Tuesday, February 17, 2009

BUCH: Georgisches Reisetagebuch (baltische-rundschau.eu).

By BR on November 24, 2008 - Rezension von Michael Stürmer

Nüchternheit - so kann man das Verfahren beschreiben, mit dem Jonathan Littell die kleinen und großen Desaster im Kaukasus während des August-Krieges schildert.

Krieg bringt Dinge ans Licht, die sonst verborgen bleiben. Das gilt ganz besonders für den Fünftagekrieg in den südlichen Vorbergen des Kaukasus. Das ist keine Gegend, die von Engeln bewohnt wird, sondern ein zweiter Balkan, von dem man besser Sicherheitsabstand wahrt. Die Russen haben den Verlust des imperialen Vorlandes, das ihnen 300 Jahre lang ein Glacis gab und - nebenbei bemerkt - auch einige ihrer schlimmsten Henker wie Stalin und Berija - noch lange nicht verkraftet. Die Amerikaner sprechen mit Unschuldsmiene von der Förderung der Demokratie, die dort noch nie zuhause war, und vergessen dabei nicht Öl und Erdgas Zentralasiens, das nicht über Russland, nicht über Iran, sondern durch den schmalen Korridor, zu dem Georgien gehört, das Mittelmeer erreichen soll.

Jonathan Littell, Franzose mit englischem Namen, weil amerikanischer Abkunft, wurde bekannt durch seinen Bestseller “Die Wohlgesinnten”. Das ist der fiktive Lebensbericht eines hohen SS-Offiziers, der ein Insider-Bild der Verfolgung und Vernichtung der Juden durch das NS-Regime zeichnet. Es ist ein moralisch reflektierender Roman.

Was Littell jetzt vorlegt, ist ein Reisebericht, eine Reportage, zuerst erschienen in der französischen Tageszeitung “Le Monde” Anfang Oktober des Jahres und nunmehr in erweiterter Fassung als Buch in deutscher Übersetzung vorliegend. Der schmale Band hat zwei Teile, der erste ist eine Chronik vieler, doch selten übereinstimmender Zeugenaussagen von allen beteiligten Seiten: Georgier, Osseten, Russen, Amerikaner, der französische Botschafter in Tiflis. Der zweite Teil ist die Reportage von einer Journalistenreise, bei der der Autor sich als kluger Beobachter nicht nur des großen Bildes erweist, sondern auch des sprechenden, aussagestarken Details, der kleinen Leute, die mit Haus und Hof in Flammen oder geplündert die Zeche für den nationalistischen Wahn des Michail Saakaschwili bezahlen. Humane Nüchternheit - so kann man die Haltung des Autors angesichts der vielen kleinen und großen Desaster beschreiben.

Anders als in der russischen und der amerikanischen Fassung des Dramas gibt es in dem Geschehen indes nicht Gute und Böse, nicht Schwarz und Weiß. Aber es gibt Täter und Opfer, und manchmal ist es nur eine Frage des Datums, wann die Rollen getauscht werden.

Doch hat Littell nicht nur mit den kleinen Leuten gesprochen. Er zitiert den Außenminister der Provinz Abchasien, der sagt, die Ansprüche Georgiens auf das Gebiet seien “ein Atavismus der Stalinzeit”. Dann fügt der Minister mit Blick auf Russland hinzu: “Natürlich laufen wir Gefahr, als bloße Kolonie zu enden… Aber wenn wir nur zwischen Georgien und Russland wählen können, dann entscheiden wir uns für Russland.” Die Abchasen sind weder Russen noch Georgier, sondern aus Zeiten der großen Völkerwanderungen am Ostufer des Schwarzen Meeres hängen geblieben. Ihre Zugehörigkeit zu Georgien verdanken sie einer Laune Stalins, und der Zerfall der Sowjetunion 1991 ließ keine Zeit, die kleinen Völkerschaften des Kaukasus neu zu sortieren. Die Erbfolgestreitigkeiten des russischen Riesenreiches sind noch lange nicht zu Ende: Was im August und seitdem am Südrand des Kaukasus-Gebirges geschah, muss Warnung sein, was alles noch kommen kann. Ukraine und speziell die Halbinsel Krim werden in Moskau mit Ingrimm erwähnt, in Washington und Nato-Brüssel aber mit gefährlicher Vorerbschaftsfreude. Die Russen sind wieder zurück als Großmacht, und die roten Linien, die sie am Kaukasus gezogen haben, beziehen sich auch auf andere verlorene Teile dessen, was sie als nahes Ausland, Interessensphäre, ja als Fleisch von ihrem Fleisch ansehen.

Russland hat im Alleingang Süd-Ossetien und Abchasien anerkannt und seinen Truppen Botschafter nachgeschickt. Littell zitiert auch den russischen Außenminister Lawrow mit den Worten, die Welt könne “alles Gerede über die territoriale Integrität Georgiens vergessen”. Putin fügte in seiner unnachahmlichen Art die rhetorische Frage hinzu: “Glauben Sie denn, wir hätten den blutigen Rotz einfach abwischen und den Schwanz einziehen sollen?” Auch Putin und Medwedew haben eine Innenpolitik und politische Kräfte, die sie bedienen müssen. Nach der Verselbständigung des Kosovo fanden die Russen, ganz im Stil des 19. Jahrhunderts, es sei an anderer Stelle Kompensation fällig. Der kleine katastrophale Krieg des Michail Saakaschwili gab ihnen die lange erwartete Gelegenheit.

Was aber Georgien anlangt, so gibt es, das ist die Bilanz Littells, keine Gewinner. Die georgische Führung nicht, der Westen nicht, aber Russland auch nicht: Denn jene staatliche Selbständigkeit, die Moskau den Abchasen und Südosseten geschenkt hat, ist genau das, was die Völkerschaften des nördlichen Kaukasus seit vielen Generationen erstreben und was sie immer wieder vergeblich zu erkämpfen suchten. Die blutige Geschichte des Kaukasus ist noch lange nicht zu Ende.

Littell lässt zu Anfang des schmalen Bandes erkennen, wo er Anlässe und Ursachen sieht, und er spricht dabei dem starken Mann von Tiflis die Hauptschuld zu. Am Ende zitiert er einen französischen Georgien-Experten mit dem Wort: “Die Georgier müssen ihre zwanghafte Fixierung auf die abtrünnigen Republiken für mindestens zehn oder fünfzehn Jahre vergessen. Stattdessen sollten sie sich auf die Entwicklung ihres Landes konzentrieren - ihrer Wirtschaft, ihrer Institutionen, ihrer Demokratie. Die Zeit vergeht, und sie werden alles verlieren, woran ihnen liegt, wenn sie so weitermachen”.

Ein knappes, kluges Buch über eine kleine Krise, die sich als Weltkrise erwiesen hat und Wendepunkt werden kann zum Besseren oder zum Schlechteren. Man möchte hoffen, dass die politisch Verantwortlichen in Berlin, Brüssel und Washington die Zeit finden, darin zu lesen.

Jonathan Littell: Georgisches Reisetagebuch.
Aus dem Französischen von Hainer Kober. Berlin, Berlin. 55 S., 9 Euro.

Quelle:
Baltische Rundschau

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