Tuesday, December 04, 2007

REPORTAGE (19): Auf Nimmer Wiedersehen.

Text und Fotos von Patricia Scherer

Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so viele Polizisten kennen gelernt, wie an einem einzigen Tag in Georgien. Meine Geldbörse ist weg, geklaut im Bus Nummer Zwei, entwendet in dem Moment, in dem ich mit einer riesigen Rolle buntem Papier über eine Wassermelone in einem Wäschezuber steige, der mitten im Gang zwischen den Sitzen steht, und nicht auf meine Handtasche achtete. Nun sitzen sie hier in meinem Tbilisser Wohnzimmer und lachen über Lenins Büste, die ich im Kamin verstaut habe: zwei grau-blaue Polizisten. Klar, keine Sorge "Kalbatono Schereri"*, wir finden es wieder, ihr Portmonnaie, versichern sie mir. Die Polizisten sind charmant, lächeln uns an, wollen alles ganz genau wissen - woher ich komme, was ich mache, wer ich bin. Handschriftlich füllen die sie das erste Formular aus, und telefonieren eifrig mit Vorgesetzten und Kollegen. Zwei weitere Polizisten kommen an, junge Männer von der Kriminalpolizei, lässig gekleidet in hellblauen Poloshirts und Jeans. Wieder muss ich meine Geschichte erzählen, wieder muss meine Freundin Keti alles übersetzen. Einer der beiden Kriminalpolizisten hat derart stahlblaue Augen, dass ich gebannt seinem Blick folge. Er ist ein bisschen schüchtern und sehr höflich. Sein Kollege ist eher ein bisschen aufdringlich: Wir müssen mit, zur Wache, das Geschehen zu Protokoll geben. Es würde maximal eine halbe Stunde dauern. Keti rollt jetzt schon mit den Augen, und ich fange an mich zu fragen, ob der Aufwand sich lohnt - schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Geldbörse wiedersehe vernichtend gering. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, und Keti und ich fangen dem Unterfangen etwas Abenteuerliches abzuringen. Also, steigen wir zum blauäugigen Sura und seinem Kumpanen ins Auto und fahren zur Wache.

Hier erwartet uns etwas, was wie ein Polizisten Kaffee-Klatsch anmutet. Mindestens zehn Uniformierte stehen am Eingang und warten und plauschen. Offensichtlich haben sie nicht viel zu tun. Hin und wieder widmen sich jemand dem Polizei-Schäferhund, der genauso träge und gelangweilt in einem großen Zwinger vor der Eingangstür lebt, und apathisch vor sich hin sinniert. Mir kommt zum ersten Mal der Gedanke, das der Job bei der Polizei in Georgien eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sein könnte. Und wie sich später herausstellt, liege ich damit nicht ganz so falsch. Wir werden in ein Büro geführt und gebeten zu warten. Es vergehen dreissig Minuten - der zuständige Beamte sei nicht da und wir müssten warten. Von inzwischen sicherlich fünfzehn anwesenden Polizisten ist also keiner zuständig. Keti beginnt sich aufzuregen, schließlich möchte sie zu ihrem neunjährigen Sohn nach Hause und inzwischen ist es sicherlich acht Uhr abends. Ein schweinegesichtiger Polizist stellt die Fronten klar: Er könne uns so lange hier behalten, wie er wolle. Das Schweinchen scheint ein bisschen mehr Macht zu haben, als die anderen. Ich sehe ihn an, und versuche ihn darauf aufmerksam zu machen, dass wir die Opfer und nicht die Täter sind. Das regt ihn nur weiter auf, und auch Keti verliert die Fassung. Hier kommt sie durch, die wahre Georgierin. So aufgebracht und widerspenstig habe ich meine sonst so sanftmütige Freundin noch nie gesehen: plötzlich entdecke ich in ihr die Widerstandskämpferin gegen eine übermächtige Obrigkeit. Beeindruckend, wie sie dem Machthungrigen in aggressivem Ton widerspricht, mit ihm diskutiert, und nur durch mein beschwichtigendes Eingreifen von ihm ablässt.



Der nächste gutaussende Polizist besucht uns. Es ist fast so, als würden wir hier im Büro des Schweinchen-Polizisten Audienz halten. Wieder müssen wir die Geschichte erzählen. Dann werde ich gefragt, ob ich eine Freundin hätte, die für mich übersetzen könne. Wieso, frage ich, Keti kann doch übersetzen. Nein, könne sie nicht, schließlich könnten wir ja Komplizen sein: Keti als Zeugin könnte mit mir unter einer Decke stecken. Das Geldbörsen-Drama stellt sich also nicht nur für die Polizisten als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme heraus. Das ganze Unterfangen gewinnt mit jeder Minute ein weiteres Mü an Absurdität. Keti und ich können uns nicht mehr in die Augen sehen, weil wir dann jedesmal in schallendes Gelächter ausbrechen. Ja, genau, wir sind Thelma und Louise, Bonnie und Clyde, Jekyll and Hyde, reinkarniert als deutsch-georgisches Doppelpack mit kriminalistischer Energie. Wir sind die Geldbörsen-Mafia, und haben es uns zum Ziel gesetzt, die gelangweilte Polizei auf Trab zu halten. Ich rufe Diana an. Sie kann übersetzen. Zwei Polizisten machen sich auf den Weg um sie zu Hause abzuholen. Während wir warten, klingelt ständig mein Telefon. Zuhause auf meinem Balkon sitzt der wunderbare Monsieur Merveillaux und brennt darauf, mir seine Geschichte zu erzählen. Ausserdem will mein französicher Freund aus der Botschaft genau wissen, was vor sich geht. Schließlich könnte es ja sein, dass er mich retten muss aus den Fängen der korrupten Polizei. Ich unterhalte mich in einem Kauderwelsch aus Englisch, Französisch und Deutsch mit ihnen, draussen vorm Polizeirevier, dort wo die untätigen Polizisten stehen und rauchen und quatschen. Welche Geheimsprache das sei, in der ich telefonieren würde? Ich bekomme den nächsten Lachkrampf. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass wir wirklich nur zur allgemeinen Unterhaltung hier sind: zwei hübsche, junge Frauen, eine davon auch noch Europäerin, für inzwischen zwanzig untätige Polizisten. Es fehlt gerade noch, dass wir vortanzen sollen. Endlich kommt Diana. Wir werden in einen anderen Raum geführt, und ich darf wieder im Meer von Suras Augen versinken.



Während ich noch einmal alles erzähle und Diana übersetzt, schreibt er alles eifrig und beflissen in ein Protokoll - mit der Hand. Sein Kollege erklärt, dass man viel von der deutschen Polizei gelernt hätte. Ich denke mir, na Prost Mahlzeit, georgische und deutsche Bürokratie vereint: das stellt jede ABM in den Schatten. Während ich also erneut befragt werden, bläst Keti im Hintergrund Ballons auf, die sie in ihrer Handtasche gefunden hat. Ich verarbeite sie zu lustigen Tieren, die sich immer wieder aus meinen Händen befreien. Inzwischen sind wir beiden so drüber, dass uns alles egal ist. Wir lachen, kichern, flüstern und flirten. Auf Deutsch. Verstehen kann uns sowieso nur Diana, die sich zaghaft unserem Geplänkel anschließt.

Unseretwegen könnte die Polizei uns jetzt auch wegen Renitenz eine Nacht hier behalten. Auch Sura und sein Kollege amüsieren sich vorsichtig über unsere Ballonspiele. Schließlich ist das hier ernster Polizeialltag. Als ich mit meinem Bericht fertig bin, soll Keti als Zeugin noch ihre Sicht der Dinge zu Protokoll geben. Jetzt, wo sie während meiner ganzen Aussage hinten auf dem Sofa saß und Ballons aufgeblasen hat, fällt es ihr sicherlich nicht schwer, genau wieder zu geben, was auch ich gesagt habe. Wie trickreich und konspirativ von uns. Thelma und Louise, Keti und Patricia, vereint im organisierten Verbrechen des Geldbörsen-Klaus. "

Ich möchte eine Bestätigung über das Schwerverbrechen für meine Behördengänge in Deutschland. Pustekuchen. Der Schweinchen-Polizist ist wohl doch kein so hohes Tier, auch wenn er sich schon das Gebaren angeeignet hat. Der Ober-Polizist mit dem Stempel ist bereits nach Hause gegangen, und von den zwanzig die noch da sind, hat keiner die Berechtigung zum Stempeln. Wir verlassen nach drei Stunden kopfschüttelnd und ungläubig unter den Augen unserer kriminalistischen Fans die Polizeiwache. Ich soll am nächsten Tag wieder kommen, und mir meine Bestätigung holen. Anscheinend bin ich eine derartige Attraktion, dass ich noch einmal eingeladen werde. Vielleicht kann ich ja eine Gage für meinen Auftritt verlangen.

Am darauffolgenden Nachmittag mühe ich mich in der Spätsommerhitze erneut den Berg hinauf zur Polizeiwache. Sura empfängt mich mit seinem himmelblauen Lächeln. Nach nur zwanzig Minuten habe ich meine Bestätigung. Auf einem Computer geschrieben, ausgedruckt und gestempelt. Ich kann es kaum fassen. Man will mich nach Hause fahren, doch ich winke ab und freue mich auf den Spaziergang, bergab. Zweihundert Meter weiter hält ein Wagen neben mir. Sura öffnet mir von innen die Beifahrertür. Ohne Worte steige ich ein, Louise alias Patricia, Geldbörsen-Mafiosa, in das Auto eines Kriminalpolizisten. Mit Händen und Füßen unterhalten wir uns, mehr auf Georgisch als auf Englisch: als ich zuhause aussteige, weiß ich, daß Sura Jura studiert hat und nach der Justizreform durch das neu eingeführte Examen gefallen ist. Früher, als er begann zu studieren, war die Anwaltszulassung käuflich. Er trainiert ein Jugendfussballteam. Uns trennen Welten, und nicht nur die Sprache: dass ist uns beiden klar, als ich wieder aussteige. Trotzdem waren diese fünf Minuten Autofahrt ein unvergesslich zärtlich romantischer Flirt ohne auch nur die kleinste Berührung. Zum Abschied gebe ich ihm meine Hand. Meine Geldbörse und auch Sura werde ich nie wieder sehen.

Teil (20): Sag mir wo die Blumen sind?

Teil (18): Gut sein macht Diebe

Mehr georgische Geschichten bald auf dem Georgien Blogspot:
http://georgien.blogspot.com

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Patricia Scherer
Mobil +49(0)171-4830734
Mailto:
patricia@patricia-scherer.de
Skype: patriciaworldwide
http://www.patricia-scherer.de/

Mehr über Georgien auf dem Georgien Blogspot: http://georgien.blogspot.com

2 comments:

Anonymous said...

Die Russen hatten (haben) ungefähr dieselbe Einstellung zu Georgier --
zwar hatten die uns im gewissen Sinne gemocht, zum Teil auch geliebt, aber dieses Überhebliche war stets abzulesen.

Den Polizisten mit einem Schwein bezeichnen zu wollen ist eine Niveaulosigkeit. Das muss eine deutsche Journalistin wissen.

Aber es ist nicht einzig und alleine die Schuld von Fr. P. Scherer, dass sie in sich diese Arroganz erarbeitet hat. Ich kann mir ihre georgische Umgebung vorstellen, die definitiv diese Respektlosigkeit zum eigenen Volke verbreiten,was sich auch in diesem Artikel andeutet.

Aber trotz dieses kritischen Eindruckes möchte ich Frau Scherer eine möglichst angenehme Zeit in Georgien wünschen. Ihre Artikel sind letztlich gar nicht so uninteressant.

Hans said...

Toller Text !