Wednesday, September 28, 2011

LITERATUR: Rezension von Gaga Lomidze zu „adibas“ von Zaza Burchuladze (euterpe.origross.net)

ADIBAS oder die Fälschung von Tbilisi

„Etwas ist faul im Staate Dänemark“ (Shakespeare, Hamlet)

„Und der Fernsehturm, wie ein Kreuz auf dem Grab“ (Irakli Charkviani, Georgien)

„Plötzlich nimmt die Hitze zu und wir können es nicht aufhalten. Wir können es auf keine Weise aufhalten (…) 􀀸ir sollten nicht einmal versuchen, es aufzuhalten, sondern wir müssen uns auf eine neue Welt, welche uns bevorsteht, vorbereiten.“ (James Lovelockes Interview mit Vivien Westwood, in: Dazed&Confused. Juni, 2009)


In seinem Film „Moderne Zeiten“ hat Charlie Chaplin – wahrscheinlich ungewollt und in einem etwas anderen Kontext – auf geniale Art und Weise gezeigt, wie das ideale Leben aussehen soll. Der Film zeigt Szenen, in denen der Protagonist in einem Sessel faulenzt; es genügt, dass er sich ein Glas Milch wünscht, und just taucht am Fenster eine Kuh auf, und ohne dass er sich aus seinem Sessel erhebt, hält er sein Glas aus dem Fenster, und die Kuh melkt sich von selbst; es genügt, dass er sich einen Apfel wünscht und just schwingt vom offenen Fenster ein Apfelbaumast herein, der ihm ein Apfel anbietet. Auf die heutige Zeit bezogen lassen sich die Kuh und der Apfelbaum durch High-Tech ersetzen und das Ergebnis ist dasselbe. Und doch scheint Charlie Chaplin gespürt zu haben, dass sich im 21. Jahrhundert – dem Höhepunkt des Konsumzeitalters – alles, auch moralische Werte, den menschlichen Komfortansprüchen untergeordnet werden, und dass Utopie zur Dystopie wird, und Gefühle im Gegensatz zum Verstand zweitrangig und bedeutungslos werden.

Zaza Burchuladzes Roman „adibas“ kann als einer der besten georgischen Romane der jüngsten Zeit betrachtet werden. Die raffinierte Sprache und der Hang zum Gewagten kann mit den barocken und gerüschten Abendkleidern von Donna Karan, mit den gefalteten Kragen und den Manchetten von Dries van Noten oder mit den surrealistischen Experimenten von Viktor & Rolf oder oder den futuristischen Experimenten eines Alexander McQueens verglichen werden. Diese Designer werden nicht zufällig erwähnt: „adibas“ kann teilweise als eine große Reklametafel für Marken (Brands) wie in den Romanen von Bret Easton Ellis gesehen werden. Wer schon einmal die Zeitschrift GQ aufgeschlagen hat, den erinnert dieser Roman sogleich an die Rubrik UP & DOWN, in der gezeigt wird, welche Mode „IN“ und welche „OUT“ ist. Tatsächlich aber ist dieser Roman eine Satire über die georgischen „DOWN-Tendenzen“, wobei der Autor durch die Kombination bekannter Marken-Logos völlig neue Logos und Symbole schafft. Oder anders ausgedrückt, er erschafft Analogien zu einem Mutationsprozess, den er innerhalb der Tbiliser Gesellschaft wahrnimmt; z.B. ergibt die Kombination aus dem Radioaktivitätszeichen, dem Mastercard-Logo und dem Ferrari-Logo erstaunlicherweise ein neues Logo in der Form eines Penis. In dieser modernen Welt können Fashion-Mantras und das Logo von Yamamoto so kombiniert werden, dass man konzeptuell neue ikonische Zeichen erhält. So funktioniert die profane Logik der Postmoderne, die neue Marken schafft und diese auch selbst zerstört. Aber diese Zeichen sind nur die Fassade eines solchen Konzeptes, was dieser Roman durch sein Spiel mit den Markenzeichen entlarvt: „adibas“ ist die Kombination aus der Hyperrealität nach Bodriar und dem Konzept von Simulacra.

Der Handlungsort des Romans ist Tbilisi – eine unechte, teilweise hyperreale Stadt von Mutanten, wo alles eine Fälschung ist – angefangen von den Brands bis hin zum alltäglichen Leben. Der Erzähler dieses Romans gleicht einem antiken Paresiasten, der eine antisoziale und zeitweise nihilistische Weltanschauung/Position gegen die Verfälschung einnimmt, und so gegen den Konsum protestiert, da die Umgebung durch ihre Gefühlskälte auf Gewalt keinerlei Reaktion mehr empfindet. „Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt“, da Gott und Moral synonym verstanden werden. In dieser Wirklichkeit ist die Moral nur in Form von Ritualen vorhanden – z.B. durch die Segnung von Autos, die durch das Aufkleben eines Kreuz-Stickers gekennzeichnet wird.

Der Stil von „adibas“ erinnert an eine Mischung aus amerikanischer Prosa der 80er Jahre, japanischen Mangas und amerikanischen Comics. Wie die Comics ist auch dieser Roman mit Superhelden ausgestattet, aber es sind nur Antihelden, bestimmte Images, weil, wie der Erzähler sagt: „No one can be the hero in fake city“. Auch wir als Leser bekommen das Gefühl, dass alles, was in der Realität geschieht – sogar der Krieg – nur ein Spiel auf unseren PC-Bildschirmen ist, das von uns selbst gesteuert wird. Die Realität den Romans gleicht der Arena bei einem Kampf zwischen Superhelden und Monstern. Durch dieses Leben in einer virtuellen Welt lässt sich die Teilnahmslosigkeit bzw. das Absterben der Gefühle erklären. Dies zeigt sich in jeder einzelnen Passage: als russische Kampfflieger über das Schwimmbad von Wake fliegen, bleiben alle ganz ruhig, als ob nichts geschehen würde; oder als ein Aufklärungsflugzeug den Park in Vera3 überfliegt, bekommt man das Gefühl, dass der Erzähler dies alles in einem virtuellen Raum eines „Youtube“ beobachten würde. Vielleicht meint der Autor genau das, wenn er sagt: „Längst begreift ihr nicht mehr, ob ihr den Fernseher gebraucht oder ob der Fernseher euch gebraucht. Und überhaupt könnt ihr nicht mehr feststellen, ob euer Leben real ist oder nur eine Sendung auf dem Discovery-Channel“. Der Fernseher hat auf besondere Weise unsere Weltanschauung und unser Verhältnis zu den Gegenständen und Ereignissen beeinflusst.

Auch die Hyperrealität geht davon aus, dass Wirklichkeit und Vorstellung nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.

In „adibas“ erscheinen Erinnerungen und Vorstellungen wie in einem digitalen Format. Sogar ein Hund wird mit einem Roboter-Hund assoziiert. Vielleicht ist das der Grund, dass der Krieg in den Hintergrund rückt und er einem Spiel aus der digitalen Computerwelt gleicht. Ein Kriegsspiel mit Elementen der Hyperrealität, die zwar in unsere Wirklichkeit eingreifen, uns jedoch physisch nicht berühren – vergleichbar mit den Spielen auf „Facebook“, wo unser täglicher Log-In zwar unseren Alltag bestimmt, aber eine gewisse Distanz zum dort Erlebten bestehen bleibt, da es sich eben nur um eine virtuelle Welt handelt. So ist der Unterschied zwischen einer TDK-Kassette und dem IPod eine Metapher für den Unterschied zwischen der Vergangenheit oder der nostalgischen Kindheit und dem Heute. Die im Roman handelnden Figuren, eine so genannte verlorene Generation der „Second Hand“- Verbraucher oder, wenn Sie so wollen, eine vom Aussterben bedrohte Dinosaurier- Generation wird vom Autor passend mit der Metapher „Vin tage“ bezeichnet. Diese Bezeichnung nimmt Bezug auf die Moderichtung „Vintage“ (Used Look) und soll auf Vergangenes, Altes hindeuten. Im integrierten Theaterstück des Romans, in dem die Figuren auf Metamphitamine warten, gleicht die Handlung dem „Warten“, wobei Bewegung in Wirklichkeit Bewegungslosigkeit ist, was auf das Stück „Warten auf Godot“ anspielt. Dies wird durch den letzten Satz eines der Akteure besonders deutlich: „Gehen wir!“ und die Regieanweisung dazu lautet: „Sie bewegen sich nicht von der Stelle“. Im Zeitalter der Postmoderne sind alle unsere Bemühungen neutralisiert und die einzige Wahrheit ist das Gefühl der Unfähigkeit.

„Xinkali“ und das „Saxinkle“ werden zu einer weiteren Metapher unserer Werte, wobei Essen und Verdauen gleichgesetzt werden kann mit dem berühmten Satz aus Pasolinis „Salo“: „Mangia“. Auch das „Saxinkle“ mit dem Namen „Lurji Xaverdi“ (blauer Samt) stellt ein Paradox dar, vor allem dadurch, dass es auf der glamourösen Chardinstraße7 eröffnet wurde. Die Pseudo-Feierlaune wird durch die effektvolle Beschreibung neutralisiert. Im „Lurji Xaverdi“ hat alles einen blau-lila Stich, wie in einem Solarium… oder in einem Fantasythriller. Es wirkt so, als ob man eine Feier von lebenden Toten beobachten würde – wenn ringsum Panzer rollen und im Himmel Jagdbomber fliegen, dann wandelt sich das Fest in schlechten Zeiten zu einer Fresserei. Durch den gesamten Roman, in der gesamten Stadt und auch im „Saxinkle“ nimmt man einen fauligen Geruch wahr, die Luft ist schwer und der Raum verschlossen. Diese Art von schwerer Luft erinnert an Sartres „Brechgefühl“, das durch den Kommentar des Erzählers verstärkt wird: „während des Erbrechens an höhere Materie denken und während des Denkens an höhere Materie, erbrechen“.Dies gleicht dem „Konzept der Karnevalisierung“ von Michail Michailowitsch Bachtin mit seiner Ambivalenz, seiner Ablehnung und gleichzeitiger Anerkennung.

Normalerweise sollte doch ein Comic eher das Gefühl von Spaß und Freude hervorrufen. Jedoch ist der Roman „adibas“, obwohl er auf den Spaß am Leben in der Großstadt hindeutet, einer der traurigsten Romane über Tbilisi von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute, wo Freude und Sorglosigkeit durch Pseudo-Freude und - Sorglosigkeit ausgetauscht sind. Nur einige Sätze lassen uns hinter die bunte Fassaden der beschriebenen Tbiliser Kultur blicken: „um diese Veränderungen zu spüren, muss man Tbilisi sehr gut kennen. Die Stadt ist immer formbar, wie Knete – eine hyperreale Stadt. Jeder kann sie nach seinem Belieben formen, färben, vergewaltigen und, was am wichtigsten ist, sie verfälschen. Man bekommt das Gefühl, als ob sie selbst darum bittet oder gar befiehlt, dass man sie färben vergewaltigen und verfälschen möge“. Die georgische Sprache besitzt weder eine Genusunterscheidung noch verwendet sie Artikel wie das Deutsche, wo das Geschlecht eines Wortes am entsprechenden Artikel erkennbar ist. Im Roman wird daher mit lexikalischen Mitteln eine Metaphorik der Weiblichkeit der Stadt erzeugt. Die Stadt mit ihrer im Voraus bedachten Fassade, die den Wunsch nach dem Beherrscht-Werden in sich versteckt und von einer kolonialen Weltsicht gekennzeichnet ist. Tbilisi erscheint als eine Schatzkammer, die für alle offen und immer bereit ist beherrscht zu werden – im Namen der Toleranz oder anderer Schönrederei. Jedoch ist im postmodernem Zeitalter die Nacktheit Norm und auch das Verbergen von Wünschen kein Zeichen für einen gesunden Gedanken. Und auch an dieser Stelle erinnert ein Satz an Bachtins „Konzept der Karnevalisierung“: „Der Krieg selbst ist eine Imitation von Sex oder umgekehrt, Sex ist eine Imitation des Krieges“, wobei Sex und Krieg sich vereinigen. In diesem Zusammenhang kann man auch die sexuelle Erregung des Erzählers über ein Reklamebanner der Reservisten verstehen: „Reservisten haben eine Wirkung auf mich wie Viagra und versetzen mich in eine militärische Stimmung“. Dies erinnert an das „Totenfest“ von Jean Genet, wo beim Erzähler durch die Uniformen der Nazi-Soldaten im besetzten Frankreich erotische Phantasien hervorgerufen werden.

Die Dyade von Krieg und Sex wird durch das Hinzukommen des Todes zu einer Triade. Aber der Tod ist nicht als Ende zu verstehen, sondern als Beginn von etwas Neuem. Vielleicht lässt sich somit die Hypersexualität des Erzählers erklären, als ob er nach einem vorübergehenden Versteck sucht. In Pedro Almodovars Film „Sprich mit ihr“ verweist der Autor durch das Begehren in die Vagina einzudringen gleichzeitig auf das Begehren zur paradiesischen Ruhe zurückzukehren.

Der einzige Ausweg aus dieser schwülen Umgebung scheint Sex zu sein, egal ob dieser real ist, ein nur auf dem Monitor wahrgenommener Akt oder per Telefon ausgetauschte Bilder der Geschlechtsorgane. Aber ein solches Begehren ist gleichzeitig, bewusst oder unbewusst, mit einer eschatologischen Angst im Voraus diktiert.

Am Ende des Romans verwandeln sich die Einzelteile, die aus einzelnen Pixeln bestehende Welt, in ein Gesamtbild mit hoher Auflösung, und es stellt sich heraus, dass die Handlung zur selben Zeit und am selben Ort passiert, und nur die Perspektive unterschiedlich ist. Aber es ist ungewiss, ob der 08.08.088 – die dreimal mit Null multiplizierte Unendlichkeit – zum endlosen „Warten auf Godot“, zum Anfang vom Ende oder zum Symbol für Erneuerung wird.

Übersetzung von Prof. Manana Tandaschwili, Mariane Mdinaradze

Rezension als (pdf) >>>

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