Sunday, June 16, 2013

PORTRÄT: Lika Martinova drehte einst mit Burghart Klaußner einen Film - jetzt studiert sie Kunst. Von Dorothee Krings (rp-online.de)

(rp-online.de) Das Straßenkind studiert jetzt Kunst

2006 dreht das georgische Straßenkind Lika Martinova mit dem deutschen Schauspieler Burghart Klaußner einen Film. Sieben Jahre später treffen sie sich wieder – in Deutschland. Das Filmteam hat dem Mädchen geholfen, seinen Traum zu verwirklichen: Kunst studieren in Düsseldorf.
 
Sie sieht ihn schon von weitem, den Mann mit dem dunklen Sakko, Handy am Ohr, Gedanken ganz woanders. Also läuft die junge Frau auf Burghart Klaußner zu, springt ihm in den Weg, lachend, übermütig, wie ein Kobold aus einer anderen Welt. Und der Schauspieler, der zu den Besten gehört, die der neue deutsche Film hervorgebracht hat, bleibt wie angewurzelt stehen, fasst sich an den Kopf, ungläubig, freudig auch er. "Lika!", ruft Klaußner, "mein Gott, Mädchen, nach so langer Zeit."
 
Ein Mädchen, ein ernstes Kind, war Lika Martinova tatsächlich, als sie dem deutschen Schauspieler das erste Mal begegnete. Das war vor sieben Jahren in Likas Heimat Georgien. Klaußner reiste damals mit einem deutschen Filmteam in den Süden des Kaukasus, um mit dem georgischen Regisseur Dito Tsintsadze einen Film zu drehen: "Der Mann von der Botschaft". Darin spielt Klaußner einen Botschaftsangestellten, der in der georgischen Hauptstadt Tiblisi das isolierte Leben eines Diplomaten lebt. Abends sitzt er allein in der viel zu geräumigen Wohnung. Tagsüber langweilt ihn die Büroarbeit. Ein Diebstahl durchbricht diese depressive Einsamkeit. Ein Straßenkind klaut dem Mann von der Botschaft auf einem Wochenmarkt das Portemonnaie. Der Diplomat stellt das Kind, später begegnen die beiden sich wieder. Es beginnt eine sprachlose Freundschaft, die den ganzen Film über changieren wird zwischen Unschuld und dunklen Ahnungen.
 
Lika Martinova war 14, als sie die Rolle des Straßenkindes übernahm. Eigentlich aber war es keine Rolle, denn sie hat gelebt wie das Kind im Film, ohne Familie, ohne Obdach, ohne Möglichkeit, auf eine Schule zu gehen. Irgendwann konnte sie bei einer Frau unterschlüpfen, die aus Mitleid mit den Straßenkindern in ihrer Stadt ein paar Etagenbetten aufgestellt hatte. Lika bekam ein Bett oben, durfte endlich auf eine Schule gehen, besuchte dort die Theatergruppe. So kam sie zum Casting für den Film von Dito Tsintsadze, und der wählte das eigensinnige Kind mit dem feinen Gesicht und dem burschikosen Auftreten für sein Projekt, machte Lika Martinova zur Mignon im georgischen Großstadt-Dschungel.
 
Viele Tage haben das Mädchen aus Tiblisi und Burghart Klaußner miteinander gedreht. Ohne gemeinsame Sprache. Die beiden kommunizierten durch ihr Spiel, lachten viel, verstanden einander durch Gesten, Blicke. "Ich habe sie sofort sehr ernst genommen", sagt Burghart Klaußner, "Kinderdarsteller sind für mich immer Kollegen." Intuitiv wusste Martinova, was sie vor der Kamera zu tun hatte. "Ein Naturtalent", sagten die Leute vom Film. "Ich will nicht zum Film", sagte Lika Martinova. Für sie war mit den Dreharbeiten kein Märchen wahr geworden. Sie hatte noch einen anderen Traum: malen.
 
Immer wenn Martinova Farben ergattern konnte, brachte sie zu Papier, was in ihr ist. "Früher habe ich oft mit Kreide gemalt", sagt sie. Stillleben meistens, Blumensträuße in dunklen Farben, Vasen, wie sie in Georgien getöpfert werden. Die Bilder bewahrte sie in einem Koffer unter dem Bett, die schönsten hängte sie an die Wand in ihrer Zimmerecke. So wurden die Bilder zum Zuhause, das sie nie hatte.
 
Einmal hat das Mädchen ein paar Leute vom Filmteam dorthin mitgenommen, Burghart Klaußner war darunter, auch die deutsche Filmproduzentin Christine Ruppert. "Ich hab dir damals ein Bild abgekauft, weißt du noch?", sagt Klaußner. "Ich hab es dir geschenkt", sagt Martinova, "dann hast du mir Geld geschenkt, so war das." Die junge Frau mit dem Pagenkopf lacht wieder, erzählt, dass sie sich freue, Klaußner nach sieben Jahren wiederzusehen – und endlich mit ihm sprechen zu können, auf Deutsch.
 
Das hat mit dem Besuch damals in Martinovas Zimmer zu tun. Denn die Leute vom Film waren berührt von den Bildern des Mädchens, sahen darin mehr als den Zeitvertreib einer Heranwachsenden. Es war ein anderer Ernst in diesen Zeichnungen, eine andere Tiefe. Und als das Kind dann noch sagte, es wolle gar nicht Schauspielerin werden, sondern Malerin, da fasste Christine Ruppert den Entschluss, dem Mädchen aus ihrem Film die Chance auf ein Kunststudium zu eröffnen.
So kam Lika Martinova nach Deutschland. Zunächst begleitete sie Dito Tsintsadze bei der Premierentour seines Films, ging dann in die Heimat zurück, beendete die Schule. Als sie 18 wurde, holte Ruppert sie für ein paar Monate nach Deutschland, damit sie selbst testen konnte, ob sie in dem noch fremden Land zurechtkäme. Die Filmproduzentin stand auch nach Jahren noch zu ihrer Zusage an das Kind. Martinova fühlte sich wohl, kam ein weiteres Mal wieder, diesmal für ein Jahr. Sie jobbte in Rupperts Filmproduktions-Firma Tatfilm in Köln, lebte bei der Produzentin, später bei einer Gastfamilie, lernte Deutsch, malte. Und als sie genug Bilder für eine Mappe beisammen hatte, bewarb sie sich an den Kunstakademien in Düsseldorf und München um einen Hochbegabten-Studienplatz – für sie die einzige Möglichkeit, ohne Abitur zu studieren.
 
Freunde in Düsseldorf hatten ihr zuvor Termine bei namhaften Künstlern unter anderem von der Düsseldorfer Akademie verschafft. Die hatten die junge Frau aus Georgien bestärkt, es an den Hochschulen zu versuchen. "Ich fand es damals sehr schwierig, über meine Bilder zu sprechen", sagt Martinova, "ich konnte nicht formulieren, warum ich meine Bilder male, ich malte einfach."
Inzwischen liebt sie es, über Kunst zu diskutieren. Sie wurde angenommen, gleich an beiden Akademien, in München und in Düsseldorf. Das hat ihr Selbstvertrauen gegeben, denn an den Hochschulen kannte niemand ihre Geschichte, musste allein ihre Kunst für sie sprechen. Martinova entschied sich für Düsseldorf, studiert im zweiten Semester, liebt den Austausch mit den anderen Studenten im Kolloquium.
 
Die enervierenden Kämpfe mit der deutschen Ausländerbehörde, die sie mit Hilfe ihrer deutschen Freunde durchgestanden hat, versucht sie hinter sich zu lassen. Einmal musste sie nach Georgien zurück und dort vier Monate auf das nächste Visum warten, kostbare Studienzeit ging ihr verloren. Sie hat das abgehakt, redet am liebsten gar nicht mehr darüber.
 
Inzwischen ist sie als Studentin anerkannt, kann sich endlich auf die Malerei konzentrieren. Sie lebt mit zwei anderen Studenten in einer WG, sucht nur noch einen Nebenjob. Damit ist für sie nun doch ein Märchen wahr geworden – ihr eigenes Märchen. Und als sie dann auch noch Burghart Klaußner wiedersieht bei einer Filmparty der Filmstiftung NRW, schließt sich ein Kreis. Irgendwann am Abend stehen die beiden im Hof der Kölner "Wolkenburg", rauchen, lächeln noch immer ein wenig ungläubig, dass das nun keine Filmszene ist, sondern Wirklichkeit.
 
"Ich hab inzwischen alle Filme von Burghart Klaußner gesehen", sagt Martinova, ",Das weiße Band' zum Beispiel – war der gut." Doch den Entschluss gegen die Schauspielerei hat sie nicht bereut. "Ich bewundere Schauspieler dafür, dass sie sich verwandeln können", sagt Lika Martinova, "ich will niemand anders sein, ich will wahrhaftig sein in der Kunst – darum male ich meine Bilder."

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