Friday, November 29, 2013

ARTIKEL: Die Tscherkessen – ein unbekanntes Volk erwacht. Von Hans-Joachim Hoppe (eurasischesmagazin.de)

(eurasischesmagazin.de) Die Tscherkessen sind ursprünglich im Nordkaukasus beheimatet. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts besiedelten sie das Gebiet zwischen Schwarzem Meer, Asowschen Meer, Kuban und Terek, den Rayon Krasnodar bis nach Nordossetien (Mosdok). Sie rühmen sich des Elbrus-Gebirges, ihres „heiligen Bergs“ und zugleich der höchsten Erhebung Europas und des Kaukasus, die sich mitten in ihrem Siedlungsraum befindet.


Tscherkessen - Siedlungsgebiet 1830
Tscherkessen - Siedlungsgebiet 1830
Quelle: www.circassianworld.com
Nach den Tscherkessen (engl.: „Circassians“) und ihren Stämmen Kabarden und Adyghen wurden drei kleine Teilrepubliken der Russischen Föderation benannt: Kabardino-Balkarien, Karatschai-Tscherkessien und Adygeya. Sprachlich und historisch sind die Tscherkessen mit den Abchasen verbunden, für deren Unabhängigkeit sie sich einsetzen - in der Hoffnung auf einen Präzedenzfall für ihren eigenes Selbständigkeitsstreben.

Das Tscherkessische gehört zur Adyge-abchasischen Sprachfamilie. Die Tscherkessen besitzen keine eigene Schrift. Mit der Islamisierung wurde ihre Schriftsprache Arabisch. Anfang des 20. Jahrhunderts bediente man sich des lateinischen Alphabets. Seit 1937/38 wird das kyrillische Alphabet mit einigen Ergänzungen benutzt.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts befinden sich die Nordkaukasier unter russischer Herrschaft. Nach hartnäckigem Widerstand des Nationalhelden Imam Schamil, der 1839 die kaukasischen Völker vereinigt hatte, gelang russischen Truppen die Unterwerfung der Region. Der 21. Mai 1864 gilt offiziell als Ende der russisch-kaukasischen Kriege. Der Tag wird aber auch als „Tag des Genozids“ begangen.

Vertreibung und Tod

Nach dem Krieg wurden die Tscherkessen aus ihrer Heimat vertrieben. Etwa 500.000 bis 1.000.000 Tscherkessen und Abchasen wurden über das Schwarze Meer ins Osmanische Reich zwangsverschifft. Dabei kamen nach Schätzungen über 100.000 Vertriebene um. Andere Schätzungen gehen weitaus höher: Nach der Zwangsvertreibung würden etwa eine Million Tscherkessen vermisst, die nur im Laufe der Geschehnisse umgekommen sein können.

In das Gebiet der Tscherkessen rückten zumeist christliche russische Bauern aus dem Landesinneren des Russischen Reiches nach, die zusammen mit dort ansässigen Turkvölkern die Tscherkessen zu einer Minderheit im angestammten Land machten. In der Sowjetära hatten die Tscherkessen einige Jahrzehnte eine eigene Autonome Sowjetrepublik.

In neuerer Zeit (1957) wurden sie bewusst mit anderen Nationalitäten wie den turkstämmigen Kalbaren und Karachaiern sowie Russen in mehreren Teilrepubliken zusammengebracht. Um gemeinsamen Interessen Nachdruck zu verleihen, bildeten Tscherkessen Kooperationen von Parlamentariern und Verbänden der verschiedenen Regionen.

Diese Kooperation wurde durch die Neuordnung im Kaukasus durch Bildung eines zusätzlichen Föderalen Großbezirks erschwert: gehörten bisher alle drei Teilrepubliken dem Südlichen Föderationsbezirk an, so wurden 2010 auf Anordnung von Präsident Medwedjew die Teilrepubliken Karatschai-Tscherkessien und Kabardino-Balkarien einem neuen „Nordkaukasischen Föderationsbezirk“ zugeschlagen, während die nördliche Teilrepublik Adygeya mit dem Bezirk Krasnodar beim Südlichen Föderationsbezirk verblieb. Die noch autonome Republik Adygea ist durch Pläne gefährdet, sie im Krasnodar Krai aufgehen lassen zu wollen.

In Russland benachteiligt

Insgesamt fühlen sich die Tscherkessen in Russland politisch und wirtschaftlich benachteiligt und träumen von einer eigenen zusammenhängenden Region. Auch die anderen türkischstämmigen Nationalitäten sind mit der zwangsweisen Symbiose mit ihnen fremden Stämmen nicht glücklich. Eigentlich sollen die Spitzenposten nach ethnischem Proporz besetzt werden, doch wird diese Regel immer wieder aufgrund anderer Prioritäten durchbrochen. Streit zwischen den verschiedenen Nationalitäten gibt es insbesondere bei der Postenbesetzung, bei der Land- und Hausvergabe sowie bei der Zuteilung von Budgetmitteln.

Immerhin sind in zwei der drei russischen Teilrepubliken Tscherkessen an der Macht: in der Republik Adygea ist seit 2007 der Tscherkesse Aslan Tchakuschinow Präsident und in Kabardino-Balkaria seit 2005 Arsen Kanokow. In Abchasien war der Tscherkesse Sultan Sosnaliyew in den Jahren 2005-2007 Verteidigungsminister und Vizepremier (gestorben 2008). In der Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien ist der Karatschane Rashid Temresow seit Februar 2011 an der Macht. In erster Linie sind die Republikoberhäupter dem Kreml verpflichtet und den Kremlstatthaltern der Großkreise, denen ihre Republiken zugeordnet sind. In ihren Republiken wollen sie die verschiedenen Nationalitäten ruhig halten.

In alle Winde zerstreut

Heute lebt die Mehrheit der Tscherkessen außerhalb des Kaukasus: in der Türkei etwa zwei Millionen, in Syrien 100.000, in Jordanien 65.000, in Israel 4.000 sowie in der EU vornehmlich in Deutschland und Holland 40.000 und in den USA 9.000. Es gab und gibt teilweise noch Tscherkessen-Siedlungen im Kosovo (bei Kosovo-Polje und Obiliq nicht weit der Hauptstadt Pristina), in Südserbien, in Bulgarien und Moldova. Im Nahen Osten waren sie als treue Gardisten bei den Herrschern beliebt, auf dem Balkan waren sie als ehemalige Söldner eher verhasst. 1998 auf dem Höhepunkt des Kosovo-Konflikts wurden die Tscherkessen in einer Blitzaktion ausgeflogen und in den Kaukasus zurückgeschafft, wo sie in der Republik Adygien angesiedelt wurden.

Es gibt Schätzungen, wonach weit mehr Tscherkessen über den Globus verstreut leben: Zehn Miollionen Tscherkessen (Adygen, Kabardiner u.a.) sollen es demnach insgesamt sein. Davon würden allein acht Millionen in der Türkei leben, 850.000 in Russland, 180.000 in Jordanien, 60.000 in Syrien, 35.000 in Libyen, 12.000 in Israel, 3.500 im Irak, 80.000 in der EU, vor allem in Deutschland und15.000 in den USA.

Identität verloren

Es heißt, die Tscherkessen in der Diaspora seien weitgehend assimiliert und sprechen kaum noch ihre eigene Sprache. Die meisten Tscherkessen seien in der türkischen Bevölkerung aufgegangen und erscheinen in der Diaspora in der EU und insbesondere in Deutschland als Türken.

Im Kaukasus ist eine Minderheit der Tscherkessen verblieben, die in drei autonomen Republiken lebt: In der Republik Adygeja (RA, Hauptstadt Maykop) sind von 443.000 Einwohnern etwa 108.000 Tscherkessen, in Karatschai-Tscherkessien (KChR, Hauptstadt Tscherkessk) von etwa 427.000 Einwohnern rund 50.000 Tscherkessen und in Kabardino-Balkarien (KBR, Hauptstadt Naltschik) von 893.000 Einwohnern etwa 498.000 Tscherkessen. Weitere 10.000 Tscherkessen leben in der Umgebung der Stadt Tuapse an der Schwarzmeerküste. Wenige Tausend leben im Stavropol Kray, in Nordossetien und in Moskau.

Bis auf Kabardino-Balkarien sind die Tscherkessen in ihrer heutigen Heimat Minderheiten. Karatschaner und Balkaren sind Turkstämme, die 1944 nach Zentralasien deportiert wurden und 1957 zurückkehrten. Die Russen machen in Adygeja 65 Prozent aus, in Kabardino-Balkarien 32 Prozent und in Karatschai-Tscherkessien 42 Prozent. Russische Bestrebungen, die zum Gebiet Krasnodar gehörende Republik Adygeja aufzulösen, führten 2005 zu Unruhen. Die Tscherkessischen Siedlungsgebiete reichen heute nicht bis zur Olympiastadt Sotschi, liegen aber nahe der Schwarzmeerküste.

Die große Mehrheit der Tscherkessen sind sunnitische Muslime (wie auch die in der Türkei). Lediglich die kabardinischen Tscherkessen in der Umgebung der Stadt Mosdok sind orthodoxe Christen.

Die Tscherkessen gelten als die Ureinwohner des Kaukasus und haben sich vor allem in den Bergregionen einen archaischen, aus Gastfreundschaft, Sittsamkeit und Blutrache bestehenden Sittenkodex – vergleichbar den Stämmen in Albanien und im Hindukusch - bewahrt. Umso mehr halten sie die schmerzliche Erinnerung ihrer Deportation durch das zaristische Russland im 19. Jahrhundert bis heute wach.

Völkermord an den Tscherkessen unvergessen

Der 21. Mai 1864 ist den Russen ein „Tag des Sieges“ über die Völker des nördlichen Kaukasus, den Tscherkessen ein Anlass zur Besinnung, zum Protest und zu gemeinsamen Engagement angesichts vergangener Gewalttaten der Russen gegenüber den Völkern des Kaukasus.

So gedachten die Tscherkessen in Berlin am 21. Mai 2009 des 145. Jahrestags des Genozids durch das zaristische Russland. Dazu kamen Emigranten aus Deutschland, Italien, den USA, Israel, der Türkei, den Niederlanden und anderen Staaten angereist. Die Genozidtragödie hat für die Tscherkessen einen ähnlichen Stellenwert wie der Genozid der Türken für die Armenier. Die Gedenkfeier gab vor allem jungen Menschen aus Europa und Übersee die Gelegenheit, Kontakt aufzunehmen und sich der eigenen Identität zu versichern, tscherkessische Lieder zu hören und sich zu politisch zu engagieren. Die Feier stand unter der Schirmherrschaft der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).

Die GfBV-Referentin erinnerte damals daran, dass die unterschiedlichen Stämme der Tscherkessen fast 100 Jahre lang Widerstand gegen die russische Kolonisation des Kaukasus geleistet hatten. Schließlich unterlagen sie der Übermacht des russischen Militärs. Dieses ging mit größter Brutalität gegen die Menschen im Nordkaukasus vor. Dörfer wurden systematisch niedergebrannt, Männer, Frauen und Kinder ermordet.

Am 28. Mai 1864 begann die Deportation der Überlebenden ins Osmanische Reich. Über das Schwarze Meer schickte man die Menschen in offenen Barkassen, kleinen überfüllten Booten, viele sanken und die Menschen ertranken. Dann wurden die Tscherkessen von Hunger und Krankheiten heimgesucht. Die genaue Zahl, wie viele Menschen durch das russische Verbrechen umkamen, lässt sich nicht mehr feststellen.

Der US-Historiker Stephen Shenfield (The Circassians - A Forgotten Genocide?, Oxford/New York 1999-2006) rechnet auf der Basis von Willis Brooks (‚Russia‘s Conquest and Pacification of Caucasus, 1995) folgendermaßen: Vor der russischen Kolonisierung gab es rund zwei Millionen Tscherkessen. 1864 war der nordwestliche Kaukasus, das Herzland der Tscherkessen, fast vollständig „gesäubert“. Zwischen 120.000 und 150.000 Tscherkessen wurden in andere Regionen des Russischen Reiches umgesiedelt. Rund 500.000 wurden ins osmanische Reich zwangsdeportiert. Zuvor im Jahr 1858 waren rund 30.000 Familien bzw. etwa 200.000 Personen ausgewandert. Das bedeutet, dass es keine Angaben zu rund einer Million Tscherkessen gibt, und wenn man noch die Opfer der Vertreibung hinzuzählt, gab es wohl fast 1,5 Millionen Opfer.

Als Volk trotz allem überlebt

Immerhin haben die Tscherkessen trotz des Assimilationsdrucks in der Diaspora als Volk überlebt. Es ist ihnen gelungen, ihre Kultur und Sprache in die Gegenwart herüberzuretten. Es gibt eine breite tscherkessische Bewegung im Nordkaukasus, in der Diaspora in der Türkei, dem Mittleren Osten und Europa und den USA, die erst seit kurzem aktiver wird.

Die Tscherkessen fordern von der Türkei, in der sie die größte Diaspora-Gruppe haben, die Anerkennung ihrer eigenständigen Sprache, Geschichte und Kultur sowie Berücksichtigung ihrer Anliegen durch die türkische Außenpolitik in Bezug auf den Kaukasus.

Sie fordern von der russischen Regierung die Anerkennung des Völkermords durch das zaristische Russland, eine Entschuldigung und letztlich auch Kompensation. Der Kreml zeigte sich bisher ablehnend und desinteressiert. Vielmehr brandmarken die russischen Behörden die Tscherkessen als „Separatisten“, wobei sie versuchen, deren Eigenständigkeitsstreben wie auch das der anderen Nationalitäten des Nordkaukasus zu torpedieren. Die Enttäuschung über die Haltung der Russen könnte, so meinen Experten, zu einer Radikalisierung der jungen Generation der Tscherkessen führen.

Das runde Jubiläum – der 150. Jahrestag des Genozids im Jahre 2014 soll bewusst in der Olympiastadt Sotschi vor einer breiten Öffentlichkeit begangen werden. Viele tscherkessische Aktivisten beklagen, die Olympiade finde „auf blutbeflecktem Boden“, dem Terrain des Genozids statt. Sie verweisen auf die typischen Begleiterscheinungen derartiger Projekte wie die Olympiade von Sotschi: Korruption, Gaunereien, ja sogar Menschenrechtsverletzungen und eine zerstörte Umwelt. Bedächtigere Stimmen preisen die Chance der Selbstdarstellung und die Aussicht auf Umsätze und Gewinn für die Bewohner der Region - auch für die Tscherkessen.

Die Tscherkessen der Diaspora organisieren sich

Tscherkessen - heutige SiedlungsgebieteEnde der 60er Jahre emigrierten Tscherkessen aus der Türkei in Länder der europäischen Union. Über die Gesamtzahl der in Europa lebenden Tscherkessen gibt es keine genauen Angaben, man geht davon aus, dass in Europa etwa 10.000 Tscherkessen leben. Vorwiegend in Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich, der Schweiz und Österreich

Der erste in Europa gegründete „kaukasische Kulturverein“ wurde am 22.09.1968 von tscherkessischen Emigranten in München ins Leben gerufen. Weitere Kulturvereine in Deutschland und den Nachbarländern folgten. Erst mehrere Jahrzehnte später - im Jahre 2004 - schlossen sich die inzwischen gewachsenen Kulturvereine in Deutschland, Holland und Belgien zu einer „Föderation der Tscherkessischen Kulturvereine in Europa“ zusammen.

Am 19.-21. Mai 1990 fand in Holland eine konstituierende Versammlung für einen „Weltkongress der Tscherkessen“ statt, an der Delegationen aus Europa, der Türkei, Syrien, Jordanien, den USA und aus dem Kaukasus teilnahmen. Dieser benannte sich später in „Internationale Tscherkessische Assoziation“ (engl. Abk.: ICA) um, die von Naltschik, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien aus gesteuert wird.

Trotzdem sind die Tscherkessen auch weiterhin im Kaukasus und in der Diaspora stark zersplittert. Die Struktur ihrer Vereine bleibt oft unübersichtlich. Sie divergieren nicht nur nach Regionen, sondern auch in ihrer Mission und ihren politischen Zielen. Da gibt es unpolitische, kulturelle Verbände, politisch gemäßigte und radikal-nationalistische. Es heißt, einige Verbände seien von russischen Agenten unterwandert, die dem Kreml die Möglichkeit zur Steuerung geben sollen.

Die großen tscherkessischen Diaspora-Verbände

Die „Internationale Tscherkessische Assoziation“ ICA (oft mit dem Zusatz „Adyge-Khase“), ist wohl der wichtigste Dachverband tscherkessischer Organisationen aus aller Welt. Ihm gehören die ethnisch-tscherkessischen Organisationen der drei Teilrepubliken der RF, des Krasnodar Gebietes sowie der Diaspora, der Türkei, Syriens, Jordaniens, Israels, der USA (New Jersey und Kalifornien) und Deutschlands (der FKTV unter Leitung Tamzoks). Sitz des Weltverbandes ist Naltschik, die Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien, Vorsitzender ist der Bankier Kanshoby Azhakhov aus Naltschik (KBR).

Die Föderation der Tscherkessischen Kulturvereine in Europa (FTKV) ist die Dachorganisation der acht größeren tscherkessischen Kulturvereine in Deutschland. Vorsitzender der FTK ist Umar Faruk Tamzok, Hannover, Vorgänger und Ehrenvorsitzender ist der rührige Dr. Ehsan Saleh, der auch den Weltverband mit aus der Taufe hob.

Außerdem gibt es die Föderation der Europäischen Tscherkessen (engl. Kürzel FEC). Präsident ist Admiral Daşdemir , Generalsekretär Levent Sürer. Die Unterschiede zwischen FEC und FTK sind nicht ganz transparent, zumal sie teilweise in den gleichen Orten präsent sind. Auf jeden Fall handelt es sich um zwei rivalisierende Organisationen.

Prominentester Tscherkesse in Deutschland ist Cem Özdemir

Im Frühjahr 2009 wurde in Köln das „Circassian Network“ (CN), (Webseite www.circassian-network.com) gegründet, das sich als Lobbyverband junger Tscherkessen und als unabhängiges Diskussionsforum sieht. Es wird vom Jungunternehmer Bilal Edis Misiroka und einem jungen agilen Team gemanagt. Sitz ist Köln. Misiroka kommt aus Kayseri/Türkei, er ist vom Stamm Kabarday, wie er selbst angibt.

Am 28.04.2010 besuchte Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, zusammen mit dem Landtagsabgeordnete Arif Ünal, ebenfalls tscherkessischer Herkunft, die junge Mannschaft. Befragt nach dem Motiv seines Besuchs gestand Özdemir: „Mein Vater ist Tscherkesse. Zusammen waren wir in der Urheimat der Tscherkessen in der Adygea Republik im Kaukasus. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, dass diese faszinierende Kultur nicht vom Erdboden verschwindet, sondern wie andere vom Aussterben bedrohte Zivilisationen eine Zukunft hat.“

Auf der Kölner Konferenz wurde über das Leben der Tscherkessen in Deutschland, Fragen der Integration und auch über die Idee eines „Tscherkessien“ diskutiert, die Wiederherstellung einer einheitlichen Tscherkessen-Republik im Nordkaukasus „in den historischen Grenzen“ (Siehe Karte).

Die Mobilisierung der Tscherkessen war bislang schwierig wegen der Zersplitterung in eine Vielzahl von Stämmen und Verbänden, der unterschiedlichen Dialekte, der nicht abgeschlossenen Nationswerdung und Uneinigkeit selbst über einen einheitlichen Volksnamen, Tscherkessen oder Adyghen anstelle der vielen Stammesnamen.

NRW-Landtagsabgeordneter Arif Ünal erklärte, dass es kontraproduktiv sei, wenn eine so kleine Volksgruppe zwei rivalisierende Dachverbände in Europa habe. Er empfahl, dass sich die Diaspora-Tscherkessen mit anderen unterdrückten Volksgruppen koordinieren, was ihren Forderungen mehr Gewicht verleihen würde. Auch sollte das Genozid-Thema einer breiteren Öffentlichkeit, insbesondere am Sitz der Europäischen Union in Brüssel, vorgetragen werden. (www.cherkessia.net/, Bericht vom 21.12.2010).

In München gibt es sogar ein tscherkessisches Institut

Neben Brüssel, Berlin, Hamburg und Köln war München schon immer ein wichtiges Zentrum der Emigration, denken wir nur an die Ukrainer. In München residierte bis zur Wende der von den USA gesponserte Sender Radio Freies Europa, dessen Stimme der Freiheit weit über den Eisernen Vorhang hinweg bis in den Kaukasus reichte. Kaum einer weiß, dass es in München sogar ein Tscherkessisches Institut gibt, das neben Tscherkessenkunde auch Lobbyismus und etwas Politik betreibt. Auf der Basis von Materialsammlungen, Analysen und Stellungnahmen bringt es die Belange der Tscherkessen an die Öffentlichkeit und ruft aus unterschiedlichen Anlässen (Genozidgedenken, Olympische Spiele in Sotschi 2014) zu Demonstrationen auf. Das Institut wird vom Nordkaukasischen Tscherkessischen Kulturverein München e.V. gefördert.

Tscherkessen in aller Welt

Die Tscherkessen in der Türkei stellen mit etwa zwei Millionen Menschen (2,8 Prozent der türkischen Gesamtbevölkerung) nach den Kurden eine der größten ethnischen Minderheiten dar. Nach anderen Schätzungen leben sogar fünf bis acht Millionen Tscherkessen in der Türkei. Am Bosporus lebt jedenfalls die größte tscherkessische Gemeinschaft überhaupt, sie ist größer als die in ihrer Ursprungsheimat, dem Kaukasus.

Die große Mehrheit der aus dem Kaukasus eingewanderten Tscherkessen wurde in der Türkei assimiliert. Nur knapp die Hälfte beherrscht noch eine der tscherkessischen Sprachen. Die Tscherkessen in der Türkei sind nahezu ausschließlich sunnitische Moslems. In Deutschland und Westeuropa sind die Tscherkessen meist nicht zu erkennen, es sei denn sie bekennen sich offen zu ihrer Nationalität. Da sie meist die türkische Staatsangehörigkeit haben und nur türkisch sprechen, gelten sie hierzulande als „Türken“.

Entsprechend dem Gewicht, das die Tscherkessen in der Türkei haben, ist die dortige „Föderation Kaukasischer Vereine“ (KAFFED) - abgesehen von dem oben beschriebenen Weltverband - die größte und mächtigste tscherkessische Organisation in der Diaspora. Die KAFFED ist der Dachverband von 58 tscherkessischen Verbänden in der Türkei. Präsident der KAFFED ist Cihan Candemir. Hinter KAFFED stehen mächtige Unternehmer, Politiker und Personen aus der Kultur und Bildung.

Dennoch klagen die Tscherkessen über ihre Situation in der Türkei. In Petitionen an das türkische Parlament und die Regierung forderten sie nach dem Vorbild der Kurden wiederholt Tscherkessisch-Unterricht an Hochschulen und Schulen sowie Radio- und TV-Sendungen in der tscherkessischen Sprache. Dabei verweisen sie auf die günstigere Situation in Russland in ihren drei Republiken. Mehrere tscherkessische Verbände riefen die Türkei auf, ihren Integrationsprozess mit der EU fortzusetzen und mit einer standardgemäßen Minderheitenpolitik zu verbinden. Experten sagen, die Lage der Tscherkessen hänge mit dem Grad der „Europäisierung“ der Türkei zusammen. Inzwischen müssen sich die Tscherkessen gegen konkurrierende Lobbygruppen der Tschetschenen, Georgier, Armenier und Aserbaidschaner, die in der Türkei immer aktiver werden, durchsetzen.

Zwei Staatspräsidenten tscherkessischer Herkunft

Historisch gibt es eine Vielzahl Tscherkessen, die sich als Staatsoberhäupter, Militärs, Politiker, Sportler oder Kulturschaffenden hervorgetan haben. Schon in osmanischer Zeit waren sie als Offiziere, Polizisten und Wächter beliebt. Wegen ihrer kämpferischen und künstlerischen Traditionen (Tanz) haben die Tscherkessen kaum reine Unternehmer hervorgebracht. Einige haben schon in osmanischer Zeit hohe militärische und politische Positionen erreicht. In der neueren Türkei gab es immerhin zwei Staatspräsidenten tscherkessischer Herkunft Fahri Korotürk (1973-1980) und Ahmet Sezer (2000-2007), ein weiterer Abdüllatif Şener war Vizepremier und Finanzminister unter dem gegenwärtigen Premier Recep Tayyib Erdogan. Über die Grenzen der Türkei hinaus bekannt ist auch der Schriftsteller und Nobelpreisträger (für Literatur 2006), Orhan Pamuk, der zur Hälfte tscherkessischer Herkunft sein soll.

In Jordanien genießen die Tscherkessen eine bevorzugte Stellung. König Abdullah schätzt die Loyalität tscherkessischer Militärs, Polizisten, Unternehmer und Parlamentarier. In Amman befindet sich ein für die Diaspora bedeutender Sender, NART-TV, der von der Leiterin Janti Naghaway und ihrem jungen Team gemanagt wird. In Naltschik/Kabardino-Balkarien betreibt der Sender einen weiteren Satellitenkanal. NART-TV will informieren und mit seinen Sendungen zur Wahrung der tscherkessischen Sprache und Kultur beitragen. Seine Nachrichten, Bildungs-, Unterhaltungs- und Kulturprogramme erreichen Hörer in Südrussland, im Nahen Osten und in Nordafrika.

Im Norden Israels gibt es zwei tscherkessische Dörfer, Rihanya und Kfar-Kama, die bereits um 1880 herum entstanden. Es handelt sich um Tscherkessen, die vom Balkan in den Nahen Osten umgesiedelt wurden. In Rihanya leben etwa 1000 Abadsechen, in Kfar-Kama 2000 Schapsughen. Das größere Dorf Kfar-Kama liegt in der Nachbarschaft jüdischer Siedlungen, Rihanya in der Nähe arabischer Siedlungen. In ihren „Siedlungsoasen“ hatten die Tscherkessen seit jeher die Möglichkeit, ihre Sprache, Kultur und Traditionen zu pflegen. Durch die unterschiedliche Religion und Kultur gegenüber den Juden kam es zu keiner nennenswerten Assimilierung. Dabei sind die Beziehungen der Israelis (im Unterschied etwa zu den Palästinensern) zu den Tscherkessen unproblematisch. Die Tscherkessen sind im öffentlichen Leben Israels integriert: sie verrichten ihren Wehrdienst in der israelischen Armee. Man findet sie auch im Polizeidienst wieder.

In den USA gibt es zwei Regionen, in den Tscherkessen leben – Kalifornien und New Jersey. Dort wird in den beiden Regionalverbänden, der „Circassian Association of California” und einer Organisation für New Jersey in relativ kleinen Gemeinschaften die tscherkessische Kultur gepflegt. Waren die Tscherkessen in Übersee ursprünglich eher unpolitisch, so zeigen sie - inspiriert durch das humanitäre Selbstverständnis und den missionarischen Eifer amerikanischer Organisationen - in den letzten Jahren zunehmend politisches Engagement. Eine herausragende amerikanische Aktivistin für die tscherkessischen Anliegen ist Çiçek Şık, die auch in Moskau beim Treffen mit der Duma auftrat und an die fortwirkenden Auswirkungen des Genozids bis in die Gegenwart erinnerte.

Die Tscherkessen in Russland begehren auf

Am 21. November 2010 fand in Tscherkessk, der Hauptstadt der Republik Karatschai-Tscherkessiens (KTschR), eine Versammlung der Vertreter mehrerer tscherkessischer Verbände statt, darunter die Vorsitzenden der „Adyge Khase“ der drei Teilrepubliken KTschR, der KBR und der Adygeya sowie des Rayons Krasnodar und des von Georgien abtrünnigen Abchasien. Um ihren gemeinsamen Bestrebungen (Landverteilung, Repatriierung, eigene Region) innerhalb Russlands mehr Nachdruck zu verschaffen, gründeten sie einen „Koordinationsrat der tscherkessischen Assoziationen in Russland“ unter Leitung von Muhamed Cherkesov.

Ein wichtiges Mittel zur Überwindung der Zerstrittenheit und Zersplitterung sowie zur Selbstfindung der Tscherkessen sei das Internet geworden. So soll das Projekt „Virtuelles Tscherkessien“ als Plattform der tscherkessischen Community zur Diskussion ihrer Probleme und schneller Reaktion auf aktuelle Vorgänge.

Ermuntert durch die Diaspora-Verbände wagte es der tscherkessische Weltverband ICA, sich auch an den Kreml zu wenden, um diesem regionale Fragen wie auch Probleme vorzutragen, die nur auf Föderationsebene gelöst werden können.

Ein erstes geradezu historisches Treffen fand am 16. Mai 2011 in Moskau statt, auch wenn dieses unter fast schikanösen Umständen verlief. Vorgesehen war eine Begegnung zweier paritätisch besetzter Delegationen von je acht Vertretern der ICA und einer entsprechenden Zahl von Abgeordneten der russischen Staatsduma und des Föderationsrats. Für den Vortrag der tscherkessischen Anliegen einschließlich Diskussion waren „aus Zeitmangel der Abgeordneten“ gerade mal eineinhalb Stunden reserviert. Die Sitzung leitete der stellvertretende Vorsitzende des auswärtigen Komitees, Andrey Klimow.

Tscherkessen wollen zur Entwicklung des Kaukasus beitragen

Die tscherkessische Delegation führte der Präsident des ICA Kanşobi Ajaxho an. Klimow eröffnete die Anhörung mit den Worten zum Reglement, nach dem jedem Diskutanten nur fünf bis sieben Minuten Redezeit zur Verfügung stehe. Schwerpunkt der Diskussion sollten die internationalen Aspekte der tscherkessischen Thematik sein. Ajaxho sprach mit seiner Delegation dann den Wunsch vieler Diaspora-Tscherkessen nach Repatriierung an, den nur der Kreml erfüllen könne, die Rückkehrmöglichkeit der Tscherkessen und Ansiedlung in ihrer Heimat.

Er wies auf die verheerenden Auswirkungen des Genozids vor 150 Jahren hin, die bis heute andauern, forderte die Anerkennung des Genozids durch Russland, Kompensationsforderungen habe Russland nicht zu erwarten. Terroristen habe er unter den Tscherkessen (im Unterschied zu den Tschetschenen) nicht zu befürchten. Die Diaspora wolle dabei zur Entwicklung des Kaukasus beitragen.

Spiele in Sotschi „auf den Gebeinen der Opfer“

Auch müsse der Kreml das Streben der Tscherkessen nach Vereinigung innerhalb der russischen Grenzen und ggf. auch nach Unabhängigkeit innerhalb der Russischen Föderation respektieren. Dann könnten auch freundschaftliche Beziehungen weiter bestehen. Sie wiesen auch auf die Problematik der Olympischen Spiele in Sotschi hin, die auf den „Gebeinen tscherkessischer Opfer“ stattfänden. Der Vertreter der Tscherkessen in Deutschland Omar Tamzok (Hannover) hob das Beispiel Deutschlands hervor, Rückkehrwillige aus der Diaspora zu unterstützen.

Immerhin bewirkten Initiativen dieser Art, dass sich russische Politiker und Politikforscher mit den Tscherkessen befassten. So hatte das Zentrum für Zivilisation und Regionalforschungen der Russischen Akademie der Wissenschaften Ende März 2011 in Moskau eine Konferenz zur „Tscherkessischen Frage“ veranstaltet. Dabei ging es um die Vergangenheit wie auch um Zukunftsstrategien.

Für ein autonomes Tscherkessien

Um es deutlich zu sagen, die Tscherkessen fordern auf der Basis ihrer historischen und der gegenwärtigen übrig gebliebenen Siedlungsgebiete ein autonomes Tscherkessien im Rahmen der Russischen Föderation.

So hatten bereits auf der Konferenz in Cherkessk am 5. Juni 2010 Vertreter der tscherkessischen Adyghe eine Teilung der Karatschai-Tscherkessischen Republik und die Wiederherstellung eines Tscherkessischen Autonomen Oblast, wie er bereits 1928-1957 bestanden habe, gefordert. Ihren Antrag richteten sie an Präsident Dmitri Medwedew, an Premierminister Wladimir Putin und an den Präsidentenbevollmächtigten des Nordkaukasus-Großkreises Alexandr Chloponin. Dies war der dritte derartige Antrag nach Autonomie in den letzten 17 Jahren.

Die Tscherkessen erhielten für ihre Wünsche nicht zuletzt durch die von Moskau betriebene Loslösung Abchasiens und Südossetiens nach dem August-Krieg 2008 Russlands mit Georgien Auftrieb. Ermuntert wurden sie auch durch Gewährung eine autonomen Status für die Noghaier und Abasen innerhalb der Teilrepublik Kabardino-Tscherkessien, die Moskaus Prinzip, eine weitere Zersplitterung des Kaukasus zu vermeiden, eigentlich widerspricht. Bei ihren Forderungen können die Tscherkessen auch auf die Kalmyken verweisen, die ebenfalls - bereits 1992 im Kaukasus eine eigene Republik haben.

Die Unruhe unter den Tscherkessen wurde durch die Planungen für die Olympischen Spiele von 2014 in Sotschi, ohne sie in irgendeiner Form zu beteiligen, noch gesteigert. Ihre Lage sehen sie schließlich durch die kürzlich – im Januar 2010 - erfolgte Neuordnung des Kaukasus-Raums durch den Kreml und die dadurch bewirkte administrative Spaltung erschwert.

Der Kreml sieht in den Forderungen der Tscherkessen eine Bedrohung der territorialen Integrität der Russischen Föderation, was tscherkessische Aktivisten bestreiten. Ihrer Ansicht wird nicht eine Neuordnung, sondern ein Fortbestehen der unbefriedigenden Situation im Kaukasus Anlass zu ständiger Unruhe sein.

Doch generell ist man im Kreml der Überzeugung, dass jeglicher Schritt in Richtung Autonomie ähnliche Bestrebungen in den Nachbarregionen auslösen und den Radikalen im Nordkaukasus Auftrieb geben würde. Eine Vereinigung der Tscherkessen in einer zusammenhängenden Verwaltungseinheit würde zur Zersplitterung der Region führen, ähnliche Wünsche der anderen Nationalitäten hervorrufen und damit die Integrität Russlands als solches bedrohen.

SONDERAUSSTELLUNG: Bekämpft, bedrängt, bescheiden - das Volk der Tscherkessen in Hamburg (welt.de)

(welt.de) Das Völkerkundemuseum stellt das Volk der Tscherkessen vor. Die Schau dokumentiert deren Geschichte von Verfolgung und Unterdrückung


Bescheidenheit und Zurückhaltung sind als soziale Normen in der Kultur der Tscherkessen fest verankert. Trotzdem wagen sich jetzt Angehörige des 5000 Jahre alten kaukasischen Volkes ins Licht der Öffentlichkeit. An der Verwirklichung der Ausstellung "Tscherkessen – Vom Kaukasus in alle Welt verweht" im Völkerkundemuseum beteiligen sich rund 100 Tscherkessen aus verschiedenen Ländern. Ein solches Projekt habe es noch nie gegeben, sagt Museumsdirektor Wulf Köpke.

Die Schau will das weitgehend unbekannte Volk der einstigen Krieger, Reiter und Landwirte vorstellen und dabei auch über sein Schicksal aufklären. Vor 150 Jahren wurden die Tscherkessen aus ihrer Heimat am Schwarzen Meer vertrieben. Am 21. Mai 1864 endete der Kaukasuskrieg mit der Unterwerfung durch die Armee des russischen Zaren.

Mehr als 80 Prozent der Tscherkessen wurden in das damalige Osmanische Reich zwangsumgesiedelt. Allein bei der Flucht über das Schwarze Meer kamen mehr als 100.000 Menschen ums Leben, viele starben in der Folge an Hunger und Krankheiten. Dieser Völkermord, von dem die Welt heute erschreckend wenig weiß, sei "ein unglaubliches Trauma", so Köpke.

Den Anlass für die Ausstellung gab somit eine Entwicklung, die für viele Tscherkessen alte Wunden aufreißt. Just in der Heimatregion der Vertriebenen lädt Russland zu den Olympischen Winterspielen 2014. Die subtropische Stadt Sotschi ist nicht nur der Austragungsort der teuersten Winterspiele aller Zeiten: In Sotschis neuem Wintersport-Resort Krasnaja Poljana fand die letzte blutige Schlacht gegen die Russen statt.

"Jeder Sportler muss wissen, dass unter den Skipisten die Gebeine unserer Ahnen liegen", sagte Iyad Youghar, Vorsitzender des Internationalen Komitees der Tscherkessen. Die Verzweiflung über die Entweihung des Ortes sei groß, erklärt Köpke. Die Demütigung schlägt vor allem bei den jungen Leuten in Aggression um, zumal sie spüren, wie ihnen die eigene Kultur außerhalb der Heimat langsam entgleitet.

Die meisten Tscherkessen, etwa zwei Millionen, leben heute in der Türkei. Doch das muslimische Volk ist über die ganze Welt verstreut, fand in Syrien, Israel, den USA und in Europa ein Zuhause – in Deutschland gibt es rund 50.000 Tscherkessen. Im Nordkaukasus sind in drei autonomen Republiken noch etwa 700.000 heimisch, viele wohnen auf dem Land, "weil sie dort noch ungestört als Tscherkessen leben können", berichtet Köpke, der die Region jüngst bereist hat. Aufgrund der langen Migrationsgeschichte war es nicht leicht, Exponate für die Ausstellung zu finden, vieles ist für immer verloren. Dennoch gelang es, mit Hilfe von Sammlern und Familien, eindrucksvolle Stücke zusammenzutragen. Dazu gehören kostbare Waffen wie Säbel und Schwerter, mit denen viele Tscherkessen auch heute noch geschickt umzugehen wissen, denn die traditionelle Selbstdefinition als Krieger bedeutet ihnen viel.

Zu sehen sind auch Hausratsgegenstände des gastfreundlichen Volkes, ferner Gerätschaften aus der Landwirtschaft. "Die Tscherkessen hatten den grünen Daumen", sagt Köpke. Außerdem waren sie fähige Reiter: Ein kostbarer, dem Bescheidenheitscredo entsprechend unscheinbarer, nur mit Silber verzierter Sattel wird ebenfalls gezeigt. Einst betrug der Wert dieses Sattels 15 bis 20 Ochsen. Schlicht und schön wie Nutzgegenstände, Schmuck und Waffen war auch die Kleidung der Tscherkessen. Zum Beispiel ist ein Männergewand von 1850 ausgestellt, eines der wenigen Objekte aus der Zeit vor der Vertreibung. Besonderes Merkmal: ein Einschussloch. Neben den Exponaten, die auf die ethnische Identität verweisen, sind viele Fotos zu sehen. Karten erzählen von den Wanderbewegungen, Texte klären unter anderem über die schwierige Sprache auf, die acht Vokale und 74 Konsonanten besitzt.

Im Zentrum der tscherkessischen Kultur steht der Verhaltenskodex Adyghe Xabze, der alle Lebensbereiche durchdringt und auch in der Diaspora bewahrt wurde. Bescheidenheit ist danach die größte Zier, Protz und Prunk verpönt, Respekt vor Älteren und Frauen selbstverständlich. Das Moralgebäude beeindruckte einst die Nachbarvölker so sehr, dass sie ihre Kinder von den Tscherkessen erziehen ließen.

Angesichts der eindrucksvollen Kultur sei bei den Vorbereitungen das Olympia-Thema mehr und mehr an den Rand gerückt, erklärt Köpke. Schließlich sei ein Volk zu präsentieren, das derzeit neues Selbstbewusstsein erlangt. Es sei nicht das Anliegen der Ausstellung, die Vergangenheit zu beklagen, sondern gehe darum, die Tscherkessen bekannt zu machen. Und: "Man soll sie bewundern. Wegen ihrer Stärke, ihrer Integrität, ihrer Schläue, ihrer Bescheidenheit."

Tscherkessen-Ausstellung vom 24. November bis 25. Mai, Völkerkundemuseum


So 24. November 2013 – 25. Mai 2014
Tscherkessen – Vom Kaukasus in alle Welt verweht
Ein legendäres Volk neu entdecken


Die Tscherkessen sind eines der ältesten Völker Europas, seit Jahrtausenden leben sie im Nordwesten des Kaukasusgebirges. Im 19. Jahrhundert gehörten die Tscherkessen zu den bekanntesten Völkern in ganz Europa und wurden als Krieger und Reiter bewundert sowie für ihre Schönheit, Eleganz und Tapferkeit gerühmt.

Nach ihrer Vertreibung 1864 durch die Armee des russischen Zaren geriet das einstmals legendäre Volk immer mehr in Vergessenheit. In ihrer einstigen Hauptstadt Sotschi finden 2014 die olympischen Winterspiele statt. Für viele ist der beliebte Badeort im Kaukasus ein Urlaubsparadies, für Tscherkessen jedoch ein Ort großer Trauer. Genau 150 Jahre vor der Olympiade endete dort die letzte Schlacht gegen Russland. Die olympischen Spiele rücken die Heimatregion der Tscherkessen erneut ins Licht der Öffentlichkeit – Anlass genug, um dieses berühmte Volk für uns neu zu entdecken.

Die Ausstellung spürt seinem Schicksal nach und porträtiert ein in alle Welt verstreutes Volk, das seine Kultur und Sprache am Leben erhalten hat. Was verbindet die Tscherkessen heute und welche Themen bewegen sie? Um Fragen nach Identität und Erinnerungen zu stellen, hat das Museum Kontakt zu zahlreichen tscherkessischen Verbänden und Privatpersonen aus aller Welt aufgenommen, die an der Ausstellungskonzeption mitgewirkt haben.

Ein Ausstellungsprojekt des Museums für Völkerkunde Hamburg in Kooperation mit vielen tscherkessischen Vereinen und Privatpersonen.

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(dtj-online.de) Sotschi: Das Schicksal der Tscherkessen

Sotschi wird Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014 sein. Das Museum für Völkerkunde will das Ereignis zum Anlass nehmen, um in Kooperation mit den Tscherkessen selbst an das Schicksal des fast vergessenen Volkes zu erinnern.

Das Museum für Völkerkunde Hamburg will in Kooperation mit Vertretern der Volksgruppe der Tscherkessen die bevorstehenden Winterspiele in Sotschi zum Anlass nehmen, um an ein historisches Ereignis in Sotschi zu erinnern, dem in der Vergangenheit kaum Beachtung geschenkt wurde: die gewaltsame Vertreibung von bis zu 1 Millionen Tscherkessen aus ihrer Heimat im Kaukasus. Genau 150 Jahre vor den Olympischen Spielen endete dort die letzte Schlacht gegen das russische Kaiserreich und die Vertreibung eines der ältesten Völker Europas begann. Das Museum für Völkerkunde Hamburg hat den Tscherkessen nun eine Sonderausstellung gewidmet. Der Direktor des Museums, Herr Prof. Dr. Köpke, sprach mit dem DTJ über das Volk der Tscherkessen und Sotschi.

Herr Prof. Dr. Köpke, wer genau sind die Tscherkessen, woher kommen sie und warum richtet Ihr Museum eine Sonderausstellung für dieses Volk aus?

Das ist eine längere Geschichte. Ich selbst habe mich bereits sehr früh für die Völker des Kaukasus interessiert. Im Rahmen meiner Recherchen zu den Grundlagen der europäischen Kultur, die ich seit den 1980er-Jahren betrieben hatte, als ich Leiter der Abt. Europa im Berliner Völkerkundemuseum war, habe ich mich dann intensiver mit den Tscherkessen und ihren Nachbarvölkern auseinandergesetzt. Die Tscherkessen gelten als eines der „Urvölker“ Europas. Unstrittig ist wohl, dass einige der grundlegenden Kulturtechniken unseres Kontinents, wie der Weinbau, aus dem Nordwestkaukasus stammen. Im Museum für Völkerkunde Hamburg beschäftigen wir uns seit 1993 mit dem Nordwestkaukasus, ausgelöst durch den Unabhängigkeitskrieg Abchasiens von Georgien. Wir wollten damals einfach sachlich über diese nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sehr bedeutende geostrategische Region und über ihre Menschen und Kulturen berichten. Daraus entstanden zahlreiche Veranstaltungen mit Abchasen, Tscherkessen, aber auch mit Georgiern und Armeniern. Dies wiederum führte auch zu zahlreichen persönlichen Bindungen und Freundschaften. Von tscherkessischen Freunden wurden wir bereits vor 3 Jahren auf das Problem „Sotschi“ und das Zusammenfallen der Olympischen Winterspiele mit dem 150. Jahrestag des „Sürgün“ aufmerksam gemacht. Wir haben die Wut und das Ohnmachtsgefühl vieler junger Tscherkessen in der Diaspora mitbekommen. Wir haben dann diese Gefühle gemeinsam mit vielen Vertretern der tscherkessischen Vereine analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass das wichtigste Problem der Tscherkessen ist, dass zu wenig Menschen überhaupt wissen, dass es sie gibt. Daher besteht auch die Gefahr, dass alle Proteste gegen Sotschi einfach verpuffen, weil kaum jemand begreift, wer da eigentlich weswegen protestiert.

Daher haben wir uns als Museum zum Ziel gesetzt, durch eine Ausstellung die wunderbare Kultur der Tscherkessen bekannter zu machen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aus unserer Sicht ist es das wichtigste Ziel, dass tscherkessische Sprache und Kultur weiterhin überleben und blühen. Das ist die ungeheure, viel zu wenig gewürdigte Leistung der Tscherkessen in der Diaspora, dass immer noch Millionen Menschen außerhalb des Mutterlandes die schwierige tscherkessische Sprache beherrschen. In der jungen Generation ist dieses Können aktiv bedroht. Wir wollen die großartige Arbeit der Vereine ergänzen und dazu beitragen, dass junge Tscherkessen wieder stolz auf ihre Kultur sind und weiterhin die Mühe auf sich nehmen, sie zu pflegen. Wenn wir damit ein wenig Erfolg haben, dürfen wir vielleicht die Tscherkessen bei der Pflege ihrer Kultur weiterhin begleiten.

Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für die geringe Beachtung der Geschehnisse von 1864?

Die Gründe sind vielfältig. Natürlich hatte die russische Regierung im 19. Jahrhundert alle Gründe, das Thema nicht mehr zu berühren. Die enge Nationalitätenpolitik der Türkei unter Atatürk und seinen Nachfolgern hat ein Übriges dazu getan. Auch durch die Abschottung der Sowjetunion nach 1945 hat das Interesse an den Völkern im Kaukasus nachgelassen. Und ein wenig scheint die geringe Beachtung auch mit dem tscherkessischen Nationalcharakter zu tun zu haben: Meiner Erfahrung nach sind Tscherkessen eher bescheiden und zurückhaltend, es liegt ihnen, glaube ich, nicht, andere sehr stark auf sich aufmerksam zu machen. Hinzu kommt die starke Traumatisierung eigentlich aller Tscherkessen durch die Ereignisse von 1864 und auch durch die bei vielen darauf folgenden erneuten Vertreibungen. Einige Familien wurden in den letzten 150 Jahren vier Mal vertrieben. Ich glaube, dann verstummt man eher, als dass man lauthals klagt und versucht einfach nur, zu überleben.

Welche historische bzw. emotionale Bedeutung hat Sotschi für die Tscherkessen?

Sotschi und die damit verbundenen Ereignisse des Krieges und der Vertreibung hat für alle Tscherkessen eine hohe emotionale Bedeutung. Allerdings gehen erfahrungsgemäß verschiedene tscherkessische Gruppen damit unterschiedlich um. Gerade in der Türkei, insbesondere unter der jungen tscherkessischen Bevölkerung, scheint mir der Widerstand gegen die Olympischen Winterspiele besonders groß zu sein. Zusammen mit einigen amerikanischen Tscherkessen wurde in diesem Sinne die No-Sotschi-Bewegung initiiert, die Protestkundgebungen und Informationsveranstaltungen in der Türkei, aber auch weltweit organisiert. In den tscherkessischen Republiken im Kaukasus habe ich vor einigen Wochen viele Menschen erlebt, die die Zähne zusammenbeißen, aber sagen, wir können nichts daran ändern. Andere wiederum und gar nicht wenige, meinten, man müsse sich mit den Russen und eben auch mit Sotschi arrangieren, im Übrigen aber daran arbeiten, die eigene Kultur selbstbewusst weiter zu stärken. Auch bei vielen syrischen und jordanischen Tscherkessen habe ich diese Haltung gefunden. Die russische Regierung scheint auf beide Haltungen reagieren zu wollen und verspricht, wie zuletzt der russische Vizepremier Dimitri Nikolajewitsch Kosak am 16. Oktober in Sotschi, vor Vertretern der tscherkessischen Diaspora und der tscherkessischen Republiken eine Stärkung der tscherkessischen Kultur in Russland, ein aktives Gedenken an die Vertreibung 1864 und eine angemessene Vertretung der tscherkessischen Kultur während der olympischen Feierlichkeiten. Was sich davon erfüllt, wird sich im Februar 2014 zeigen und entsprechend werden sicherlich auch die tscherkessischen Reaktionen ausfallen.

Welche Forderungen und Hoffnungen gibt es vonseiten der Tscherkessen in Bezug auf die Winterspiele 2014 in Sotschi?

Es gibt Gruppen, die eine öffentliche Entschuldigung der heutigen russischen Regierung für die Verbrechen Russlands in den Kaukasuskriegen bis 1864 und die sich daran anschließenden Vertreibungen verlangen. Andere sind moderater. Ich zitiere einen Teilnehmer eines unserer Workshops: „Ich möchte, dass bei der olympischen Eröffnungsfeier vor allen anderen Teilnehmern ein Tscherkesse in tscherkessischer Tracht marschiert, der eine tscherkessische Fahne schwenkt und damit deutlich macht, dass das Land von Sotschi eigentlich unser Land ist. Mehr will ich gar nicht.“ Andere Gruppen, vor allem im Land selber, versprechen sich eben das, was die russische Regierung ihnen jetzt angeboten hat: eine Stärkung ihrer kulturellen und ökonomischen Lage im Rahmen der jetzigen politischen Situation. Aber alle wünschen sich, dass die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für die Region auch dazu führt, dass möglichst viele Tscherkessen sich wieder in der alten Heimat ansiedeln mögen.

Wo leben die Tscherkessen heute? Wie viele leben in Deutschland, wie viele in der Türkei?

Es ist schwer, Zahlen zu nennen. Regierungen tendieren dazu, diese Zahlen möglichst niedrig anzusetzen, tscherkessische Organisationen neigen gelegentlich dazu, sie sehr hoch anzusetzen. Wirklich verlässliche Zahlen gibt es eigentlich nicht. Es ist auch die Frage, ob man alle mit ein bisschen tscherkessischem Blut in den Adern als Tscherkessen zählt oder nur die, die sich auch selber als Tscherkessen fühlen und bekennen. Andere wiederum möchten nur die anerkennen, die auch die tscherkessische Sprache beherrschen.

Ich denke, wenn man von einem mittleren Standpunkt ausgeht, also davon, wer sich selbst als tscherkessisch fühlt, kann man insgesamt weltweit von etwa 4 Millionen Menschen ausgehen. Das ist mehr als eine ganze Reihe etablierter europäischer Staaten an Einwohnern hat. Von diesen 4 Millionen leben schätzungsweise knapp 900 000 in Russland, etwa 50 000 in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Frankreich, je etwa 100 000 in Syrien und in Jordanien, kleinere Gruppen im Irak, in Libyen, in Israel und in den Vereinigten Arabischen Emiraten, 10 000 in Australien, etwa 15 000 in den USA. Weit über 2 Millionen Tscherkessen leben also in der Türkei.

Mehr: voelkerkundemuseum.wordpress.com

ASERBAIDSCHAN: Bakus schwarze Liste. Von Markus Bernath (derstandard.at)

(derstandard.at) Massentouristen weghören: Eine Reise nach Karabach kann unerwünschte Risiken und Nebenwirkungen haben – lebenslang Einreiseverbot für die Öl- und Gasrepublik Aserbaidschan.

Ausradiert: Ein Wegweiser aus Sowjetzeiten am Ausgang von Berg-Karabach. Die Straßenverbindungen von Baku, Lenkaran und Gence in Aserbaidschan nach Armenien sind während des Kriegs in den 1990er-Jahren ausgetilgt worden.Was haben Ewald Stadler, die Sopranistin Montserrat Caballe und meine Wenigkeit gemeinsam? Ein Bummerl auf der Liste des aserbaidschanischen Außenministeriums.

Sozusagen aus gegebenem Anlass, in Fortbetrachtung des jüngsten Treffens der Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans in der Wiener Hofburg, wo beide Herren über die Lösung des Karabachkonflikts meditierten, wollen wir den Blick auf die Eigentümlichkeiten einer Reise in diese doch recht entlegene, wenn auch landschaftlich ausnehmend reizvolle Berggegend im Kaukasus lenken.

Die Fahrt in die international (und auch von Armenien) nicht anerkannte Republik Berg-Karabach wird im allgemeinen mit dem Automobil zurückgelegt und erfordert ein Visum der Karabachisten in Eriwan sowie einen leidlich festen Magen für sieben holprige Stunden. Durch den Korridor von Lartschin – ein Streitpunkt bei einem hypothetischen phasenweisen Rückzug der armenischen Truppen aus den besetzten aserbaidschanischen Gebieten – gelangt man am leichtesten nach Stepanakert/Hankendi, der Hauptstadt, wiewohl Freunde des Off-Road und zeitlich flexibleren Kalenders auch andere Routen bevorzugen mögen. Und wer dann zurückkehrt und ein im weitesten Sinne geschäftliches Interesse mit seinem Besuch beim Volk von Berg-Karabach verfolgt hat, landet auf einer schwarzen Liste in Baku. Weil: „illegal in aserbaidschanisches Territorium gereist“.

Das ist allerdings Auslegungssache, denn ein „legaler Übertritt“ lässt sich in Ermangelung einer übertretbaren Grenze seit dem Waffenstillstand zwischen Aserbaidschan und Armenien 1994 nicht bewerkstelligen. Zur Waffenstillstandslinie im Süden Aserbaidschans, an der regelmäßig geschossen wird, können nur Beobachter der OSZE reisen; eine Einreise ist dort nicht möglich.

Baku hat im August dieses Jahres erstmals eine Liste der wegen einer Karabach-Reise unerwünschten Personen veröffentlicht. Unter diesen 331 Namen findet sich eine Reihe von Parlamentsabgeordneten, etwa aus Frankreich, Australien und Russland. Sie haben in der Regel Wahlen in der armenischen Enklave beobachtet und sind deshalb mit einem Einreiseverbot nach Aserbaidschan belegt. Das betrifft in ihren Ländern relativ bekannte Politiker wie den langjährigen deutschen CDU-Abgeordneten Wolfgang Börnsen, den französischen Senator Bernard Fournier oder EU-Parlamentarier, die u.a. mit Armenien befasst sind, wie der Rechtspopulist Ewald Stadler. Wichtige Kaukasusexperten wie Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sind ebenso „persona non grata“ wie ein Dutzend Studenten der Johns-Hopkins-Universität in Washington, die eine Reise ins Krisengebiet taten zu – richtig – Studienzwecken, Bernard Snow, der frühere Koordinator der Wirtschafts- und Umweltangelegenheiten der OSZE, oder gar Peter Semneby, von 2006 bis 2011 EU-Sonderbeauftragter für den Südkaukasus.

Ausländische Künstler mit Einreiseverbot nach dem „Karabach-Sündenfall“ gibt es mittlerweile einige – und ebenso Journalisten: die Russland-Korrespondenten von ORF und FAZ, Markus Müller und Michael Ludwig, stehen auf der Liste, viele russische, einige italienische Journalisten – ich halte derzeit Platz 156, denn die Liste wächst. Diskutieren ist sinnlos, Botschaft und Außenministerium hören keine Argumente an: Ein Zeitungsbericht stellt keine völkerrechtliche Anerkennung von Berg-Karabach dar, Redaktionen sprechen kein internationales Recht. Wer über einen Separatistenkonflikt schreibt – noch dazu über einen, der mittelfristig in einen neuerlichen Krieg münden könnte –, sollte besser auch einmal selbst vor Ort gewesen sein, die Topographie gesehen und zumindest mit Entscheidungsträgern gesprochen haben.

Bakus schwarze Liste ist, so wird bald klar, eine Zensurveranstaltung. Berg-Karabach soll so wenig Öffentlichkeit wie möglich bekommen. Erlösung von der Liste und Reinwaschung des Namens sind theoretisch möglich durch öffentliche Selbstkritik und nachfolgend „some good reporting“, wie es ein aserbaidschanischer Botschafter formulierte. Yes. This is what I always try to do. Hier ist meine Karabach-Geschichte im Standard vom Oktober 2006. (Markus Bernath, derStandard.at, 27.11.2013)

RUSSLAND: Gazprom: doppelter Gaspreis für Georgien während des Vilnius-Gipfels (gas-infos.com)

Gazprom(gas-infos.com) Das Geschäftsgebaren des russischen Konzerns Gazprom war schon immer von Selbstbewusstsein geprägt. Wird dem geforderten Gaspreis nicht zugestimmt oder Kritik an Forderungen geäußert, droht man, den Hahn zu schließen, oder packt die ganz große Preiskeule aus. Das bekommt im Moment vor allem Georgien zu spüren. Das Land zählt künftig über 100 Prozent mehr für die Gaslieferungen aus Russland. Die Regierung in Tiflis, insbesondere Ministerpräsident Surab Nogaideli, hält die Gaspreiserhöhung von 110 auf 235 US-Dollar je 1.000 Kubikmeter für „rein politisch“.

Über die genauen Vereinbarungen und deren Umfang macht Georgien derzeit keine Angaben. Bestätigt werden lediglich die Aussagen von Gazprom-Vizepräsident Alexander Medwedew. Er spricht von drei Verträgen über Lieferungen von insgesamt 1,1 Milliarden Kubikmetern Gas. Gleichzeitig betonte er, dass der Gaspreis auch hätte sinken können. Georgien habe sich jedoch geweigert, Vermögensbeteiligungen an Gazprom zu verkaufen. Gemeint ist damit das Gasnetz des Landes, an dem der russische Konzern offenbar Interesse hat. Die georgische Regierung sucht bereits nach Auswegen. Sie plant, künftig bis zu 70 Prozent des Gasbedarfs über Aserbaidschan zu decken und auch mit dem Iran zu verhandeln. Das wird die ohnehin angespannte Lage zwischen Russland und Georgien kaum bessern. Und die russische Regierung zögert nicht, Gaslieferungen kurzerhand einzustellen. Bestes Beispiel ist die Ukraine.

PODCAST: Armenien: 25 Jahre nach dem großen Beben. Von Christoph Kersting (oe1.orf.at)

Armenien nach dem Erdbeben, Archivaufnahme


Podcast vom 28. November 2013, 18:25

(oe1.orf.at) Im Dezember 1988 bebte die Erde in Armenien, damals noch ein Teil der Sowjetunion. Das Erdbeben dauerte keine Minute lang, doch es hatte furchtbare Auswirkungen: Mindestens 25.000 Menschen starben. Bald darauf wurde Armenien unabhängig; der Krieg mit Aserbaidschan um die Enklave Berg-Karabach folgte - zu viel auf einmal für das kleine Land, das sich von all den Wirren bis heute nicht erholt hat und sich schwer mit dem Wiederaufbau tut.

Am 7. Dezember 1988 um 8.41 MEZ (11.41 Lokalzeit), erschütterten Erdstöße bis zu einer Stärke von 6,8 auf der Richter-Skala weite Teile Armeniens. Noch heute leben Menschen in Notunterkünften oder Hausruinen.

Die Spuren der Naturkatastrophe sind noch immer deutlich sichtbar, besonders in Gyumri, der zweitgrößten Stadt des Landes. Dort leben nach wie vor tausende Familien in riesigen Container-Dörfern. Die Regierung in Jerewan möchte nun aus Gyumri ein IT-Zentrum machen, eine "Techno-City". Bisher ist davon in der Stadt aber nicht viel zu sehen.

ESSEN & TRINKEN: Georgische Restaurants in Deutschland (georgia-insight.eu)

(georgia-insight.eu) Georgische Spezialitäten auch in Deutschland genießen... Nach einer Reise durch Georgien haben sie die kulinarische Raffinesse der georgischen Küche gründlich kennengelernt. Damit Sie auch Zuhause mit Freunden, Verwandten oder Ihrem Partner Georgisch Essen gehen können, haben wir Ihnen die georgischen Restaurants in Deutschland aufgelistet. Gaumardjoss!!! Lassen Sie es sich schmecken!

Georgisches Restaurant in Aalen

Restaurant TAMADA
Adresse: Rathausplatz 5, 73432 Aalen
Aalen-Unterkochen
Tel: 07361 / 52 80990

Georgisches Restaurant in Berlin

Restaurant GENAZWALE
Georgische Spezialitäten
Adresse: Windscheidstraße 14, 10627 Berlin
Tel: 030 / 45 08 60 26
Mobil: 0176 / 633 33 659

Restaurant MIMINO
Adresse: Waitzstrasse 1, 10629 Berlin
Tel: 030 / 318 02 394
Mobil: 0171 / 272 22 32

Georgisches Restaurant in Hanover

Restaurant TAMARA
Adresse: Brüderstr. 2, 30159 Hanover Mitte
Tel: 0511 / 310 41683

Restaurant MARANI
Adresse: Engelbosteler Damm 3, 30167 Hannover
Tel: 0511 / 763 56887 oder 44981780
Mobil: 0151 / 566 81164

Restaurant mit georgischer Küche in Offenbach bei Frankfurt

Restaurant MONTE CRISTO
Russische und Kaukasische Küche
Adresse: Bieberer Str. 61, 63065 Offenbach
Tel: 069 / 80 90 68 76

Georgische Restaurants in München

Restaurant IVERIA
Georgische Spezialitäten & Wein
Adresse: Lindwurm Str. 159a, 80337 München Sendling Tel: 089 / 22 84 39 93
Mobil: 0172 / 88 72 833

Georgische Restaurants in Nürnberg

Restaurant TIFLIS
Adresse: Kirschgartenstr. 4, 90403 Nürnberg
Tel: 0911 / 340 20 9695

Restaurant GURIA
Adresse: Josephsplatz 32, 90403 Nürnberg
Tel: 0911 / 240 3324

Georgisches Restaurant in Saarbrücken

Restaurant TBILISSI, Bar & Lounge
Adresse:Saarstr. 13, 66111 Saarbrücken
Tel: 0681 / 910 056 45

Georgische Restaurants in Soest

Restaurant HATSCHAPURI
Adresse: Wildemannsgasse 1, 59494 Soest
Tel: 02921 / 354 1715

Georgische Restaurants in Weimar

Restaurant OASIS
Georgische Küche
Adresse: Hummel Str. 5, 99423 Weimar
Tel: 03643 / 80 86 425

Georgische Restaurants in Österreich

Restaurant MADIANI
Georgisches Lokal
Adresse: Karmelitermarkt 21-24, 1020 Wien
Tel: 0664 / 456 1217

Café ANSARI
Georgisches Lokal
Adresse: Praterstr. 15, 1020 Wien
Tel.: 01 / 276 51 02

Restaurant SATRAPEZO
Georgische Spezialitäten
Adresse: Marxergasse 5, 1030 Wien
Tel: 01 / 713 0394

Atelier SACHLINK-DUKANI
Weinverkostung & Verkauf
Georgischer Wein und Kultur
Adresse: Yppenplatz 2, 1060 Wien
Tel.: 0699 / 115 133 68

Restaurant BABU
Georgisches Restaurant - Crowne Plaza
Adresse: Hodžovo Námestie 2, 81625 Bratislava
Tel: 421 (2) / 593 480 90

Weitere Tipps für georgische Restraurants in Deutschland, Österreich und der Schweiz nehmen wir gerne entgegen!

Monday, November 18, 2013

CHACHA: Kisljarka: Armee-Wodka mit sanftmütigem Charakter. Von Dmitri Suchodolski (russland-heute.de)

(russland-heute.deDagestans Kisljarka spiegelt die Vielfalt des Kaukasus wider. Der Wodka, der weder aus Weizen noch aus Roggen destilliert wird, vereint den Charakter von Grappa und edlem Whiskey auf einzigartige Weise.

In der Familie der russischen Wodkasorten gibt es einen Sonderfall, der eigentlich gar kein Wodka ist, obwohl er die Bezeichnung trägt. Im Unterschied zu seinen Namensvettern, die aus Weizen oder Roggen destilliert und mit Quellwasser auf trinkbare Stärke verdünnt werden, ist der „Kisljarka" – ähnlich dem Grappa – eine hochprozentige Spirituose (45 Vol. %) aus Traubentrester.

Vom „Dienst"-Schnaps des russischen Heeres bis in die klassische russische Literatur

Wie diese südliche Schönheit in die Wodka-Familie der Nordlichter geriet, ist eine interessante Geschichte. Der Kisljarka hat seinen Namen von der dagestanischen Stadt Kisljar, einer Ansiedlung im Kaukasus mit einer jahrhundertealten Geschichte.

An einer günstig gelegenen Uferstelle des Terek, an der man über den Fluss übersetzte, ließen sich zuerst persische Kaufleute nieder. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tauchte eine Einheit der russischen Palastgarde auf, die die wichtige Handelsader bewachen sollte. Bereits hundert Jahre später bestand die Stadt aus acht verschiedenen ethnischen Stadtvierteln: Außer dem russischen und persischen gab es das armenische und das georgische Viertel, eine kleine Gemeinde getaufter Kaukasier, ein Viertel für die Tschetschenen-Akinzen, die der russischen Zarenkrone dienten, und die Viertel der Tataren und Tscherkessen.

Dieses Bevölkerungsgemisch, das sich hauptsächlich mit Handel und Armeedienst beschäftigte, verfügte über ähnliche Sitten und Bräuche. Insbesondere wurde gern gezecht, wobei die ansässigen Muslime den Christen in nichts nachstanden. Die Weinherstellung war den Bewohnern des heutigen Dagestan von alters her bekannt und sie zeigten eine liberale Haltung den Gesetzen der Scharia gegenüber.

Im 19. Jahrhundert begann die Industrialisierung der bisher auf den Bauernhöfen in der Umgebung von Kisljar praktizierten privaten Weinherstellung. Französische Rebsorten wurden in einem für den Weinbau ideal geeigneten Tal angebaut. Aus den Abfallprodukten, die bei der Weinproduktion entstanden, brannte man massenhaft hochprozentigen Schnaps.

Er galt als firmeneigener Wodka der dort lebenden georgischen Fürstenfamilie Zizianow, die dem russischen Reich, welches das Branntweinmonopol besaß, eine spezielle Lizenz abgekauft hatte. Die Produktion, die bis heute läuft, ist jedoch dem Armenier David Saradschew zu verdanken, der in Westeuropa zum Doktor der Chemie und Handelsberater ausgebildet wurde und in ganz Südrussland als Wohltäter bekannt war.

An den von Saradschew eröffneten Produktionsorten wird der Kisljarka auch heute noch hergestellt, wiewohl die Produktion der lokalen Brennereien schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts einen wohlverdienten Bekanntheitsgrad erworben hatte. Da gab es den „Dienst"-Schnaps für das russische Heer, das den Kaukasus kolonisierte. Über den dort erworbenen Ruf gelangte der Kisljarka in die klassische russische Literatur. Er findet Erwähnung in den Werken von Lew Tolstoi und Nikolai Leskow.

Französische Winzer nutzen vermehrt kaukasische Qualitätsprodukte

Im Vergleich zu anderen Grappa-Sorten hat der Kisljarka einen sehr weichen, ausgewogenen Geschmack mit einer stark ausgeprägten Vanillenote, die der kaukasischen Bergeiche zu verdanken ist. In den aus ihr hergestellten Eichenfässern lagert er zwischen sechs Monaten und einigen Jahren.

Der Kaukasus ist Russlands natürliche, exotische Orangerie: die einheimischen subtropischen Wälder und Bergalmen sind berühmt für ihre biologische Vielfalt. Hier wachsen einige Eichenarten, aber für die Eichenfassherstellung eignen sich vor allem zwei: die Traubeneiche und die Stieleiche. Wie gut ihr Holz für die Weinlagerung geeignet ist, kann man an zwei Fakten erkennen: Das einheimische Material für die Fässer wird immer häufiger von französischen Winzern aufgekauft, die Dauben aus Limousin-Eichenholz mit der kaukasischen Traubeneiche verflechten.

Außerdem ist die kaukasische Traubeneiche der nächste Verwandte der in England wachsenden walisischen Traubeneiche, die als Fassholz für die Whiskeyherstellung verwendet wird und besonders für ihre Vanillenote berühmt ist. Exotik-Liebhaber brauchen allerdings nicht bis ins ferne nördliche Dagestan zu fahren, um diese Spirituose zu probieren, die sich Wodka nennt und in der sich die Qualitäten von Grappa und Single-Malt-Whiskey vereinen.

Der Kisljarka, hergestellt in der 1880 eröffneten Fabrik Saradschews, wird in vielen großen russischen Städten verkauft. Man kann ihn leicht an seiner kräftigen Goldfarbe und an seinem Etikett erkennen, das mit dem Porträt des berühmten russischen Heerführers aus der Zeit der napoleonischen Kriege geschmückt ist: dem Fürsten Pjotr Bagration, dessen Geschlecht ebenfalls mit dem Ort Kisljar verbunden ist.

FOOD & WINE: Georgia lobbies for inclusion of qvevri wine-making method in UNESCO's Intangible Heritage List (hvino.com)

(hvino.com) Georgia is working on inclusion of the country's traditional way of wine making into UNESCO's List of Intangible Cultural Heritage, the Georgian Foreign Minister Maia Panjikidze told journalists after the meeting with the Director General of UNESCO, Irina Bokova in Paris. Georgia's Foreign Minister took part in the work of the 37th session of UNESCO's General Conference.

"We want the tradition of making of the Georgian wine, which is called qvevri wine to be included into UNESCO's List of Intangible Cultural Heritage this year," Panjikidze said.The is sue of giving the status of "Intangible Cultural Heritage" to this method of wine-making was discussed in Tbilisi in February 2012 at the coordination meeting with participation of representatives from UNESCO's National Commission, Patriarchate of Georgia, different agencies, international and non-governmental organizations, as well as Georgian winemakers.

Georgia joined UNESCO Convention for the "Safeguarding of Intangible Cultural Heritage" in 2007. The Georgian folklore has already been included in the list of the world's intangible cultural heritages. Earlier, according to the Georgian president Mikheil Saakashvili's decree, the Georgian qvevri (clay jug for wine) wine was declared a monument of cultural heritage and was granted the category of national importance.

The Intangible Cultural Heritage programme was established in 2008, when the Convention for the Safeguarding of Intangible Cultural Heritage took effect. The UNESCO lists includes, for example, Armenian cross-stones khachkars and Argentinian tango.

POLITIK: Zum Rücktritt des georgischen Generalstaatsanwalts Archil Kbilaschwili. Von Rainer Kaufmann (kaukasische-post.com)



(kaukasische-post.comHintergründe und Fragen

Der Chefankläger Georgiens ist nach nur etwas mehr als einem Jahr Amtszeit zurückgetreten. Normalerweise eine innergeorgische, wenn nicht sogar eine persönliche Angelegenheit. Nicht aber im Falle Archil Kbilaschwili und nicht in Georgien ein Jahr nach dem Regierungswechsel von Saakaschwilis UNM (United National Movement) zu Bidsina Iwanischwilis Georgischem Traum. Schon gar nicht, wenn ganz offensichtlich nicht nur innenpolitische Gründe eine Rolle gespielt haben, wenn es auch eine europäische Komponente gibt. Und viel weniger, wenn man sich erinnert, dass Kohabitationspräsident Micheil Saakaschwili im Juli dieses Jahres die ihm ungeliebte Justizministerin ultimativ aufgefordert hat, den ihm ebenfalls ungeliebten obersten Ankläger des Landes zu entlassen. Ihre Antwort an den Präsidenten damals: “Es ist notwendig, dem Staatsanwalt und dem Richter Respekt zu erweisen, egal ob die Justizministerin oder der Präsident mit den Entscheidungen, die sie treffen, einverstanden sind oder nicht. Richter, Ankläger und Anwälte sind drei Berufsgruppen, die wir zu achten haben, wenn wir wirklich eine unabhängige Justiz wollen.“

Der georgische Hintergrund des Rücktritts

Der heute 42-jährige Archil Kbilaschwili war Rechtsanwalt, bevor er mit der Gründung des Georgischen Traums vor etwas mehr als zwei Jahren in die Politik einstieg. Er hatte auch Bidsina Iwanischwili während der Wahlschlacht 2012 in dessen Prozessen in Sachen Staatsbürgerschaft und Parteienfinanzierung vertreten und regelmäßig eine Schlappe vor Gericht erlitten. Er darf als einer der ganz wenigen engen Vertrauten von Bidsina Iwanischwili gelten. Auch deshalb ist sein Rücktritt, fast zeitgleich mit dem Iwanischwilis vom Amt des Premiers, eine besondere Betrachtung wert.

In seinem Rücktritts-Statement erklärte Kbilaschwili, dass er keine grundsätzlichen Differenzen sowohl mit dem noch amtierenden Premier Iwanischwili als auch mit dem designierten Nachfolger, dem heutigen Innenminister Irakli Garibaschwili, habe. Man sei sich in allen strategischen Fragen einig. Es habe aber Meinungsverschiedenheiten in der Frage gegeben, welches Tempo man bei den notwendigen Reformen der Strafverfolgungsbehörden anschlage. Nach langen Gesprächen mit Iwanischwili hätten beide entschieden, dass er gleichzeitig mit Iwanischwili vom öffentlichen Amt zurücktrete, um zusammen mit ihm und seinem Team in der Zivilgesellschaft weiter zu arbeiten. „Das heißt, ich habe Bidsina Iwanischwili meine Unterstützung versprochen bei der Umsetzung der Aufgaben, die er während seinen weiteren öffentlichen Aktivitäten plant.“ Die ganze Wahrheit?

Die unabhängige Zivilorganisation „Free Georgia“ brachte die inner-georgische Diskussion um Kbilaschwili auf den Punkt: „Vertreter der früheren Regierung und Kbilaschwilis Kollegen vom regierenden Georgischen Traum waren mit seiner Arbeit gleichermaßen unzufrieden. Die ersten beklagten sich darüber, dass er hochrangige frühere Regierungsvertreter ohne Grund in Untersuchungshaft genommen hat, die anderen sind unglücklich darüber, dass er nicht in der Lage gewesen ist, Gerechtigkeit im Lande wieder herzustellen.“

Es war sicher eine der schwierigsten Aufgaben der neuen Administration, die Archil Kbilaschwili vor einem Jahr übernommen hatte. Tausende von Anzeigen gegen Vertreter der Regierung Saakaschwili stapelten sich plötzlich in den Registraturen der Staatsanwaltschaften, die abzuarbeiten noch Jahre dauern wird. Die Unzufriedenheit der Kläger, die alle eine schnelle Behandlung ihrer Einzelfälle wollten, war vorprogrammiert. Es handelt sich vor allem um unzählige Fälle von Erpressungen und illegalen Enteignungen, die Privatleute der vorherigen Regierung und ihren Vertretern anlasten. „Die Zeit ist gekommen, in der der Staat eine klare Aussage machen muss, wie er mit diesen Fällen umgeht“, sagte der scheidende Chefankläger. Es handelt sich auch um einige Fälle von vermuteter Schwerstkriminalität, die bis heute noch nicht aufgeklärt sind.

Ein anderes Problem, mit dem Kbilaschwili zu kämpfen hatte, war die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft unter Saakaschwili nahezu alle Gerichtsentscheidungen nach ihrem Willen gestalten konnte. Richter hatten oft genug keine andere Möglichkeit, als dem Antrag der Staatsanwaltschaft, vorgegeben vom allmächtigen Justizminister, zu folgen. Dieser hat Georgien gleich nach der Wahlniederlage von Saakaschwilis Partei fluchtartig verlassen.

Am Rande einer Richterkonferenz der GIZ im Jahr 2011 war der Präsident des Obersten Gerichtshofs Georgiens, Konstantin Kublaschwili, sogar stolz darauf, dass es bei den Strafgerichten nur zwei Prozent Freisprüche gäbe. Dies begründete er mit der besonderen Qualität der Richter und der Ermittlungsbehörden. Die Anwälte, räumte er ein, seien eben fachlich nicht annähernd so qualifiziert wie die Staatsanwälte. Der jetzt scheidende Generalstaatsanwalt war zu diesen Zeiten qualifizierter Rechtssprechung ein in Insiderkreisen bekannter Anwalt.

Renate Winter, eine pensionierte österreichische Richterin und Leiterin des EU-Projektes „Capacity Building in Support of Rule of Law in Georgia“ erklärte damals im GIZ-Magazin „Aspekte“ dieses Phänomen damit, dass vor allem die Richter der ersten Instanz sich immer wieder an den „Guidelines“ des Obersten Gerichtshofes orientierten statt eigenständige Urteile zu verfassen. Die Datenbanken aller Justizorgane, der Staatsanwaltschaften und aller Gerichte waren in der zentralen Datenbank des Justizministers zusammen gefasst. Dieser, ein enger Vertrauter Saakaschwilis und qua Verfassung jeglicher Kontrolle durch das Parlament enthoben, konnte mit solchem Wissen Einfluss nehmen auf alle Verfahren. Kbilaschwili und die neue Justizministerin Tea Tsulukiani, haben zunächst einmal dieses Netzwerk zerschlagen. Die alten Staatsanwälte und die alten Richter aber sind nach wie vor im Amt, wenngleich nicht mehr digital vernetzt und gesteuert. Das sollte neuen Freiraum geben für eine wirklich unabhängige Justiz.

Seine Hauptaufgabe sei es gewesen, die totale Kontrolle der Justiz durch die Regierung zu überwinden, sagte Kbilaschwili bei seiner Abschiedspressekonferenz. Dass es dabei auch Unzulänglichkeiten gegeben habe, die er nicht übersehe, schon gar nicht gut heiße, räumte er ein. Aber es sei jetzt notwendig, die „repressive Rolle der Staatsanwaltschaft zu überwinden und ein neues, ein europäisches Modell der Strafverfolgungsbehörden zu entwerfen.“ Eine neue Politik bei der Bekämpfung der „weißen Kriminalität“ bezeichnete er als die Ouvertüre all der Reformen, die jetzt anstehen. Zur Erinnerung: Gleich nach der Niederlage im Oktober 2012 hatte Saakaschwili einen Gesetzesentwurf im Parlament eingebracht, mit der eine Amnestie für alle Wirtschaftsvergehen der letzten Jahre erlassen werden sollte. Das Parlament lehnte das Gesetz ab.

Unterstellt, Kbilaschwili wird wieder die Rechtsvertretung Iwanischwilis übernehmen, könnte es bald zu dem einen oder anderen Auftritt Kbilaschwilis vor Gericht kommen. Dann eben auf der anderen Seite des Verfahrens, als Anwalt. Nicht ausgeschlossen, dass sich beide in ihren langen Gesprächen über den Rücktritt bereits darauf verständigt haben. Denn Iwanischwili hatte im Parlamentswahlkampf immer wieder betont, dass jeder, der sich geschädigt fühlt, das Recht bekommen muss, vor einem ordentlichen und freien Gericht Klage zu erheben. Sind da nicht noch einige Rechnungen des Milliardärs und seines früheren Anwaltes mit dem georgischen Staat offen?

Der europäische Hintergrund des Rücktritts

Unter Druck geraten ist Kbilaschwili vor allem wegen seiner immer wiederholten Ankündigungen, gegen hochrangige Offizielle der Regierung Saakaschwili zu ermitteln und diese in dem einen oder anderen Fall zunächst als Zeugen einvernehmen zu wollen, auch den scheidenden Präsidenten nach Ende seiner Amtszeit. Aber manch eine Zeugenvernehmung endete im letzten Jahr in der Untersuchungshaft, wenngleich dies immer wieder durch ein Gericht bestätigt werden musste. Nicht immer sind die Gerichte Kbilaschwilis Anklägern gefolgt, ein Novum in der georgischen Justiz. Aber genau das machten ihm Freunde aus dem Georgischen Traum zum Vorwurf.

Entscheidender waren jedoch die Reaktionen im Ausland. Von selektiver Justiz war die Rede, von der rein politisch motivierten Verfolgung früherer Regierungsvertreter Prominentester Fall: Wano Merabischwili, einst allmächtiger Innenminister und kurzzeitig Premier, der seit Monaten in Untersuchungshaft sitzt und sich gleich mehreren Gerichtsverfahren stellen muss. Vor allem Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Zusammenschluss der konservativen Parteien in den europäischen Institutionen, wurden bis heute nicht müde, der neuen Regierung und ihren – eigentlich doch unabhängigen – Justizorganen nichts anderes zu unterstellen als Rachejustiz. KaPost-online hat mehrfach darüber berichtet.

Nach dem Wahlsieg Margwelaschwilis hat Europa noch einmal kräftig zugelegt, nicht zuletzt deshalb, darf man vermuten, weil Micheil Saakaschwili die letzten Tage seiner Amtszeit nutze, in Brüssel noch mehrfach vorstellig zu werden. Zweimal innerhalb von nur neun Tagen jettete er in die europäische Hauptstadt, um dort vor allem Repräsentanten der EVP zu treffen: Manuel Barroso, Vorsitzender der EU-Kommission, und Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates. Und bei jedem dieser Treffen wetterte Saakaschwili auch öffentlich gegen die Verfolgungsjustiz der derzeitigen Regierung. Der Hintergrund: Saakaschwilis Partei, die UNM, hat bei der EVP einen Beobachterstatus, sie gehört nach Aussagen aus der EVP zur „politischen Familie“ der Konservativen in Europa.

Manuel Barroso hat in einer Pressekonferenz mit Saakaschwili die georgische Regierung recht unvermittelt davor gewarnt, nach Ende von dessen Amtszeit rechtliche Schritte gegen den scheidenden Präsidenten zu einzuleiten. Dies könne, siehe der Fall Ukraine und Timoschenko, erhebliche Auswirkungen auf das Assoziierungsabkommen zwischen Georgien und der EU auf dem EU-Nachbarschaftsgipfel in Vilnius Ende November haben. Ähnlich direkt äußerten sich auch Van Rompuy und der schwedische Außenminister Bildt, auch ein Konservativer, der bei einem Besuch in Tiflis erklärte, das Verhältnis Georgiens zu EU werde sich in ein weitaus schlechteres Szenario verwandeln als das der Ukraine mit dem Fall Timoschenko, wenn eine Untersuchung gegen Micheil Saakaschwili eröffnet wird. Dies habe er Iwanischwili sehr deutlich gesagt.

Die anderen politischen Kräfte in Europa schweigen, auch die in der politischen Familie der EVP, die – bei all seinen Verdiensten – ein differenzierteres Bild vom scheidenden Präsidenten haben. Angela Merkel, zum Beispiel, aber auch Liberale, Sozialdemokraten und Grüne in Europa.

Fragen an einige europäischen Politiker

Dabei handelt es sich bei den – vor allem parteipolitisch – einseitigen Einlassungen aus Brüssel um einen nahezu unverfrorenen Erpressungsversuch gegenüber der georgischen Regierung und ihrer Justiz. Vor allem entspricht der Adressat, die georgische Regierung, wohl kaum einem europäischen Rechtsverständnis, nach dem die Justizbehörden unabhängig von ihrer Regierung entscheiden, welche Ermittlungen und Verfahren sie einleiten oder nicht. Unter Kbilaschwili und Tea Tsulukiani, der Justizministerin, haben die georgischen Strafverfolgungsbehörden zumindest ansatzweise versucht, genau diese Unabhängigkeit wieder zu gewinnen, die sie unter der Datenbank-Kontrolle des früheren Justizministers niemals hatten. Sollte Europa diesen Anspruch zumindest bis zum wirklichen Beweis des Gegenteils nicht einfach respektieren und unterstützen? Was soll denn etwa ein deutscher, von der Bundesregierung entsandter Rechtsberater antworten, wenn ihm georgische Richter und Staatsanwälte die Brüsseler Einlassungen vorhalten? Und was soll ein georgischer Staatsbürger von Europa und seinen Standards, von Werten nicht zu sprechen, halten, wenn er diese Einmischungen höchster Repräsentanten des politischen Kontinents in die georgische Justiz zur Kenntnis nimmt?

Hat sich etwa das Verhältnis der Bundesrepublik zu EU dramatisch verschlechtert, weil ein Staatsanwalt gegen den damals amtierenden Bundespräsidenten Wulff ermittelte, der sich demnächst als Ex-Präsident wegen einer Belanglosigkeit von Vorteilsnahme, verglichen mit den Anschuldigungen in Georgien, vor Gericht wieder findet? Oder hat sich etwa das Verhältnis Italiens zur EU dramatisch verschlechtert, weil der frühere Ministerpräsident Berlusconi ein verheerendes Gerichtsurteil nach dem anderen kassiert?

Die EU und ihre Mitgliedsländer haben in den letzten Jahren Millionen Euro unter anderem auch dafür ausgegeben, die georgischen Justizbehörden an EU-Standards heranzuführen. Archill Kbilaschwili war noch vor wenigen Wochen mit einer Delegation georgischer Staatsanwälte in Berlin und Karlsruhe beim dortigen Bundesanwalt, um sich über die unabhängige Rolle der Ermittlungsbehörden im deutschen Rechtssystem zu informieren. Wie würde ein deutscher Bundesanwalt reagieren, wenn ihm einseitige Parteipolitiker aus Brüssel und das mit der Autorität ihres EU-Amtes ähnliche Vorhaltungen machen würden und er sich aus übergeordneten außenpolitischen Zwängen nicht dagegen wehren könnte? Er würde vermutlich zurücktreten.

Europa hat in Georgien mehr zu verlieren als nur sein Gesicht. Europa hat zu lange und gegen besseres Wissen an „Micheil Saakaschwili und sein Team“ geglaubt, weil viele in Europa nicht damit gerechnet haben, dass die Georgier an den Wahlurnen ihre eigene Entscheidung über dieses Team treffen. Und viele in und aus Europa haben über Jahre einfach weggesehen statt mit umsichtiger Diplomatie zu reagieren, wenn in Georgien etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Jetzt klotzt Europa, zumindest diejenigen klotzen, die derzeit für Europa sprechen. Wann hat es jemals in den letzten zehn Jahren so deutliche Belehrungen an die georgische Regierung gegeben wie sie jetzt Iwanischwili und sein Team hinnehmen müssen? Wird das anfällige Pflänzchen der Unabhängigkeit der georgischen Justiz auf dem Altar von Vilnius geopfert, an dem die EVP allein die Ministranten stellt? Und kann man es Iwanischwili verdenken, wenn er vielleicht auch deshalb zu früh resigniert, weil er nicht weiter den Lehrbuben für europäische Parteipolitiker geben will, die das Wohl ihrer “politischen Familie” über den eindeutigen Wählerauftrag in Georgien stellen, eine unabhängige Justiz zu etablieren?