Friday, October 21, 2011

BLOG: Nein, Georgien ist nicht die Wiege des Weinbaus ... (enobooks.de)

von Eckhard Supp (enobooks.de) - Nein, Georgien ist nicht die Wiege des Weinbaus und des Weins - was auch immer der eine oder andere Romantiker oder Weinvermarkter behaupten mag -, und auch die Rolle der traditionellen Amphore, des Kvevri, bei der Entstehung des besonderen Charakters georgischer Weine bleibt umstritten. Dies ist das Fazit, das man aus Vorträgen ziehen konnte, die kürzlich auf dem Ersten Internationalen Kvevri-Symposium auf Kloster Alaverdi in der georgischen Provinz Kachetien gehalten wurden.

Unterstützt von der Entwicklungshilfeorganisation der US-Regierung, USAid, hatte die Georgian Wine Association, ein Zusammenschluss kleinerer Spitzenerzeuger des Landes, zu diesem Symposium eingeladen, dessen offizieller Hauptgegenstand der (die, das?) Kvevri war, die traditionelle Gär- und Lageramphore der Georgier. Erster und auch interessantester Tagesordnungspunkt des Symposium war dann aber gar nicht diese Kvevri-Amphore, sondern der Ursprung des Weins ganz allgemein. Das Erstaunlichste an diesem Symposium war der Mut, mit dem die Organisatoren um die tüchtige Tina Kezeli nicht davor zurückschreckten, auch die heiligsten Kühe des georgischen Weinbaus schlachten zu lassen.

Das Wichtigste gleich vornweg: Georgien ist weder das Ursprungsland der Weinrebe in ihrer domestizierten (Kultur)Form, noch das des Weinbaus. Und das, obwohl immer wieder behauptet wird, dass hier bereits vor 8.000 Jahren Wein gekeltert und getrunken worden sein könnte, dass die Kulturrebe von hier stamme, und dass die ältesten archäologischen Funde hier stattfanden. Und obwohl dieses Theorem von der "Wiege des Weins" auch auf diesem Symposiums in zahlreichen Beiträgen immer wieder neu aufgetischt wurde - zu groß scheint die werbliche Faszination, die von dieser Art Aussagen ausgeht.

Vor allem dem Biomolekular-Archäologen Patrick E. McGovern von der University of Pennsylvania und José Vouillamoz, einem Rebforscher der schweizerischen Uni Neuchâtel kam dabei das Verdienst zu, den Ursprung der Rebe und des Weins bis in feinste Verästelungen entmystifiziert zu haben. Die älteste bekannte archäologische Evidenz, so Mc Govern, stammt gerade nicht aus Georgien, sondern aus dem norwestlichen Iran, und geht auf eine Zeit vor etwas 7.000 Jahren zurück. Die erste Begegnung des Menschen mit Wildreben der Art Vitis vinifera liegt dagegen schon weitaus länger zurück, und man nimmt an, das Homo sapiens bereits bei seinem Auszug aus Afrika vor 70.000 und mehr Jahren im heutigen Libanon auf sie stieß.

Homo sapiens und Vitis vinifera
Was zwischen diesen beiden Daten geschah, hat die Wissenschaft jetzt mithilfe von Genanalysen und archäologischen Funden rekonstruieren können. Diese legen nahe, dass die Domestizierung - sprich die Selektion von zweigeschlechtlichen, selbstbefruchtenden Pflanzen, die deutlich höhere und stabilere Erträge der begehrten Beeren versprachen als die eingeschlechtlichen - an einem einzigen Ort stattfand, und zwar im südlichen Anatolien, dem nördlichsten Punkt des so genannten Fruchtbaren Halbmonds (südliche Türkei bis Zweistromland), stattfand. Aus diesem einen historischen Akt der Selektion hätten sich dann, der Theorie zufolge, sämtliche der bekannten 8.000 - 10.000 Kulturrebsorten unserer Zeit entwickelt, die für 99,9 % des Weltweins aufkommen - das restliche 0,1 % wird aus Vitis labrusca, einer anderen Art der Vitaceae, gekeltert.

Die Genanalyse von Wild- wie Kulturreben zeigt aber auch, das die Mehrzahl der wichtigsten Rebsorten Europas von alten georgischen Sorten - daher wohl der Irrglaube von der "Wiege des Weins" - abstammt. Dies und weitere archäologische Funde legen die Vermutung nahe, dass sich die domestizierte Rebe zunächst von ihrem einen (!) Ursprungsort aus nach Norden (Kaukasus mit Georgien, Armenien und Aserbaidschan) ausgebreitete, und später dann von hier aus nach Iran, Jordanien, Griechenland, Italien, Südwesteuropa und dem Rest der Welt.

Interessanterweise, so ein Hinweis von José Vouillamoz, können nicht nur fast sämtliche domestizierten Nutzpflanzen der Antike genetisch auf das Gebiet Anatolien / Fruchtbarer Halbmond zurückgeführt werden, sondern hier liegt auch die Wurzel aller Sprachen des Indo-Germanischen Stammbaums. So scheint auch das Wort Wine-Wine-Vin-Vino auf das Proto-Indo-Europäische "win-o" zurückzugehen.

Auch was den Kvevri - Freunde des Tongefäßes insistieren vehement auf der Unterscheidung Kvevri - Amphore, die sich in ihrer Form (Kvevri läuft spitzer zu) und Funktion (Amphoren dienten nur zum Transport) unterschieden - angeht, so stammen die ältesten Funde gar nicht aus Georgien, sondern aus einer armenischen Felsenhöhle, zwar und aus einer Zeit zwischen 3.500 und 3.000 v. Chr. Wenn Georgien dennoch als DAS Land des Kvevri gilt, dann wohl, weil sich die Tradition des Weinmachens und -lagerns im großen Tonkrug (fast) nur hier auf breiter Front bis auf den heutigen Tag gehalten hat.

Einzigartiger Weinbau
Der Einzigartigkeit dieser Tradition des Weinmachens steht die Einzigartikeit des Rebsortenpanoramas gegenüber. Zwar wird auch in Georgien nur ein kleiner Teil - 28 von 621 - der bekannten einheimischen Rebsorten wirtschaftlich genutzt - weltweit sind es 1.374 von 8 - 10.000 -, aber diese dominieren das Land noch in ungleich stärkerer Weise als dies in anderen Ländern der Fall ist. Italien beispielsweise, das 370 einheimische Rebsorten besitzt, ist heutzutage deutlich stärker von internationalen (französischen) geprägt, die in Georgien bis dato nur marginale Verbreitung gefunden haben.

Welchen Anteil an den charakterstarken, einzigartigen Weinen Georgiens, die in den letzten Jahren - als Folge der Blockade des Imports georgischer Weine durch Russland - qualitativ enorm zugelegt haben, die einzelnen Elemente und Parameter dabei haben, blieb auch auf dem Symposium umstritten. Während vor allem Kvevri-Fans aus Weinhandel und Weinjournalismus die Gärung und Lagerung im Tonkrug als entscheidenden Parameter hinzustellen versuchten, demonstrierte Roberto Ferrarini von der Universität Verona, dass die in Georgien noch weithin praktizierten traditionellen, extrem langen Standzeiten vor allem bei Weißweinen einen deutlich größeren Anteil am endgültigen Weincharakter haben könnten als der Kvevri-Tonkrug.

Durch solche Standzeiten erhöhen sich ihm zufolge nicht nur die Konzentration an Polyphenolen, sondern auch die bestimmter Aromagruppen, und sogar die Mineralität der Weine, während andere Aromen wie beispielsweise florale und fruchtige Noten zum großen Teil oder sogar vollständig verschwinden. Auch der Prozess der Polymerisation werde durch die lange Standzeit enorm beschleunigt und die Weine zeigten mehr Kraft und Körper.

Ferrarinis Aussage wurden allerdings in Bezug auf einige Parameter durch die Forschungen der Chilenin Cecila Diaz am Fraunhofer Institut in Aachen relativiert, die im Vergleich zwischen Kvevri-Weinen und solchen aus langer Mazeration in anderen Behältnissen (Stahl etc.) durchaus zum Beispiel bei den Kvevri-Weinen enorm erhöhte Antioxidantien feststellte. Beim Resveratrol wiederum, gab es dagegen keine signifikanten Unterschiede.

Interessant waren auch die verschiedenen, durchaus kontrastierenden Aussagen zur Behandlung der Tonkrüge mit Bienenwachs, die angeblich der Verhinderung allzu starker Oxidation der Weine dienen soll. Während einige der Redner diese Wachsbehandlung als das A & O des richtigen Gebrauchs der Kvevris hinstellten, wies Patrick McGovern darauf hin, dass bei Funden antiker Amphoren / Kvevris in keinem einzigen Fall eine solche Wachsbehandlung nachgewiesen werden konnte. Laut Ferrarini ergäbe diese auch vor allem dann überhaupt keinen Sinn, wenn Kvevris - wie heute vielfach üblich - eingegraben würden, da dann der Sauerstoffaustausch per Osmose oder Verdunstung ohnehin extrem limitiert sei.

Erstaunlich war, dass auf dem gesamten Symposium nie versucht wurde, einen Zusammenhang zwischen dem Rohmaterial der Vinifizierung, den Trauben (Rebsorten, Kulturen, Böden, Klima) und den verschiedenen Theorien der Vinifizierung herzustellen. Hier bleibt - und dem stimmten auch einige der Forscher im privaten Gespräch zu - noch viel zu erforschen und zu tun, bevor man wirklich schlüssige Aussagen zum Hauptgegenstand des Kongresses, dem Kvevri - tätigen kann.

Summa summarum kann man wohl sagen, dass die "Modeerscheinung" Amphore (Kvevri) durchaus eines der Elemente bei der Bildung des Charakters georgischer Weine darstellen kann. Die Betonung liegt hierbei auf EINES und KANN. Natürlich wurden während der drei Tage auf Kloster Alaverdi auch Marketingthemen behandelt, aber auf diese Aspekte möchte ich an dieser Stelle nicht auch noch eingehen. Ich werde sie demnächst im Zusammenhang mit der Veröffentlichung meiner Verkostungsnotizen in Form eines "Weinhighlights" aufgreifen.

No comments: