Wednesday, August 10, 2011

INTERVIEW: Energielieferant für den Westen. Südkaukasus: Risiko für Europa? Gespräch mit Dr. Stefan Meister (european-circle.de)

"Die europäische Kaukasus-Politik bleibt zögerlich und reaktiv", kritisiert Dr. Stefan Meister von der DGAP. (Foto: DGAP)

Seit Aserbaidschan den “European Song Contest” gewonnen hat, weiß jeder, wo das Land liegt. Doch kaum einer weiß, dass ein Fünftel des Staatsgebietes – und diese 20 Prozent liegen mitten im Staatsgebiet – von armenischen und russischen Truppen besetzt ist. Mit dem Nachbarland Armenien bestehen daher keine Beziehungen. Es zeigt sich allein an diesem Konflikt um Berg-Karabach, wie fragil die Lage im Südkaukasus ist. Die EU hat aber mehrere Sonderbeobachter dafür eingesetzt. European Circle-Korrespondent Peter Brinkmann sprach mit Dr. Stefan Meister von der “Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik” (DGAP) in Berlin.

European Circle: Seit dem Georgien Krieg 2008 wissen wir alle, dass der Kaukasus eine neue politische Strategie braucht. Wo steht die EU-Kaukasus-Politik heute?

Meister:
Der Georgien-Krieg im August 2008 war ein Weckruf für die EU, sich zukünftig stärker im Südkaukasus zu engagieren. Doch bis heute gibt es kaum greifbare Erfolge. Während Russland und China ihre regionalen Interessen mit Entschlossenheit durchsetzen, bleibt die europäische Kaukasus-Politik zögerlich und reaktiv.

European Circle: Dabei sind wir doch auf eine stabile Region angewiesen, denn wir beziehen ein Großteil unseres Energiebedarfs schon heute von dort und mit dem Bau neuer Pipelines, z. B. von Nabucco, bald noch mehr. Warum betreibt die EU das eher nachlässig?

Meister: Das stimmt nicht ganz so. Die EU rückt in der Kaukasuspolitik immer mehr in den Vordergrund. Mit Initiativen wie der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), der Östlichen Partnerschaft (ÖP) und der Schwarzmeersynergie hat sich Brüssel durchaus stärker nach Osten orientiert. Doch trotz diverser Initiativen besteht die europäische Kaukasus-Politik primär aus Transformationsförderung und Entwicklungshilfe. Damit deckt die EU nur eine begrenzte strategische Dimension ab und trat in der Vergangenheit eher als stiller Beobachter auf. Zwar hat sie mit der Aushandlung des Waffenstillstandabkommens im August 2008 und der Entsendung einer Beobachtermission nach Südossetien und Abchasien erstmals ernsthaft Verantwortung in der Region übernommen. Doch fehlt eine Strategie, in deren Rahmen Brüssel den Kaukasus-Staaten eine echte Entwicklungsperspektive bietet – und zwar jenseits von mehr oder weniger Absichtserklärungen, wie es die ÖP und der südliche Energiekorridor letztlich sind.


Nur an Energie interessiert?

European Circle: Heißt das, dass Europa an der Region eigentlich nur als Energielieferant interessiert ist?

Meister:
Dass sich im Südkaukasus die europäischen Energieinteressen bündeln, macht die Entwicklung einer europäischen Strategie umso dringender. Der Kaukasus ist Teil des südlichen Energiekorridors, der mit seinem Schlüsselprojekt Nabucco-Pipeline nach dem Georgien-Krieg und dem russisch-ukrainischen Gaskonflikt im Januar 2009 zum zentralen Gegenstand der europäischen Diversifizierungsdebatte wurde.

European Circle: Was ist das Ziel?

Meister:
Ziel ist es, alternative Ressourcen aus dem Kaspischen Meer und dem Mittleren Osten an Russland vorbei nach Europa zu transportieren. Doch obwohl einige EU-Mitgliedstaaten zu den wichtigsten potentiellen Konsumenten von kaspischen Ressourcen gehören und europäische Energiekonzerne wie BP, ENI und Statoil einen wichtigen Part bei der Erdölförderung in der Region spielen, ist die EU bei der Entwicklung von Transitrouten und der Sicherung zukünftiger Ressourcenquellen nur begrenzt wichtig.

China ist schon da

European Circle: Und China hat schon wieder überall seine Finger drin?

Meister: Ja. China hat mit der Eröffnung einer Gaspipeline von Turkmenistan über Usbekistan und Kasachstan im Dezember 2009 seine Position im Kaspischen Raum gestärkt. Und im Frühjahr 2010 hat Russland begonnen, in seinem Sektor des Kaspischen Beckens nach Öl zu bohren. Staaten wie Russland, China und der Iran haben Interessen in der Region, die sie zum Teil erfolgreich durchsetzen. Während EU-Programme in erster Linie Anreize für Langzeitentwicklung und Reformen bieten, benötigen die Eliten in Armenien, Aserbaidschan und Georgien praktische und finanzielle Angebote, die sofort wirken. Ähnlich wie in Zentralasien besteht ein Unterschied zwischen dem, was die EU anbietet und dem, was die regionalen Eliten kurzfristig benötigen.

European Circle: Also was ist unbedingt nötig?

Meister:
Vor allen Dingen braucht der Südkaukasus innerhalb der EU einen starken Fürsprecher, einen Anwalt, der sich für ihn einsetzt wie es Frankreich für den Mittelmeer-Raum tut. Die ÖP war eine wichtige Initiative, um Aufmerksamkeit auf den tiefgreifenden Wandel zu richten, der sich derzeit in den östlichen Nachbarstaaten der EU vollzieht. Doch diese polnisch-schwedische Initiative benötigt die Unterstützung weiterer Staaten, die in der europäischen Ostpolitik Gewicht haben.

European Circle: Und Deutschland?

Meister:
Deutschland zeigt momentan kaum Präsenz; der Bundesregierung fehlt es letztlich an einer Vision für eine erfolgreiche europäische Politik gegenüber den östlichen Nachbarn. Auch die Polarisierung innerhalb der EU zwischen Staaten, die in Russland einen wichtigen Kooperationspartner sehen (Deutschland, Frankreich, Italien) und Staaten, die Russland als Gefahr für die Ostpolitik erachten (Polen, die baltischen Staaten, Schweden), verhinderte bisher eine Neuausrichtung der europäischen Kaukasuspolitik.

European Circle: Dabei könnte doch gerade Berlin eine wichtige Rolle spielen?

Meister: Völlig klar. Wegen seiner besonderen Beziehung zu Russland und seiner Unterstützung für die EU-Osterweiterung war Deutschland lange Zeit der zentrale Akteur der europäischen Ostpolitik. Doch mit dem politischen und wirtschaftlichen Wandel im postsowjetischen Raum und der 2004 vollzogenen Osterweiterung verlor die Bundesrepublik an Boden. Während die postsowjetischen Staaten eher Abstand zu Russland suchten, blieb die deutsche Außenpolitik in der Region auf Moskau fixiert. Infolgedessen entwickelten die mittelosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten eine kritischere Russland-Politik und pflegten engere Beziehungen zu Georgien. Sie unterstützten den euroatlantischen Kurs Georgiens und die Emanzipation der postsowjetischen Staaten vom russischen Einfluss.

European Circle: Und die deutsche Politik blieb stehen, blieb fixiert auf Moskau...

Meister: In der Tat. Deutschland dagegen war nicht in der Lage, einen zweigleisigen Ansatz zu entwickeln: einerseits gute Beziehungen zu Russland zu pflegen und andererseits die bilateralen Beziehungen zu den postsowjetischen Staaten zu intensivieren. Es ist gerade dieser Mangel an Balance in der deutschen Ostpolitik, die den Erfolg seiner im europäischen Rahmen angelegten Initiativen in Zentralasien, dem Südkaukasus und der Schwarzmeerregion gefährdet.

Was muss geschehen?


European Circle: Was also fehlt?

Meister: Was fehlt, ist eine strategische Debatte innerhalb der EU: Welche Interessen haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten im Südkaukasus? Welchen Beitrag kann die Region für die Sicherheit und Energieversorgung Europas leisten? Wer, innerhalb der EU, übernimmt besondere Verantwortung für die Beziehungen zum Kaukasus? Eine erfolgreiche Kaukasus-Strategie darf sich nicht allein auf die Förderung von Demokratie und Good Governance beschränken.

European Circle: Sondern muss was enthalten?

Meister: Deutschland sollte innerhalb der EU als Anwalt der südkaukasischen Staaten auftreten und sein politisches und wirtschaftliches Gewicht dazu nutzen, bestehende, von der deutschen Politik entwickelte Strategien, zu einer kohärenten Strategie für die transkaspische Region zu bündeln. Brüssel sollte ein besseres Verständnis für die Heterogenität der Akteure im Südkaukasus entwickeln. Die Kaukasusstaaten sind zwar wirtschaftlich und politisch eng verflochten und es ist unmöglich, sie getrennt voneinander zu behandeln. Doch Georgien, Aserbaidschan und Armenien stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen, zum Teil in abweichenden geopolitischen Kontexten und haben verschiedene Positionen zu einer Integration in die EU. Vor allem Aserbaidschan ist mit seinen Energieressourcen und seinem Zugang zum Kaspischen Meer als Kooperationspartner für die EU besonders wichtig. Berg-Karabach ist der Schlüsselkonflikt, der die gesamte Region blockiert und eines größeren europäischen Engagements bedarf. Brüssel könnte beispielsweise die Nachfolge von Frankreich als Co-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE antreten, um mit mehr Nachdruck auf eine Lösung des Berg-Karabach-Konflikts hinzuwirken.

European Circle: Und vor allem im Energiesektor tätig werden?

Meister:
Unbedingt. Die EU und die europäischen Wirtschaftsakteure sollten die Entwicklung des West-Ost-Energiekorridors mit mehr Investitionen und politischer Fürsprache unterstützen. Sie sollten das Projekt des südlichen Energiekorridors und eines transkaspischen Transitsystems vorantreiben, das den Anschluss an die zentralasiatischen Ressourcen brächte.

European Circle: Welcher Rolle spielt dabei die Türkei?

Meister:
In diesem Prozess sind Russland und die Türkei wichtige regionale Partner. Mit der Türkei sollte sich die EU in Bezug auf ihre Energie- und Sicherheitspolitik besser abstimmen – auch jenseits der Beitrittsverhandlungen. Ankara pflegt enge Beziehungen zu Aserbaidschan und hat wegen der Auseinandersetzung um Berg-Karabach die Grenze zu Armenien geschlossen. Die Türkei ist das wichtigste Transitland für Rohstoffe aus der Kaspischen Region und versucht diese Position zu nutzen, um als Zwischenhändler gegenüber Firmen aus der EU aufzutreten.
Im Gegensatz dazu ist Russland bei der Erschließung von Ressourcen bislang eher als Konkurrent aufgetreten und hat sich bei Konflikten in der Vergangenheit selten kooperativ gezeigt. Daher sollte Moskau in bestimmte Verhandlungsformate und vertrauensbildende Maßnahmen zwar eingebunden werden, auch im Rahmen der östlichen Partnerschaft. Jedoch sollte die EU ihre Kaukasuspolitik unabhängiger von Russland weiterentwickeln, da Moskau kein wirkliches Interesse an einer Konfliktlösung hat.

European Circle: Und die USA?

Meister:
Die USA sind ein unentbehrlicher Partner in der Region, verfolgen jedoch nicht immer die gleichen strategischen Ziele wie Brüssel. Dass Washington derzeit einen konfliktmindernden Ansatz in seiner Russland-Politik favorisiert, bedeutet de facto weniger US-Engagement in der Region. Darum gilt auch hier: Brüssel sollte sich zwar mit Washington abstimmen, aber trotzdem einen eigenen, von den USA unabhängigen Ansatz im Kaukasus verfolgen.

Quelle:
european-circle.de

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