Schon 2008 wurde ich auf diesen Blog aufmerksam, der mich auf die Fotos von Frédéric Chaubin hinwieß. Ich war begeistert von diesen merkwürdigen Gebäuden, die eben auch ein unerwartetes Bild der Sowjetunion offenbahrten, denn solche Architektur widersprach irgendwie der westlichen Vorstellung einer kommunistischen Einheitsarchitektur. Umso erstaunlicher war, dass man sich beim Betrachten der Fotos nicht vorstellen konnte, wie diese Gebäude entstanden sind. War es ein Funktionärsauftrag, ist das Architektur für Eliten - man will wissen wie und warum diese Bauwerke entstanden? Stehen sie doch im wahrsten Sinne des Wortes teils verrückt herum ...
Gab es im Kommunismus doch eine Individualität und schräge Momente einer singulären Ausdrucksweise, die sich von einem "stilsicheren Konsens" im Diskurs westlicher Entwicklungen abhob. Ich erinnere mich, dass ja die Kommunisten zum großen Teil im Sowjetreich auch der Psychoanalyse aufgeschlossen gegenübertraten ... (möglicherweise Dostojewski sei Dank!). Auch im Kommunismus gab es ja die Vorstellung von einem "Aufgeklärten Menschen" ... Vielleicht ist das ja ein Initialpunkt für diese Architekturgeschichte, die Chaubin jetzt auch in seinem eindrucksvollen Fotoband unter die Leute bringt!
Und: Einige Gebäude aus dieser Ära kann man real und natürlich auch in einem anderen Zustand in der Schwarzmeer-Region, speziell auch in Tbilisi wiederfinden und besuchen! Also an alle Architektur-Touristen: Auf nach Georgien! Da gibt es auch noch mehr zu endtdecken.
Und: Ab dem 29. Januar kann man diese Bilder in einer Ausstellung in Karlsruhe sehen!
(Ralph Hälbig)
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Rückschau: Die jungen Wilden der Architektur und der Niedergang der Sowjetunion
Frédéric Chaubins faszinierende Dokumentarfotografien
WDR, Sonntag, 16. Januar 2011.
Video >>>
Es sind ästhetische Außenseiter in einem Meer von Grau: jene zwischen 1970 und 1990 vor allem an der Peripherie der ehemaligen UdSSR - an der Grenze zu Polen, im Kaukasus und am Schwarzen Meer - entstandenen Bauwerke. Mit ihrer Science Fiction und Monumentalismus vereinenden Stil- und Formenvielfalt bilden sie einen Kontrapunkt zum Einerlei der Plattenbauten und künden vom Niedergang der Sowjetunion.
Durch Ästhetik die Welt verändern
Erbaut wurden sie von den jungen Wilden der Sowjetarchitektur, die die Welt noch einmal durch Ästhetik verändern wollten. Dem Beispiel des Konstruktivismus und Expressionismus der 1920er Jahre folgend, schufen sie avantgardistische Gebäude, die die Kulisse für Science-Fiction-Filme abgeben könnten. In radikaler Abkehr von der normierten, in Monotonie und Materialökonomie erstarrten Formensprache der offiziellen Architektur feierten sie mit ihren an M. C. Escher oder de Chirico erinnernden Entwürfen Individualität und Kreativität.
Ob das Hotel Druschba in Jalta, die Arena von Duschanbe oder das an ein Autobahnkreuz erinnernde georgische Ministerium für Autobahnen - stets spektakulär und weithin sichtbar sind die Bauten Ausdruck des Tauwetters nach dem Ende der Ära Breschnew und vor dem Zusammenbruch der UdSSR.
Dem Vergessen entrissen
Die Entdeckung dieser vergessenen und allenfalls zu regionaler Berühmtheit gelangten Außenseiter der sowjetischen Architektur verdanken wir dem in Kambodscha geborenen und in Paris lebenden Publizisten Frédéric Chaubin. 2003 war er durch Zufall in einem in Tiflis erstandenen Buch über die georgische Architektur auf zwei außergewöhnliche Bauwerke gestoßen. Wenig später entdeckte er in Litauen das Sanatorium Druskininkai mit seinen Wellenlinien aus Beton, das so gar nichts mit den gängigen Vorstellungen von Sowjetarchitektur gemein hatte.
"Die Entdeckung der vierten Dimension"
"Ich war total überrascht, diese Architektur zu finden: Es war wie die Entdeckung der vierten Dimension", erinnert sich Frédéric Chaubin. "Es gab in diesem grauen Einerlei der untergehenden UdSSR noch einige unentdeckte Perlen, unerhörte Bauwerke, sehr beeindruckend."
Seine Neugier war geweckt. Jahrelang durchstreifte er die ehemalige Sowjetunion, reiste ins Baltikum, in den Kaukasus und nach Zentralasien. Fündig wurde er vor allem am Rande des zerbröckelnden Sowjetreiches. "Die Entscheidungsträger in den Ministerien waren nicht immer stilsicher. Irgendwann vertrauten sie sich den Architekten an und ließen sie einfach machen. Ich glaube, so schlichen sich nach und nach einige Verrücktheiten ein, die in der Sowjetunion eigentlich undenkbar waren."
Zeugnis der Vergänglichkeit
In seinen atmosphärischen Fotografien hat Chaubin seine Fundstücke und ihr utopisches Formenvokabular eingefangen und damit eine Lücke in der sowjetischen Architekturgeschichte geschlossen. Dabei war er nicht nur an der reinen Dokumentation interessiert: "Ich sehe mich nicht in erster Linie als Architekturfotograf, mich interessiert mehr die Vergänglichkeit, die Vanitas der Motive. Wie Raum und Zeit an diesen vermeintlichen ‚Immobilien' nagen. Es sind vergessene Orte."
Unter dem Titel "Cosmic Communist Constructions Photographed" erscheint Frédéric Chaubins faszinierende Fotoserie jetzt bei Taschen und ist ab dem 29. Januar in einer großen Ausstellung im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) in Karlsruhe zu sehen.
Buchtipp
Cosmic Communist Constructions Photographed.
Fotos von Frédéric Chaubin
Dtsch.-Engl.-Franz
Taschen Verlag 2011, Preis: 49,99 Euro
Ausstellungstipp
ZKM - Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe
29. Januar - 27. März 2011
"Frédéric Chaubin. CCCP - Cosmic Communist Constructions Photographed"
ZKM
Lorenzstraße 19
D - 76135 Karlsruhe
T: 0049 (0)721 8100 1220
F: 0049 (0)721 8100 1139
E: info@zkm.de
W: http://www.zkm.de
Öffnungszeiten:
Mi bis Fr 10 - 18 Uhr Sa/So 11 - 18 Uhr Mo/Di geschlossen
Externe Links
* "Frédéric Chaubin. CCCP - Cosmic Communist Constructions Photographed". Infos zur Ausstellung auf den Seiten des ZKM
* Hinweis auf die Ausstellung mit weiteren Fotos
* Die sowjetische Architektur im Raum Moskau. Ein Überblick
* Die New York Times über "Cosmic Communist Constructions Photographed
* Frederic Chaubin: Soviet SF Style
* Frédéric Chaubin. CCCP – Cosmic Communist Constructions Photographed
* Architektonische Weltverbesserung. Frédéric Chaubins Dokumentarfotografien
* Frédéric Chaubin - CCCP
Frédéric Chaubin, Cosmic Communist Constructions photographed [Gebundene Ausgabe]
Frédéric Chaubin (Fotograf)
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Verlag: Taschen Verlag (25. März 2011)
Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch
ISBN-10: 3836525194
ISBN-13: 978-3836525190
Press:
"... an eye-opening experience for those who assumed that Soviet architecture died with the rise of Stalin." -The New York Times."
Photographer Frederic Chaubin reveals 90 buildings sited in fourteen former Soviet Republics which express what could be considered as the fourth age of Soviet architecture. They reveal an unexpected rebirth of imagination, an unknown burgeoning that took place from 1970 until 1990. Contrary to the twenties and thirties, no "school" or main trend emerges here. These buildings represent a chaotic impulse brought about by a decaying system. Their diversity announces the end of Soviet Union. Taking advantage of the collapsing monolithic structure, the holes of the widening net, architects revisited all the chronological periods and styles, going back to the roots or freely innovating. Some of the daring ones completed projects that the Constructivists would have dreamt of (Druzhba sanatorium), others expressed their imagination in an expressionist way (Tbilisi wedding palace). A summer camp, inspired by sketches of a prototype lunar base, lays claim to its suprematist influence (Promethee). Then comes the speaking architecture widespread in the last years of the USSR: a crematorium adorned with concrete flames (Kiev crematorium), a technological institute with a flying saucer crashed on the roof (Kiev institute), a political center watching you like a Big Brother (Kaliningrad House of Soviet). This puzzle of styles testifies to all the ideological dreams of the period, from the obsession with the cosmos to the rebirth of privacy and it also outlines the geography of the USSR, showing how local influences made their exotic twists before bringing the country to its end.
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Wednesday, January 19, 2011
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Estetik Verwirrt von den verschiedenen Nachrichten über die ästhetische
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