Thursday, December 30, 2010

WEB 2.0: Internet-Aktivisten in Aserbaidschan. Bloggen gegen das System. Von Silvia Stöber (tagesschau.de)

Tausende Freunde bei Facebook zu haben, ist in Westeuropa fast normal. In Aserbaidschan ist es gefährlich. Zwei Blogger kamen dort ins Gefängnis, weil sie sich im Internet für junge Leute engagiert und ein satirisches Video über die Regierung gepostet hatten. Nun sind sie wieder frei - und voller Tatendrang.

Adnan Hajizadeh sitzt am Wohnzimmertisch seiner Eltern in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Der 27-Jährige ist noch erschöpft von 17 Monaten Haft, geht kaum raus auf die Straße. Aber Hajizadeh hat seinen Elan nicht verloren und erzählt, wie alles begann.

Fünf Jahre ist es her, dass er sein Studium in den USA abbrach. Ein Freund hatte ihn überzeugt, in sein Heimatland zurückzukehren. Es gab Hoffnung: Die Welle der farbigen Revolutionen könnte nach Serbien, Georgien und der Ukraine auch das ölreiche Aserbaidschan streifen und das Regime des autoritär regierenden Präsidenten Ilham Alijew erschüttern. 2005 fanden in der Ex-Sowjetrepublik am Kaspischen Meer Parlamentswahlen statt. Aber sie wurden manipuliert wie eh und je. Der aufkeimende Protest wurde im November 2005 niedergeknüppelt. Hajizadeh war einer derjenigen, die von der Polizei zusammengeschlagen wurden.

Mit seinen Freunden kam er danach zu dem Schluss, dass die herkömmliche Art des Protests gegen die Regierung nicht weiterführt. Fortan wollten sie sich auf ihr Umfeld konzentrieren, Studenten und andere junge Leute zum Nachdenken anregen und für sie Verbesserungen durchsetzen. "Mit der Politik habe ich 2005 abgeschlossen", sagt Hajizadeh. Er gründete mit Freunden eine Jugendgruppe, organisierte Seminare außerhalb der Uni und begann, kleine Videos zu drehen.

Partys gegen die Unfreiheit
Einer seiner Bekannten, Emin Milli, organisierte Partys für Studenten. "Es klingt selbstverständlich, aber in unserem sozialen Gefüge haben sie sonst keine Möglichkeiten zusammenzukommen. Dann können sie auch nichts besprechen", erklärt der 31-jährige Milli, der in Hamburg und Saarbrücken studiert hat. Die Universitäten Aserbaidschans sind keine Orte freier Diskussion. Das Lehrsystem ist stark verschult und die Kontrolle über die Studenten groß. Ihr Zuhause haben junge Leute bis zur Heirat üblicherweise bei den Eltern. Innerhalb engmaschiger Familienbindungen bleibt wenig Freiheit.

Als Kommunikationsplattform nutzten Hajizadeh und Milli das Internet. Sie waren die ersten Blogger in der Südkaukasus-Republik. Innerhalb der aserbaidschanischen Facebook-Gemeinde, die inzwischen 270.000 Teilnehmer zählt, verschickten sie Informationen und verabredeten sich mit Freunden. 10.000 Leuten habe er Nachrichten schicken können, sagt Milli und erläutert zum Vergleich: "Die beiden größten Oppositionszeitungen erreichen nicht mehr als 10.000 Leser."

Gefängnis für ein satirisches Video
Über Aserbaidschan hinaus bekannt wurde im Jahr 2009 ein Video auf YouTube, das die Verschwendungssucht der Regierung in Baku thematisiert. Diese hatte dem Haushaltsbericht zufolge mehr als 60.000 Euro für den Import von zwei deutschen Eseln ausgegeben. In dem
Kurzfilm tritt Hajizade bei einer fiktiven Pressekonferenz als Esel auf und preist die Karrierechancen seiner Artgenossen in Aserbaidschan.

Kurz darauf wurden die beiden Blogger in eine Schlägerei verwickelt und festgenommen. Die UN-Menschenrechtskommission äußerte Besorgnis darüber, waren die beiden doch nach eigener Aussage attackiert worden und hatten die Polizei selbst gerufen. In einem nichtöffentlichen Verfahren wurde Hajizadeh zu zwei und Milli zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Rowdytums und Körperverletzung verurteilt.

"Wir waren harmlose Kinder", sagt Hajizadeh über ihre Aktivitäten. Doch ihr Einfluss ging der Regierung schon zu weit, glaubt Milli: "Das System will es nicht zulassen, dass du eine bestimmte Anzahl Menschen mobilisieren kannst, dass dir 100 Leute zuhören, die es 1000 Menschen erzählen und diese wiederum Hunderttausenden."

Vom Blogger zum Vorbild
Wenn die Regierung in Baku an den Bloggern ein warnendes Exempel statuieren wollte, dann erreichte sie das Gegenteil. Nicht nur schlossen sich Hunderte Facebook-Mitglieder der Forderung zur Freilassung der beiden an, Politiker in der EU setzten sich für sie ein und sogar US-Präsident Barack Obama sprach ihren Fall im September bei einem Treffen mit Präsident Alijew an. Die beiden Blogger wurden auch zum Vorbild für viele Aserbaidschaner. Gerührt sagt Hajizadeh, er sei erstaunt gewesen, wie viele ihm unbekannte Studenten zum Gericht gekommen seien.

Die Regierung wartete bis nach der Parlamentswahl im November, dann wurden die beiden Blogger unter Auflagen vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Während sie sich noch von ihrer Erschöpfung erholen, versuchen die beiden nachzuvollziehen, was während der 17 Monate Haft im Internet passiert ist. "Was Emin und ich vor unserer Festnahme taten, tun jetzt Dutzende Leute", freut sich Hajizadeh. Er sieht sich als Videokolumnist und sucht nun nach neuen Formen, seine Meinung darzustellen. Während der Zeit im Gefängnis haben er und Milli weit mehr als 100 Bücher gelesen. Ihre Gedanken dazu wollen sie nun im Internet verbreiten.

"Wir sind zurück!"
Den beiden ist klar, dass sie weiter unter Beobachtung stehen. Die Regierung hat in der Zwischenzeit die Kontrolle verschärft. Seit der Parlamentswahl gibt es keinen Oppositionspolitiker mehr im Abgeordnetenhaus. Aserbaidschan bewegt sich auf eine Ein-Parteien-Herrschaft ohne unabhängige Medien zu. Hajizadeh ist denn auch pessimistisch, was die Entwicklung seines Landes angeht, vor allem, wenn in den kommenden Jahren die Erdöl-Einnahmen zurückgehen.

Die beiden Blogger wollen nun die Chance nutzen, die das Internet bietet. Ihr Ziel sehen sie nach wie vor darin, junge Leute zum Nachdenken und Handeln anzuregen. "Wenn die jungen Leute eines Tages in Positionen kommen, in denen sie Entscheidungen treffen, dann können sie etwas ändern. Mein Interesse liegt in der Gesellschaft und nicht in der Regierung", erklärt Hajizadeh.

Einen Schritt zurück in die Öffentlichkeit des Internets haben die beiden bereits unternommen. Vor kurzem stellten sie einen
Videoclip ins Netz: Man sieht sie zunächst im Dunkeln, dann geblendet vom Licht - eine Metapher für die Zeit im Gefängnis und die Tage nach der Entlassung. Am Ende steht eine Botschaft: "Wir sind zurück!"

Aserbaidschan:Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion erklärte Aserbaidschan 1991 seine Unabhängigkeit. Die Zeit danach war vom Krieg mit Armenien um das Gebiet Berg-Karabach sowie von politischen Unruhen geprägt. 1993 kehrte der ehemalige Führer der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik, Haidar Alijew, in die Hauptstadt Baku zurück. Als gewählter Präsident stabilisierte er das Land und verfolgte dabei eine autoritäre Politik. Beobachter kritisieren, dass er seinen eigenen Clan begünstigte und dieser vor allem von den reichen Erdöl-Einnahmen profitiert. Nach dem Tod Alijews 2003 wurde dessen Sohn Ilham bei einer von der OSZE als nicht frei und unfair eingestuften Wahl zum Präsidenten bestimmt. Aserbaidschan ist von Bedeutung nicht nur als Erdöl-Produzent, sondern auch als Transitland für Gas und Öl aus Zentralasien. Für den geplanten Bau der Nabucco-Pipeline ist Aserbaidschan von zentraler Bedeutung.


Quelle: tagesschau.de

No comments: