Im Nachdenken über die Dinge liegt häufig viel Kraft, habe ich festgestellt. Ich verbringe morgens mindestens eine halbe Stunde damit, im Bett, in Ruhe, ohne lästige Unterbrechungen, ohne Telefon und ohne jemanden, der mit mir spricht. Wenn ich diese Zeit nicht habe, kann man mich eigentlich den restlichen Tag in die Ecke stellen. Da stehe ich mit dem falschen Bein auf, und bin kaum zurechnungsfähig. Seit Tagen beschäftigt mich morgens etwas, worüber ich an dieser Stelle weiter sinnieren möchte. Seit der Sommer für dieses Jahr das Zeitliche gesegnet hat, stehe ich mit dem falschen Bein auf. Eigentlich seit alle zurück gekehrt sind aus dem Sommerurlaub. Jeden Morgen ab acht Uhr bildet sich auf der Straße unter meinem Schlafzimmerfenster ein Stau. Es scheint an einer Ampelschaltung zu liegen, ein Stückchen weiter die Straße hinauf. Jeden Morgen stehen in diesem Stau viele Menschen, vielleicht sind es sogar täglich die gleichen Menschen. Und obwohl sie täglich die Erfahrung machen, dass wildes Gehupe den Stau nicht auflöst, hupen sie. Und stören mich bei meiner morgendlichen Gedankenmeditation. Ich finde das ein bisschen unverschämt, ehrlich gesagt. Ich habe mir schon überlegt, hinunter zu gehen, und kleine Zettel zu verteilen: "Warum hupst Du? Auch wenn es überraschend sein mag: Die Ampel hat keine Ohren!" Nun, meine Tage hier sind gezählt, also ist es mir die Mühe nicht wert. Ich ziehe mir lieber das Kissen über den Kopf, und schmolle frustriert in meine Matratze. Ich werde die Hupgewohnheiten eines ganzen Landes nicht mit einer Briefwurfsendung durch Autofensterscheiben verändern können. Das muss ich mir einfach eingestehen. Frauen hupen übrigens seltener, was daran liegen könnte, dass sie auch seltener Auto fahren. Das Auto ist eine männliche Domäne. Es wird grammatikalisch gleichgesetzt mit dem Verb Haben in der Form für Lebewesen, also ich habe ein Kind, eine Frau, einen Hund, eine Kuh oder eben ein Auto. Und besitzen tut man eben eine Frau und ein Auto auch. Es gibt ein paar dieser Dinge hier, die mich wirklich zum Haare raufen bringen. Männer zum Beispiel. Nicht alle - das muss ich vorweg sagen, und natürlich nicht alle georgischen. Aber einige.
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Was mir wirklich fehlt, ist die Freundschaft zwischen Mann und Frau. Das scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Ich weiß, viele Frauen werden jetzt verständnislos den Kopf schütteln, doch ich empfinde die Kommunikation mit dem anderen Geschlecht als eine Bereicherung in vielerlei Hinsicht. Männer eröffnen mir manchmal unglaubliche Perspektiven auf die ich als Frau nie kommen würde. (Leider fällt mir gerade kein Beispiel ein. Woran das wohl liegen mag?) Also, ich halte die Unkenrufe, von wegen Männer und Frauen können nicht wirklich kommunizieren, für Nonsens. In Georgien scheint man sich mit dieser kruden Idee jedoch irgendwie abgefunden zu haben. Auf der Straße gibt es Gruppen von Männern, und es gibt Gruppen von Frauen. Gemischte Gruppen sind äusserst selten. Reden tun sie nicht miteinander. Distanzen von drei bis vier Metern Bürgersteig scheinen unüberwindbar in der Kommunikation zwischen Mann und Frau. So zieht sich das durch die georgische Gesellschaft fort.
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Ich übe das ARA! jeden Tag vorm Spiegel und ich bin unsäglich schlecht darin. Wenn mir jemand als potentieller Geschlechtspartner nicht gefällt, versuche ich es eher mit: "Du, weißt Du, Ich hab da gerade nicht so Interesse, so. Versteh mich nicht falsch, das hat nichts mit Dir zu tun. Ich kann Dich wirklich ganz gut leiden, lass uns doch Freunde sein. Wäre das nicht auch schön?." Das ist ziemlich naiv von mir, und funktioniert auch andernorts auf der Welt, also zum Beispiel in Deutschland, nur bedingt. Doch manchmal ergeben sich gerade durch diese etwas vorsichtigen Körbe wunderbare Freundschaften, inklusive geschlechterübergreifender Kommunikation. An dieser Stelle möchte ich mich dafür wirklich mal aus tiefstem Herzen bedanken bei allen Männern da draussen, die mich nicht nur als Sexualobjekt, sondern auch als Mensch betrachtet haben für Ihre Offenheit, ihr Verständnis und ihre Reife, für das Geschenk ihre ungeteilten Aufmerksamkeit und ihrer Bereitschaft zu reden. Missen möchte ich keinen dieser Männer. Und ich hoffe, sie wollen auch nicht auf mich verzichten. Also, ein Hoch, eine Ode auf den kommunikationsfähigen Mann!
p.s. So als Tipp für alle zukünftigen Verehrer ;-): ich steh total auf halbwegs intelligente Gespräche, ein bisschen Witz, zuvorkommendes Benehmen in Maßen, saubere Füße und etwas Brustbehaarung. Dabei sollte Mann schon wissen, was Mann will. ;-)
Mehr über morgendliches Sinnieren, demnächst auf http://georgien.blogspot.com/
Teil 18: Gut sein macht Diebe
Teil 16: Reise ohne Rückkehr. Die Geschichte des wunderbaren Monsieur Merveilleau - Teil 2
Patricia Scherer in Georgia (Caucasus) photos
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Patricia Scherer
freie Journalistin
vom 15. Juli bis 30. September 2007
Barnovis Kutscha 39
0160 Tbilissi, Georgien
Tel. +995-32-982966
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