Ebenfalls mit Träumen und Visionen beschäftigte sich ANDREAS UMLAND (Eichstätt) in seinem Vortrag „Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken im postsowjetischen Russland.“ Im postsowjetischen Russland konnte sich laut Umland kein nicht-imperialistischer Konservatismus entwickeln, stattdessen träumen restaurativ orientierte alte Eliten von der Wiederherstellung des Sowjetimperiums. Antisowjetische Nationalisten, wie der kürzlich verstorbene Aleksandr Solženicyn, befürworten ebenfalls eine Wiederherstellung des Russischen Reiches, vor allem die Wiedervereinigung mit den Ostslawen. Hinzukommen revolutionär-imperialistische Gruppierungen wie Žirinovskijs Liberal-Demokratische-Partei und Aleksandr Dugins Eurasische Bewegung. Die besonders radikalen Ideologien dieser beiden Organisationen beeinflussen den innerrussischen Diskurs um künftige Ziele und Methoden der russischen Außenpolitik soweit, dass der bisherige, restaurative Neoimperialismus Bestandteil der offiziellen außenpolitischen Doktrin Russlands geworden ist. So lassen sich auch die faktische Angliederung Abchasiens im August 2008 und Dmitrij Medvedevs Kaltschnäuzigkeit, mit der er die Stationierung neuer Kurzstreckenraketen im Gebiet um Kaliningrad ankündigte, erklären, wie Umland einleuchtend skizzierte.

VLADIMIR KANTOR (Moskau) erläuterte „Das imperiale Denken am Beispiel des Zarenreiches“ und brachte so eine weitere, „innerrussische“ Vergleichsebene für das Handeln des Sowjetimperiums zur Sprache. Er unterschied grundsätzlich zwei Arten von Imperien: zum einen das europäische, kulturelle und religiöse, zum anderen das orientalisch-despotische Imperium. Zur ersten Art, die ursprünglich nicht xenophob gewesen sei, zählte Kantor das zarische Imperium, zur zweiten das Sowjetimperium. Im Zarenreich zeichnete sich bis zum Sturz des Zaren ein immer stärker werdender Nationalismus, der das russische Volk immer stärker in den Mittelpunkt rückte, ab. Das einfache Volk wurde u.a. von Fedor Dostoevskij als „Gottträger-Volk“ gesehen, was dem Wunsch nach dem Reich Gottes auf Erden entsprach und gleichzeitig den Aufstieg des „Volksweisen“ Grigorij Rasputin, und somit zugleich das Ende des zarischen Imperiums, begünstigte. Ähnliches stellte Heinz Hürten (Eichstätt) in seinem Vortrag „Die Sehnsucht nach dem ‚Reich‘ in der Weimarer Republik“ fest. Auch hier entspricht die Sehnsucht nach dem Reich einer religiösen Sehnsucht und läutet das Ende des bestehenden Systems, tragischerweise der ersten Demokratie auf deutschem Boden, ein. Das „Reich“ wurde nicht nur theologisch gesehen, sondern auch als Chiffre für eine neue, bessere Zukunft verstanden, so Hürten.

Von literaturwissenschaftlicher Seite näherte sich ALEXEI RYBAKOV (Eichstätt) mit seinem Vortrag „Das 1. und das 3. Rom in der Poesie Osip Mandel´štams“ dem Imperium. Obwohl Mandel´štam aufgrund seiner jüdischen Herkunft ein Außenseiter war, tauchen in seinen Werken sehr häufig die Begriffe „Rom“, „Reich“ und „Imperium“ auf. Gerade die Außenseiterrolle könnte die Grundlage für die Sehnsucht nach dem Imperium gelegt haben, so Rybakov. Außerdem kann im Imperium, als einem geordneten Reich, der Gegenpol zum jüdischen Chaos gesehen werden. Die „bewegte Ordnung“ findet sich immer wieder in der Beschreibung von Militärparaden. Mandel´štam schreibt nach dem Untergang des Imperiums, fühlt sich ihm jedoch „kindlich verbunden“. Diese Verbundenheit ist allerdings äußerst ambivalent, so steht das Imperium nicht nur für Ordnung, sondern auch für Heuchelei. Mal ist das imperiale Rom Mandel´štams geistige Heimat, dann heißt es „Rom hat er nie geliebt“. Moskau sei das dritte Rom und ein viertes werde es nie geben. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass die „bewegte Ordnung“, das Imperium, keinen Platz mehr findet in der neuen Zeit.

Ordnung war auch etwas, das Ungarn in den siebziger und achtziger Jahren beschäftigte. GYÖRGY DALOS (Budapest / Berlin) beschrieb in seinem Beitrag „Der Mitteleuropa-Diskurs der 1970er und 1980er Jahre - die Sehnsucht nach dem Habsburger Reich?“ auf unterhaltsame Art, wie sich das ehemalige „k.u.k.“-Land Ungarn nach einem einheitlichen und geordneten Mitteleuropa sehnte. Das „ungarische System“ war sich, wie Dalos immer wieder herausstrich, seines operettenhaften Charakters bewusst und nahm sich selbst nicht ernst. Die Folge davon war, dass die Europa-Debatte streckenweise eine wichtigere Rolle einnahm, als die Nationaldebatte, was durchaus eine Ausnahme darstellte. Zusätzlich befördert wurde dies durch die „geerbte“ große Affinität zu Österreich. Dalos´ Fazit: „Was die BRD für die DDR war, war Österreich für Ungarn.“

LEONID LUKS (Eichstätt) betrachtete den „Zerfall des Sowjetreiches in vergleichender Perspektive“ und unterstrich die Parallelen: Sowohl 1917 als auch 1991 kam es nicht nur zum Untergang eines Imperiums, sondern auch zu einem politischen System- und Ideologiewechsel. Deshalb bietet es sich an, den Untergang des Sowjetimperiums nicht in erster Linie mit dem Untergang westlicher Imperien zu vergleichen, sondern mit dem Untergang des ersten russischen Imperiums 1917/18, so Luks. Ähnlich wie 1917 die Zarenidee bei der Bevölkerungsmehrheit diskreditiert war, war es 1991 die kommunistische Idee. Und so konnte sich im 1917 begonnen Kampf von „Macht gegen Moral“ die letztere 1991 durchsetzen. Waren die Demokraten damals noch unterlegen, konnten sie 74 Jahre nach der Oktoberrevolution einen unerwarteten Triumph feiern. Allerdings nur für kurze Zeit, wie Luks betont. Die postsowjetischen Demokraten verzichteten auf ein radikales Vorgehen gegen ihre Gegner, was die Rückkehr restaurativer Kräfte auf die politische Bühne ermöglichte. Grund zur Hoffnung gäben allerdings Russlands starke Verflechtungen mit dem Westen. So sei es nicht
ausgeschlossen, dass Russland nach der autoritären Putin-Periode den Prozess seiner „Rückkehr nach Europa“ doch wieder aufnehmen werde.

ZAUR GASIMOV (Eichstätt / Baku) ging mit seinem Vortrag „Der imperiale Gedanke und die Nationalitätenfrage in der Sowjetischen Armee zur Zeit der Gorbacevschen Perestrojka“ auf eine wiederkehrende Konfliktsituation ein: Den Widerspruch zwischen nationaler Identität und dem imperialen Gedanken. Diesen Konflikt zeigte u.a. er am Beispiel der Dedovšcina (wörtlich: „Herrschaft der Großväter“), d.h. der Schikane junger Rekruten durch ältere Soldaten. Neben der „normalen“ Dedovšcina, lässt sich klar eine ethnische Dedovšcina aufzeigen. Bei ihr handelt es sich um eine Erblast aus Zeiten als die Armee als „Schule des Internationalismus“ und Mittel zur Russifizierung gesehen wurde. Heute kommen erschwerend die Ambivalenz und die Widersprüche des ideologischen Diskurses hinzu. Ebenso wie die wirtschaftlich bedenkliche Situation vieler Offiziere tragen diese zur Sehnsucht nach einem russischen Imperium und der „Goldenen Zeit der Armee“ bei und verschärfen so das Konfliktpotential in einer verunsicherten, multiethnischen Truppe.

Wie gefährlich die Sehnsucht nach goldenen Zeiten sein kann, kam auch in BORIS CHAVKIN (Moskau) Beitrag „Die Nostalgie nach dem Stalinschen Imperium im postsowjetischen Diskurs“ zum Ausdruck. Die Russische Föderation sieht sich sowohl in der Nachfolge des zarischen Imperiums als auch des Sowjet-Imperiums und Russland bleibe auch immer ein Imperium, so die gängige Vorstellung. Die vorherrschende Nostalgie werde zusätzlich durch das Verschweigen der Gründe des Scheiterns des kommunistischen Reiches gefördert. Chavkin nennt dies das „post-sowjetische Syndrom“, das auch die Ursache für die Konflikte nach 1991, ganz aktuell den Kaukasus-Konflikt, darstellt. Traumata wie der Verlust der Krim tragen zusätzlich zur Sehnsucht nach „goldenen“ sowjetischen Zeiten bei. Hand in Hand damit gehen eine Stalin-Sehnsucht - die Popularität des Diktators steigt wieder in den letzten Jahren - und eine Ideologie imperialistischer Revanche. Die Idee, dass sich Russland wieder von den „Knien erheben wird“, kann laut Chavkin zu einem entscheidenden politischen Faktor werden. Dieser brächte allerdings eine negative Konsolidierung der russischen Nation mit sich, nach dem Motto. „Mitbürger, gegen wen haltet ihr Freundschaft?“ Im letzten Vortrag der Konferenz beschäftigte sich JOHN ANDREAS FUCHS (Eichstätt / München) mit der Frage: „Das letzte Imperium? - Imperiale Erfahrungen im heutigen amerikanischen Diskurs.“

Abgerundet wurde die Tagung durch eine Podiumsdiskussion zum Thema „Die Rückkehr des Imperiums? Die Politik Russlands im postsowjetischen Raum am Beispiel Georgiens und der Ukraine und ihre Auswirkung auf den zivilgesellschaftlichen Ost-West-Dialog“. Neben einigen bereits erwähnten Referenten nahmen an ihr die Mitveranstalter dieser Podiumsdiskussion - Staatssekretär a.D. Helmut Domke (Stiftung West-Östliche Begegnungen) und Christian Holtz (Internationale Cooperation für Wirtschaft und Kultur, Denkendorf) - wie auch Klaus Schubert (KU Eichstätt) und Studierende der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt aus Russland, Georgien und der Ukraine (Antonina Zykova, Olga Chupyra und Zurab Aliashvili) teil. In einer teils aufgewühlten Debatte erörterten Staatsbürger Russlands, der Ukraine und Georgiens sowie deutsche Beobachter Chancen und Hindernisse einer erneuten Annäherung zwischen den Völkern und Regierungen der drei post-sowjetischen Staaten und die Vermittlerrolle des Westens. Betont wurde hierbei die Bedeutung des konstruktiven Dialogs vor Macht- und Drohgebärden.

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