Feierabend: Feierabend mit Burkhard Schuchmann
Das Gespräch führte Nikolaus Doll (welt.de)
Statt seinen Ruhestand zu genießen, wird ein deutscher Topmanager zum Großwinzer im wilden Georgien. Ein Expertengespräch über Spätlesen
Jahrzehntelang war Stahl Burkhard Schuchmanns Geschäft: Weichen, Schienenbefestigungen, Lokomotiven, zuletzt Kräne. Der 69-Jährige hat alles hinter sich, was eine Karriere als Vorstands- und Aufsichtsratschef bieten kann: Börsengänge, Übernahmen, gewonnene und verlorene Machtkämpfe, den Weg aus bescheidenen Verhältnissen zum Millionär. Im Rentenalter hat er noch einmal einen Neuanfang gewagt: Der frühere leitende Angestellte wurde Firmengründer - als Winzer. Auch in diesem Beruf packte ihn bald der Ehrgeiz. "Das Weingut Burkhard Schuchmanns ist nicht das größte im Land, aber das bestgeführte, unser Vorzeigeunternehmen", sagte Georgiens Landwirtschaftsminister Bakur Kvezereli der "Welt am Sonntag".
Welt am Sonntag: Herr Schuchmann, Sie tragen hier, inmitten Ihres Weinbergs, geschlossene Schuhe und Kniestrümpfe, obwohl es hier elend heiß ist. Sie wissen schon, dass sich da ein Verdacht aufdrängt?
Burkhard Schuchmann: Welcher Verdacht? Das schützt mich vor den Disteln und Mücken im Weinberg.
Welt am Sonntag: Und vor Blicken. Dann sieht man nicht, dass Ihre Füße blau-violett sind.
Burkhard Schuchmann: (lacht) Es ist richtig, dass ich gelegentlich selbst in den Bottich zum Traubentreten steige und dass die roten Saperavi-Trauben derart färben, dass man die Farbe kaum mehr wegbekommt. Aber heute trägt man dabei meistens Gummistiefel. Das ist hygienischer.
Welt am Sonntag: Hört sich nach Schwerarbeit an.
Burkhard Schuchmann: In erster Linie macht es Spaß, das ganze Team stampft mit, wir singen und tanzen, da kommt richtig Rhythmus rein.
Welt am Sonntag: Legen Sie auch sonst Hand an?
Burkhard Schuchmann: Klar, bei der Ernte, aber auch bei der grünen Lese, wenn man von den dann noch unreifen Trauben einen wesentlichen Teil wegschneidet, um die verbliebenen Reben stärker zu machen. Die Georgier haben mich zuerst für verrückt gehalten. Der Deutsche schmeißt ja die Hälfte der Ernte weg, hieß es kopfschüttelnd. Aber so bekommt man bessere Qualität.
Burkhard Schuchmann: Schuchmann herzt Weinarbeiterinnen und bindet Reben hoch.
Welt am Sonntag: Dafür, dass man Sie mal für verrückt erklärt hat, haben Sie aber ein gutes Verhältnis zu Ihren Leuten.
Burkhard Schuchmann: Oh, die können auch anders. Letztes Jahr hätten mich die Frauen fast gelyncht. Sie wollten mehr Lohn, als ich ihnen geben konnte. Und eine Georgierin wird in solchen Fällen immer sehr aufbrausend. Das sind feurige Menschen hier.
Welt am Sonntag: Wie ging es aus?
Burkhard Schuchmann: Mit einem Kompromiss. Ich habe gelernt, dass ich ein bisschen georgischer werden muss, und habe dafür gesorgt, dass die Leute ein bisschen deutscher werden.
Welt am Sonntag: Was bedeutet georgischer?
Burkhard Schuchmann: Man ist ein bisschen ungenauer, hat andere Vorstellungen von Zeiten und Abläufen und ist auch kompromissbereiter.
Welt am Sonntag: Warum wird ein früherer Vorstandschef eines MDax-Unternehmens zum Weinbauern im Kaukasus? Vertreiben Sie sich den Ruhestand, oder wollten Sie ernsthaft neu anfangen?
Burkhard Schuchmann: Beides. Anfangs war es ein Hobby, dann hat mich der Ehrgeiz gepackt.
Welt am Sonntag: Es ist in gewissen Kreisen in zu winzern. Günther Jauch will es lernen, Hubert Burda sieht es eher philosophisch, RWE-Chef Jürgen Großmann will genießen. Was treibt Sie?
Burkhard Schuchmann: Mich hätte eine etablierte Weinlandschaft nicht interessiert. Dann wäre es ein Finanzinvestment gewesen. Ich wollte was aufbauen, gerade in einem Land, das ich lieben gelernt habe.
Welt am Sonntag: Was war die größte Überraschung?
Burkhard Schuchmann: Wie stark man es beeinflussen kann, dass am Ende etwas wirklich besonders Gutes rauskommt. Das fängt beim Feld an und hängt dann von jedem einzelnen Schritt in der Prozesskette ab.
Welt am Sonntag: Zuerst braucht man wohl viel Geld. Wie viel haben Sie hier investiert?
Burkhard Schuchmann: Insgesamt bis heute etwa 6,5 Millionen Euro. In Grundstücke und Neubauten, Anlagen, Maschinen und Vorräte.
Welt am Sonntag: Was als Hobby begann, soll sich sicher irgendwann rechnen.
Burkhard Schuchmann: Natürlich habe ich einen Businessplan und will mit diesem Weingut Gewinn machen. Das ist schon deshalb nötig, um investieren zu können, neue Reben anzupflanzen, neue Versuche zu machen, zum Beispiel mit Beerenauslesen zu experimentieren. Es geht nicht, dass man immer nur Geld reinsteckt, irgendwann muss sich ein Unternehmen tragen. 2013 oder 2014 wird laut Plan nach Abzug aller Belastungen Geld übrig bleiben.
Welt am Sonntag: Traumrenditen schafft man mit Wein eher nicht?
Burkhard Schuchmann: Eine zweistellige EBITDA-Marge ist realistisch, das ist doch gar nicht so schlecht.
Welt am Sonntag: Wie groß ist Ihre Ernte heute?
Burkhard Schuchmann: Ich produziere rund 250 000 Flaschen pro Jahr, auf 500 000 will ich kommen.
Burkhard Schuchmann: Schuchmann schlendert vom Feld in den Weinkeller und entkorkt eine Flasche.
Welt am Sonntag: Was trinken wir da?
Burkhard Schuchmann: Das ist ein Weißwein, Jahrgang 2006. Die Rebsorte heißt Kisi, kommt nur hier vor und ist eine der seltensten in Georgien. Man erntet jedes Jahr im ganzen Land nur etwa 50 Tonnen Trauben. Wir produzieren rund 4000 Flaschen. Dies ist ein ganz besonderer Wein, den man entweder liebt oder fürchterlich findet.
Welt am Sonntag: Beschreiben Sie diesen Wein.
Burkhard Schuchmann: Der Kisi wird wie ein Rotwein mit Kernen und Häuten und Stilen vergoren. Er hat eine leichte Säure, das ist von der Farbe her fast eine Art Sherry. Der Kisi passt sogar zu einer guten Zigarre.
Welt am Sonntag: Herr Schuchmann, Sie sind eine Enttäuschung. Da muss doch jetzt etwas kommen wie "füllig am Gaumen, mit leicht pfeffrigem Abgang".
Burkhard Schuchmann: Ach, das ist nicht meine Sprache.
Welt am Sonntag: Machen Sie auch Spätlesen? Würde ja passen.
Burkhard Schuchmann: Wir sind noch nicht so weit, aber da wollen wir hin.
Welt am Sonntag: Wer soll denn die 250 000 Flaschen jährlich trinken? Die Georgier? Die Menschen sind arm, und wer was besitzt, hat selbst einen Weinberg.
Burkhard Schuchmann: Rund 20 Prozent der Produktion bleiben in Georgien, weil es allen Problemen zum Trotz auch hier Menschen gibt, die sich einen herausragenden Wein ihres Landes gönnen wollen. Der Rest geht in den Export, vor allem nach Deutschland, aber auch nach Schweden, England, in die Benelux-Staaten oder die USA.
Welt am Sonntag: Dort wartet doch wirklich niemand auf georgischen Wein.
Burkhard Schuchmann: Warten nicht unbedingt, aber anspruchsvolle Weintrinker sind empfänglich für Neues, die wollen nicht den Tausendsten Merlot oder Sauvignon.
Welt am Sonntag: Die Infrastruktur hier ist entsetzlich, wie kommt die Flasche zum Kunden?
Burkhard Schuchmann: Die Logistik ist eine Herausforderung, das stimmt, und zwar eine Doppelte. Zum einen müssen die Flaschen per Lkw über die Türkei nach Mitteleuropa. Das läuft ganz gut. Vorher aber muss ich erst mal leere Flaschen aus dem Ausland einführen, weil es in Georgien keine Produktion gibt, die unseren Ansprüchen genügt.
Welt am Sonntag: Es gibt Menschen, die behaupten, nach dem unschönen Ende als Vossloh-Chef habe sich Schuchmann in einen Schmollwinkel zurückgezogen - so weit weg, wie es eben ging.
Burkhard Schuchmann: Ich schmolle nicht. Ich habe bei Vossloh fantastische Zeiten erlebt und bin dort im richtigen Augenblick ausgeschieden.
Welt am Sonntag: Hängt Ihnen das noch nach: der Machtkampf gegen den damaligen Aufsichtsratschef Kajo Neukirchen, die Art, wie die Eigentümerfamilie Sie fallen gelassen hat?
Burkhard Schuchmann: Ich habe fast acht Jahre mit Kajo Neukirchen gut zusammengearbeitet, das bleibt in Erinnerung. Was es an Streit gab, ist erledigt. Und die Familie hat eine Entscheidung getroffen. Ob sie richtig war oder nicht, muss sie selbst entscheiden. (Schuchmann schenkt ein.) Das ist ein Saperavi 2005, ausgebaut, also vergoren, in der Ton-Amphore, dann 24 Monate in französischen Eichenfässern gelagert, etwas Besonderes. Wie finden Sie den?
Welt am Sonntag: Schmeckt mir gut. Mehr kann ich nicht sagen, ich bin Münchner, aus der Stadt weltberühmter Biere. Ist es schwer, als Unternehmer in diesem Land Fuß zu fassen?
Burkhard Schuchmann: Im Gegenteil, das Wirtschaftssystem ist eines der liberalsten der Welt. Es ist unkompliziert, Grund zu erwerben, das Rechtssystem ist dem deutschen ähnlich.
Welt am Sonntag: Aber die politischen Verhältnisse sind unsicher. Ein neues Regime kann doch einen Systemwechsel bedeuten, samt Verstaatlichung oder Bodenreform.
Burkhard Schuchmann: Man hat hier sehr konsequent einen unumkehrbaren Schritt Richtung Privatisierung gemacht. Auch bei einem Systemwechsel bräuchte eine neue Regierung Investoren. Das Land ist arm, die Industrie ist kollabiert, die Exportwirtschaft schwach. Georgien braucht Kapital und Know-how - das weiß man hier.
Welt am Sonntag: Wie man abkassiert offenbar auch. Korruption soll allgegenwärtig sein.
Burkhard Schuchmann: Das mag es hier und da geben. Mir allerdings ist kein Fall bekannt, und von mir wollte nie jemand Schmiergelder.
Welt am Sonntag: Aber die gefürchtete Steuerpolizei schaut gelegentlich bei Ihnen vorbei?
Burkhard Schuchmann: Natürlich, aber wir halten uns an die Gesetze und die auch, das Verhältnis zu den Steuerbehörden ist sehr entspannt. Ein Beispiel: Man hatte mich gebeten, Steuerrückforderungen zu stunden, weil die regionale Verwaltung klamm war, aber die Gehälter für die Lehrer zahlen musste. Ein Jahr später war das Geld da. Georgien lebt von der Hand in den Mund, aber man wird am Ende korrekt behandelt.
Welt am Sonntag: Wie sicher ist man hier eigentlich?
Burkhard Schuchmann: Oh Gott, ja, es gibt Leute die vermuten hier hinter jedem Baum einen Gangster mit einer Kalaschnikow. Ich fühle mich hier sicherer als manchmal in Frankfurt oder Berlin.
Welt am Sonntag: Bürgerkrieg und der Schlagabtausch mit Russland sind noch nicht lange her, und die Krisenregion Südossetien liegt Luftlinie 50 Kilometer von hier.
Burkhard Schuchmann: Ich war in diesem Jahr zwei Kilometer von der Grenze zu Südossetien Ski fahren - und habe mich sicher gefühlt.
Welt am Sonntag: Ein Konkurrent mehr: Die Weinbauern haben Sie sicher nicht gerade mit offenen Armen empfangen, oder?
Burkhard Schuchmann: Ich bin ganz offen empfangen worden. Die Leute hier sind klug genug, um zu wissen, dass jeder Erfolg, den ich mit georgischem Wein erziele, allen nützt, dass sie in diesem Fahrwasser auf neuen Märkten Fuß fassen können.
Welt am Sonntag: Und jetzt wollen Sie auch noch das Winzerwesen revolutionieren, mit einer Art dualem Ausbildungssystem wie in Deutschland. Stimmt das?
Burkhard Schuchmann: Eine Mischung von Theorie und Praxis in der Ausbildung gibt es hier nicht, ich denke aber, dass das gut wäre. Also machen wir das jetzt hier auch. Ich habe dafür niemanden gefragt. Man sollte nicht immer zu viel fragen.
Welt am Sonntag: Wie wird man hier eigentlich als Deutscher aufgenommen?
Burkhard Schuchmann: Die Gastfreundschaft der Georgier ist groß, das Ansehen Deutschlands enorm. Ich habe Kontakte zu georgischen Familien, manchmal muss man da sogar ein wenig bremsen, denn jeder, der einlädt, gibt das Letzte, um seinen Gast glücklich zu machen.
Welt am Sonntag: Sie offenbar auch, immerhin geht Staatspräsident Michail Saakaschwili angeblich bei Ihnen ein und aus.
Burkhard Schuchmann: Nicht nur er, auch seine Frau mit Freunden.
Welt am Sonntag: Der Präsident redet oft davon, dass sich das Land erholt - sehen tut man davon nichts. Welche wirtschaftlichen Perspektiven hat Georgien?
Burkhard Schuchmann: Georgien hat unter dem Krieg und der Finanzkrise sehr gelitten und erholt sich nur langsam. Das Land hat zwei Chancen: Wein und Tourismus. Mit Letzterem hat das Land aus Zeiten der Sowjetunion immerhin Erfahrung.
Welt am Sonntag: Die dürfte heutzutage kaum mehr etwas nützen. Daneben ist die Infrastruktur baufällig oder veraltet.
Burkhard Schuchmann: Es stimmt, man muss hier viel investieren, aber das geschieht ja derzeit und braucht seine Zeit. Generell hat Georgien als Reiseziel viel zu bieten: Es ist ein unglaublich schönes Land mit einer abwechslungsreichen Natur, Stränden und Bergen. Es wird gut gekocht und gewinzert, und es existieren jede Menge Kulturgüter. Georgien ist eine der Wiegen des Christentums. Das Christentum hat sich von hier Richtung Europa verbreitet.
Welt am Sonntag: Eines hat sich hier nicht verbreitet: der Korkenzieher. Stimmt es, dass ein georgischer Winzer keinen braucht?
Burkhard Schuchmann: (lacht) Deutsche Winzer zapfen auch aus dem Stahltank. Aber ernsthaft: Auch ich lagere den Wein in Ton-Amphoren, die im Boden eingelassen sind. Das ist in Georgien seit Jahrtausenden so üblich. Es ist schon ein besonderes Erlebnis, sich daraus ein Gläschen zu schöpfen. In Stahltanks steuert der Mensch die Temperatur des Weines, hier tut das die Natur.
Tuesday, July 12, 2011
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