(welt.de) Es ist irritierend, in einer Broschüre, die von einer autokratischen Regierung finanziert ist, das Wort "hungern" zu lesen. Laut Weltbank leben 47 Prozent der Aserbaidschaner unter der Armutsgrenze. Im Künstlerkatalog "Fly to Baku", der eine am Samstag eröffnete Ausstellung im Berliner "me Collectors Room" begleitet, meint die Präsidententochter Leyla Alijewa aber einen anderen Hunger: Das Land sei "voller Künstler, die nach Inspiration, Kreativität und Anerkennung hungern".
An materiellem Reichtum fehlt es der märchenhaft schönen Kaukasusrepublik mit ihren Vorkommen aus Öl und Gas ja nicht. Wer heute im Standortwettbewerb glänzen möchte, muss aber die Ressourcen Tourismus und Gegenwartskunst fördern. Beide finden in der Installation Rashad Alakbarovs zusammen, in der ein Lichtstrahl durch farbige Plastikflieger gefächert wird, sodass auf der Wand die Bucht von Baku schimmert.
Wo aber bleiben die Widersprüche? Kann man in einem Land, dessen Präsident wie bei der letzten Venedig-Biennale kurz nach der Eröffnung Skulpturen entfernen lässt, überhaupt frei wirken?
Die Künstler können angesichts der Schauveranstaltung selbst ernannter Anwälte der Demokratie nur schmunzeln. "Ich arbeite in einem 200 Quadratmeter großen Studio, ich habe zu essen, mir geht es gut", sagt Farid Rasulov, der gespenstisch klinische fotorealistische Panoramen malt. Was soll man auch groß kritisieren, wo die Regierung die Kunst so sehr schätzt, dass sich sogar die Präsidententochter seit einem Jahr zur Szene zählt? Ihre Tuschezeichnungen, gleich am Eingang gehängt, sind die exzentrischsten Arbeiten in der ganzen Ausstellung. Sie schöpfen laut Katalog aus einer "Liebe, die uns von den Fesseln der Erdanziehungskraft zu befreien vermag". Leyla Alijewa ist auch Vizepräsidentin der Heydar-Alijew-Stiftung, die das Monopol auf Kulturförderung hält. Präsidentin ist die Präsidentengattin. Sogar eine "Nichtregierungsorganisation" kümmert sich inzwischen um die Kunst – geführt von der Nichte der Präsidentengattin, deren Werke ebenfalls ausgestellt sind. Kunst ist in Aserbaidschan, wo eine gute Ausbildung nur durch Geld oder Beziehungen zu haben ist, nicht Ausdruck lebendiger Zivilgesellschaft, sondern ein Ersatz für sie.
Uninteressant sind die Werke nicht; nichts spricht dagegen, dass ausländische Kuratoren sich dieses "Hungers" annehmen, schon um eine echte Auseinandersetzung zu ermöglichen (außer vielleicht der Umstand, dass die lokalen Einflussnahmen schon manche Kuratorin zermürbten). Die Kritik hingegen könnte ihren Eifer auf die Auktionskonzerne Christie’s und Phillips de Pury richten, die die apparatschikhafte Elitenförderung beratend unterstützen. Und die wiederum sollten dem Regime raten, das Portfolio zwecks Glaubwürdigkeit noch etwas aufzufächern; zum Beispiel mit der Bestellung kritischer Dokumentarvideos von Demonstrationen. So was sieht man in Europa ja immer gerne.
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