(prowein.de) „Back to the roots“: Amphorenweine stellen eine ganz eigene Kategorie dar – und zählen neuerdings zum Unesco-Weltkulturerbe
Eine größere Koryphäe für den Weinausbau in traditionellen Amphoren, in Georgien Qvevri genannt, wird man nirgendwo finden auf der Welt: Giorgi Dakishvili ist studierter Önologe mit Doktortitel in seinem Lieblingsthema. „Der Wein aus der Amphore hat einfach mehr Seele“, sagt der kleine Mann, den seine Freunde nur Gogi nennen, „aber ihn zu machen ist eine große Herausforderung.“ Wird sie gemeistert, entstehen unvergessliche Kreszenzen, die eine ganz eigene Kategorie Wein darstellen: Tannin geprägte Tropfen ohne Reinzuchthefen und Enzyme, Filtration und Schwefel, mit dichter Polyphenolstruktur, orangener Farbe und Aromen von Gewürzen, feinen Kräutern, Trockenfrüchten und Mandeln. Sind Traubenmaterial und Kellerhygiene nicht erstklassig, kann das Ergebnis allerdings sehr schnell im Essigstich enden...
Was vor etwa 8.000 Jahren im Südkaukasus und im heutigen Ostanatolien seinen Ausgang nahm, feiert heute in Europa fröhliche Urständ. Immer mehr wagemutige Winzer zieht es „back to the roots“; manche experimentieren mit ein, zwei georgischen Qvevris oder spanischen Tinajas, andere haben gleich komplett umgestellt. Kein Zweifel: der Weinausbau in der Amphore stellt noch immer eine kleine Nische dar, aber das Interesse wächst.
Namen wie Josko Gravner (Friaul), Elisabetta Foradori (Trentino), Marino Markezic (Istrien), Giusto Occhipinti (Sizilien), Jean Claude Lapalu (Beaujolais), Yves Canarelli (Korsika), Amédée Mathier (Wallis), Kabaj (Slowenien), José de Sousa (Alentejo), Bernhard Ott (Wagram / Niederösterreich) oder Peter Jakob Kühn (Rheingau) stehen für diesen Trend. Wobei die meisten von ihnen biologisch beziehungsweise biologisch-dynamisch arbeiten. Selbst über den Großen Teich ist die Welle bereits hinüber geschwappt. Im kalifornischen Dry Creek Valley produziert Rick Hutchinson in seiner „Amphora Winery“ schon seit 2006 sehr ungewöhnliche Tropfen aus Zinfandel und anderen Sorten.
Mit Sicherheit wird unter Weinfreaks, Sommeliers und an ganz besonders authentischen Tropfen interessierten Erzeugern derzeit mehr über Amphorenweine diskutiert, als dies ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entspricht. Aber mehr und mehr ambitionierte Produzenten betrachten die Reise „back to the roots“, hin zur Seele des Weines, nicht bloß als interessante Spielerei. Es gibt Starwinzer wie Josko Gravner, der als Qvevri-Pionier schon zu Beginn des Jahrtausends seine ersten Erfahrungen gesammelt hat, heute nichts anderes mehr macht – und damit regelmäßig in der italienischen Weinbibel Gambero Rosso die begehrten „Tre bicchieri“ abräumt.
„Die Amphoren wirken auf den Wein wie ein Verstärker in der Musik“, sagt der Qualitätsfanatiker aus dem Friaul, „die guten Töne werden noch besser, schlechte hingegen schlechter“. Gravners Fazit der modernen Oenologie: Sie habe ihm geholfen zu verstehen, warum die Alten recht hatten – ansonsten sei sie für ihn heute nicht mehr von Belang. Nicht nur Josko Gravner durfte sich deshalb bestätigt fühlen, als der traditionelle Weinausbau im georgischen Qvevri als weltweit älteste Produktionsmethode am 4. Dezember 2013 von der Unesco als immaterielles Kulturgut anerkannt wurde.
Seit Jahrtausenden keltern die Georgier ihren „Ghvino“ nach alter Väter Sitte: Die in die Erde eingegrabenen, meist zwischen 1.000 und 1.500 Liter fassenden dünnwandigen Amphoren aus gebranntem Ton werden zu etwa drei Vierteln mit Maische und Most gefüllt – oft mit Stielen und Kämmen und ohne Unterschied zwischen Weiß- und Rotwein. Die Vergärung beginnt spontan, drei bis viermal täglich wird der Tresterhut untergerührt. Ist die Fermentation beendet, wird die Öffnung mit Holz oder einem Schieferstein bedeckt. Zwischen Qvevri-Rand und Deckel legt man die Blätter verschiedener Bäume und versiegelt die Öffnung mit feuchtem Ton, in den ein Rohr für das entweichende Kohlendioxid gesteckt wird.
Meist bis März ruht der Most so sich selbst überlassen und klärt sich auf natürliche Weise. Nach dem ersten Abstich kommt der Wein in der Regel für einige weitere Monate in eine andere Amphore; vor der nächsten Lese wird er dann zur Lagerung auf mehrere kleine Qvevri aufgeteilt und versiegelt, manchmal für viele Jahre – bis zur Hochzeit des Sohnes oder einem anderen wichtigen Anlass.
Nicht ganz einfach ist die Reinigung der innen meist mit einer dünnen Schicht Bienenwachs bestrichenen Amphoren: erlaubt sind nur warmes Wasser und eine Bürste mit antiseptisch wirkenden Kräutern zum Schrubben der Innenwände. Aber zuerst muss man in das enge Gefäß hineinkommen…
Vom Südkaukasus und Anatolien verbreiteten sich Amphoren im Stil der Qvevri in der Antike über den gesamten Mittelmeerraum. „Pithos“ nannten sie die alten Griechen, „Dolium“ die Römer, in Spanien sind sie bis heute als Tinajas bekannt – meist nur maximal 400 Liter fassend, etwas dickwandiger und nicht zwingend in der Erde eingegraben. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war das Qvevri die einzige Ausbaumethode im Kaukasus, und für die georgischen Bauern ist ihr „Marani“, der Weinkeller, gleichzeitig heiliger Ort und Herzstück des Hauses.
Etwa 100.000 Familien, schätzt John Wurdeman, ein amerikanischer Maler, der vor mehr als zehn Jahren im Osten Georgiens, in Kachetien, hängen blieb und heute als Inhaber des Weingutes „Pheasant’s Tears“ hervorragende Tropfen produziert, machen nach wie vor ihren Hauswein in der Amphore. Die Anzahl professioneller Produzenten beziffert er auf etwa 20. Das Geheimnis guten Qvevri-Weines? - „Möglichst wenig Eingriffe im Weinberg und Keller, gesunde, nicht überreife Trauben. Den Rest macht die Natur.“
Etwa zwei Drittel der Qvevri-Produktion entfällt auf Weißweine aus autochthonen Rebsorten wie Rkatsiteli, Mtsvane oder Kisi. Die Tannin betonten Tropfen mit ihren ungewöhnlichen Aromen stellen für ungeübte Nasen und Gaumen eine echte Herausforderung dar. „Entweder man mag den oxidativen Stil. Oder man hasst ihn. Ein Dazwischen scheint es nicht zu geben“, konstatiert der deutsche Weinkritiker Manfred Klimek. Dr. Dakishvili, der als eine Art Großmeister der Qvevri-Kultur gilt und gemeinsam mit dem deutschen Unternehmer Burkhard Schuchmann einige der besten Weine aus Kachetien produziert, liebt seine in kein Raster passenden Kreszenzen nach traditioneller Art: „Vor allem die Weißen sind wirklich intensiv, wesentlich komplexer als normale Weine, reicher im Geschmack, mit guter Struktur, zehn bis 15mal mehr Polyphenolen – und einem Alterungspotenzial von 40 bis 50 Jahren, trotz keiner oder nur minimalster Schwefelbeigabe.“
Kein Wunder, dass immer mehr europäische Winzer sich auf die Reise zur Seele des Weines aufgemacht haben. So wie die beiden Freunde Giambattista Cilia und Giusto Occhipinti, die im September 2000 mit den ersten Amphoren aus Spanien begannen und heute in ihrer neuen Kellerei in Vittoria (Sizilien) 150 Stück ihr eigen nennen. So wie die Biodynamikerin Elisabetta Foradori im Trentino , die in 70 Amphoren lokale Sorten wie Teroldego oder Nosiola ausbaut und die Weine „einfach sauberer und klarer im Aroma findet“. Oder so wie der Elsässer Stéphane Bannwarth, der selbst vor Gewürztraminer aus der Amphore nicht zurück schreckt.
In Österreich gelten Bernhard Ott mit seinem Qvevri-Veltliner sowie die Steirer Sepp Muster und Ewald und Andreas Tscheppe als Vorreiter der neuen Welle, in der Schweiz Amédée Mathier aus Salgesch im Wallis. Der sagt, zu den Qvevri sei er „ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde“ gekommen durch eine Georgien-Reise 2008. Der Weg zum Erfolg war für ihn dann doch eher ein Hindernisparcours: die erste Auflage seines Rotweines aus Cornalin fand am Ende als Essig und Basismaterial für Schnaps Verwendung, insgesamt vier Amphoren gingen kaputt. Inzwischen sind sie ersetzt und neun weitere hinzugekommen.
Auf Anhieb gelang hingegen der Weißwein aus Rèze und Ermitage, den selbst die beiden „Zeit“-Journalisten Fabian und Cornelius Lange bei einem Besuch als „echten Volltreffer“ bezeichnen. Vielleicht gerade weil sie absolut ungewöhnlich und weit abseits des Mainstreams daher kommen, liebt Amédée Mathier seine Qvevri-Kreszenzen sehr. Ihre Stilistik sei „so etwas von nicht mehrheitsfähig, ungefiltert, reine Oxidationsnoten, orange in der Farbe – schlichtweg eine Faszination in der heutigen Coca-Cola-Welt“! Allerdings brauche es viel Einsatz, diese Weine an den Mann oder die Frau zu bringen.
Auch in Deutschland sind es vornehmlich Bio-Winzer, die sich an die Herausforderung Amphorenwein wagen. Der Rheingauer Vorzeigebetrieb Peter Jakob Kühn ließ im Jahr 2005 zwei spanische Tinajas nach Oestrich-Winkel bringen, um in ihnen einen kleinen Teil der Rieslingtrauben aus dem Weinberg im Lenchen auszubauen, weil ihn „die Faszination des Unberührten, des Ursprünglichen“, reizte. Auch der zweite Versuch 2009 gelang, obwohl der Wein nach alkoholischer und malolaktischer Gärung eine lange Reifezeit brauchte. Das unfiltrierte Endprodukt besitzt für seinen Macher eine „faszinierende Strahlkraft und Dichte – auch wenn der so erzeugte Riesling nicht die gewohnte Dominanz hat“.
Ebenso wie Biowinzer Manfred Rothe aus Nordheim, der im Oktober 2013 seine beiden ersten Qvevris mit Silvaner- und Rotweinmaische befüllt hat, setzt man bei der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim auf den Einsatz der bauchigen Amphoren aus dem Kaukasus. Im Rahmen eines Schülerprojektes haben Johannes Burkert und Dr. Michael Zänglein vom Sachgebiet Oenologie und Kellertechnik 2011 erstmals ein 900-Liter-Tongefäß in den Boden eingegraben und eine Art Marani darum herum errichtet.
Im Rahmen eines Workshops zum Thema „Orange Wines“ gab’s kurz vor Weihnachten 2013 die ersten Produkte aus den beiden Jahrgängen 2011 und 2012 zu verkosten – im Vergleich mit anderen LWG-Versuchsweinen zum Beispiel aus der Tinaja und Amphoren-Kreszenzen von Bernhard Ott, Amédée Mathier und dem renommierten Weingut Bassermann-Jordan aus der Pfalz, das sich 2011 erstmals an eine Cuvee aus Grauburgunder und Gewürztraminer gewagt hat. Das Fazit von Dr. Zänglein: „Der Geschmack dieser Weine polarisiert natürlich, aber das ist durchaus gewollt. Es gibt immer mehr Genießer, die weg wollen vom uniformen, konfektionierten Wein.“
Fast wie eine Ironie des Schicksals mutet es da an, dass es trotz wachsender Nachfrage nach Qvevris in Georgien kaum noch jemanden gibt, der das uralte Handwerk beherrscht. Gerade einmal fünf alte Männer – zwei davon im Dorf Vardisubani in Kachetien und drei in Shrosha in Imeretien im Westen – verstehen sich auf den Herstellungsprozess. Nachfolger haben sie keine. Deshalb versuchen derzeit einige Weinhersteller gemeinsam mit der Gesellschaft für den Erhalt traditioneller Handwerkskunst „Xeloba Kartuli“ (www.kvevri.org) Geld zu sammeln für den Aufbau einer neuen Schule für Qvevri-Herstellung. Gelingt dies nicht, wird die Reise „back to the roots“ früh enden. Nachdem sie gerade erst angefangen hat.
Saturday, December 10, 2016
#GEORGIANWINE: Die Reise zur Seele des Weines. Von Thomas Brandl (prowein.de)
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