Wednesday, October 31, 2007

REPORTAGE (18): Gut sein macht Diebe

Text und Photos von Patricia Scherer

Braune Augen hat der kleine Junge, der mir fordernd seine Hand entgegen streckt. Und ein klein wenig Angst habe ich auch vor ihm, denn hinter ihm läuft seine große Schwester mit einem Baby auf dem Arm und blickt mich mit gleicher Miene an. Schmutzig sind sie, und natürlich habe auch ich Vorurteile. Straßenkinder, Roma oder Sinti, flink und trickreich. Kleine Diebe in einem großen Netzwerk organisierter Kriminalität. Also, halte ich meine Tasche ganz fest, hier auf dem Rustaveli Prospekt, da wo die Touristen Trinkhörner und Kitsch kaufen. Klar, sie sind aufdringlich, die Kids mit den dunklen, flehenden Augen. Trotzdem scheinen sie Erfolg zu haben, denn sie kommen jeden Tag wieder um gute Gaben mitzunehmen.

Straßenkinder von dieser Sorte habe ich schon oft gesehen, in Wien, Berlin oder Rom, in Moskau oder Paris. Manchmal greift sie die Polizei hier in Tbilisi auf und bringt sie nach Gildani ins Heim für Straßenkinder, doch sie bleiben nicht lang. Denn: schon ein paar Stunden oder Tage später werden sie von ihren Eltern abgeholt, um wieder auf dem Rustaveli zu betteln.
Und dann gibt es in Gildani die anderen: Kinder, die keine Eltern haben, die geflohen sind vor der Gewalt und dem Elend zu Hause. Kinder, die nicht so waren, wie ihre Eltern sie wollten, und deshalb die Straße ihr Zuhause nennen. Kinder, die betteln, und vielleicht sogar ihren Körper verkaufen. Vielleicht nicht gleich, denn Kleber in Tüten ist preiswert. Doch Subotex lässt sich schon nicht mehr so leicht von ein paar erbettelten Lari bezahlen. Und das Leben ist trist, wenn man klein und verletzt ist, innen wie außen. Und noch viel trister, wenn man nicht weiß, was Zuhause ist.

Einige dieser Kinder haben zumindest vorläufig ein warmes Plätzchen gefunden - im Heim. Doch bis auf ein paar vereinzelte Unterrichtsstunden und den Bolzplatz, gibt es wenig zu tun in Gildani. Manche der Großen arbeiten tagsüber auf dem Bau. Die Kleinen spielen unter sich. Keti, die Sozialarbeiterin, meine Mutter und ich beschließen einen Nachmittag mit den kleinen und großen Kindern zu verbringen. Wir wollen Kartoffeldrucke und Collagen machen. Meine Mutter hat einmal Kunstpädagogik studiert und wird mich bald in Tbilisi besuchen, also trifft sich das gut. Sie hat eine Liste angefertigt, mit Dingen die sie für den Nachmittag braucht und Keti und ich machen uns auf den Weg in einem türkischen Laden im ehemaligen deutschen Viertel auf der Agmaschenebelistraße um Kleber, Papier und Farben zu kaufen. Kennen Sie dieses Phänonomen? Wenn man Gutes tut, fühlt man sich auch gut. Man fühlt sich geradezu unverletzbar. Und stark. Bei mir paart sich diese Gefühl mit einem tief verankerten Glauben an das Gute im Menschen. Ich bin überzeugter Philanthrop, auch wenn ich das manchmal nicht zugegeben kann, und die Menschen häufig sehr kritisch betrachte. Und deshalb schließe ich auch keine Türen ab, meine Handtaschen sind häufig offen und ich bin der festen Überzeugung, dass gerade das mich vor Unheil bewahrt. Gelegenheit macht Diebe, werden Sie sagen. Vielleicht trifft Offenheit aber auch auf Ehrlichkeit, und Misstrauen und Angst auf Feindseligkeit. Zumindest hoffe ich das Offenheit und Ehrlichkeit siegen, obwohl ich auch schon hin und wieder eines Besseren belehrt wurde. Allerdings hat mich diese Überzeugung nicht vor geklauten Geldbörsen, Kameras oder sonst was bewahrt. Oder doch? Vielleicht würde ich heute auf noch viel mehr Geldbörsen und Kameras verzichten, wenn ich immer alles abschließen und sichern würde. Und natürlich möchte ich auch nicht so gerne in einer völlig abgeschlossenen und sicheren Welt leben, die das Misstrauen wahrscheinlich noch weiter sät und fördert. Misstrauen ist wie ein Virus, er kriecht in Körper und Seele, und frisst einen von innen auf, wenn man ihm zu viel Raum gibt.


Nun gut, Keti und ich hatten also Gutes getan, nämlich Bastel- und Malsachen für die Straßenkinder im Heim gekauft, und ich hatte eine offene Tasche. Beste Voraussetzungen um ohne Misstrauen unbeschadet durch das Leben zu schlendern. Zumindest nach meiner Theorie. Mit einer dicken Papierrolle unterm Arm, frisch gewechselten Lari in der Tasche und einem angeregten Gespräch auf den Lippen machen Keti und ich uns also auf den Weg nach Hause mit Bus Nummer Zwei. Beim Aussteigen schreite ich über eine Melone in einem Waschzuber, der mitten auf dem Gang zwischen den Sitzen steht. Der Bus ist voll, bunt und laut, die Tüten und Papierrollen in meinen Händen unhandlich und schwer. Nachdem wir uns aus dem Bus gepresst haben, machen wir uns auf den Nebenstraßen auf den Weg nach Hause. Keine bettelnden Straßenkinder, keine Autos, ja eigentlich keine Menschen, und fast kein Lärm. Seitenstraßen können wirkliche Oasen in der Großstadt sein. Keti und ich haben nach einem langen Tag mehr als Hunger, beim Tone-Bäcker halten wir an um ein Hatschapuri zu kaufen. Und da merke ich es: sie ist weg, meine Geldbörse. Ich setze mich hin auf die Stufe des Tone-Bäckers, leere hektisch meine ganze Tasche aus, und weil ich gerade sowieso eine Wut im Bauch habe auf Georgien wegen ganz anderer Dinge, ist Georgien jetzt natürlich auch schuld. Wer sonst? So etwas passiert einem auch nirgendwo sonst auf der Welt. Und meine Theorie kann ja wohl kaum etwas dafür.

Auf dem Weg nach Hause wird mir klar, was gerade passiert ist. Ich sehe vor meinem inneren Auge viele deutsche Behörden, denen ich nach meiner Rückkehr einen Besuch abstatten darf, denn Führerschein, Presseausweis und Kreditkarten sind weg. Und wenn man beklaut wird, zahlt man meist noch drauf. Bearbeitungsgebühren nämlich. Aber das scheint überall auf der Welt so zu sein. Während ich also fluchend meine Bankkarten sperre, ruft Keti bei der Polizei an. Leise hoffe ich immer noch, dass offene Ehrlichkeit und Gutmenschentum mit dem Schreck davon kommen, und das meine Geldbörse wieder auftaucht, wenn auch ohne Geld. Behördengänge sind nicht nur kostspielig, sondern auch außerordentlich lästig, und mit einer der letzten Beschäftigungen, mit denen ich Zeit verbringen möchte.

Fünf Minuten später stehen meine hoffnungsvollen Ritter in blaugrauer Uniform vor mir, und versichern fast, dass die Geldbörse wieder gefunden wird. Ich sehe ihn schon vor mir: den großzügigen Trupp georgischer Polizisten die weiträumig das Zielgebiet durchsuchen. Polizisten sind in Georgien ausnahmsweise keine Mangelware. Sie sind jung, stark und gutaussehend, und es gibt wirklich sehr, sehr viele davon. Allerdings bedarf es dazu das Ausfüllen von zwei, drei Formularen...

Mit etwas Geduld mehr über gute Dinge auf dem Georgien Blogspot:
http://georgien.blogspot.com/

Teil 19: Auf nimmer wiedersehen

Teil 17: Hupkonzert

Patricia Scherer in Georgia (Caucasus) photos



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Patricia Scherer
freie Journalistin
Mailto: patricia@patricia-scherer.de
Skype: patriciaworldwide
www.patricia-scherer.de

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