(heute.de) Parlamentswahl in Georgien beginnt 08:23Uhr
Überschattet von einem Folterskandal in georgischen Gefängnissen hat in
der Südkaukasusrepublik die Parlamentswahl begonnen. Die Abstimmung
entscheide über das Schicksal Georgiens, sagte Präsident Michail
Saakaschwili bei der Stimmabgabe. Bei der Wahl will der Milliardär und
Oppositionsführer Bidsina Iwanischwili das Machtmonopol von Saakaschwili
brechen. Rund 3,6 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, die 150
Abgeordneten zu wählen. Nichtregierungsorganisationen kritisierten,
dass Oppositionsaktivisten im Vorfeld der Wahl unter Druck gesetzt und
festgenommen worden seien.
+++
Von Mareike Aden, Batumi
So
mancher Georgier feiert ihn "wie einen Messias" - den Milliardär Bidsina
Iwanischwili. Der Oligarch hat die Opposition hinter sich vereint. Und
seine Wahlkämpfer rennen vor der Parlamentswahl viele offene Türen ein.
Denn selbst einst glühende Anhänger wenden sich von Präsident
Saakaschwili ab. So wie im Schwarzmeer-Ort Batumi.
An der Strandpromenade von Batumi, der westgeorgischen Stadt am
Schwarzen Meer, vermischt sich Baulärm mit dem Meeresrauschen. Einige
internationale Luxushotelketten haben ihre Nobelherbergen schon fertig,
aber viele bauen noch. Niedrige Steuern und wenig Bürokratie haben
Investoren aus dem Ausland angelockt. Seit Präsident Michail
Saakaschwili 2003 an die Macht kam, träumt er davon, Georgien in eine
Touristenhochburg zu verwandeln und damit einen neuen, starken
Wirtschaftszweig zu schaffen in dem von der Agrarwirtschaft geprägten
Land.
Schnaps aus dem Brunnen
In der Region Adscharien, dessen Hauptstadt Batumi ist, setzt man diesen
Plan besonders eifrig um. Der Bürgermeister plant derzeit eine neue
Touristenattraktion: Er lässt einen Brunnen bauen, aus dem einmal
wöchentlich georgischer Schnaps sprudeln wird. Und das regionale
Tourismusministerium vermeldet für 2012 einen Rekord: Von Januar bis
Juli hätten 900.000 Touristen Adscharien besucht - das sei ein Drittel
Besucher mehr als im Vorjahr.
Die 41 Jahre alte Inga
Werulidse aus dem Küstenort Kobuleti, rund dreißig Kilometer nördlich
von Batumi, mag Lobeshymnen auf den Tourismus nicht mehr hören. "Die
zählen jeden Ausländer, der bei uns über die Grenze kommt, aber längst
nicht jeder bleibt, um Urlaub zu machen", sagt sie. Doch auch Inga und
ihr Mann haben einmal an Saakaschwili und seine Visionen geglaubt. Als
Saakaschwili im Zuge der Rosenrevolution Präsident wurde, waren die
Werulidses feurige Anhänger des jungen, intelligenten Politikers.
Schließlich trat er auf wie ein moderner Politiker aus dem Westen, so
ganz anders als der alternde Ex-Sowjetpolitiker Eduard Schewardnadse,
unter dem Georgien zuletzt in Korruption und Chaos zu versinken drohte.
Und dann kam der Krieg
Die Werulidses nahmen 2006
einen Kredit auf, um ihre Lebensmittelgeschäfte in Batumi und Kobuleti
zu vergrößern. Die meisten Lebensmittel importierte Ingas Mann selbst
per Lastwagen aus der Türkei. "Es lief gut, aber als der Krieg kam,
konnten wir unsere monatlichen Kreditraten nicht bezahlen", sagt sie.
Zwar erreichte der so genannte Fünf-Tage-Krieg zwischen Russland und
Georgien um die abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien nicht
Adscharien, aber Touristen kamen trotzdem nicht.Die
Werulidses verloren ihr Haus, auf das sie eine Hypothek aufgenommen
hatten. Mittlerweile müssten sie 200.000 US-Dollar zahlen, um das Haus
von der Bank zurückzukaufen. Sie haben Unterschlupf bei Verwandten
gefunden, Ingas Mann arbeitet nun als Erntehelfer in der Türkei und Inga
in einem Restaurant – für umgerechnet zehn Euro pro Tag. "Wie ein Messias"
"Man hatte uns niedrige Zinsraten versprochen, aber dann wuchsen sie auf über 30 Prozent. Und trotz des Krieges bekamen wir keinen Aufschub", sagt Inga und immer wieder wischt sie sich Tränen aus den Augen. Allein in Kobuleti gäbe es bis zu 200 weitere Familien, denen ein ähnliches Schicksal drohe, sagt sie. Sie alle hätten auf den Tourismus gehofft und Kredite aufgenommen. "Wir sind enttäuscht von der Regierung, aber nun gibt es ja jemanden, der uns retten kann."Sie meint den 56 Jahre alten Oligarchen Bidsina Iwanischwili, der bisher vor allem für diskrete Wohltätigkeit bekannt war, aber vor einem Jahr überraschend in die Politik ging, um Saakaschwili und dessen Partei herauszufordern. "Iwanischwili ist für uns wie ein Messias", sagt Inga Werulidse. Sie hat genug von Saakaschwilis Prestigeprojekten und ihr gefällt Iwanischwilis Versprechen, mit seinem eigenen Vermögen Sozialfonds aufzufüllen. "Ein paar Straßen zu bauen und den Menschen Elektrizität zu verschaffen wie Saakaschwili – das kann doch nur der Anfang sein", sagt Inga Werulidse. Im Moment wirtschafte sich der Präsident nur in die eigene Tasche, glaubt sie und setzt zu einer Schimpftirade an.
+++
Kampf um die Macht
Iwanischwilis politische Initiative im Parlamentswahlkampf ist
auch ein Angriff auf Saakaschwilis persönliche Macht. Denn der
amtierende Präsident ist im letzten Jahr seiner zweiten Amtszeit. Für
eine dritte darf er laut Verfassung nicht antreten und so glauben viele,
dass Saakaschwili langfristig den Posten des Premierministers anstrebt.
Fest steht, dass er zumindest einen Verbündeten als Premier sehen
möchte. Denn der Posten des Ministerpräsidenten wird formal der
wichtigste im Land, wenn Georgien wie bereits beschlossen im kommenden
Jahr von einer Präsidialrepublik zu einer parlamentarischen Republik
wird.
+++
Angst vor Wahlfälschung
"Viele Menschen hier sind
vom Tourismusmärchen desillusioniert", sagt auch der Arzt Koba
Naikidse, der die Wahlkampfzentrale von Iwanischwilis Koalition in
Kobuleti leitet. Seit Wochen gehen er und andere Oppositionsaktivisten
in Kobuleti von Haus zu Haus und werben für den "georgischen Traum". Sie
hätten es leicht, die Unzufriedenheit sei riesig, sagt Naikidse. "Die
Leute wollen wieder normale Beziehungen mit Russland und dass der Handel
wie vor dem Krieg funktioniert. Vor allem Bauern wissen nicht wohin mit
ihrer Ernte", sagt der Oppositionsaktivist. Seit dem Krieg hat Russland
die Einfuhr von georgischen Agrarprodukten und Wein verboten.Inga
Werulidse hofft, dass der Skandal um die Foltervideos aus georgischen
Gefängnissen, der seit Tagen Zehntausende Menschen im Protest auf die
Straße treibt, nun Saakaschwilis politisches Ende beschleunigt. Zuletzt
hatten Umfragen Saakaschwilis Regierungspartei noch in Führung gesehen,
aber die stammen aus den Zeiten vor den Massenprotesten. Für Inga
Werulidse steht ohnehin schon fest: "Wenn die Opposition nicht gewinnt,
heißt das: Die Wahl wurde manipuliert". Dann will sie auf die Straße
gehen – wie 2003 in Zeiten der Rosenrevolution, damals noch für
Saakaschwili.
Kampf um die Macht
Iwanischwilis politische Initiative im Parlamentswahlkampf ist
auch ein Angriff auf Saakaschwilis persönliche Macht. Denn der
amtierende Präsident ist im letzten Jahr seiner zweiten Amtszeit. Für
eine dritte darf er laut Verfassung nicht antreten und so glauben viele,
dass Saakaschwili langfristig den Posten des Premierministers anstrebt.
Fest steht, dass er zumindest einen Verbündeten als Premier sehen
möchte. Denn der Posten des Ministerpräsidenten wird formal der
wichtigste im Land, wenn Georgien wie bereits beschlossen im kommenden
Jahr von einer Präsidialrepublik zu einer parlamentarischen Republik
wird.
No comments:
Post a Comment