Saturday, September 03, 2011

KINO: Anduni - Fremde Heimat. Ein Film von Samira Radsi (critic.de)

Die Deutsch-Armenierin Belinda entdeckt in diesem Vertreter des "deutsch-türkischen Kinos", dass Sehnsucht nach Heimat und Suche nach den eigenen Wurzeln zwei verschiedene Dinge sind.

Das "deutsch-türkische" Kino, in dem gezeigt wird, wie der Lebensstil vom Bosporus bis Anatolien an Isar, Spree und Ruhr angekommen ist, ist keine Randerscheinung mehr. Spätestens mit Anno Sauls Kebab Connection (2004) und Fatih Akins Auf der anderen Seite (2007) ist diese kleine Teilmenge des "Transnational Cinema", das innerhalb der Globalisierung "nationale Identitäten" hinter sich lässt und stattdessen von Generations- und Rollenkonflikten handelt, im deutschen Mainstream-Kino angekommen.

Die Verwurzelung der Protagonisten ist dabei eine doppelte: In Deutschland, wo sie gerade leben, und in dem Land, aus dem sie oder ihre Vorfahren kommen. Anduni – Fremde Heimat zeigt, wie beides miteinander in Konflikt gerät. Die Familie von Belinda (Irina Potapenko, Revanche, 2008) stammt aus Armenien und emigrierte bereits vor 40 Jahren nach Deutschland. Belinda selbst beherrscht die Sprache ihrer Eltern nicht mehr, kennt ihre Wurzeln nur von einem zerknitterten Poster an der Wand. Während sie mit Freund Manuel (Florian Lukas) zusammenziehen will und nach Selbstbestimmung strebt, suchen Mutter und Tanten für sie einen passenden armenischen Mann. Beziehungen mit den verschwenderischen, arroganten Deutschen, so ist ihre Meinung, sind nicht von Dauer. Und warum sie Bafög beziehe, anstatt im Näherei-Betrieb ihrer Tante etwas dazuzuverdienen, versteht ihre pragmatische Verwandtschaft auch nicht.

Anduni – Fremde Heimat arbeitet dabei mit Klischees und Schwarzweiß-Zeichnungen. Dem fast schon hysterischen Gewusel der zahlreichen Verwandten auf Familienfesten wird so ein unterkühlter Antrittsbesuch bei Manuels intellektuellen Eltern gegenübergestellt, bei dem man in einer teuren Designerwohnung über Musik spricht. Die armenischen Migranten leben unter sich, sind nur bei Behördengängen mit Deutschen konfrontiert, die dann mit Unverständnis auf ihre Lage reagieren. Dieses "Die" und "Wir" kulminiert in Belinda, die sich den liberalen deutschen Lebensstil angeeignet hat, während sie ihre Wurzeln in Armenien nicht kennt, zu denen sie zurückkehren muss, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Das sind die leider etwas zu einfachen Mechanismen, die sich dieses Familiendrama sorgsam zurechtgelegt hat.

Durch den in Dialogen thematisierten Genozid der Türken an den Armeniern gewinnt der Film noch eine historische Dimension. Scheiternde Verkupplungsversuche, ein angespanntes Verhältnis zwischen Belinda und Manuel und Einblicke hinter die Fassade der Welt der armenischen Migranten, in der Vernunftehen geschlossen werden, Erwerbsbiografien brüchig werden und Integrationsunwillen vorherrscht, runden die leider etwas vorhersehbaren Haken, die die Nebenhandlungen schlagen, ab. Dabei sind die dem Fluss der Ereignisse enthobenen Zeit-Bilder, in denen Belinda auf der Suche nach sich selbst ist, die stärksten Momente. Zu Gitarrenklängen starrt sie nachts aus dem Fenster Zugvögel an und ergründet ihre Sehnsucht nach der Heimat ihrer Vorfahren. Wonach sie dabei genau sucht, muss sie erst selbst herausfinden. Oder sie spricht im Voiceover mit Manuel über ihren zukünftigen Wohnort, während sie in Bildern des Harrens und Nachdenkens räumlich und auch im Denken voneinander getrennt sind.

Karin Kaci geht dabei in ihrem Drehbuch über das Verhältnis der Sub-Kultur zur Kultur der Deutschen hinaus, fügt Anduni – Fremde Heimat wieder jene "nationale Identität" hinzu, die die Vertreter des "Transnational Cinema" zuvor so sorgsam abgestreift haben. Aus dem deutsch-türkischen Kino der Migration erwächst für die zweite Einwanderergeneration ein deutsch-deutsches Kino der Akzeptanz der eigenen Migrationsvergangenheit – mal humoristisch überzeichnet, mal poetisch und immer in einer sehr vorhersehbaren dramaturgischen Entfaltung – bis hin zur geografische Grenzen wie kulturelle Mentalitätsbarrieren überschreitenden Macht der Liebe, die hier als bloßes Klischee erscheint.

Filmkritik von
Lutz Granert

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