Entdecker: Ramsan Wogapow (rechts) und Said-Emin Dschabrailow © Diana Laarz |
Ein Anruf bei einem Freund, der ab und zu an der tschetschenischen Staatsuni eine Vorlesung hält. Ja, die Herren Entdecker sind wohlbekannt. Der Freund fährt mit dem Auto vor. Wir lesen den Geologen Said-Emin Dschabrailow am Straßenrand auf. Der schüttelt einem so schwungvoll die Hand, dass man meint, die Erschütterungen im Körper noch Sekunden später zu spüren. Das Auto ist zu klein für das tosende Lachen dieses Mannes.
Im geografischen Institut, in einem Büro mit zusammengeklaubten Sowjet-Möbeln, wartet sein Kollege Ramsan Wogapow auf uns. Die beiden Männer fallen einander in die Arme, zwei mächtige Brustkörbe krachen aufeinander. "A salam alaikum, mein Bruder." Ruck, zuck stehen Waffeln, Tee, Apfelschnitze und Konfekt auf dem Tisch. Jetzt sollen die beiden mal erzählen, wie das ist mit den Dinosaurier-Eiern in Tschetschenien.
Mit dem Erzählen wird es dann erst einmal doch nichts. Jedenfalls reden wir nicht über fossile Funde, sondern bewundern stattdessen die alpinen Leistungen von Said-Emin Dschabrailow. Er ist der erste Tschetschene, der mit über 50 Jahren den Kaukasusgipfel Kasbek bestiegen hat, wofür ihn die größte Schautafel auf dem Flur des Instituts in allen Einzelheiten feiert. Und die Dino-Eier? "Besser ist, wir zeigen sie dir", sagt Ramsan Wogapow. Bald darauf sitzen wir in seinem Lada Niva, dessen ursprüngliche Farbe kaum zu identifizieren ist, vermutlich Weiß, jetzt schlammfarben. Grosny verabschiedet uns mit einem letzten Lichtflackern aus den Fenstern der Wolkenkratzer. Vor uns liegt eine braune Landschaft, der ein heißer Sommer schon alle anderen Farben ausgebrannt hat. Wir rumpeln mitten hindurch.
Um es gleich vorweg zu sagen: Es handelt sich bei den 46 kugelförmigen Versteinerungen, die im April in einer Felswand im Kaukasus entdeckt wurden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht um Dinosaurier-Eier. Martin Sander, Paläontologe am Steinmann-Institut der Universität Bonn, genügt ein Blick auf eines der Bilder aus Tschetschenien, um festzustellen: Keine Eier. Er erkenne vielmehr eine sogenannte Konkretion, ein Mineralaggregat, das sich manchmal um einen organischen Stoff, also zum Beispiel ein modriges Stück Holz, bildet.
Martin Sander kennt sich aus. Seit Beginn der Dino-Manie, also seit etwa 20 Jahren, kommen Menschen in sein Institut, legen kugelige Steine auf seinen Schreibtisch und sagen: "Ich habe ein Dinosaurier-Ei gefunden." Sander sagt dann immer: "Keine Schale, kein Ei." Die äußerste Mineralienschicht müsste bei einem fossilen Ei deutlich zu erkennen sein. Und so sagt Martin Sander auch zu den Bildern aus Tschetschenien: "Keine Schalen, keine Eier."
Nach dem Sprengen der Wand lugten plötzlich Kugeln aus dem Fels
Was heißt das jetzt für die beiden tschetschenischen Geologen, die mit röhrendem Motor den Kaukasus erklimmen? Eine Wolke Staub hinter sich herziehend, auf dem Weg zu ihren berühmten Dinosaurier-Eiern. Es heißt vor allem, dass sie es leid sind, in einem Landstrich zu leben, bei dessen Erwähnung alle außerhalb der Grenzen an Krieg, Terroristen und den Präsidenten Ramsan Kadirow denken, in beliebiger Reihenfolge. Beide verziehen ihre buschigen Augenbrauen zu Weltschmerzbögen, wenn sie beklagen, dass kaum jemand weiß, wie viel mehr dieses Tschetschenien doch zu bieten habe. Wenn sich der Rest der Welt nur einmal dafür interessieren würde. 100 Millionen Jahre alte Eier eines Brontosaurus wären ein guter Anfang.
Ramsan Wogapow war mal Studentenmeister im Ringen. Seine Fingerknöchel sind von den vielen Kämpfen vernarbt. Von der Entdeckung der runden Steine im April 2012 berichtet er etwa so: Während einer Expedition zu den Wasserfällen des Kaukasus übernachteten eine Gruppe der Universität und ein Kamerateam des lokalen Fernsehens in einer Jägerhütte. Ein guter Bekannter aus der Verwaltung eines nahen Dorfes kam vorbei und berichtete von seltsamen Steinen in einer Felswand. Man hatte die Wand gesprengt, um Platz für eine breitere Straße zu machen. Nun lugten Kugeln aus dem Felsen. Kurze Zeit später stand der bekennende Dinosaurier-Fan Wogapow eine Weile vor der Wand, überlegte hin und her, erinnerte sich an die Fachbücher in seinem Regal, in denen steht, dass Dinosaurier erwiesenermaßen Eier gelegt haben, und sagte schließlich: "Mir fällt keine andere Erklärung ein, das sind wohl Dinosaurier-Eier." Und alle drumherum stimmten zu. Das Kamerateam hielt drauf.
Versuch eines Fachgesprächs über Dinosaurier-Eier
Auffällige Konkretionen: Die größten sind einen Meter groß © Tino Künzel |
"Ich habe nachgedacht. Große Dinos müssen sehr große Eier gelegt haben"
Vor dem Schlafengehen wirft Said-Emin Dschabrailow noch seine Angel in einen Gebirgsfluss. Als er nichts fängt, schärft er an einem Stein das Messer, das er am Gürtel trägt, so lange, bis er sich die Härchen vom Handrücken säbeln kann. Dschabrailow sammelt Messer. "Kennst du einen Tschetschenen, der keine Messer liebt?", fragt er. Soll heißen: So einen Tschetschenen gibt es nicht.
Die Tour am nächsten Tag führt uns immer tiefer hinein ins Gebirge. Wir stoßen auf Straßensperren, an denen große Männer in Uniformen ihre Maschinengewehre präsentieren. "Klappe halten und Fotoapparat runter", zischt Ramsan Wogapow vom Fahrersitz nach hinten. Dann sehen sie, dass die Männer Freunde eines Freundes eines Freundes sind, "tschetschenische Brüder". Wogapow umarmt alle reihum, Dschabrailow schnorrt ein paar Zigaretten, auf der Rückbank hält jemand trotzdem lieber die Klappe.
Auf den letzten Kilometern vor dem Ziel dann der Versuch eines Fachgesprächs über Dinosaurier-Eier mit – nun ja – den Ei-Experten:
"Wissenschaftler sagen, die theoretische Obergrenze für die Größe eines Eis liegt bei maximal 50 Zentimetern, wahrscheinlich drunter. Andernfalls müsste die Eierschale viel zu dick sein, um die Stabilität zu gewährleisten. Ihre Funde sind bis zu einem Meter groß. Macht Sie das nicht stutzig?"
Ramsan Wogapow: "Ich habe darüber nachgedacht. Große Dinosaurier müssen wohl sehr große Eier gelegt haben."
"Experten aus Moskau werden mit dem Satz zitiert, selbst Erstsemester eines beliebigen geologischen Instituts würden auf den ersten Blick erkennen, dass es sich um Konkretionen handelt. Kränkt Sie diese Meinung?"
Said-Emin Dschabrailow: "Die in Moskau haben Anweisung, unsere Entdeckung nicht anzuerkennen. Wenn wir recht hätten, müsste die gesamte Geschichte umgeschrieben werden.
"Warum?"
Wogapow: "Weil man bislang davon ausgeht, dass es im Kaukasus gar keine Dinosaurier gegeben hat."
"Wenn jetzt die Geschichte umgeschrieben werden müsste, das wäre gut?"
Wogapow: "Ja, das wäre toll."
Hinter einer Kurve zwischen den Dörfern Scharoj und Chimoj hält der Lada knirschend an. Wir steigen aus. "Unsere tschetschenische Regierung möchte doch auch so gerne, dass es Dinosaurier-Eier sind", raunt Said-Emin Dschabrailow, so leise, dass es sein alter Freund Ramsan nicht hören kann.
Zunächst sieht man die vermeintlichen Eier gar nicht. Sie liegen im Schatten der grellen Mittagssonne. Es sind Steine, die aus einer glatten Wand ragen. Sie sind perfekt oval geformt, ihre Oberfläche schimmert samtig. Said-Emin Dschabrailow und Ramsan Wogapow sind schon ein paar Meter in die Höhe geklettert. Sie wirken sehr stolz, sie tätscheln die Steine, ihre "Dinosaurier-Eier". Es ist ein beinahe zärtliches Bild. Und ein sehr schönes. Auf jeden Fall ist es eine Reise wert.
Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter www.zeit.de/audio
Video: zeit.de
Vor eineinhalb Jahren haben Wissenschaftler im Kaukasus vermeintlich riesige Dinosaurier-Eier entdeckt. Experten aus dem Ausland zweifeln die Echtheit der Funde an. Doch die russischen Geologen halten daran fest.
No comments:
Post a Comment