Sunday, March 10, 2013

ARCHITEKTUR: Special - Georgische Träume in der BAUNETZWOCHE#295. Von Uli Meyer (baunetz.de)

(baunetz.de - pdf) Wohin steuert Georgien? Nach den Wahlen am 1. Oktober und dem überraschenden Sieg der Opposition „Georgischer Traum“ hat in der kleinen Kaukasusrepublik gerade zum ersten Mal ein demokratischer Machtwechsel stattgefunden.Wohl kein Land hat sich in den letzten Jahren so radikal verändert wie Georgien. Zwischen 2004 und 2012 wurde unter Präsident Micheil Saakaschwili aus einem korrupten, nahezu „gescheiterten Staat“ ein einigermaßen funktionierendes Staatswesen. Zu dieser Entwicklung gehörte unter dem bekennenden Liebhaber zeitgenössischer Architektur Saakaschwili auch ein ambitioniertes Neubauprogramm. Neben vielen großen, teilweise fragwürdigen Prestigebauten sind auch kleinere, unspektakuläre Projekte entstanden. Was wird nun nach dem Machtwechsel aus dem architektonischen Aufbruch?

Nähert man sich vom etwas außerhalb gelegenen Flughafen der georgischen Hauptstadt Tiflis, wird schnell klar, wohin die Reise nach Meinung der bisherigen politischen Führung Georgiens gehen sollte: in Richtung Westen. Der gut ausgebaute Highway ist nach dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush benannt und führt an zahlreichen in den letzten Jahren entstandenen Großprojekten westlicher Architekten vorbei. Vor allem das Innenministerium, nach Plänen des italienischen Designers und Architekten Michele de Lucchi gebaut, springt durch seine Fassade, die wie ein gläsernes, mehrfach geschwungenes Band geformt ist, sofort ins Auge. Parallel zur Autobahn vor den Toren der Stadt scheint das Ministerium den Besucher wie das Symbol des Aufbruchs einer stolzen, doch für viele Jahre in Stagnation und Lethargie gefangen gehaltenen Nation zu begrüßen.

Georgien, von der Fläche etwas kleiner als Bayern, ist das Land im Kaukasus, das am stärksten nach Europa drängt – was schon am Flughafen und später auch im Stadtbild ziemlich plakativ sichtbar wird: Überall hängen neben der georgischen auch die Europaflaggen. Im Gegensatz zu seinen beiden kaukasischen Nachbarn, den sich spinnefeind gegenüber stehenden Armenien und Aserbaidschan, besteht für Reisende nach Georgien keine Visumpflicht. – was die Einreise enorm vereinfacht. Übrigens nicht die einzige angenehme Überraschung am Flughafen: Neben einer schnellen Abfertigung erhält jeder Einreisende bei der Passkontrolle auch eine Flasche georgischen Weins. Ein Willkommensgeschenk, das an die Erfindung des Weins an den fruchtbaren Hängen des Kaukasus vor rund 7.000 Jahren erinnern will.

Eine Innenstadt der Gegensätze

Die 1,2 Millionen-Einwohner-Stadt Tiflis lagert sich auf 21 Kilometern auf einem Plateau an die Ufer des Flusses Kura an. Erreicht man die Innenstadt bei Dunkelheit, empfängt einen die angestrahlte Pracht des Rustaveli-Boulevards. Die 1,5 Kilometer lange, vierspurige Allee bildet die Hauptverkehrsachse der Stadt und wird auf beiden Seiten von sanierten, prunkvollen Stadtpalais des Klassizismus und Jugendstils flankiert. Darunter sind die Hauptinstitutionen des georgischen Kulturlebens, besonders herausragend das Rustaveli-Theater, sowie die Gebäude zahlreicher Museen.

Doch nicht nur die historischen Gebäude der Stadt werden beleuchtet. Auch der auf dem Berg Mtazminda über der Stadt thronende Fernsehturm aus dem Jahr 1972 hat von der Illuminierungswut des Präsidenten Micheil Saakaschwili profitiert. Er glitzert und funkelt seit 2005 jede Nacht, wie es der Pariser Eiffelturm nur einmal im Jahr zum Jahreswechsel darf.

Durchwandert der Besucher allerdings die Stadt bei Tageslicht, wird schnell die Kluft zwischen den Vorzeige-Neubauprojekten westlicher Architekturbüros und der langsam zerfallenden Altstadt sichtbar. Das gerade eröffnete Verwaltungszentrum von Massimiliano und Doriana Fuksas steht mit seinem weißem Blätterdach wie ein seltsamer, dimensionsloser Fremdkörper eingeklemmt zwischen vierspuriger Uferstraße und Fluss. Unweit davon die 2010 eingeweihte, gläserne Friedensbrücke für Fußgänger – gleichfalls ein Werk von Michele de Lucchi –, die die Altstadt mit dem neugestalteten Rike-Park auf der anderen Seite der Kura verbindet. Etwas oberhalb davon der Präsidentenpalast, den Saakaschwili sich in einem undefinierbaren Architekturstilmix erbauen ließ. Anklänge an den Berliner Reichstag samt gläserner Kuppel sind allerdings unübersehbar. Im Rike-Park am Ufer der Kura entsteht gerade das vielleicht letzte Großprojekt der Ära Saakaschwili: eine Konzert- und Ausstellungshalle, ein Projekt gleichfalls aus dem Hause Fuksas. Zwei röhrenartige, aufgeständerte Großformen scheinen aus dem Berg unterhalb des Präsidentenpalasts herauszuwachsen. Die Architekten beschreiben den Entwurf als Architektur, die symbolisch aufzeigt, dass diese »Gesellschaft die Vergangenheit hinter sich gelassen hat und sich in eine völlig neue Richtung bewegt.«

Das Blaue Haus

Bedenklicher jedoch als die rege, willkürlich erscheinende Bautätigkeit des scheidenden Präsidenten stimmt den Besucher der Umgang der Obrigkeit mit der reichen historischen Bausubstanz. Während zum Teil ganze Straßenzüge abgerissen und disneyartig wieder aufgebaut werden, verrotten eine Kreuzung weiter die für Tiflis so typischen Backsteinhäuser mit umlaufenden oder vorgesetzten Pergolen und mit reichem Schnitzwerk verzierten Holz-Balkonen. Ein anschauliches Beispiel für den Umgang der Stadtverwaltung mit seinen historisch wertvollen Bauten bildet die Geschichte des Hauses Gudiashvili-Platz 2, das im Volksmund »Blaues Haus« heißt. Der älteste Teil wurde ab 1830 als Wachstation für das russische Militär errichtet. Die umlaufenden Balkone und Erker auf Granitstützen sind mit geschnitzten, mozarabischen Mustern verziert. Ende 2011 wurde das Gebäude an einen Investor verkauft, der einen Wettbewerb zur Umgestaltung des gesamten Platzes ausschrieb, den das Wiener Büro Zechner & Zechner gewann. Obwohl das Büro die Sanierung des „Blauen Hauses“ im Sinne des Denkmalschutzes vorgesehen hatte, kommt die Planung von Zechner & Zechner nicht zur Ausführung. Da die Wettbewerbsgewinner keinen wie auch immer gearteten Planungsauftrag für den Gudiashvili-Platz angenommen haben, wird die Planung derzeit ausschließlich von lokalen Architekten durchgeführt. Als diese Planung für den für viele Bewohner von Tiflis identitätsstiftenden, städtischen Platz bekannt wurde, kam es zum ersten Mal in der Geschichte des Landes zu einer zivilen Protestbewegung einer engagierten Zivilgesellschaft. Via Internet und Facebook wurde zu einer Großkundgebung aufgerufen, der eine erstaunlich große Zahl an Bewohnern von Tiflis nachkam. Allerdings konnte alles Demonstrieren und Mobilisierung nicht den Abriss des Hauses bis auf seine Grundmauern verhindern. Momentan existiert nur noch ein Gebäudeskelett als trauriger Überrest eines einst stolzen Gebäudes, das nun seiner Wieder-Verzierung harrt.

Transparenz und Offenheit

Die gute Intention, die hinter der massiven Bautätigkeit mit Beginn der Amtstätigkeit Saakaschwilis steckte, sind unbestritten. Vor allem auf dem Land lässt sich das gut erkennen. Jedes noch so kleine Kaukasus-Dorf verfügt über einen nach der Rosenrevolution 2003 entstandenen Neubau der örtlichen Polizeiwache. Das Besondere daran: Alle Gebäude sind so offen und transparent gestaltet wie möglich. Im Rahmen der von Saakaschwili initiierten Polizeireform wurde die Hälfte des als korrupt verrufenen Polizeiapparates entlassen und durch neue Beamte ersetzt. Seit 2009 hat die Regierung mehr als 80 neue Polizeistationen gebaut. Die breiten Fensterfronten dienen als Symbol eines demokratischen Landes und sollen Vertrauen in sein Justizsystem schaffen. Mit Erfolg: verglichen mit 2006, hat das Vertrauen, so eine Statistik, der örtlichen Bevölkerung in die Polizei um 70 Prozent zugenommen. Nicht alle der Neubauten sind dabei so skulptural gestaltet wie die Polizeistation, die Jürgen Mayer H. im April 2012 in der nordwestlichen Stadt Mestia fertig stellen konnte. Viele sehen recht konventionell aus, bilden jedoch immer noch einen starken Kontrast zu den ärmlichen Behausungen der breiten Mehrheit in einem armen Land.

Potemkinsches Tiflis

Fast eine Metapher für die zum Teil absurde Bautätigkeit der letzten Jahre der Ära Saakaschwili bildet die Bebauung des Freiheitsplatzes in Tiflis. Als einer der Hauptplätze von Tiflis wurde er 2006 umgestaltet. In seiner Mitte erhebt sich seitdem eine etwas kitschig geratene prunkvolle Säule, die an ihrer Spitze eine vergoldete Statue von Georgiens Nationalheiligem, dem heiligen Georg trägt. Die Bebauung der südlichen Platzkante bestand jahrelang aus unfertigen Rohbauten. Kurz vor den Wahlen am 1. Oktober wurden die pseudo-klassizistisch gestalteten Fassaden der Neubauten dann doch fertig gestellt. Allerdings befindet sich dahinter in Potemkinscher Manier rein gar nichts.

Weitere Beispiele irrationaler Projekte lassen sich mühelos finden: So wurde in der von Tiflis 300 Kilometer entfernten Stadt Kutaissi ein komplett neues Parlamentsgebäude erbaut und am 22. Oktober eingeweiht, obwohl in Tiflis ein gut funktionierendes Parlamentsgebäude zur Verfügung steht. Noch weiter westlich an der Schwarzmeerküste, unweit der Grenze zur abtrünnigen Republik Abchasien, sollte nach dem Willen des Präsidenten ein komplett neue Stadt entstehen. Lazika, so der Name der Neugründung, sollte mit bis zu 500.000 Einwohnern die zweigrößte Stadt Georgiens werden.

Was wird aus dem architektonischen Aufbruch?

Vielleicht waren es solche und ähnliche an Größenwahn grenzenden Projekte, die den Wahlsieg Bidsina Iwanischwilis und seines Bündnisses »Georgischer Traum« beförderten. Doch wie wird der in der Ära Jelzin in Russland zu sagenhaftem Reichtum gekommene Geschäftsmann mit den Projekten Saakaschwilis umgehen? Bis vor einem Jahr war die Person Iwanischwili selbst den meisten Georgiern weitgehend unbekannt. Weder gab es Fotos von ihm oder seiner Familie, noch war etwas über die Ursprünge seines Vermögens bekannt. Einzig sein 2007 von dem japanischen Architekten Shin Takamatsu entworfenes, monumentales Anwesen aus Glas und Stahl schwebte, wie einem James-Bond-Film entsprungen, auf einem Hügel oberhalb der Stadt.

Die Stadt Lazika wird wohl nicht gebaut werden. Das gab jedenfalls Iwanischwili am 3. Oktober bekannt. Am 25. Oktober wurde Iwanischwili vom georgischen Parlament zum Premierminister gewählt. Die Erwartungen vor allem der armen Bevölkerung an ihren Hoffnungsträger sind hoch. Doch wird er sie halten können? Die Unterschiede der beiden politischen Kontrahenten mögen groß sein, ihr Geschmack für postmoderne Glas-Stahl-Architektur scheint ähnlich zu sein. Für die morbide, wunderschöne Altstadt von Tiflis scheint das nichts Gutes zu verheißen.

(Uli Meyer)

Bildunterschriften im Magazin:

* Das georgische Innenministerium wurde von 2007 bis 2009 vom türkischen Büro M-OFIS Architecture und nach Plänen von Michele de Lucchi gebaut. Es befindet sich direkt am Flughafenzubringer George W. Bush Street. Foto: M-OFIS Architecture
* Das Gebäude des Rustaveli Theaters am Rustaveli-Boulevard wurde 1879 nach Plänen den Architekten Cornell K. Tatishchev and Alexander Shimkevich erbaut.
* Oben und unten rechts: Verwaltungszentrum von Massimiliano und DoriaFuksas am Ufer der Kura Fotos: Moreno Maggi
* Rike-Park nach Plänen des spanischen Büros CMD Ingenieros Foto: CMD Ingenieros, Granada
* Ausstellung- und Konzerthalle von Massimiliano und Doriana Fuksas, oberhalb davon der Präsidentenpalast mit Glaskuppel
* Während viel Geld in die Prestigebauten fließt, zerfällt die Altstadt.
* In der Aghmashenebeli-Straße haben Investoren wenig Mitleid mit der historischen Bausubstanz. Alles wird rigoros abgerissen und durch Neubauten mit historisierenden Fassaden ersetzt.
* Haus Gudiashvili Platz 2 Zustand vor der Kahlschlagsanierung ..., ...und die aktuelle, anstelle der Planung von Zechner & Zechner, zur Ausführung kommende Neuplanung ... Der momentane Zustand
* Das Polizeigebäude von Jürgen Mayer H. in Mestia ... Foto: Jesko M. Johnsson-Zahn, Beka Pkhakadze ... und eine weit weniger spektakulär gestalteter Neubau einer Polizeiwache
* Der Freiheitsplatz mit der Säule des heiligen Georg und dahinter den für die Wahlen fertig gestellten Häuserattrappen ... Hinter den Fassaden verbirgt sich: nichts
* Das gerade eröffnete neue Parlamentsgebäude in Kutaissi, gleichfalls entworfen von spanischen Büro CMD Ingenieros Foto: CMD Ingenieros, Granada
* Der neue starke Mann Georgiens, Bidsina Iwanischwili, residiert über der Stadt in seinem Anwesen, das vom japanischen Architekten Shin Takamatsu entworfen wurde. Foto: Shin Takamatsu Architects, Kyoto

1 comment:

Paul said...

Schöner, gut recherchierter Artikel, der die Vernachlässigung (um es milde auszudrücken) der historischen und historisch wertvollen Bausubstanz gut darstellt. Leider ist der Drang nach Westen wohl davon begleitet, dass vieles Alte ohne groß darüber nachzudenken, einfach nicht mehr als wertvoll und erhaltenswert angesehen wird.

Der Artikel selbst ist vom 9.11. letzten Jahres, deshalb galt damals noch nicht, was heute mittlerweile gilt und ich hier kurz richtig stellen möchte: Seit dem 10. Januar 2013 kann man - zumindest als Deutscher - nach Armenien auch ohne Visum einreisen, für 180 Tage, für jeden Zweck mit einem Reisepass. Das ist natürlich im Vergleich zu Georgien (360 Tage, auch mit dem Personalausweis möglich) immer noch nicht so einfach, aber immerhin etwas. Nichtsdestotrotz stimme ich zu, dass Georgien das kaukasische Land ist, das sich am stärksten dem Westen gegenüber öffnen will.