PUTINS MAMA
Donnerstag, 7. Juni 2007, 22:25 Uhr, arteTV
Dokumentarfilm, Niederlande 2003, ARTE F
Regie: Ineke Smits
Parallel zum G8-Gipfel, wo nicht nur die Staatsmänner aufeinandertreffen, die die Geschicke der Welt in Angriff nehmen sollen - wird in den deutsch-französischen Medien einem Staatsmann ein Film gewidmet. Diese Dokumentation begibt sich auf biografische Spurensuche. Entdeckt wurde die leibhaftige Mutter von Wladimir Putin, der ja - laut eigenen Angaben - angeblich als Waisenkind aufgewachsen sein sollte.
Es mutet an wie eine Recherche aus dem literarischen Hinterzimmern der großen russischen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts: Die Entdeckung Putins Mutter - könnte das Wellen schlagen vor dem Hintergrund der forcierten Klimadebatte, der Energieschlachten und Globalisierungsscharmützel...?
Brisant dabei ist, dass Frau Putina eine einfache, vitale und temperamentvolle Frau vom Lande sein soll. Trotz ihres entbehrungsreichen Lebens ist es ihr immer noch nach Singen und Tanzen zumute. Und mehr noch, sie ist eine Georgierin! Da der Mutter auch im Kaukasus eine großartige Rolle zufällt, könnten die Georgier Putin auch als einen der ihren ansehen. Das ist für eine andere Sippe, die Belegschaft des Kreml, eine gewisse Herausforderung. Der Konflikt und die Bekundungen eigener imperialer Interessen im Kaukasus bekämen einen gewissen Drall, wenn Putin der kaukasischen Familie angehört.
Andererseits gibt es historisch gesehen auch einen Vorgänger, der die Gegenwart wie auch immer relativieren könnte. Doch dessen Name ist alles andere als makellos oder gar lupenrein. Der Politname Stalin zog in die Kremlwirtschaft ein und zierte die Schreckensherrschaft im ganzen russsischen Reich und darüber hinaus. Auch er war ein Kaukasier, manche behaupten ein Ossete (was angesichts einer iranischsprachigen Herrkunft nicht ganz bedeutungslos wäre), und auch heute noch wird dem Diktator eine Ehre in Georgien zuteil, die zumindest in aufgestellten Devotionalien in herumfahrenden Taxis zur Anschauung kommt. Worum geht es? Um die Ehre der Kaukasier? Oder um den Helden Stalin? Und geht es darum, dass Putin ein kaukasischer Sohn ist, oder das wieder einmal ein Georgier an der Spitze eines chaotischen und durchtriebenen Apparates mysterischer Ausmaße steht? Was hat es auf sich mit diesen Paralellen?
Soll Putin als Diktator diskreditiert werden? Oder warum werden die Mütter von den Staatsmännern verleugnet? Soll dem politischen und wirtschaftlichen Konflikt zwischen den Georgiern und den Russen Futter gegeben werden? Oder ist der Streifen ein Symbol der Annäherung? Angesicht der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit der Russen, könnte jedoch ein georgischer Staatsmann an der russischen Spitze eine bizarre Angelegenheit für die sogenannte großrussische Identität sein?
Und nehmen wir eine andere Perspektive ein: Warum zeigen die Europäer gerade jetzt diesen 2003 gedrehten Film? Um die Medienfreiheit zu unterstreichen? Oder spielt das ganze in einem strategischen Areal, da ja Familiengeschichten, Affären und Intrigen schon immer auch einen weitreichenden Einfluß auf Machtgefilde haben können?
Jedenfalls steht die Ausstrahlung von "PUTINS MAMA" in mehreren rezeptionellen Kontexten - ich denke da an mehrere Schaustücke: an die geopolitische Bühne mit mehreren einflussreichen und weniger einflussreichen aber ehrgeizigen Akteuren, an das kaukasische Familientheater, an die mediale Laienspieltruppe des Westen, die es gerade mal auf den Marktplatz der Eitelkeiten schafft und eben nicht an das einflußreiche exklusive Hoftheater, das es eh nicht mehr gibt, da die transmediale Welt schon geraume Zeit ein hysterisches Welttheater ist ..., wobei man immer mal wieder in eine aberwitzige Fallgrube stürzen kann.
Auf jeden Fall bin ich ganz gespannt. Und alle Achtung ... den Stammbaum Putins hätte ich auch gern entdeckt. Das regt zumindest ungemein die Phantasie an... Langweilig ist der Beitrag bestimmt nicht, nicht wahr? (Ralph Hälbig)
Link: Die Geschichte der Vera Putina
Die Babuschka und der Herr Putin Die Fragen, die die Dokumentation "Putins Mama" zu Beginn beim Zuschauer aufwirft, sind nach wenigen Minuten vergessen. Egal, ob die Geschichten, ... (mehr Hamburger Abendblatt)
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