Sunday, April 04, 2010

RADIO: Patriotismus in Georgiens Musikszene und Radiokolleg - Tbiliso (orf.at)

Georgische Musik zwischen Tradition und Patriotismus (4).

Nationalismus und Krieg!
Musik und Patriontismus - da kommt einem in Österreich gleich mal Nazi-Ideologie Kopf. In Georgien, überhaupt in postsowjetischen Ländern, gibt es aber einen extremen Hang zu Nationalismus - auch in der Musik. Darüber wird nicht gerne laut gesprochen - schon wieder könnte man sagen. Hans Groiss thematisiert das in seiner Musikviertelstunde ... eventuell, um mögliche Tendenzen in unserer Alpenrepublik früh erkennbar zu machen!

Das Lied "Tbiliso" kann in Tbilisi beinahe jeder pfeifen oder singen, man hört es aus dem TV oder als Handyklingelton. Überhaupt ist Musik und Musikerziehung omnipräsent in der Hauptstadt Georgiens.

Ein Blick über den europäischen Tellerrand: Die georgische Festtafel Supra unter der Leitung des Tischleiters Tamada wird dirigiert wie ein Orchester, Jugendliche tanzen vor dem Rathaus zu traditionellen Klängen und in jedem Haushalt steht ein Klavier zur Benutzung bereit - aber auch eine Karaoke-Anlage. Der für Georgien typische, polyphone Gesang wird bereits im Kindergarten an zukünftige Generationen weitergegeben und an der Paliashvili-Schule für musikalisch Hochbegabte, benannt nach dem georgischen Komponisten Sachari Petrowitsch Paliaschwili, der klassische europäische Musik mit georgischer Volksmusik verband, werden Musiker/innen auf eine internationale Karriere vorbereitet.

Hans Groiss besuchte unter anderen die Pianistin Ketevan Sepashvili bei ihren Eltern am Stadtrand von Tbilisi und traf den georgischen Punkrock-Pionier Lado Burduli sowie die Popband "Stephane & 3G", die mit ihrem Song "We Don't Wanna Put In" nicht zum Eurovision Song Contest 2009 nach Moskau reisten.

Source: oe1.orf.at/programm/2010040113601.html


Musik mit Nationalismus
Ein in Österreich oder Deutschland unvorstellbares Bild: Vor dem Rathaus in Tiflis tanzen jugendliche Frauen und Männer am Samstagabend in Streetware, also gewöhnlicher Straßenkleidung, zu georgischer Volksmusik. Durch eine westliche Brille tauchen sofort Bilder von vermeintlichem Nationalismus und Patriotismus auf.

In fast allen musikalischen Genres ist spätestens seit der Rosenrevolution der Vereinten Nationalen Bewegung unter Micheil Saakaschwili im November 2003 eine starke nationale Identitätssuche in Georgien zu bemerken, meint die Musikethnologin Katharina Stadler vom Department of Musicology der Humboldt Universität zu Berlin. 2005 wurde der Wettbewerb Patrinoti, ein Song Contest, der auf die Patriotisierung vor allem der jüngeren Bevölkerung und die Stärkung der nationalen Identität und Einheit des von inneren Konflikten zerrissenen Landes abgestimmt ist, zum ersten Mal ausgeschrieben.

Sumba, sein bürgerlicher Name ist Sasa Korinteli, gewann bei diesem Wettbewerb eine Videoproduktion zu seiner Coverversion von "Gamarjoba afkhazeto sheni" - was übersetzt so viel heißt wie "Hallo Abchasien". Im 2007 produzierten Video singen eine Vielzahl georgischer Musikerinnen den etwas adaptieren Text, in dem vermittelt werden soll, dass die autonome Republik Abchasien Teil Georgiens ist - "Patrinoti" ist eine Wortschöpfung aus den Worten Patriotismus und der Musik-Note.

Anti-Putin-Song
Der Musiker Stephane mag den Patrinoti-Contest nicht und hatte nie etwas damit zu tun, sagt er. Stephane Mgebrishvili betreibt in Tiflis eine Eventmanagement-Agentur für Clubbings, aber auch für volkstümliche Musikveranstaltungen. 2008 nahm er mit Nini Badurashvili, Tako Gachechiladze und Kristine Imedadze, unter dem Bandname Stephane and 3G am Eurovisions Songcontest in Belgrad teil. Die Band belegte den vierten Platz.

Auch 2009 sollten sie ihr Land vertreten - Kristine Imedadze erzählt: "We don't wanna Put in" - in gebrochen Englisch oder als Wortspiel ist der russische Premierminister Vladimir Putin gemeint, erzählen die 3Gs. In der Tanzchoreografie für die georgische Endausscheidung wurde der Text noch mit eindeutigen Schussgesten dramatisch verstärkt. Die Reaktion aus Moskau war vorprogrammiert. Für Stephane, der sich in den Videos zu seiner Musik gerne wie die Satirefigur Ali G des britischen Komiker Sacha Baron Cohen gibt, ist das alles nur Witz. Ernst wurde es nur kurz, als die EBU - die European Broadcasting Union - Stephane and 3G nicht nach Moskau hat reisen lassen. Den georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili finden alle Mitglieder der Band cool.

Utopia am Lisi-See
Von der Werbeagentur in der Stadt an einen kleinen See über Tiflis: DJ Tomma führt durch einen Park mit einem idyllischen Pavillon. Dieser Ort ist als Schule konzipiert und heißt "Art Space Lisi": DJ Tomma veranstaltet auch Partys an der Schule am Lisi-See. Diese bewerben den Standort.

Vor dem Krieg im August 2008 legte DJ Tomma, sein bürgerlicher Name ist Tomma Chaladze, Platten in Batumi am Meer auf. Während des Krieges waren aus den Soundsystemen Kriegsgeräusche, News und Schutzanweisungen zu hören. "Crazy", sagt Tomma. Jetzt ist das aber wieder vorbei - momentan jedenfalls, und er kann an diesen für ihn utopischen Ort Party, Yoga und Musikerziehung in Form von DJ-Workshops verbinden.

Text: Hans Groiss

Source: oe1.orf.at/highlights/152735.html

No comments: