Saturday, June 21, 2014

ARTIKEL: Georgien auf dem Weg nach Europa. Notizen einer unverfänglichen Beobachterin. Von Tatjana Montik

Sehr bald wird Georgien einen Assoziierungsvertrag mit der Europäischen Union unterzeichnen. Die Nachricht darüber freut mich ungemein. Und ich wünsche diesem wundervollen Land vom ganzen Herzen, endlich die Perspektive einer Angliederung an die europäische Familie zu bekommen, auch wenn noch unbekannt ist, wann genau dies geschehen wird. Der größte Nutzen dieser Annäherung wird meiner Meinung nach darin bestehen, dass Georgien die politische Nachhaltigkeit und die andauernde demokratische Entwicklung garantiert werden, damit es nach seinem schnellen Reformen-Sprung nicht wieder in die Vergangenheit zurückgeholt wird.

Natürlich habe ich auch gewisse Befürchtungen, die mit der europäischen Integration Georgiens zu tun haben. Freilich bin ich mir dessen bewusst, dass diese Befürchtungen stark emotional gefärbt und deshalb durch und durch subjektiv sind.

Auf meinem Weg aus Wien nach Tiflis über Rom habe ich erneut versucht, die Italiener zu beobachten und sie mit den Georgiern zu vergleichen. Dieses Thema kommt mir übrigens immer wieder spannend vor, und ich unterhalte mich gerne darüber mit meinen italienischen Freunden, den hiesigen Georgien-Experten.

Doch nun schreibe ich von meinen eigenen Eindrücken.

Die Italiener sind wie die Georgier ein fröhliches, offenes und positives Volk, sie sind einfach im Umgang, sie leben mit Leichtigkeit und Anmut, und sie haben eine bewundernswerte Eigenschaft, aus dem Vollen zu schöpfen und alle Lebensfreuden auszukosten. Dennoch beschleicht mich immer öfter der Eindruck, dass die Italiener in ihrem wunderschönen Land schon länger zu sehr strukturiert, geordnet und standardisiert sind. Ob das mit der europäischen Integration oder mit der Globalisierung zu tun hat?

An dieser Stelle kommt mir ein Vergleich mit gutem italienischem Käse in den Kopf sowie mit den berühmten italienischen Weinen. Praktisch alle davon haben ein so genanntes Qualitäts- und Ursprungszeichen – D.O.C. (Denominazione di origine controllata). Strenge Normen und Standards haben also auch Italien eingeholt, und die Ordnung regiert nicht nur den europäischen Norden.

Doch nach Georgien ist dieser Fortschritt (noch?) vorgedrungen. Und deshalb hört dieses Land nicht auf, uns mit seinen unbekannten Facetten, mit seinen interessanten Produkten sowie mit seinen ungewöhnlichen und kreativen Menschen zu überraschen. Um das alles in vollen Zügen zu genießen, muss man aber gut suchen können. Doch demjenigen, der sie gefunden hat, wird das triumphierende Gefühl eines Erstentdeckers garantiert. So ist es mit dem Käse, mit dem Wein sowie mit den vielen von den Touristenscharen nicht ergangenen Stegen des Landes.

Am Anfang meines Aufenthaltes hier haben mich meine westeuropäischen Freunde oft gefragt, wie es wohl so sein mag, dieses unbekannte Land, Georgien. Daraufhin kam mir eine folgende Antwort in den Sinn, die ich nach wie vor zu geben bereit bin: „Georgien ist eine perfekte Mischung aus Spanien, Italien, Portugal und Griechenland, doch das lange vor all den Globalisierungsprozessen“.

Man kann es auch so ausdrücken: Hier in Georgien wird es einem nicht langweilig. Und vieles birgt hier noch ein Geheimnis und so zieht es seine Erstentdecker erst richtig an. Alles in einem: Das Diamant ist (noch?) nicht geschliffen.

Wohl kein Land, das durch die europäische Integration gegangen ist, hatte es leicht. Auf vieles musste man verzichten, vieles musste man ändern, einiges war einfach zu vergessen. Eine Symbiose ist oft mit Schmerzen verbunden. Deshalb ist es wichtig, seine Grenzen zu erkennen und diese nicht zu überschreiten.

Ein österreichischer Freund von mir verbringt seinen Urlaub unglaublich gerne in Georgien. Alleine die georgische Küche wäre für diese Vorliebe Grund genug. Doch noch mehr Spaß hat er dabei, selber mit georgischen Lebensmitteln zu kochen, nachdem er die ursprünglichen und natürlichen einheimischen Obst und Gemüsesorten eingekauft und dessen Aromen und den unnachahmlichen Geschmack in vollen Zügen genossen hat. Deshalb war ihm die Nachricht von der europäischen Assoziierung Georgiens keine besonders willkommene. „Na so was! Bald ist mein geheimes Gourmet-Paradies wohl zu Ende“, bemerkte er mit trauriger Stimme. Ich hoffe sehr, er hat damit nicht Recht.

Ich werde hier keine Liste mit den georgischen Markenzeichen materieller, geistiger und menschlicher Natur zusammenstellen, die durch die europäische Assoziierung gefährdet werden könnten. Dafür würde ich gerne zum Schluss noch etwas anderes anführen.

Im Vergleich mit seinen westeuropäischen Nachbarn gewinnt Georgien noch in einem: Dieses Land ist unglaublich gut zum künstlerischen Schaffen geeignet. Und wissen Sie warum? Denn hier befindet sich vieles noch in potentia: Der Markt ist nicht überfüllt von all dem Nötigen und Unnötigen. Und die Ideen schweben in der Luft. Man braucht sie nur auffangen.

Und noch etwas. Georgien ist ein äußerst meditatives Land, denn hier wird man auf seiner Suche nach dem Wesentlichen nicht abgelenkt.

Auf dem Weg vom Tiflisser Flughafen nach Hause habe ich aus dem Taxi-Fenster rausgeschaut und versucht, Tiflis mit einem frischen Blick zu sehen. Und all meine Vermutungen wurden aufs Neue bestätigt: Tiflis ist wie auch das ganze Land ein ungeschliffenes Diamant, das insbesondere diejenigen zu schätzen wissen, die Geheimnisvolles und nicht-zu-Ende-Gesagtes mögen. Und ich glaube, ausgerechnet in diesem Potential steckt eine unglaubliche Anziehungskraft.

Der Taxifahrer fing – in der unnachahmlich charmanten Art seiner hiesigen Kollegen – das Gespräch mit mir im Geiste eines perfekten Fremdenführers an: „Lassen Sie uns mal zunächst miteinander bekannt machen. Ich heiße Georgi, und Sie? Sind sie zum ersten Mal in Georgien?“ – „Me Tatiana var. Tbilisshi vtschovrob“, - antwortete ich schnell. An dieser Stelle merkte ich, wie sich das Interesse meines Visavis an meiner Person schnell erschöpfte (Ich könnte sogar seinen Gedankengang ungefähr nachverfolgen, was ich an dieser Stelle nicht mache).

Ich möchte hoffen, diese Art der Unterhaltung war kein Zeichen der anfangenden Globalisierung Georgiens. Jedenfalls mich würde s nicht erfreuen.

Tiflis, den 12. Juni 2014

No comments: