Persönliche Betrachtungen von Thomas Melzer (Baku)
„Sari gelin. Mugham-Jazz aus Aserbaidschan“, den aktuellen Dokumentarfilm des deutschen Produzenten Klaus Bernhardt („das apartment“), muss man sich wie eine klingende Ansichtskarte vorstellen. Von ortskundigen Guides geführt, trifft Bernhardt sich in Baku mit zahlreichen Musikern, die jene freie Spielart der hier verwurzelten Musik praktizieren, in deren traditioneller Urform bereits notierte neben improvisierten Passagen stehen. Das Genre bleibt für fremde Ohren von Natur aus eher sperrig, anders etwa als der karibische Son, der 1999 durch Wim Wenders‘ Dokumentation „Bueno Vista Social Club“ ein weltweites Revival erfuhr. So scheint zweifelhaft, ob die Rechnung des Kulturdepartements im aserbaidschanischen Ministerium für Kultur und Tourismus, das den Film mitfinanziert hat, aufgehen wird, zur Popularisierung des weithin unbekannten Mugham-Jazz‘ außerhalb der Landesgrenzen beigetragen zu haben. In den Tourismusabteilungen desselben Hauses aber dürfte man sich freuen. Bernhardts Film besticht durch schöne Bilder, Postkartenmotive des alten und neuen Baku, meist nicht laufend, sondern in einer Art Diaschau aneinandergeschnitten. Das allerdings ist das erste Problem des Films.
So eindrucksvoll die neuen Flammentürme sind, deren Silhuette seit einigen Jahren die Skyline der Stadt dominiert – als Sinnbild für ein Lodern des im Orient wurzelnden Mugham-Jazz‘ taugen sie nicht. Im Gegenteil. Die moderne Architektur der Stadt spiegelt eine oft geschichtsvergessene Hinwendung zum Lebensstil des Westens. „Es hängt von Ihrem Verhalten ab, meine Kinder, ob unsere Stadt zum fortschrittlichen Europa oder zum rückständigen Asien gehören soll“, lässt Kurban Said in seinem Roman „Ali und Nino“ im Jahre 1917 den Rektor des kaiserlich russischen humanistischen Gymnasiums zu Baku sagen. Die Nachgeborenen haben sich klar entschieden. Der Kristallpalast, Veranstaltungsort des Eurovision Song Contests 2012, ist Form gewordener Pop. Unter der glänzenden Oberfläche der Stadt ist Mugham-Kultur kaum zu finden, obwohl immerhin eines der gelungensten neuen Gebäude, zudem in bester Boulevardlage, dem Mugham als „Centre“ gewidmet wurde. Bernhardt hätte sich einmal dessen Spielplan zeigen lassen sollen – er wäre ernüchtert gewesen. So wie wir, als wir vor zwei Jahren in jener Stadt eintrafen, der der Ruf der (post)sowjetischen Jazzhauptstadt noch immer vorauseilte. Die „verrauchten kleinen Jazzkeller, in denen die Musiker wie vereinsamte Gnome saßen und an ihren vertrackten Beats und Harmonien werkelten“, die der Journalist Ingo Petz in seinem 2008 erschienenen Buch „Kuckucksuhren in Baku“ noch beschrieb, fanden wir schon nicht mehr vor. Den „Karavan Jazz-Klub“, Lieblingsclub der Verfasser des Standard-Reiseführers Aserbaidschan (Trescher Verlag), habe ich – mit der aktuellen Ausgabe in der Hand – lange vergeblich versucht.
Dem Bakuwinischen Jazz droht akut der freie Fall in die Bedeutungslosigkeit, worüber nur auf den ersten Blick hinwegtäuschen kann, dass er im „Jazz Center“ noch immer eine stattliche Bühne exklusiv bespielt. Dort drehte auch Bernhardt. Hat er nicht bemerkt, dass hier hochklassige Musik oft gegen den kumulierten Gesprächssound einer zeigefreudigen Schickeria ankämpfen muss, deren Smartphones mehr Beachtung finden als das Geschehen auf der Rampe? Schon Petz hatte sich gewundert, dass da ein Pianist „spielte, als ginge es um sein Leben – aber niemand, niemand da draußen hörte dem armen Hund zu.“ Im Film wirkt die Bakuer Jazzwelt in schönster Ordnung. Wenige Wochen vor seiner Uraufführung im Nizami-Kino, Ende Oktober, ging das jährliche Jazzfestival zu Ende. Am fettesten gedruckt auf den Festivalplakaten war der Bandname „Kool and the Gang“. Mehr muss man über Jazz in Baku im Jahr 2012 nicht wissen.
Interessant ist, dass vorstehender Befund nur für den Mugham-Jazz gilt, nicht aber für die traditionelle Mugham-Musik. Sie wird in Aserbaidschan unverändert gespielt und geliebt. In aserbaidschanische Behörden-Kantinen kann man beobachten, wie in den allgegenwärtigen Fernsehgeräten vier traditionell gekleidete Männer auf Ud, Sass, Tar und Nagara musizieren – während zehn Männer vor dem Bildschirm das Ende ihrer Mittagspause vergessen. Selbst in der Grenzüberschreitung zur Moderne setzen die Programmgestalter auf die Legitimation der traditionellen Musik bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber dem Jazz. Zu der Reihe Bizimkiler des Fernsehsenders ANS wurde nicht ein einziger Jazzmusiker eingeladen, westliche Hits wie Michael Jacksons „They don’t care about us“ oder Deep Purples „Smoke on the water“ mit den Stilmitteln des Mugham zu interpretieren, sondern durchweg Vertreter der klassischen Fraktion. Und ausgerechnet auf der Fanmeile des Eurovision Song Contests tanzten junge Burschen im Mai dieses Jahres zu traditionellen Mughamklängen aus ihren Mobiltelefonen gocklige Tänze.
Wann und warum aber ist der Jazz abgehängt worden? Der Film verhält sich längst wie ein Besucher, der seine Gastgeber ins Herz geschlossen hat und ihnen deshalb kritische Fragen erspart. Oder ließ das Budget einen längeren Aufenthalt des Filmteams in Aserbaidschan nicht zu, der einen tieferen Blick und derartige Fragen erst ermöglich hätte?
Was die Dokumentation sympathisch macht, ist ihr loyales Bekenntnis zu der missionierten Musik. Dieser wird Zeit gegeben, in mehr als populistisch leichtverdaulichen Häppchen. So kann man den aserbaidschanischen Starpianisten Isfar Sarabski am Klavier so vergrübelt und beseelt erleben, wie man ihn auf der Bühne – dort zunehmend der Hochgeschwindigkeit verpflichtet – lange nicht sah. Professor Farhad Badalbayli, Rektor der Musikakademie Baku, erklärt anschaulich, dass im Mugham-Jazz die Entwicklung eines Themas schon mal 40 Minuten dauern kann. Dass der Film hier an die Grenze stößt, seinen Gegenstand wirklich nacherlebbar zu machen, ist ihm nicht vorzuwerfen.
Aber doch dieses: Warum wirkt er häufig so steril? Da musizieren Alim Gasimovund seine Familie im Innenhof ihres Hauses auf einem Teppich, das Filmbild wird wunderbar gerahmt durch die vom typischen Bakuer Wind immer wieder vor das Objektiv geschobenen Zweige – doch die Ohren vernehmen nichts davon, keine natürliche Atmosphäre. Und gern hätte man von den Gastgebern mehr erfahren über ihr Leben in und mit der Mugham-Musik, über ihren sozialen Stand als Musiker in Aserbaidschan. Sollte da beim Schnitt im Zweifel die Entscheidung zugunsten längerer Klangbeispiele gefallen sein, wäre dies nicht zu beanstanden. Frevel allerdings bleibt die banale Darstellung von Rain Sultanov, einem der wohl berühmtesten lebenden Jazzmusiker Aserbaidschans – und außerordentlich intelligenten (auch des Deutschen mächtigen) Gesprächspartners zudem. Er ist der verbliebene Aktivist des aserbaidschanischen Jazz‘. Neben seinen zahlreichen CD-Aufnahmen und regelmäßigen Konzerten – in Baku häufig in Gruppierungen mit seinen ebenfalls Jazz spielenden drei Brüdern - gibt er mit seiner Frau halbjährlich ein Jazzmagazin heraus, veröffentlichte CD-Anthologien, organisierte ein aserbaidschanisch-deutsches Jazzfestival und verkörpert die Legende vom „Jazzland Aserbaidschan“ auf internationalen Messen, u.a. der Jazzahead! in Bremen. Was hätte er erzählen können!
Stattdessen reist das Filmteam plötzlich zu den Schlammvulkanen von Gobustan. Dort gibt weder Mugham- noch sonstige Musik, aber schöne Slow-Motion-Bilder platzender Schlammblasen. Dann ist der Film zu Ende. Seine Chance wird vielleicht sein, dass man in der Mitte Europas über das aufstrebende Land am Kaspischen Meer noch immer wenig weiß. Als Denkmal für den Mugham-Jazz allerdings ist eine Ansichtskarte zu wenig.
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