Von Richard Wagner, 28.08.2008
Fakt ist, dass Georgien Südossetien angegriffen hat, und darauf hin Russland Georgien. Eine Kriegserklärung gab es in beiden Fällen nicht, sie war auch nicht nötig. Völkerrechtlich ist Südossetien Teil Georgiens, und so ist die georgische Attacke aus der Sicht der Regierung in Tblissi eine innergeorgische Angelegenheit. Russland wiederum trat in dem Konflikt gar nicht als Russland auf, sondern im Namen der GUS, in deren Auftrag es eine Friedenstruppe in Südossetien kommandiert. Diese Friedenstruppe wiederum besteht, genau genommen, aus der russischen Armee. Eine rechtlich höchst bedenkliche Gesamtsituation, mehr noch, ein Musterbeispiel vom Auseinanderfallen von Realität und Ordnungssystem. Oder, einfacher gesagt, de facto ist nicht de jure, aber durchaus wirksam. Muss man deshalb schon von einem Kalten Krieg sprechen?
Kalter Krieg bezeichnet den Zustand der zweigeteilten Welt, in der das Waffenarsenal die direkte Konfrontation unmöglich machte, weil sie zur gegenseitigen Vernichtung geführt hätte. Gerettet hat uns aber nicht die Vernunft, wie manche Intellektuelle meinen, sondern der Pragmatismus angesichts der Atombombe. Wer wollte schon wie in Hiroshima sterben?
So traten an die Stelle der Kriegsführung der ideologische Propagandafeldzug und der Rüstungswettbewerb, auch als Wettrüsten bekannt. Gekämpft aber wurde auf diversen Nebenschauplätzen. Alle Regionalkriege waren, so gesehen, Stellvertreterkriege, bisweilen sogar Stellvertreter der Stellvertreterkriege, auch wenn sie ohne die Stellvertreterrolle ebenfalls stattgefunden hätten. Nur, man hätte sie mit weniger Aufwand geführt und auch mit weniger Aufmerksamkeit verfolgt.
Militärisch gesprochen, stellte der Kalte Krieg die Rahmenbedingungen für die Verlagerung der Auseinandersetzungen in die Etappe. Die halbe Welt wurde zur Etappe erklärt. Der entscheidende Unterschied zwischen Krieg und Kaltem Krieg besteht darin, dass man im Krieg den Frontverlauf verfolgt und im Kalten Krieg den Zustand der Etappe. Der Kalte Krieg ist sozusagen aus dem Stellungskrieg hervorgegangen. Er ist der zum Wettbewerb der Systeme gewordene Stellungskrieg. Schließlich siegte nicht das Waffenarsenal, sondern der Lebensstandard. Ronald Reagans Raketenpolitik hat bloß gewonnen, gesiegt hat der american way of life.
Zwischen wem sollte sich der Kalte Krieg heute abspielen? Zwischen Russland und dem Westen? Und zu welchem Zweck? Um die letzten Ölquellen? Um Pipelines? Sind das mehr als Stammtischthemen? Das Interesse Russlands, sein Öl zu verkaufen, ist zumindest so groß wie das Interesse des Westens, dieses Öl zu erwerben. Hat der, der im Besitz von Öl ist, wirklich Macht? Wahr ist, Öl ist ein Rohstoff und die Macht von Rohstoffen ist schon dadurch begrenzt, dass Rohstoffe ihre Bedeutung erst durch die Verarbeitung bekommen. Anders gesagt, Rohstoffe sind zwar eine gute Einkommensquelle, aber mehr auch nicht. Wollen wir, wenn wir jetzt den Begriff „Kalter Krieg“ bemühen, einfach nur sagen, wir haben zwar Schwierigkeiten mit Russland, aber Russland wird uns deswegen bestimmt nicht angreifen?
Fakt ist, dass Russland keine Hegemonialstellung mehr hat. Es kämpft vielmehr um seine regionale Vormachtstellung, für seine starken Männer ein eher peinliches Unterfangen. Hat der Westen doch den geopolitischen Selbstschutzraum Moskaus längst betreten, die topographischen Markierungen des Kalten Kriegs überschritten. Dies geschah in der Wahrnehmung des Kreml spätestens mit der Aufnahme der baltischen Staaten in EU und NATO.
Die Politikanalyse macht zwar gerne die Vereinigten Staaten für die allgemeine Eskalation verantwortlich, aber die für Moskau schmerzlichsten Schritte hat die EU unternommen. Während Amerika im Kaukasus seit den frühen Neunzigern klassische Strategien der Einflussnahme verfolgt und seine Siege eher als Schachzüge zu werten sind, die von Moskau bisher durch Bauernbewegungen pariert werden konnten - wie das Beispiel Georgien zeigt - werden die bleibenden Fakten von der EU geschaffen. So wird Russland wahrscheinlich noch oft in Georgien intervenieren, aber keinen Fuß mehr ins Baltikum setzen können.
Wenn der Kalte Krieg eine ritualisierte Rhetorik von Freiheit und Frieden pflegte, so hat die EU kaum einen verbindlichen Text vorzuweisen. Sie kennt nicht einmal eine deklarierte Außenpolitik. Und trotzdem wird sie als Imperium wahrgenommen. Die EU ist das, was es seit dem Römischen Reich nicht mehr gegeben hat. Sie gilt nicht etwa bloß als der Ort einer wettbewerbsfähigen Lebensweise sondern der gesellschaftlich geordneten Lebensform schlechthin. Sie ist im Besitz des Plazets für eine normativ verankerte Freiheit.
Aus dieser Wahrnehmung heraus, die nicht zuletzt die Selbstwahrnehmung geprägt hat, ist wohl die Neigung der EU zur Ausdehnung hervorgegangen. Alle wollen in die EU, wie seinerzeit ins Römische Reich, selbst die Barbaren. Im Ergebnis kommt es unweigerlich zur Überdehnung, das kann man heute schon am Beispiel der Balkanstaaten erkennen, wobei dies bloß ein blasser Vorschein ist auf das zukünftige Ausmaß an Komplikationen sein dürfte - angesichts von Kandidaten wie die Türkei und die Ukraine.
Gegen die EU führt man keinen Krieg, der EU tritt man bei. Das Problem mit Russland aber besteht darin, dass die Überdehnung der EU und die Grenzüberschreitung im geopolitischen Regionalraum Moskaus zusammenfallen. Dazu kommt das paradoxe Verhalten der EU, die als Schutzmacht auftritt, ohne dabei eigene Interessen zu vertreten. Das wiederum birgt die Gefahr einer schleichenden Vietnamisierung. Das Spezielle an dem Vorgang aber ist, dass sich die „Cap Anamur“ diesmal an den Landemanövern beteiligt.
In der neueren Geschichte hat meistens Russland versucht den geopolitischen Raum Europas zu betreten. Und das mit Erfolg stets in den Zeiten europäischer Identitätskrisen. 1812, 1848, 1939, 1945. Europa hingegen hat den russischen Raum nur in Zeiten des Größenwahns in Frage gestellt, in Zeiten, in denen es sich bezeichnenderweise selbst in Frage stellte. Weshalb sollte das gerade jetzt wieder passieren?
Der Begriff „Kalter Krieg“ ist zur Vokabel der Erlebnisgesellschaft geworden. Nur so ist es zu erklären, dass „Der Spiegel“, den republikanischen Präsidentschaftskandidaten McCain mit dem Prädikat „Der kalte Krieger“ aufs Titelblatt hievt. Nach den Kriterien des Magazins wäre auf einer Liste der aktuellen Kalten Krieger Angela Merkel durchaus noch vor dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten zu nennen. Aber: Wie McCain weder Reagan noch Truman ist, so hat Angela Merkel auch nicht die Wahl zwischen Cäsar und Augustus. Genau genommen hat sie gar keine Wahl. Und das ist vielleicht sogar das eigentliche Problem.
Die Erlebnisgesellschaft macht die Begriffe unscharf. Sie entschärft sie nicht, sie macht sie unscharf. Das gilt auch für den Kalten Krieg.
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Quelle: Die Achse des Guten
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