Thursday, August 02, 2007

REPORTAGE (5):

Blicke über den Treppenabsatz,
oder: Rückkehr von Vardzia

Von Patricia Scherer

Nun, gut. Meine kritische Haltung in meinen Reportagen ist sowohl von deutschen Georgienfans als auch von Freunden aus Georgien beanstandet worden. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass die Reportagen über Georgien mein subjektives Erleben schildern. Als Journalistin beobachte ich, frage nach, analysiere das Geschehen und fasse es in Worte. Ich habe nicht einen Moment lang für mich in Anspruch genommen, dabei objektiv zu sein. Hier geht es nicht um Berichterstattung; die Reportagen im Georgien-Blogspot sind als Kommentare gedacht. Eine Rechtfertigung erübrigt sich deshalb.
Viele Georgier neigen dazu über die Verhältnisse in ihrem Land zu klagen, selten sind sie bereit etwas dagegen zu unternehmen. Das hat sicherlich viele Gründe, wie Armut, wie mangelndes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit, wie das Gefühl von Machtlosigkeit: die Gründe die mir aufgezählt wurden sind zahlreich. Manche lasse ich gelten, manche erscheinen mir etwas fadenscheinig. Und Georgier sind so stolz auf so Vieles: auf ihre Geschichte, ihr Land, ihr wehrhaftes Verhalten gegen jedwede Eroberungsversuche - zu Recht. Doch selten empfinden sie sich als ein Teil ihres Landes, so wie es heute ist. Das Verhältnis ist eigenartig distanziert. Auf der einen Seite schwärmen sie von der Natur, auf der anderen Seite schmeißen sie genau in diese schöne Natur ihre Plastiktüten. Auf der einen Seite beklagen sie sich darüber, dass sie nicht wissen was ihre Regierung tut. Auf der anderen Seite fordern sie die Information nicht ein. Ich könnte ein Litanei von derartigen Beispielen aufzählen. Es ist nicht an mir, darüber zu urteilen. Doch ist es mein Recht, über meine Beobachtungen zu berichten. Eine Gesellschaft verändert sich langsam, so sagt man mir immer wieder. Und: Du darfst nach den schwierigen Zeiten hier in den letzten 20 Jahren nicht zu viel erwarten. Vielleicht nicht, aber vielleicht auch gerade deshalb. Meiner Ansicht nach, verändern sich Dinge selten dadurch, dass man sie schönredet, Veränderungen geschehen weil man kritisiert, was einem missfällt, weil man nicht bereit ist etwas zu akzeptieren und weil man vielleicht dann - in manchen Fällen auch mit der Kraft der Wut - den Mut aufbringt, Dinge zu verändern. Nicht alles - denn Vieles ist schön, zauberhaft, unwiederbringlich hier im Land des goldenen Vlies -, aber doch Einiges. Das wünsche ich den Georgiern von Herzen, dass sie diesen Mut aufbringen Dinge gemeinsam zu verändern, Dinge, die sie an ihrem eigenen Land beklagen. Wenn sie dabei meine Hilfe fordern, so bin ich bereit alles was ich kann, zu diesen Veränderungen beizutragen. Beschönigen werde ich dagegen nichts - das gebietet mir meine Erziehung und der Respekt und die Liebe zu diesem Land und seinen Menschen. Manch einer mag da anderer Auffassung sein. Damit ist für meinen Geschmack auch genug dazu gesagt. Hier und heute und solange ich weiter über Georgien für den Blog schreiben darf. Das Lesen beruht auf Freiwilligkeit. Auch für den regen Zuspruch möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Es freut mich sehr, dass meine Arbeit gefallen findet und ermutigt mich dazu, in dieser Form kompromisslos weiterzumachen. Madlobt.

Photo on April 22, 2007 by Stephan A. Engländer.

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, in Vardzia auf einem Treppenabsatz des Glockenturms, der hier auf einem Felsvorsprung erbaut worden ist. Sichtbar für alle Feinde in einem Moment des Triumphes. Der Blick über die samtenen, grünen Hügel ist einmalig. Wir möchten die Kirche betreten, haben aber leider keine Kopftücher bei uns. Der Mönch gibt uns zur Antwort: Wie Du die Kirche gehst, das ist eine Sache zwischen Dir und Gott. Ich mag den Mönch, seine Einstellung ist mir sympathisch. Wir treten ein in den dunklen, kleinen Raum der übersät ist mir Ikonen. Nur ein kleines Oberlicht und ein paar Opferkerzen lassen die farbigen Flächen erkennen. Mutter Maria, Jesus und die große Königin Tamar blicken uns zweidimensional von den Wänden an. Außen an der Kirche befinden sich noch viele bunte und guterhaltene religiöse Zeichnungen, die die Jahrhunderte überdauert haben. Der Mönch führt uns zu der Quelle von Tamar. Die Bewässerungsleitungen sind teilweise noch intakt, obwohl Ende des 13. Jahrhunderts ein Erdbeben weite Teile der Höhlenstadt zerstörte und die meisten Räume offen legte. Das Wasser aus dem Berg schmeckt frisch und rein. Wir können einen Teil des Tunnelsystems begehen: im Halbdunkel ziehen wir die Köpfe ein und erkunden abenteuerlustig das unterirdische Labyrinth. In manchen Sälen herrscht eine echoartige Akustik, die wir mit unseren Gesängen erproben. Hier hat Tamar nächtelang mit ihren Räten gesessen und Strategien gegen die Feinde ausgearbeitet. Sie, die Enkelin von David, dem Erbauer, modernisierte das Staatswesen und führte Bürgerrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein. Ihre Zeit nennt man heute das goldene Zeitalter Georgiens - eine Zeit in der Georgien die militärische Übermacht der Region war und keine Kriege gegen die zahlreichen Feinde verlor. Eine Zeit auf die Georgien ganz besonders stolz ist. Wieder unter freiem Himmel, setze ich mich auf eine steinerne Treppenstufe und blicke auf das Land gegenüber. Hier trübt fast nichts den Blick, außer ein paar Strommasten und einem abbruchreifen Sanatorium, das fast gespenstisch aus der Sowjet-Zeit grüßt. Oben über den Kamm ragen die Dächer eines 100-Familien-Dorfes, zu dem eine kleine Serpentinenstrasse führt. Der Anblick der Landschaft erfüllt mich mit Demut. Hier spüre ich, dass ich eins bin mit dieser Erde und mit etwas, das viel größer und mächtiger ist als ich. Mir imponiert, wie die Menschen diesen Berg bezwungen haben auf dem ich sitze, wie sie ihn sich mit einfachen Werkzeugen Untertan gemacht haben und wie er sich dann doch gewehrt hat. Die kleine Gruppe Mönche, die hier noch leben, würdigen den Berg und das Erbe von Tamar auf ihre Art.

Die große Königin wurde von der georgisch-orthodoxen Apostelkirche heilig gesprochen. Leise und flink huschen sie in ihren schwarzen Kutten an den Bildern ihrer heiligen Georgierin vorbei. Es hat sicherlich 35 Grad im Schatten und wir bewegen uns zaghaft hinunter aus den kühlen Höhlen in den Dampfkessel des Tals. Auf unserem Rückweg begegnen wir noch ein paar Kirsch- und Aprikosenbäumen, die wir plündern. Die süßen Früchte schmecken hervorragend und ich lerne Aprikosen auf georgisch zu essen: erst teilen, sich davon überzeugen, dass sich kein kleiner Wurm eingenistet hat und dann ab in den Mund. "Gemrielia" - es ist lecker! Auf dem Zeltplatz schlafen die Busfahrer unter einem Baum, einige der Studenten verpacken die Zelte und es ist herrlich ruhig. Gesättigt, schließe ich mich der kleinen Siesta im Schatten unterm Baum an.

Zähen Schrittes kommen nun auch die restlichen Mitreisenden aus der Höhlenstadt zurück. Gemeinsam machen wir uns auf den Rückweg nach Tbilisi. Die meisten von Ihnen scheinen sehr müde zu sein, denn das fröhliche Geplapper ist verhalten, die Gesänge einstimmig. Wir machen noch einen kurzen Abstecher zur Khertvisi Festung. Angeblich wurde sie schon im zweiten Jahrhundert erbaut, doch nicht allen Angriffen konnte sie trotzen. Die jetzigen Mauern stammen aus dem 10. Jahrhundert und recken sich stolz in den blauen, wolkenfreien Himmel. Eine israelische Touristengruppe kommt uns beim Aufstieg entgegen. Unseren gelben Gefährte wirken im Gegensatz zu ihrem klimatisierten, modernen Bus wie ausgemergelte Mähren. Das ändert nichts am Übermut der Übungstouristen: Einige klettern in schwindelerregender Höhe auf die Mauern der Festung - hier oben gehört die Welt plötzlich ihnen.

Auf dem Rückweg halten wir seltener: anscheinend freuen sich alle auf eine heiße Dusche und ein bisschen heimelige Vertrautheit zuhause, weit weg von irgend einem Zelt. Wir halten an Tankstellen, und nun kann alles blitzschnell auf einmal erledigt werden: der Toilettengang, der Zigarettenkauf und das Erstehen von Wegzehrung in Form von Khatschapuri, einer Art Käsebrot. Sogar die Busfahrer freuen sich über die Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen mit der Hauptstadt. An einem Hahn füllen sie ihre Plastikflaschen und gehen mit Spaß auf Jagd um sich gegenseitig nass zu spritzen. Ihre gelben Busse dienen dabei als Schild. Am frühen Abend erreichen wir Tbilissi. Mit einem müden "Nachwamdis" verabschieden wir uns. Nächste Woche sollen unsere frischgebackenen Reiseleiter nach Swaneti oder nach Kacheti fahren. Bis dahin müssen wir wohl alle neue Kraft tanken für weitere Zeltausflüge, polyphonen Gesang, nächtliche Gelage, Aufstiege und Umwege.

1. & 2. Photo: Uploaded on April 22, 2007 by Stephan A. Engländer

Geschichten aus dem Grenzgebiet - bald auf http://georgien.blogspot.com/

Teil 6: Schattenseiten und Lichtblicke

Teil 4: Georgische Zen-Übungen II, oder: Als Gott die Erde küsste

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Patricia Scherer
freie Journalistin
vom 15. Juli bis 30. September 2007
Barnovis Kutscha 39
0160 Tbilissi, Georgien
Tel. +995-32-982966
Mobil +995-95-764296
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