Mitte März dieses Jahres erlebte Georgien zwei unterschiedliche Varianten eines Modells politischer Subjektivität, die das fragwürdige Erbe des 19. und 20. Jahrhunderts als mediale Inszenierungen aufleben ließen. In der Hauptnachrichtenzeit wurde der georgischen Bevölkerung im TV-Sender Imedi am Samstagabend das Ende ihrer Staatlichkeit, die Okkupation ihres Landes und der Tod ihres Präsidenten präsentiert. Der fiktionale Charakter des Geschehens war, offenbar intendiert, unzulänglich ausgewiesen worden. Die Folge war eine Massenpanik. Wenige Tage darauf erklärt Zaza Schatirischwili, einer der renommiertesten jüngeren georgischen Intellektuellen in einem Interview für Inter Press Service (IPS), nun in durchaus kritischer Absicht, ebenfalls das endgültige Ende Georgiens als politischem Subjekt. In seltsam einmütiger Anlehnung an die Theorie des Politischen bei Carl Schmitt sollten offenbar im ersten Fall die Subjektqualitäten der georgischen Nation durch eine Freund-Feind-Szenario im Ernstfall, dem Krieg, stimuliert werden. Im zweiten Fall wird dagegen nur noch larmoyant ein Leichnam obduziert, dem aber offenbar der Hirntod noch nicht bescheinigt werden kann. Im ersten Fall sollte in der verzweifelten Überspanntheit endgültiger Gewissheit eine Demarkationslinie zwischen den prorussischen von den westlichen Kräften deutlich werden; im zweiten Fall die Psychopathen des herrschenden Regimes inklusive der nicht weniger debilen Opposition von den Gesunden unterschieden werden. Die Nation konstituiert sich in jedem Fall über die Identifikation des Feindes. Die wohlig wärmende Gemeinschaft der rechtschaffenen Freunde, umgeben von morbiden Feinden, ist die Schwundstufe der geschichtsphilosophischen Selbstermächtigungsansprüche, wie sie das 18. und 19. Jahrhundert hervorbrachte. Die Nation als Subjekt legitimierte sich in diesen vergangenen heroischen Zeiten immerhin noch als Menschheitsrepräsentantin. Diesen Bezug auf die Erfordernisse der globalen Ära spart man sich mittlerweile. Das mäßigende, das domestizierende Moment in dieser Referenz ist dem Toben des Subjekts gegen seine Feinde abträglich. Selbst noch in der Kritik wird das Überspannte der gegenwärtigen Diskussionen über die Handlungsfähigkeit Georgiens im internationalen Zusammenhang deutlich. Armenien und Aserbeidschan müssen provokant bemüht werden, um den endgültigen Zusammenbruch heroischer Illusionen zu illustrieren. Hinter den spektakulären Selbstinszenierungen der neuen georgischen Intellektuellen verschiedenster Couleur, ihrer Macht und ihrer Ohnmacht, verschwinden die tatsächlich bestehenden äußeren Bedrohungen und die Erschöpfung eines Volkes, das zum Material nationaler Subjektformierungen nach den Maßen einer Möchtegernelite wird.
Sunday, April 04, 2010
BLOG: Das erschöpfte Subjekt Georgien und der lange „Abschied von der bisherigen Geschichte“ Von Dr. phil. Frank Tremmel (einblickgeorgien.blogspot)
April, 2010
Mitte März dieses Jahres erlebte Georgien zwei unterschiedliche Varianten eines Modells politischer Subjektivität, die das fragwürdige Erbe des 19. und 20. Jahrhunderts als mediale Inszenierungen aufleben ließen. In der Hauptnachrichtenzeit wurde der georgischen Bevölkerung im TV-Sender Imedi am Samstagabend das Ende ihrer Staatlichkeit, die Okkupation ihres Landes und der Tod ihres Präsidenten präsentiert. Der fiktionale Charakter des Geschehens war, offenbar intendiert, unzulänglich ausgewiesen worden. Die Folge war eine Massenpanik. Wenige Tage darauf erklärt Zaza Schatirischwili, einer der renommiertesten jüngeren georgischen Intellektuellen in einem Interview für Inter Press Service (IPS), nun in durchaus kritischer Absicht, ebenfalls das endgültige Ende Georgiens als politischem Subjekt. In seltsam einmütiger Anlehnung an die Theorie des Politischen bei Carl Schmitt sollten offenbar im ersten Fall die Subjektqualitäten der georgischen Nation durch eine Freund-Feind-Szenario im Ernstfall, dem Krieg, stimuliert werden. Im zweiten Fall wird dagegen nur noch larmoyant ein Leichnam obduziert, dem aber offenbar der Hirntod noch nicht bescheinigt werden kann. Im ersten Fall sollte in der verzweifelten Überspanntheit endgültiger Gewissheit eine Demarkationslinie zwischen den prorussischen von den westlichen Kräften deutlich werden; im zweiten Fall die Psychopathen des herrschenden Regimes inklusive der nicht weniger debilen Opposition von den Gesunden unterschieden werden. Die Nation konstituiert sich in jedem Fall über die Identifikation des Feindes. Die wohlig wärmende Gemeinschaft der rechtschaffenen Freunde, umgeben von morbiden Feinden, ist die Schwundstufe der geschichtsphilosophischen Selbstermächtigungsansprüche, wie sie das 18. und 19. Jahrhundert hervorbrachte. Die Nation als Subjekt legitimierte sich in diesen vergangenen heroischen Zeiten immerhin noch als Menschheitsrepräsentantin. Diesen Bezug auf die Erfordernisse der globalen Ära spart man sich mittlerweile. Das mäßigende, das domestizierende Moment in dieser Referenz ist dem Toben des Subjekts gegen seine Feinde abträglich. Selbst noch in der Kritik wird das Überspannte der gegenwärtigen Diskussionen über die Handlungsfähigkeit Georgiens im internationalen Zusammenhang deutlich. Armenien und Aserbeidschan müssen provokant bemüht werden, um den endgültigen Zusammenbruch heroischer Illusionen zu illustrieren. Hinter den spektakulären Selbstinszenierungen der neuen georgischen Intellektuellen verschiedenster Couleur, ihrer Macht und ihrer Ohnmacht, verschwinden die tatsächlich bestehenden äußeren Bedrohungen und die Erschöpfung eines Volkes, das zum Material nationaler Subjektformierungen nach den Maßen einer Möchtegernelite wird.
Mitte März dieses Jahres erlebte Georgien zwei unterschiedliche Varianten eines Modells politischer Subjektivität, die das fragwürdige Erbe des 19. und 20. Jahrhunderts als mediale Inszenierungen aufleben ließen. In der Hauptnachrichtenzeit wurde der georgischen Bevölkerung im TV-Sender Imedi am Samstagabend das Ende ihrer Staatlichkeit, die Okkupation ihres Landes und der Tod ihres Präsidenten präsentiert. Der fiktionale Charakter des Geschehens war, offenbar intendiert, unzulänglich ausgewiesen worden. Die Folge war eine Massenpanik. Wenige Tage darauf erklärt Zaza Schatirischwili, einer der renommiertesten jüngeren georgischen Intellektuellen in einem Interview für Inter Press Service (IPS), nun in durchaus kritischer Absicht, ebenfalls das endgültige Ende Georgiens als politischem Subjekt. In seltsam einmütiger Anlehnung an die Theorie des Politischen bei Carl Schmitt sollten offenbar im ersten Fall die Subjektqualitäten der georgischen Nation durch eine Freund-Feind-Szenario im Ernstfall, dem Krieg, stimuliert werden. Im zweiten Fall wird dagegen nur noch larmoyant ein Leichnam obduziert, dem aber offenbar der Hirntod noch nicht bescheinigt werden kann. Im ersten Fall sollte in der verzweifelten Überspanntheit endgültiger Gewissheit eine Demarkationslinie zwischen den prorussischen von den westlichen Kräften deutlich werden; im zweiten Fall die Psychopathen des herrschenden Regimes inklusive der nicht weniger debilen Opposition von den Gesunden unterschieden werden. Die Nation konstituiert sich in jedem Fall über die Identifikation des Feindes. Die wohlig wärmende Gemeinschaft der rechtschaffenen Freunde, umgeben von morbiden Feinden, ist die Schwundstufe der geschichtsphilosophischen Selbstermächtigungsansprüche, wie sie das 18. und 19. Jahrhundert hervorbrachte. Die Nation als Subjekt legitimierte sich in diesen vergangenen heroischen Zeiten immerhin noch als Menschheitsrepräsentantin. Diesen Bezug auf die Erfordernisse der globalen Ära spart man sich mittlerweile. Das mäßigende, das domestizierende Moment in dieser Referenz ist dem Toben des Subjekts gegen seine Feinde abträglich. Selbst noch in der Kritik wird das Überspannte der gegenwärtigen Diskussionen über die Handlungsfähigkeit Georgiens im internationalen Zusammenhang deutlich. Armenien und Aserbeidschan müssen provokant bemüht werden, um den endgültigen Zusammenbruch heroischer Illusionen zu illustrieren. Hinter den spektakulären Selbstinszenierungen der neuen georgischen Intellektuellen verschiedenster Couleur, ihrer Macht und ihrer Ohnmacht, verschwinden die tatsächlich bestehenden äußeren Bedrohungen und die Erschöpfung eines Volkes, das zum Material nationaler Subjektformierungen nach den Maßen einer Möchtegernelite wird.
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