Von Patricia Scherer
Es wird meine letzte Reise sein, zumindest vorläufig, vielleicht auch für immer. Nach Georgien. Mein Schicksal ruft nach mir, es schickt mich auf einen anderen Kontinent in eine andere Kultur. So ist diese Reise ein bisschen wie ein Abschied, ein Adieu vom Kaukasus, ein Nachvamdis von Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind. Es ist Winter in Berlin und in Tbilisi, und ich reise um ein Versprechen zu halten. Was daraus wird, liegt nicht in meiner Hand: die Verantwortung wird dann bei meinen Freunden und den Georgiern sein.
Doch bevor ich von neuen Erlebnissen erzählen, will ich alte zu Ende bringen. Ich muss schmunzeln, wenn ich heute daran denke, wie meine Mutter, in ihrem knall grünen T-Shirt mit Paillettenbesatz, gestützt auf einen Stock aus Ebenholz mit Silberknauf, den kleinen Weg von der Einfahrt zum Straßenkinderheim in Gildani beschreitet. Sie sieht lustig aus, und trotzdem hat sie Würde und ist vielleicht ein bisschen furchteinflössend. Wir haben uns vorgenommen mit den Straßenkinder einen Nachmittag zu verbringen und gemeinsam kleine Kunstwerke zu schaffen.
Keti und ich tragen meiner Mutter das Buntpapier, die Farben und einen Sack Kartoffeln hinter her. Ich dachte immer Kartoffeldruck wäre etwas Universelles im weitläufigeren Europa - so etwas, was jedes Kind kennt und schon einmal gemacht hat. Weit gefehlt: Mit großen Augen schauen mich Jungen und Mädchen an, während ich Kartoffeln halbiere, Sterne, Vierecke und Herzen ausschneide, sie mit Farbe bestreiche und Stempel auf das Papier drucke. Mir kommt es vor als hätte ich gerade ein kleines Wunder vollbracht. Hochkonzentriert gehen auch die Kleinsten ans Werk, und ich darf gar nicht mehr aufhören weitere Kartoffelstempel zu schneiden. Unter Aufsicht beginnen sie selber mit den kleinen, scharfen Messern Muster in die Erdfrüchte zu schneiden. Dabei wird mir ein bisschen mulmig. Ich muss an Adschiko denken und die vielen Narben auf seinem Arm; daran, dass Ritzen und Kleberschnüffeln für viele von diesen Kindern schon einmal zum Alltag gehört hat. Mit Adleraugen bewache ich meine kleinen drei Messer, doch meine Angst ist unbegründet: Die Kinder sind hoch konzentriert in ihre Kreationen versunken.
Die Älteren sollen eine Collage aus Zeitungsausschnitten machen: Ein Bild, dass ihre Wünsche und Ziele darstellt. Keti hat es geschafft, mehrere Verlage dazu zu bringen, uns umsonst ihre bilderreichen Magazine zur Verfügung zu stellen. Die älteren Jugendlichen sind schwer zu animieren. Meine Mutter hat viele dieser Collagen gemacht: Sie erzählt, dass diese Zielbilder etwas Magisches haben, dass man nichts darauf kleben soll, was man nicht wirklich haben möchte. Einmal, nachdem ihre beiden Töchter schon geboren waren, da hat meine Mutter ein Bild eines kleinen Jungen auf eine solche Collage geklebt. Das Foto gefiel ihr einfach, weil der Junge so fröhlich aussah und strahlte. Damals verschwendete meine Mutter keinen Gedanken mehr daran noch weitere Kinder in die Welt zu setzen; schließlich war sie schon über vierzig und hatte bereits zwei wunderbare Töchter. Etwa ein Jahr später wurde mein kleiner Bruder geboren. Frech, rothaarig und eben ein Sonnenschein. Diese Geschichte macht einige der älteren Jugendlichen hellhörig, und sie lassen sich doch dazu hinreißen, eine Collage zu machen. Einige kleben große Autos und die neusten Mobilfunkgeräte aus Werbeannoncen auf ihr Tonpapier, doch andere halten inne und denken wirklich über ihre Wünsche nach. Adschiko, der immer einen leicht abwesenden Gesichtsausdruck hat - er klebt kleine Häuser und ein Bild einer älteren Frau, die seine Großmutter darstellen soll, auf die Collage. Er erklärt, dass er zurück in seine Heimat Kachetien möchte und dort seiner notleidenden Oma ein Haus bauen. Ich bin gerührt, und möchte ihm am Liebsten die Stirn küssen, doch ich traue mich nicht ihm so nah zu kommen. Adschiko ist jetzt schon über 18. Bald muss er das Heim verlassen, so wie alle Jugendlichen, die inzwischen junge Erwachsene geworden sind. Einige von ihnen können weder schreiben noch lesen. Sie haben keine Ausbildung, und niemand scheint sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, was aus ihnen wird. Ein erneutes Leben auf der Straße ist so gut wie vorprogrammiert: ein Leben, dass wieder bestimmt sein könnte vom Kleberschnüffeln, der Modedroge Subotex und dem Ritzen. Was wird dieses Leben aus dem sanftmütigen Adschiko machen, der so zauberhaft aus dem Herzen Lächeln kann. Was wird geschehen mit den anderen Jungen: Lado, der als Elektriker arbeitet, aber zu wenig verdient um sich ein Dach über dem Kopf leisten zu können. Wird er vielleicht irgendwann seinem älteren Bruder ins Gefängnis folgen? Wie wird es Giorgi ergehen, der seiner Wut freien Lauf lässt in dem Moment, in dem er seiner Collage einen Titel geben soll, und wieder damit konfrontiert ist, dass er nur wenige Buchstaben kennt. Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben, was ist geschehen? Irgendwie erinnert mich diese ganze Situation an dieses Hippie-Lied aus meinen Kindertagen. Where have all the young men gone, long time passing?
Da ist sie wieder, diese Kurzsichtigkeit. Diese Ohnmacht. Manchmal habe ich das Gefühl die Gespräche der Politiker in ihren großräumigen Büros laufen in etwa so ab:
Politiker 1: "Du, heute morgen, da bin ich über den Rustaveli promeniert, und da waren diese bettelnden und zerlumpten Straßenkinder. Sie verschandeln das Stadtbild. Wir müssen sie loswerden."
Politiker 2: "Ja, stimmt. Schrecklich. Umbringen wie die Hunde können wir sie ja nicht. Schließlich will unser Präsident ja der EU beitreten, und die dummen Europäer, die reagieren ganz komisch auf dieses Menschenrechte-Konventionsding, oder wie das heißt."
Politiker 1: "Weißt Du was, wir stecken sie einfach in ein Heim. An den Arsch der Welt, nach Gildani. Die Gegend ist sowieso schon so herunter gekommen, da kommt eh kein Tourist vorbei, und so ein europäischer Politiker schon gleich gar nicht. Da können wir sie aufbewahren, und einfach vergessen."
Politiker 2: "Gute Idee! Lass uns ein Dekret erlassen."
Politiker 1: "Muss das nicht vom diesem Parlament abgesegnet werden?"
Politiker 2: "Quatsch, die machen doch eh, was der Kaiser - eh, ich meine Präsident - sagt."
Politiker 1: "Und was ist wenn sie älter werden?"Politiker 2: "Älter? Wer? Die Parlamentarier?"
Politiker 1: "NEIN! Die Kinder von Straße."
Politiker 2: "Wieso?"
Politiker 1: "Na, das kostet doch Geld, die da aufzubewahren. Solange sie Kinder sind haben diese ganzen ausländischen Vereinigungen ein Herz, und zahlen dafür, das können wir von irgendwelchen Gutmenschen-Spenden finanzieren. Doch was dann?"
Politiker 2: "Ich glaube nicht, dass das ein Problem wird. Wir setzen sie wieder vor die Tür, diese kleinen Kriminellen. innerhalb von kürzester Zeit werden die stehlen und betteln. Wir haben jetzt so viele junge, dynamische Polizisten. Die fassen diesen Abschaum schon. Im Knast sind sie auch weg von der Straße. Vielleicht setzen wir noch das straffähige Alter herab um die Sache zu erleichtern - so auf 12 Jahre. Was denkst Du?"
Politiker 1: "Hervorragend!"Nach einer derart gelungenen Entscheidungsfindung wird wahrscheinlich zufrieden Tschatscha getrunken und eine importierte kubanische Zigarre geraucht.Kaum vorstellbar, dass Adschiko, Lado und Giorgi überhaupt wissen was das ist - eine kubanische Zigarre. Ob sie ihr wohl je in Rauchweite gekommen sind? Sag mir, wo die Zigarren sind, wo sind sie geblieben? Oder auch die wahren Helden, die klugen Köpfe, die Männer mit Herz, die integeren Politiker, die mitfühlenden Väter, die sieben Weisen, die Retter der Nationen ...
Patricia with her Mom in Georgia (mehr Fotos)
Teil 21: Georgisch-orthodoxe Stalinismen
Teil 19: Auf nimmer wiedersehen
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