Wednesday, September 28, 2011

LITERATUR: Rezension von Levan Berdzenischwili zu Zaza Burchuladzis „adibas“ (euterpe.origross.net)

Übersetzung der Rezension von Levan Berdzenischwili zu Zaza Burchuladzis
„adibas“ von Mariana Mdinaradse

„Ich wusste schon immer, dass es nicht real ist“ (Serojas Gedanken über Shakespeare, als am Ende der Vorstellung die lebendige Desdemona auf die Bühne kommt, um den Applaus des Publikums entgegen zu nehmen)

Wie liest man ein Buch? Und ich meine nicht, dass Bücher allgemein leicht zu lesen sind. Ich meine etwas Anderes. Ich versuche, die Frage genauer zu stellen: wie sollte sich ein Buch lesen lassen? Zu allererst ist das Buch ein Gegenstand, eine physische Materie, unabhängig von seinem Inhalt, wie man so schön sagt, es sollte gut in der Hand liegen. Dafür ist es aber auch notwendig, dass es einen starken Buchumschlag hat, der dick und dunkel ist. Man nimmt einen guten Buchumschlag (der Umschlag ist die halbe Miete, wobei der Bakur-Sulakauri-Verlag einen starken Umschlag gewählt hat, und stark, nicht im Sinne von „hart“, sondern stark im Sinne von „cool“) und gibt ihm eine Farbe, nämlich die Farbe schwarz. Auf den schwarzen Umschlag schreibt man mit goldenen Lettern „adibas“. Setzt anschließend das „adidas“-Logo darüber (das alte Logo, das wie eine Blume aussieht) und darunter, beginnend ab dem letzten a des Namens, schreibt man in weißen Buchstaben "Roman“ (damit es nicht in die Irre führt). Ganz oben auf den Buchumschlag schreibt man, in der gleichen Schrift, wie man bereits „Roman“ geschrieben hat, in zwei Zeilen den Namen des Autors, wie ein Gütezeichen: Zaza Burchuladze.

Wie bereits Led Zeppelin in ihrem Lied „Stairways to Heaven“ sang, ist nicht alles Gold, was glänzt: ich weiß nicht wie, aber die Designerin (Tamuna1) dieses Buchumschlages bekommt es hin. Sie diktiert uns, dass dieses Gold kein Gold ist. Jedoch das, was nicht glänzt, ist weiß und echt, nämlich Zaza Burchuladze und der Roman selbst sind echt, alles andere – nicht. Kurz gesagt, bereits der Buchumschlag verrät uns, dass man uns mit einer Art Literaturdroge, gelb und weiß, gleichzeitig echt und unecht, betrügen möchte. Deshalb beginnt der Roman auch mit der Erläuterung des Wortes „adibas“, quasi eine Warnung an den Leser. Die sichtbar aus einem Lexikon gerissene Erläuterung kann man wie folgt lesen: „adibas – 1. Fälschung von adidas. 2. Allgemein: Ersatz, Imitation. 3. Alles Mögliche an Fälschung und Falsifikation: eine Sache, ein Gegenstand, eine Situation, ein Ereignis usw.“ Man muss noch Folgendes hinzufügen: „eine derartige Fälschung, die dem verdammten Käufer als Original untergejubelt werden kann“. Und man kann es im Handumdrehen übersetzen (der erfahrene Leser weiß genau, dass der Autor nicht umsonst eine Erläuterung gleich auf der ersten Seite bringen würde). Der Autor warnt lauthals: Achtung lieber Leser, dir präsentiert sich eine Fälschung. Aus diesen Seiten schreitet der Ersatz, die Imitation, die Falsifikation, die unechte Situation, die Vulkanisierung und die Balancierung in deine Richtung (der im Jahr 2008 verstorbene Alain Robbe-Grillet, der im fortgeschrittenem Alter in die „Académie française“ gewählt wurde, warnte in seinem 1953 veröffentlichten Roman „ Die Radiergummis“ ebenfalls seine Leser vor übermäßigen 24 Stunden). Aber man sollte auch wissen, dass der Autor einen belügt und neben dem gefälschten Gold auch auf verwegene Weise die Wahrheit unterschiebt, hinterlistig, wie eine Schlange. Nun ist der besorgte und humane Autor zufrieden, weil er seinen treuen Leser gewarnt hat, damit dieser später keinerlei Ansprüche erhebt, da er ja bereits auf der ersten Seite auf die Fälschung und auf Giorgio Armani hingewiesen wurde. Die Leser hat er gewarnt, die High-Society – verärgert und den Verein orthodoxer Eltern auf Leben und Tod herausgefordert.

Warum überhaupt das Wortspiel mit adidas und adibas? Warum keine andere Fälschung, wie z.B. das berühmte „abibas“, „Somy“, „Panaphonic“, „Panatronic“, das chinesische „IPhone“ (dies erschwert die Sache, da nämlich das wahre IPhone auch in China hergestellt wird) oder auch eine „Rolex“ für zehn Lari2? Vielleicht aus dem Grund, dass die „Adidas AG“ eine vertraute, eine europäische, eine deutsche Firma ist, und Deutschland im Roman durch die Erwähnung der Eisenbahnstrecke zwischen Potsdam und Berlin besonders betont wird. Ich habe meine eigene Version und keiner kann mich von etwas Anderem überzeugen: adidas, das ist die Einigkeit von drei Linien; drei, die zu einem werden, eine so genannte sportlich akzessorische Dreifaltigkeit. Der Roman zeigt auch genau drei unterschiedliche Welten: 1. Die echte (?) und teure (?) (Boutiquen in Wake3, die Cafés auf der Chardinstraße4), 2. Die gefälschte und die überteuerte (die Märkte, sog. Bazars, ein Ort, der als „die Weisheit der Lüge“ bezeichnet wird), 3. Die wahrhaftige und günstige (Second Hand, gebrauchte Artikel, ein Ort, welcher „in sacco veritas“, also „im Bündel liegt die Wahrheit“ genannt wird).

Nach dem, was oben gesagt wurde, würde der wahre, also der adidas-Leser das Buch zuschlagen und über die Sinnlosigkeit des Lebens nachdenken. Danach würde er das Buch wieder aufschlagen und jetzt anders, unter dem gefälschten Yamamoto lesen, dass dieser neuer Roman von dem georgisch-russischen Krieg von 2008 handelt und dass der Krieg zusammen mit Sex die Hauptfigur des Romans darstellt. Krieg und Sex, wie kann man dieser Versuchung widerstehen! Der Leser wird durch eine Exposition in das Buch eingeführt, die als „01 Multimedia des Morgens“ betitelt ist. Bereits bei dieser Art der Nummerierung und bei dem Untertitel sollte der Leser begreifen, dass dieser Roman außer Krieg und Sex auch eine andere Figur hat: nämlich die moderne Technik, die ausgedrückt wird zum einen durch den andauernd eingeschalteten Fernseher, der das Fortschreiten der russischen Armee und den Prozess der Diffusion in Tbilisi zwischen Digomi und dem Platz Gagarin aufgeregt überträgt, zum anderen begegnet sie uns durch einen unachtsam hingeworfenen offenen Laptop, ein weiteres Mal durch die spezifische Aufgabe, die sexuelle Erregung durch die Suche nach „Cannibal Corp“ in Youtube zu beruhigen, wieder ein anderes Mal bietet sie uns die Transkription russisch-georgischer Texte in lateinischen Buchstaben in Skype (das elfte Kapitel trägt den Titel „Georgien“), wieder ein anderes Mal erfreut sie uns durch den Wifi coffee.ge und noch ein anderes Mal zwinkert sie uns durch den 120 GB IPod zu und umgarnt uns mit Bang&Olufsen Kopfhörern, die den Wert einer guten Waschmaschine haben. Und noch eine weitere Figur begegnet uns in dem Roman, die wir bereits aus anderen Romanen des Autors kennen: die englische Sprache. Häufig kommen Zitate, Beschriftungen, Anspielungen usw. in Shakespeares Sprache vor. Kurz gesagt, der Krieg, der Sex, der Computer und das Englische bilden „Ge-or-gien“ in „adibas“.


Wie alle adidas-Autoren, würde ein adibas-Leser einen Zaza Burchuladze nicht wollen. Deshalb muss er alles vorkauen und ihm (dem Leser) als mundgerechte Stücke in den weit offenen Mund schieben. „adibas“ ist zwar eine Fälschung, er hat zwar die Erläuterung geschrieben, auch das Logo verfälscht (am unteren Rand ungerechterweise zu einem Kreis geformt), aber er spürt, dass das alles trotzdem noch nicht ausreicht; darum erschafft er ein völlig neues, „adibas“-mäßiges Produkt, eine Superfalsifikation, die Verwirrung von dem „Hier und Jetzt“, eine völlige Inkompatibilität, das Surrogat des Surrogats – das Xinkali5 im Café „Lurji Xaverdi“6, das eine Holländerin fleißig und gekonnt verschlingt – wie einer seiner alten, bekannten Protagonisten7 will der Autor eigentlich sagen: „Wer das Xinkali aus Samt versteht, der versteht auch meine Poesie“.

Die Helden des Romans haben Geliebte und Ex-Geliebte. Nicht derart, dass eine ehemalige Geliebte die jetzige eines anderen ist und sich vor den Augen des ehemaligen Geliebten dem jetzigen hingibt und diese Szene von dem ehemaligen Geliebten auf Wunsch seiner neuen Geliebten auf Video aufgezeichnet wird (ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich höre sofort die empörte Stimme eines Bürgers: „So ein Schmutz!“). Dies alles wird natürlich nicht in der Sprache eines Äsop erzählt.

Man könnte fragen, was gut ist an diesem Naturalismus, an dieser Verdorbenheit, an diesem gesegneten „Toyota RAV4“, an dem Karaoke-Gesang eines Mönches in seiner Zelle, an dem Einmarsch der russischen Armee in Tbilisi oder an dem enzyklopädischen Wissen über Drogen? Und auch ich bin der Meinung, dass außer dem Können des Autors nichts gut ist, weil man während dem Lesen der fünfzehn Kapitel des Romans erst nach und nach die nationale Verfälschung begreift, symbolisiert durch das Einparken eines Hammer-Jeeps mit Kennzeichen „ALIKA“ in dem Hof einer Kirche, die äußerste Scheinheiligkeit begreift, die nationale Gleichgültigkeit, das weiße, mit einem Photoshop bearbeitete Lächeln Saakaschwilis9 auf einem Kalender, die während des Oralsex eingeschlafene Frau, den Triumph der Lügerei, die beliebte Astrologie (so wird das achte Kapitel mit „08/08/0810 – Widder: heute sind Ihre energetischen Ressourcen grenzenlos…“ betitelt). Dem allen folgt eine ungewollte Erleuchtung, das Begreifen dessen, dass „adibas“ nicht nur der Titel eines Buches ist, sondern dass „adibas“ die Diagnose für das heutige Georgien ist. Wir sind weder eine echte, noch eine gebrauchte Gesellschaft. Wir sind eine gefälschte Gesellschaft, die sich als eine echte verkaufen will.


Die Rezension als (pdf) >>>

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