Text und Photos von Patricia Scherer
Manche Europäer und die Georgier haben so Einiges gemeinsam. Ihren Sinn für Romantik, der in Europa mancherorts eher mit der Fleischeslust verbunden ist und in Georgien mit der unerfüllten melancholischen Liebe, ihre Tendenz zu spät zu kommen, und ihre natürliche Arroganz. Ich habe einen neuen Freund gefunden. [...].
Er ist Comic-Held in der Tradition [..]. Oft muss ich schmunzeln, wenn er in seinem gedrungenen kleinen Körper, gestresst, geschäftig, schnauzbärtig und in Eile doch noch einen charmanten Satz hervorbringt. Ein bisschen zu dick aufgetragen für meinen Geschmack, aber das scheinen nicht nur manche Europäer mit den Georgiern auch gemeinsam zu haben: Wenn man einer Frau schon Komplimente macht, dann aber richtig! Mein Freund liebt mich auch ein bisschen - nicht richtig, schließlich hat er Frau und Kinder und ich meine Prinzipien - aber trotzdem: Er schwärmt für diese schrecklich direkte Deutsche mit dem so durchdringenden Blick. "Ihr deutschen Frauen, ihr seid so schrecklich unabhängig und emanzipiert, ihr habt so eine unnahbare Erotik", sagt er in schwer verständlichem Englisch mit Akzent. Ich erröte vorsichtig, auch wenn mir diese Attribute an den deutschen Frauen im Allgemeinen noch nicht aufgefallen sind. Mein Freund scheint Erfahrung auf diesem Gebiet zu haben.
Er und ich haben beschlossen einen Ausflug zu machen - nach Armenien. Seine Angetraute ist in nicht im Land, ihm ist langweilig und ich wollte schon immer nach Armenien. Er kommt natürlich eine Stunde zu spät – die Geschäfte sind nervenaufreibend, zeitaufwendig und dabei auch noch bühnenreifes Spektakel. Das habe ich inzwischen gelernt. Mir erscheinen sie manchmal wie eine schlechte Schmierenkomödie ...
Ich habe ihn nicht bestochen - vielleicht ein bisschen bezirzt mit meinem durchdringenden Blick -, und schon sind wir auf dem Weg nach Armenien. Ella Fitzgerald singt uns ein Ständchen, und ich gebe geballtes Wissen von mir: "Mein Freund - zwei Wege führen nach Armenien. Der eine ist kürzer, geht aber durch Aserbaidschan. Also werden wir nicht ankommen. Der andere ist länger, dafür aber richtig." Papperlapp, schließlich hat er GPS. Armenien und Aserbaidschan streiten sich seit Jahren um Berg Karabakh. Hin und wieder kommt es im Grenzgebiet zu Ausschreitungen, wenn auch nicht zu richtigem Waffengefecht. Die Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien ist geschlossen. GPS ist übrigens eines der vielen Codeworte für nutzloses Männerspielzeug, wie ich als emanzipierte Deutsche später feststellen muss. Also, versuche ich mal ganz Weibchen zu sein, und begebe mich vertrauensvoll in die Obhut meines starken, schlauen, männlichen Begleiters. Schließlich kennt er sich aus - er muss wissen, wo es lang geht. Und das GPS ja auch.
Wir fahren am Flughafen und an Rustawi vorbei, an einer neuerbauten Moschee vor der Kühe weiden. Wir kommen an die georgische Grenze, mit Diplomaten-Kennzeichen an allen anderen Autos vorbei, zeigen unsere Pässe, werden durchgewunken und erreichen die Grenzkontrolle des Nachbarlandes. Diese Militäruniformen, die kommen mir bekannt vor. Dieses Waldmeister-Grün, das kenne ich. Das habe ich irgendwo schon mal gesehen, und in Armenien war ich definitiv noch nie. Ich schaue mich um und denke: das da sind aber komische Buchstaben. Armenische sind es nicht. Ich lese die lateinische Übersetzung. Mein freund ist schon ganz geschäftig dabei Pässe zu suchen und den Beamten zu übergeben. [...] Mein Freund! Dear! This is not Armenia, we are in Azerbaijan! - What? - Regardes, this is Azerbaijan. Lis! - Da steht es in großen Lettern: Welcome to Azerbaijan! "Do you want to go to Baku? - No, I want to go Armenia!" Mein Freund springt aus dem Jeep, und versucht den Beamten unseren Fehler zu erklären. Das Unverständnis ist dem Beamten am Gesicht abzulesen. Als er auch noch hört, dass wir eigentlich nach Armenien wollen, gibt er uns unsere Pässe angewidert zurück. Welch ein Fauxpas! Zu meinem Verdruss bleibt mein Pass ungestempelt, so habe ich wieder keinen Beweis für meine Stippvisite. Schließlich ist das mein zweiter illegaler Grenzübertritt nach Aserbaidschan, und ich fange an mächtig stolz darauf zu sein, dass man mich noch nicht mit der Waffe bedroht hat, oder gar festgenommen. Wir drehen um und fahren zurück über die Grenze nach Georgien. Ich kann mein Gelächter kaum unterdrücken. Und mein Freund kann es nicht fassen, dass sein GPS ihn so fehlgeleitet hat. Es hat ihm nun mal den direkten und schnellsten Weg angezeigt. Spielzeug denkt eben nicht.
Ich gebe nichts auf GPS und hole meine Karte hervor. Es gibt eine kleine Straße, die zur armenischen Grenze führt. Durch georgisches Gebiet, eine Region in dem hauptsächlichen Azeris leben. Die Straße wird bald zu einem Pfad. Eine Gruppe Hirten reagiert auf meine Frage nach dem Weg mit Schulterzucken. Lesen können sie meine Karte nicht, und georgisch verstehen sie auch nicht. Der Fluss weist die Richtung. In vielerlei Hinsicht habe ich in diesem Moment ein Déjà-vus. Der Fluss weist den Weg? Die Straße ist ein steiniger Trampelpfad? Kein Auto kommt uns je entgegen? Ich sehe hier exotisch aus? Weit und breit kein Strommast? Ich sitze in einem Jeep? Im Wasser liegen Flusspferde? - Nein, Kühe. – Realität mischt sich mit Erinnerung. Ich muss mich darauf konzentrieren, die Kühe auch als solche wahrzunehmen. Das hier, das könnte Afrika sein. Der Kafue in Sambia, oder die Ausläufer von Mana Pools in Simbabwe. Mein Freund hat es ebenso wie mir die Sprache verschlagen. "es ist wie in Afrika", sagt er. Ich nicke sprachlos. Ja, Afrika im azerischen Georgien. Kaum fassbare Surrealität!
Demnächst mehr über die Reise nach Armenien auf http://georgien.blogspot.com/
Teil 12: Armenien ist nicht Georgien. Oder: Der Wall gegen die Hoffnungslosigkeit.
Teil 10: Nach Moskau, nach Moskau... Drei Schwestern, oder hat man Tschechow in Tbilisi etwa schon vergessen?
Patricia Scherer in Georgia (Caucasus) photos
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Patricia Scherer
freie Journalistin
vom 15. Juli bis 30. September 2007
Barnovis Kutscha 39
0160 Tbilissi, Georgien
Tel. +995-32-982966
Mobil +995-95-764296
Mailto: patricia@patricia-scherer.de
Skype: patriciaworldwide
www.patricia-scherer.de
Sunday, September 02, 2007
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2 comments:
Ha, Ha, toller Text, tja auch Afrika gibts hier und auch die blauen kaukasischen Zwergelefanten, nur recht selten geworden...
Diese Reportagen erinnerten mich an die Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts. Es gab damals noch fremde, weite Länder und man reiste von der Abenteuerlust getrieben. Die Reisenden projizierten ihre Wünsche, ihr Begehren an ein bestimmtes Land, oder eine bestimmte Region, manchmal glaubten sie etwas gefunden zu haben, manchmal waren sie enttäuscht, ihre besitzergreifende, vereinnamende Emotionalität, die zwischen der Liebe und dem Hass sich bewegte, hatte aber selten mit dem Land etwas zu tun, sondern mit ihnen selbst. Es freut mich nicht wirklich, heute noch die Spuren dieses Orientalismus vorzufinden, eines Orientalismus, das vorgefertigte Wahrnehmungsklichees gibt, egal worüber man schreibt, über Georgien oder Mongolien.
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