Sunday, May 29, 2005

RADIO: Marktplatz der Sensationen. Von Ralph Hälbig

Manuskript gesendet April/2004 auf dem SWR


In Weimar auf einer Bank sprach ein Freund nach einer langen Pause davon, dass er einmal verliebt war. Tamara kam aus Georgien. Nun verstand ich Martins mysteriöse Reise: denn er fuhr einmal unbeirrt quer durch das Land, in dem damals Rebellen ihr Unwesen trieben. Sein Ziel war der fruchtbare Kaukasus, den er niemals erreichte. Am dritten Tag war es zu gefährlich und er kehrte um. Viel erfuhr ich nicht von diesem Land. Und als ich Jahre danach ebenfalls nach Georgien aufbrach, gab er mir einen Rat - unbedingt zu den Händlern und Viehtreibern zu gehen.

Als ich in Tiflis war, wohnte ich bei der Familie Gambashidze. Oft dachte ich an Martins Worte. Doch die Gastfreundschaft war ein festes Band. Zwar sah ich täglich das exotische Obst, Taschen voller Gemüse, Fladenbrote und Büffelkäse - Schweinsköpfe, Flaschen mit Wein und Brandy und lebende Hühner mit zusammengebundenen Beinen. Als Gast durfte ich dabei sein, wie diese Vorräte in der Küche zubereitet wurden. Doch wusste ich nicht, von woher sie Ludmilla heranschaffte. Als ich nach Tagen anmeldete, dass ich die Märkte sehen wolle; und gleich auch den berüchtigten Schwarzmarkt in Zchinvali und den hiesigen Trödelmarkt, hieß es, warum ich mich dieser Tortur aussetzen wolle, wenn es daheim am schönsten sei.

Am nächsten Tag nahm mich dann Ludmila mit in den Bahnhofsbezirk. Dort traute ich meinen Augen nicht. Da die Ladenmieten damals noch in staatlicher Hand waren, wimmelte beinahe halb Georgien an Ständen herum, die draußen vor den leeren Geschäften aufgebaut waren. Es war ein unendliches Labyrinth. Zwar fehlte der Luxus, doch hinsichtlich der Alltagswaren blieben keine Wünsche offen. Hier verlor ich Ludmila und irrte durch das Gedränge und Marktgeschrei. Meine Augen stöberten in Klamotten, Lederwaren, Büchern, Spielzeugen und Haushaltsgeräten. Ich probierte die geheimen Rezepte des Sirups: Kamille, Estragon, Zitrone und Minze. Schäbige Wolgas voller Melonen, Lastwagenladungen mit Kartoffeln säumten meterlange Lebensmittel- und Warentheken. Das war eine riesige Wagenburg. Dann lies ich mich treiben und plötzlich kam ich zu dem alten Basar: Junge blonde Russinnen von weit her verkauften die Farbpalette von Gewürzen, Blumen und Kräutern. Geifernde, fette Weiber aus Mengrelien, mit goldenen Zähnen, feilschten daneben um jedes Gramm von ihrem Acker. Und endlich fand ich dann den futuristischen Bahnhof wieder. Auf der Suche nach der Untergrundbahn, ging ich zu der gigantischen Wartehalle. Finstere Mienen mit Pistolen am Gürtel musterten mich am Eingang. Völlig ungeahnt empfingen mich dann hinter den Türen zahllose Vitrinen - voller Schmuck, Geschmeide und Armbanduhren aus einer Zeit, als Georgien sich das noch leisten konnte. Nun wird das alles verscherbelt. Und die Goldschmiede haben hier mit ihrem Werkzeug noch einen Platz gefunden. Sie wollen im Gespräch bleiben.

Bald fand ich die Rolltreppe, die tief in das Erdinnere führte. Unten verlor ich jedoch wieder die Richtung, obwohl ich nur eine Alternative hatte, entweder nach links oder nach rechts zu fahren. Da ich die georgische Schrift nicht lesen konnte und ich somit nicht exakt wusste wo ich aussteigen sollte, vertraute ich meinem Instinkt. Doch dieser verlies mich und so fuhr ich tiefer hinein in die Stadt als ich wolte. Ich beschloss daraufhin nur noch zu Fuß zu gehen. Das Beste ist, sich an den Fluss zu halten. Fußlahm sehnte ich mich in der Mittagshitze nach einer Rast. Und ich glaubte meinen Augen nicht: Fernsehgeräte und elektrischer Kram waren auf Kofferklappen und Motorhauben verteilt - um unvorstellbaren Krempel wurde unter Lorbeerbäumen gefeilscht. In den Baracken war ein Schwarzmarkt der Downloadszenerie. Hier war ein Eldorado für Trödler aller Art. Im Park stand eine Traube von Menschen mit nichts in den Händen. Hier sollen Wohnungen, Kredite und Informationen verklickert werden. Meine Müdigkeit schwand. Unfassbar war für mich, dass man hier den alten und neuen Lebensstandard Georgiens fand: Eine Schatz- und Wunderkammer unter einem staubigen Himmel: Musikinstrumente, altes Glas, Tafelgeschirr, antike Möbel, kunstvolle Waffenschmiede, Malerei, kaukasische und persische Teppiche und selbst Meißner Porzellan – und das alles geschmackvoll arrangiert.

No comments: