(concerti.de) Die Geigerin Lisa Batiashvili über ihre Kindheit im Kommunismus, Musizieren mit dem Ehemann und ihren Kulturschock in Bayern
Frau Batiashvili, lieben Sie Brahms?
Aber ja! Mit zwölf, kurz bevor ich
endgültig nach Deutschland kam, spielte mein Vater schon ein paar Mucken
in Hamburg mit einem Laienorchester und Brahms’ Vierter. Ich
habe bei den Proben zugehört. Bis heute erinnere ich mich, wie sehr ich
mich in diese Musik verliebt habe. Es ist für mich eine
leidenschaftliche Musik. Als Kind braucht man zugegeben etwas Zeit, um
sich daran zugewöhnen. Doch wenn man das einmal getan hat, dann kommt
man nicht mehr davon los. Brahms’ Musik ist so menschlich. Sptäer habe
ich seine Kammermusik entdeckt.
Nun haben Sie Brahms’ Violinkonzert
eingespielt. Pablo Sarasate lehnte das Werk ab mit der Begründung, er
lasse sich die einzige Melodie des Konzerts – gemeint war der Anfang des
Adagios – nicht von der Oboe vorblasen…
(lacht) Ja. Aber was soll ich bloß dazu sagen? Mein Mann (François Leleux) ist Oboist!
Gut also, dass der Oboist der Sächsischen Staatskapelle nicht Ihr Ehemann ist…
Ja. Ich habe wohl noch mal Glück gehabt!
Aber im Ernst: Warum Brahms ausgerechnet der Oboe dieses Thema
zuordnete, weiß ich nicht. Ich träume allerdings auch davon, dass ich
das Konzert einmal mit François spiele.
Brahms’
Freund Joseph Joachim spielte das Werk bei der Uraufführung. Sie
spielen es auf einer Stradivarius „ex Joachim“ von 1715. Gibt es so
etwas wie eine Geigenseele?
Wenn man daran glaubt, vielleicht.
Joachim hatte übrigens fünf Stradivari aus dem gleichen Jahr und deshalb
ist es schwierig zu sagen, auf welcher er das Konzert gespielt hat. Ich
weiß gar nicht, warum er die alle aus dem gleichen Jahr gekauft hat.
Vielleicht waren sie billiger…
Mit 12 kamen Sie 1991 nach Deutschland. Welche Erinnerungen haben Sie an Tiflis?
Sehr viele und sehr starke. Meine Mutter
ist Pianistin und Lehrerin, mein Vater Geiger und spielt seit über
vierzig Jahren im Georgischen Streichquartett – in der gleichen
Besetzung. Die haben sehr oft bei uns geprobt. Er hat mich bis zum
elften Lebensjahr unterrichtet. Mit vier stand ich bereits auf der
Bühne, all dies war für mich sehr natürlich, mit zwei hatte ich bereits
angefangen, mich mit der Geige zu beschäftigen.
Die Musikerausbildung in der damaligen Sowjetunion galt seinerzeit als sehr intensiv und sehr gut.
Ja, doch dann änderten sich die Dinge,
die Mentalität. Früher stand die Musikschule neben der normalen Schule.
Beide Systeme ergänzten sich und waren aufeinander eingespielt; man
wurde bereits als Kind schon zum Musiker erzogen, und nicht wie hier, wo
man erst nach dem Abitur entscheidet, ob man auf die Musikhochschule
geht. Es war viel einfacher, man wusste, wir sind Musikerkinder und
wurden unterstützt. Das Problem war vielmehr der geringe Kontakt zur
Außenwelt. Für mich war es immer wichtig, was in Europa los war.
Inwiefern hat die kommunistische Politik eine Rolle in Ihrer Kindheit gespielt?
Kaum ein Mensch, den ich kannte, hat
nicht unter dem System gelitten. Als Kind musste ich diese
Pionieruniformen tragen mit diesem roten Tüchlein (lacht), an
Paraden teilnehmen und Kommunistensprüche nachplappern. Kein Mensch hat
daran geglaubt. Das Verhältnis von Georgien zu Russland war immer sehr
angespannt und das hat man gespürt. Andererseits, wenn man als Kind
nichts anderes kennt, dann stellt man auch vieles nicht in Frage und
kommt irgendwie zurecht.
Was war der Anlass, dann das Land zu verlassen?
Mein Vater wusste durch seine vielen
Konzertreisen, wie es im Westen zuging. Dennoch war es ein jahrelanger
innerer Prozess. Schließlich wollten meine Eltern auch für uns Kinder
mehr Chancen. Für meinen Vater war es eine unglaublich harte
Entscheidung, weil er das Quartett und seine Arbeit an der
Musikhochschule verlassen musste. Er ist bis heute eine sehr wichtige
und bekannte Figur im georgischen Musikleben. In Deutschland musste er
dann an einer Musikschule Anfänger unterrichten. Das war sehr hart für
ihn und auch der Grund, weshalb er sich früh pensionieren ließ und
zurück nach Georgien ging. Ich verstehe sehr gut, dass er zurück wollte.
Meine Mutter lebt heute in Ingolstadt und unterrichtet dort.
Was haben Sie aus Georgien damals mitgenommen?
(lacht) Mich selbst. Anfangs war
es sehr schwierig für mich. Es war alles so anders, ich könnte gar
nicht mal sagen, ob positiv oder negativ. Ich kam direkt auf ein
deutsches Gymnasium nach Hamburg und habe sehr gute Erfahrungen gemacht,
obwohl ich zunächst nichts verstanden habe. Der größte Schock aber war
eigentlich der Wechsel drei Jahre später von Norddeutschland nach Bayern
an ein naturwissenschaftliches Gymnasium in Ingolstadt. (lacht)
Ich hätte nie gedacht, dass man hier wesentlich konservativer ist als
im Norden. Ich habe dann meinen Schulabschluss an einer georgischen
Schule extern gemacht, um ein Diplom für die Hochschule zu haben. Dann
hatte ich das große Glück, zu Ana Chumachenco zu kommen und ihr
vorzuspielen zu dürfen.
Sie kamen in die berühmte Chumachenco-Talentschmiede, aus der ja Stargeiger…
…Stargeigerinnen…
…wie am laufenden Band herauskommen…
(lacht) Ja. Julia Fischer, Arabella Steinbacher, Susanna Yoko Henkel.
Was ist das Besondere an ihrem Unterricht?
Sie hat eine klare Einstellung zu den
Dingen, ist weise und großzügig und sehr menschlich. Sie ist natürlich
dadurch bekannt geworden, weil innerhalb von zehn Jahren viele ihrer
Schülerinnen berühmt wurden.
Sie wie auch Ana Chumachenco wurden in der
„Russischen Schule“ unterwiesen. Ich habe viele Geiger gefragt, doch
keiner konnte mir wirklich erklären, was diese Geigerschule wirklich
bedeutet.
Ich habe viel mit Frau Chumachenco
darüber gesprochen. Es handelt sich hier um ein bestimmtes Übungssystem,
dem man folgen muss, um auf eine bestimmte Art und Weise spielen zu
können. Ich muss dabei an bestimmte Stücke denken; für deren
Vorbereitung wird eine feste Zeit vorgeschrieben, um etwa Tonleitern
oder andere Techniken zu üben. Es ist ein sehr klares System, aber
mittlerweile hat man auch festgestellt, dass jeder sich selbst
einschätzen lernen muss, um das richtige effiziente System zu finden.
Man muss sich selbst vertrauen und eigene Verantwortung übernehmen. Wenn
man älter ist und noch andere Prioritäten als die Geige hat, dann muss
man lernen, mit der Zeit hauszuhalten.
2011 waren Sie in Tiflis an Ihrer alten Musikschule, was haben Sie empfunden?
Ich war zum ersten Mal jetzt dort. Mein Vater unterrichtet
dort und die Kinder haben für uns ein kleines Konzert gemacht. Das hat
mich sehr berührt. Die Ernsthaftigkeit der Kinder brachte mich fast zum
Weinen.
Sie waren damals auch ein solches Kind?
Ja. Aber ich will nichts verklären. Auch damals war alles
nicht wunderbar und trotzdem sind phantastische Künstler aus diesen
Schulen gekommen. Sie sehen Musik als etwas ganz Wertvolles an. Es ist,
bei allen politischen Veränderungen, das einzige, was konstant geblieben
ist.
Wie sieht man Sie, der es im Westen zum Star gebracht hat, in Georgien?
Ich versuche mich, etwas zurückzuhalten,
reise immer als Touristin ein. Ich will nicht auffallen, wenn ich meine
Familie besuche. Georgien ist jetzt ein Ort geworden, dem ich etwas
zurückgeben möchte. Ich will da kein Star sein, wichtig ist das, was ich
dort erlebt habe als Kind. Das ist eben nicht jedem passiert.
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