(fnp.de) Haus und Krankenversicherung gratis - in dem georgischen Dorf Tschorwila sind die Menschen satt und glücklich. Es ist die Heimat des Milliärdärs Iwanischwili. Der reichste Mann Georgiens lässt als neuer Regierungschef nun alle im Land von Wohlstand träumen.
Von Ulf Mauder
Tschorwila. Früher hätten sie aus Scham immer mit einer Hand vor dem Mund gesprochen, sagen die Menschen aus dem georgischen Dorf Tschorwila. Aber heute blitzen ihre weißen Zähne, wenn sie begeistert von den Wohltaten jenes Mannes reden, von dem lange Zeit kaum einer außerhalb dieser Ortes wusste, wie er eigentlich aussieht: Bidsina Iwanischwili. "Bidsina zahlt sogar unseren Zahnersatz, er ist ein guter Mensch", sagt Murtas. Der Mittfünfziger verdient in der Hauptstadt Tiflis mit Fahrdiensten sein Geld.
Dass Iwanischwili als reichster Mann des Landes mit seinem Milliardenvermögen die Schwarzmeerrepublik Georgien als Regierungschef endlich nach vorne bringe, davon ist Murtas überzeugt. Er glaubt an den Georgischen Traum - wie Iwanischwili seine Partei nennt. "Es kann nicht mehr schlimmer werden in unserem Land", meint Murtas. Wie so viele kommt er in die Hauptstadt, weil es sonst kaum Arbeit gibt im Land - auch nicht im schönen Tschorwila.
Präsident Michail Saakaschwili, dessen Partei nach der Parlamentswahl im Oktober nun in der Opposition ist, habe die am Boden liegende Wirtschaft nicht auf die Beine gebracht, schimpft Murtas. Auf einer dreistündigen Autofahrt in Iwanischwilis Heimatdorf ziehen sie am Fenster vorbei: die Industriebrachen aus Sowjetzeiten und die von der Südkaukasus-Sonne ausgedörrte Landschaft. Es gehört zu den Zielen des Bündnisses Georgischer Traum, den Boden wieder in ertragreiche Agrarfläche zu verwandeln.
Entlang der Straße erinnern immer wieder Siedlungen an eine andere Wunde Georgiens: In den Bungalows leben die Flüchtlinge aus Südossetien, jener abtrünnigen Region, über die Saakaschwili nach einem Krieg gegen Russland 2008 die Kontrolle komplett verlor. Tausende Menschen leben hier abgeschieden vom Trubel der Hauptstadt. Ganz in der Nähe patrouillieren Beobachter der Europäischen Union an der Konfliktlinie, damit die Waffenruhe gewahrt bleibt.
Die Straße in das Dorf des superreichen Politikers verläuft durch waldreiches Hügelland. Schon vor dem Ziel leuchten in einigen Orten neue Dächer in grüner und rotbrauner Farbe, Spuren von Iwanischwilis Reichtum. Für die vielen baufälligen Häuser ist das so etwas wie eine erste Hilfe, Schutz vor Regen. Auch der Asphalt wird immer besser.
Plötzlich blenden in seinem Heimatdorf in der Sonne weiße, rosa und gelbe Fassaden das Auge. So groß wie Villen sind einige Häuser. Auf der Straße und den Grundstücken wehen im Wind blaue Flaggen mit dem Sonne-Sterne-Symbol und der Zahl 41. Es sind die Zeichen für die Bewegung Georgischer Traum.
Den georgischen Traum träumen inzwischen viele im Land. Iwanischwili hat diesen Namen von der Musikband seines Sohnes Bera, der als Rapper in Georgien berühmt ist. Tschorwila ist für viele Georgier der Beweis, dass Träume wahrwerden können. Iwanischwilis Anwesen liegt hinter hohen Mauern - anders als seine Villa aus Glas und Stahl, die in der Hauptstadt Tiflis gut einsehbar ist.
Wächter tragen tütenweise Bananen, Weintrauben und Pfirsiche durch das hohe Tor aus Metall. Iwanischwilis Mutter lebe hier, sagt Nugsar Schirtladse zögernd. Der 46-Jährige arbeitet für den Milliardär als Wachmann. Doch Fremde verirren sich nur selten in diese abgelegene Region. Und das viele Essen? Das sei für das Personal sowie die Bewohner eines kleinen Privatzoos.
Das Land könne froh sein, jemanden wie Iwanischwili zu haben, betont Nugsar. "Was Bidsina versprochen hat, hat er gehalten und sogar noch mehr gemacht." Er erzählt Geschichten von einmaliger Großzügigkeit, wie sie viele im Dorf kennen: von den guten Gehältern, die Iwanischwili zahle, pauschalen Beihilfen für Familien von 200 Lari (93 Euro) im Monat - fast so viel wie ein halber Durchschnittslohn - und eben von der kostenlosen medizinischen Versorgung.
Ein Stück weiter die Straße herunter, vorbei an modernen Strommasten, liegt am Ortsrand das "Haus der Rituale". Ein baumreicher Park umgibt das weiße Dorfgemeinschaftshaus. Eigentlich ist an diesem Sonntag kein Fest geplant. Swetlana Dschugaschwili und ihre Kollegen scheuern die Profiküche aus Stahl trotzdem noch einmal blank.
"Wir halten hier alles in Schuss, damit das Haus immer wie neu aussieht", sagt sie. Im Saal stehen die runden Tische für bis zu 300 Gäste. Swetlana bestätigt das, wovon viele im Land schwärmen: In diesem "Haus der Rituale" könne jeder gratis feiern. "Hochzeiten, Geburten, Jubiläen und Beerdigungen", sagt sie. "Sie bringen einfach die Getränke und die Zutaten für das Essen mit. Unser Koch schreibt auf, was sie brauchen. Und wir bereiten alles zu, servieren und besorgen auch die Kapelle", erzählt Swetlana.
"Bidsina spricht wie ein einfacher Mensch. Er weiß aus eigener Kindheit, was Armut ist. Nun hilft er anderen", sagt sie. "Es geht mir immer so zu Herzen, was er sagt und tut." Die Familie habe den Hausbau von Iwanischwili bezahlt bekommen, und ihrem Mann habe er noch ein Gehalt für die Bauarbeiten gezahlt, wie allen im Dorf. "Das ist die Wahrheit! So ist das Leben hier", sagt Swetlana lächelnd.
Wie der Oligarch zu seinem Reichtum gekommen ist, danach fragen die Menschen hier nicht. "Wer es in Russland als Georgier soweit bringt, der muss klug und gut sein", meint Swetlana. Es klingt wie eine Volksweisheit. Iwanischwili, der in Moskau Karriere machte, brachte es dort in den chaotischen 1990er Jahren zu seinem Vermögen.
Wie viele verdiente er damals viel Geld mit dem Handel von Computern, Telefonen und Elektronik und gründete dann eine eigene Bank. Sein Vermögen wird auf 6,4 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Für seine Landsleute hat der Gönner eine Hochglanzbroschüre drucken lassen. Auf 244 Seiten sind die Spenden von rund 2,8 Milliarden Lari aufgelistet. So steht in dem reich bebilderten Prospekt, der Milliardär habe die militärische Infrastruktur des Landes nach Standards der Nato um- oder neubauen lassen.
Auf Iwanischwilis Konto gehen Hunderte Polizeiautos. Nach der Rosenrevolution von 2003 habe er sogar zeitweilig das Gehalt für Präsident Saakaschwili, Minister und Abgeordnete gezahlt, heißt es in der Broschüre. Fotos zeigen viele der 535 Kirchen und historischen Gebäude, die er restaurieren ließ. Landesweit 400 Schulen seien von seinem Geld renoviert und 100 000 Schultische gekauft worden.
Und kaum etwas davon war bisher öffentlich bekannt. Wohl auch deshalb trieb Iwanischwilis Schritt in die Politik vor allem seinem größten Nutznießer Saakaschwili den Schweiß auf die Stirn. Dem einstigen Revolutionshelden wurde klar, dass die wichtige Geldquelle für ihn versiegen würde. Der lange Zeit diskrete Mäzen zehrt nun selbst politisch von seinem Ruf als Krösus.
In Tschorwilas größerem Nachbarort Satschchere sitzt nicht nur Iwanischwilis Organisation, bei der Georgier Hilfe beantragen können. In der Stadt liegt auch das neue medizinische Zentrum der Region mit Operationssälen voller Hochleistungstechnik aus dem Westen, mit Computern und einer modernen Geburtsklinik mit Inkubatoren für Frühgeburten und einer Herzstation.
"Sogar die Farbe an den Wänden ist bei uns antibakteriell", schwärmt der Arzt Malchas Kutschaschwili. Es könnte ein Werbefilm für eine private Luxusklinik in der Schweiz sein. "Der Unterschied ist, dass die Behandlung hier gratis ist", sagt der Hautarzt. Das Zentrum sei mit den rund 700 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber und Iwanischwilis kostspieligstes Projekt in dieser Region.
Nach einigem Zögern zeigt Kutschaschwili auch den Altbau nebenan, wo es keine Aufzüge gibt, die Wandfarbe bröckelt und Türen locker in den Scharnieren hängen und klapprige Krankenbetten mit Menschen an Schläuchen fast zusammenbrechen. Auch hier soll nach dem Umzug in den Neubau alles besser werden. In den Gängen mit den geflickten Steinböden warten Patienten auf eine Zukunft in weniger Armut.
Georgiens Elend ist hier ganz nah. Hinter dem Ortsausgang von Satschchere tun sich monströse Bergbauanlagen auf. Diese maroden Kolosse trister sowjetischer Planungswirtschaft erstrecken sich kilometerweit an Berghängen mit zerstörter Natur. Hier, wo die Welt zu Ende scheint, wird klar wie nirgends sonst, dass es mehr braucht als Iwanischwilis Milliarden für Georgiens Traum von mehr Wohlstand. (dpa)
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