Wednesday, December 04, 2013

FORSCHUNG: Kaukasiologie bleibt der Friedrich-Schiller-Uni in Jena erhalten (thueringer-allgemeine.de)

(thueringer-allgemeine.de) "Guten Tag." - "Gamardschoba!" Freudige Blicke empfangen den Besucher, der wie verabredet ins Kaukasiologieseminar platzt. "Gamar"...?" - "..."dschoba", ergänzt Florian Mühlfried. So begrüßt man sich wohl in Georgien? Das klingt leicht und ist doch weitaus schwieriger, als man denkt. 

Bei Dr. Florian Mühlfried befassen sich (v.l.) Annika Jooß, Janin Pisarek und Pauline Lörzer auch mit georgischen Ikonenbildern. Die Betreuungsrelation in der Kaukasiologie erscheint geradezu märchenhaft.
Bei Dr. Florian Mühlfried befassen sich (v.l.) Annika Jooß, Janin Pisarek und Pauline Lörzer auch mit georgischen Ikonenbildern. Die Betreuungsrelation in der Kaukasiologie erscheint geradezu märchenhaft.

Jena. Die Kaukasiologie an der ehrwürdigen Friedrich-Schiller-Universität zu Jena gilt als das Exotenfach schlechthin. Nirgendwo sonst auf der Welt, außer in Russland und der Kaukasusregion selbst, kann man in dieser Disziplin einen akademischen Masterabschluss erwerben.

"Mehr Nische geht nicht", gesteht Dozent Mühlfried. Forschungszentren finde man noch im schwedischen Malmö und in Montréal, Kanada, wo auch der einzige Jenaer Lehrstuhlinhaber Kevin Tuite zu Hause ist. Aber als Studiengang nirgends. 15 Jenaer Kommilitonen haben sich zurzeit im Haupt- oder Nebenfach eingeschrieben. Im Hochschuljargon nennt man so etwas eine "Orchidee".

Tim Zimmermann und Annika Jooß sitzen über fotokopierte Texte gebeugt. Es sind Reiseberichte der französischen Edelsteinhändler Jean-Baptiste Tavernier und Jean Chardin aus dem 17. Jahrhundert. Sie pendelten als Abenteurer und Kaufleute zwischen dem Osmanischen und Persischen Reich und berichten von exotischen Bräuchen der Kaukasusleute. "Die essen rohes Knochenmark", zitiert Annika Jooß, "und handeln mit Sklaven." Beides, versichert Mühlfried sofort, sei dort heute nicht mehr üblich. Vielmehr legten die Georgier den größten Wert auf ihre lange Geschichte und alte Tradition.

Dem Stirnrunzeln des Unwissenden, der da höchstens die an­tike Argonautensage und Ovids "Metamorphosen" im Sinn hat, begegnet Mühlfried mit ethnologischer Aufgeklärtheit: "Erst vor ein paar Monaten haben Archäologen in Georgien das älteste Goldbergwerk der Welt entdeckt, seit dem fünften Jahrhundert ist ein eigenes Alphabet nachweisbar, und aus dem 12. Jahrhundert kennt man Niederschriften höfischer Dichtung." Da reimten die Minnesänger in Mitteleuropa ihre edelmütigen, erotischen Verse auch nicht früher. Zudem waren die Georgier als drittes Volk überhaupt christianisiert und prägten eine eigene Orthodoxie aus. Mühlfried fügt hinzu: "Sie pochen darauf, dass ihr Land die Wiege des Weinbaus ist, und sie sagen, sie sind die ältesten Europäer."

Eine Herzlichkeit, die verzaubert

Mählich entsteht ein Bild von einer märchenhaft exotischen Welt. Na dann sagt doch mal ein paar Sätze auf Georgisch! Nur um mal den Klang der Sprache zu hören. - "Und das nach acht Wochen?" fragt Tim Zimmermann, entrüstet ob dieser Zumutung. Er hat doch gerade mit dem ersten von vier obligatorischen Georgisch-Sprachkursen begonnen. Noch im 19. Jahrhundert, nimmt ihn Mühlfried in Schutz, habe man das hierzulande für eine unlernbare Sprache gehalten.

Annika Jooß ist da schon etwas weiter. Sie studiert Gesellschaftstheorie und betreibt Kaukasiologie zusätzlich "zur individuellen Bereicherung". Flugs klärt sie auf, sie habe ein halbes Jahr als Praktikantin im Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tbilissi gearbeitet. "Eigentlich sollten das nur ein paar Wochen sein, aber ich hab mich verliebt in das Land und die Kultur." Ihr Blick gewinnt einen seltsamen Glanz, als sie von der unverstellten Herzlichkeit der Menschen dort schwärmt: "Ein Gast ist ein Geschenk von Gott, und so wird man dort aufgenommen."

Man glaubt ihr sofort die Faszination für diese Landstriche, wo europäische und asiatische Einflüsse sich mischen und Christentum und Islam einander recht friedlich begegnen. Tim Zimmermann indes hat seine erste Reise an die Grenzen unseres Kontinents noch vor sich. Im Hauptfach Politologe, spricht er von einer Brückenregion zwischen Supermächten und regionalen Großmächten. Er wolle sich im Studium auf Sicherheitspolitik spezialisieren. Klar: An Georgien haben wir Europäer ein handfestes Interesse - nicht nur, wenn es um sichere Pipeline-Trassen für aserbaidschanisches Erdgas und -öl vom Kaspischen Meer geht. 

Eines von 15 weltweit aktiven, eigenständigen Alphabeten schreiben die Menschen in der Kaukasusregion. Hier auf dem Frontispiz eines Prachtbands über georgische Goldschmiedekunst. Foto: Peter Michaelis
Foto: Peter Michaelis
Florian Mühlfried ist tagespolitisch auf dem laufenden. Gerade erst vorige Woche wurde Giorgi Margwelaschwili demokratisch ins Präsidentenamt gewählt, und ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union scheint in greifbarer Nähe. Nicht zuletzt profitiert die Jenaer Kaukasiologie von der Öffnungspolitik. Mühlfried hat just von der EU-Kommission die Finanzierungszusage für ein Forschungsvorhaben erhalten, um das ihn viele seiner kultur- und geisteswissenschaftlichen Kollegen beneiden: In einem multinationalen Verbundprojekt über "Demokratisierung und Sicherheit" befasst er sich mit dem Thema Migration.

Früher arbeiteten georgische Männer vor allem in Russland auf dem Bau, um Geld heimzuschicken, erzählt er. Heute verdingten sich viele Frauen als Haushaltshilfen und Pflegekräfte in Griechenland oder Italien. Diese Verhältnisse näher zu untersuchen, erlaube gewiss auch Aussagen über die Verfasstheit der EU, meint der 43-jährige Ethnologe. Weil Brüssel seiner Abteilung dafür 350.000 Euro spendiert, kann er jetzt zwei Doktorandenstellen ausschreiben.

In einem zweiten aktuellen Projekt, das die VW-Stiftung in Hannover finanziert, befasst sich Mühlfried mit sakralen Orten im Nordkaukasus. "Klassische Feldforschung vor Ort", erläutert er. "Da kann ich zum Teil Studenten mit einbeziehen." So wächst die kleine Kaukasiologie in Jena sichtlich. Ohnehin steht sie als "Orchidee" nicht mehr in der Gefahr, unter den Rasenmäher ministerieller Spardiktate zu geraten. Noch vor wenigen Jahren überlegte man in der Hochschulverwaltung, sie genauso wie die Indonesistik glatt wegzusparen.

Damals rückte der Ruhestand für Professor Heinz Fähnrich, den Grandseigneur seines Faches, in bedrohliche Nähe. Heute hingegen, da sein Nachfolger Kevin Tuite (59) die Doppelbelastung und den transatlantischen Pendelverkehr zwischen Jena und Montréal nicht mehr tragen will, bricht keine Krise aus. "Wir werden eine Neubesetzung vorantreiben", verspricht Professor Klaus Dicke, Rektor der Jenaer Uni, unmissverständlich.

Der Bund soll sich mehr engagieren

Bei dem Politikwissenschaftler haben Mühlfried & Co. wohl einen Stein im Brett. "Die Kaukasiologie ist nicht bedroht", sagte Dicke, obzwar ihn arge Finanznöte plagen, der TLZ. "Sie ist für uns erstens traditionell unverzichtbar, zweitens aus Gründen des nationalen Interesses und drittens aus wissenschaftlichen Gründen." Der umtriebige Hochschulpolitiker setzt noch eins drauf und fordert: "Ich bin für eine Bundesfinanzierung solcher kleinen Fächer."

Längst haben die Jenaer Kaukasiologen sich vernetzt und sind im Dialog mit der Slawistik, Archäologie und Volkskunde, der Politikwissenschaft und In­terkulturellen Wirtschaftskommunikation sowie künftig auch der Religionswissenschaft. Die Wirtschaftswissenschaftler bieten sogar einen dualen BWL-Master-Abschluss im Verbund mit der Universität Tbilissi an.

Mit der Hochschule in Tbilissi sind die Jenaer Kaukasiologen seit Menschengedenken verbandelt, zudem mit denen in Naltschik und Krasnodar. "Nalt-?" Mühlfried lächelt. "Die Hauptstadt Kabardino-Balkariens", erklärt er geduldig. "Nordwestlicher Kaukasus." In zwei Wochen gebe es an der Alma Mater eine Festveranstaltung, wenn der dortige Rektor Jena besucht.

Liegt das nicht in Russland? - Die Frage stößt ins Zentrum einer diffizilen Gemengelage, denn tatsächlich befassen die Jenaer sich nicht mit Georgien allein. Mühlfried holt tief Luft. Gegenstand seines Faches sei ein Gebiet mit drei völlig autochthonen Sprachfamilien, die im Südkaukasus - also auch in Ge­orgien - sowie im Nordwesten und -osten des schroffen Gebirgszuges verbreitet sind. Verwandt sind sie mit nichts und niemandem, erklärt er. Keine Turksprachen und keine indoeuropäischen. Allein der Süden kenne unter dem Oberbegriff Kartwelsprachen das Georgische, Lasische, Swanische und Mingrelische. Und im Norden wirds noch komplizierter. Allein die russische Teilrepublik Dagestan weise die höchste Sprachendichte nach Papua-Neuguinea auf.

Davon dröhnt fast der Schädel. Wie er bloß daran geraten sei? Da beginnen Florian Mühlfrieds Augen zu strahlen, und er erzählt, wie er damals als Ethnologie-Student an der Uni Hamburg zufällig in einen Georgisch-Kurs geriet, dann prompt einen Sprachkurs in Tbilissi aufsattelte, kreuz und quer durchs Land reiste und inzwischen unzählige gute Freunde und sogar einen Patensohn in Georgien habe.

Aber das mit der Sprache könne seine Kollegin Natia Reineck besser erklären. Die bimst das auch den Studenten ein. Logisch: Die zierliche junge Frau im Nachbarzimmer ist Muttersprachlerin. Aus Mzcheta gebürtig, hat sie in Tbilissi Deutsch studiert und wollte eigentlich ihre Kenntnisse in Jena nur für ein Jahr vertiefen. Daraus sind jetzt schon 15 geworden.

Georgisch sei eine agglutinierende Sprache, so dass Wörter durch Silben-Anhängsel zusätzliche Bedeutung erhalten. Richtig: Annika Jooß hatte gewarnt, dass man Vokabeln mitunter mit einem ganzen Satz übersetzen müsse. ",Dagizer zum Beispiel", sagt Natia Reineck, "heißt: ,Ich schreibe etwas für dich." - Wie soll ein Mensch das nur lernen? Das ist doch zum Verzweifeln! - "Nicht bei mir", verspricht sie, und wieder leuchtet ein Augenpaar. Schließlich gebe es auch die Fähnrichsche Kurzgrammatik. Darin sei alles erklärt.

Auf dem Flur treffen wir Wolf Zippel. Noch so eine Biografie: Deutsch als Fremdsprache studiert, drei Jahre als Lehrer in Tbilissi, mit einer Georgierin verehelicht und jetzt Doktorand in Jena. Noch einer mit Glanz in den Augen. Es muss gewiss ein geheimnisvoller Zauber im Spiel sein. "Gamardschoba!" Was das eigentlich wörtlich bedeute? Da grinst er und erklärt behutsam, das sei weniger martialisch gemeint, als es klinge. "Der Sieg sei mit dir!" - "Danke. Dagizer."

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