(berliner-zeitung.de) Wladimir Putin inszeniert sich nach Kräften für ein Gelingen der Olympischen Winterspiele von Sotschi. Die Geschichte der Tscherkessen sollte darüber nicht vergessen werden.
Sie sind eine Minderheit im eigenen Land. Knapp 720.000 Tscherkessen leben heute noch im Land ihrer Vorväter, verstreut auf drei russischen Kaukasus-Republiken. Sotschi, die Stadt der Olympischen Winterspiele 2014, war einmal ihre Hauptstadt, bis der lange, blutige Krieg gegen die russischen Eroberer 1864 die letzten überlebenden Tscherkessen aus ihrer Heimat vertrieb. Die Tscherkessen mussten sich der russischen Übermacht geschlagen geben und wurden schließlich zu Hunderttausenden zwangsdeportiert, verschifft ins Osmanische Reich. Mindestens 100.000 Tscherkessen kamen dabei ums Leben.
An diesen „vergessenen Völkermord“, der stattfand noch bevor das 20. Jahrhundert den Begriff Genozid in die Geschichtsbücher einschrieb, erinnert das jüngste Buch von Manfred Quiring. Die Geschichte der Tscherkessen und ihrer Vertreibung begegnete ihm, der lange Redakteur und Moskau-Korrespondent der Berliner Zeitung und der Welt war, auf seinen Reisen durch den Kaukasus immer wieder und blieb immer wieder unbeachtet, wie Quiring schreibt, weil aktuelle Kriege und Konflikte im Kaukasus seine Aufmerksamkeit forderten.
Dass die Geschichte der Tscherkessen nun doch zu ihrem Recht kommt, verdankt sie dem russischen Präsidenten und seiner Begeisterung für die Idee, Sotschi zum Austragungsort der Olympischen Winterspiele zu machen. Das Internationale Komitee der Tscherkessen war dagegen wenig begeistert. Sotschi war 150 Jahre zuvor bereits Austragungsort der letzten verlustreichen Entscheidungsschlacht des Kaukasus-Krieges. Die Rodel-, Bob- und Ski -Wettbewerbe in Krasnaja Poljana finden sozusagen auf den Gebeinen ihrer Vorväter statt.
Der Umgang des offiziellen Russland mit der Geschichte der Tscherkessen bestehe vorwiegend im Verschweigen derselben, bemerkt Quiring. Je näher die Eröffnung der Spiele rückt, desto nachdrücklicher wird es. Erst am Donnerstag wurden Computer, Telefone und Unterlagen von Aktivisten der tscherkessischen Minderheit in der Region Krasnodar von den Behörden beschlagnahmt. Sie hatten offen Kritik an der Austragung der Spiele in Sotschi geübt.
Manfred Quring gelingt es, den Bogen über mehr als ein Jahrhundert zu schlagen, er führt ein in die Geschichte der Tscherkessen, gibt einen Überblick über ihre weit verstreute Diaspora und er erzählt in den stärksten Kapiteln des Buches von den wenigen Zurückgebliebenen, die heute um den Erhalt der einzigartigen Natur des Nordkaukasus kämpfen. So steht die einzigartige Volksgruppe immer wieder auch exemplarisch für das mühsame Ringen um Bürgerrechte in Russland. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, selbst Sohn eines Tscherkessen, lobt das Buch in seinem Vorwort deshalb zurecht als ebenso anspruchs- wie verdienstvoll.
Manfred Quiring: Der vergessene Völkermord. Sotschi und die Tragödie der Tscherkessen Ch. Links Verlag, 224 S., 16,90 Euro
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Saturday, December 28, 2013
REZENSION: Der vergessene Völkermord. Von Katja Tichomirowa (berliner-zeitung.de)
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