2006 dreht das georgische Straßenkind Lika Martinova mit dem deutschen Schauspieler Burghart Klaußner einen Film. Sieben Jahre später treffen sie sich wieder – in Deutschland. Das Filmteam hat dem Mädchen geholfen, seinen Traum zu verwirklichen: Kunst studieren in Düsseldorf.
Sie sieht ihn schon von weitem, den Mann mit dem dunklen Sakko, Handy am Ohr, Gedanken ganz woanders. Also läuft die junge Frau auf Burghart Klaußner zu, springt ihm in den Weg, lachend, übermütig, wie ein Kobold aus einer anderen Welt. Und der Schauspieler, der zu den Besten gehört, die der neue deutsche Film hervorgebracht hat, bleibt wie angewurzelt stehen, fasst sich an den Kopf, ungläubig, freudig auch er. "Lika!", ruft Klaußner, "mein Gott, Mädchen, nach so langer Zeit."
Ein
Mädchen, ein ernstes Kind, war Lika Martinova tatsächlich, als sie dem
deutschen Schauspieler das erste Mal begegnete. Das war vor sieben
Jahren in Likas Heimat Georgien. Klaußner reiste damals mit einem
deutschen Filmteam in den Süden des Kaukasus, um mit dem georgischen
Regisseur Dito Tsintsadze einen Film zu drehen: "Der Mann von der
Botschaft". Darin spielt Klaußner einen Botschaftsangestellten, der in
der georgischen Hauptstadt Tiblisi das isolierte Leben eines Diplomaten
lebt. Abends sitzt er allein in der viel zu geräumigen Wohnung. Tagsüber
langweilt ihn die Büroarbeit. Ein Diebstahl durchbricht diese
depressive Einsamkeit. Ein Straßenkind klaut dem Mann von der Botschaft
auf einem Wochenmarkt das Portemonnaie. Der Diplomat stellt das Kind,
später begegnen die beiden sich wieder. Es beginnt eine sprachlose
Freundschaft, die den ganzen Film über changieren wird zwischen Unschuld
und dunklen Ahnungen.
Lika Martinova war 14, als
sie die Rolle des Straßenkindes übernahm. Eigentlich aber war es keine
Rolle, denn sie hat gelebt wie das Kind im Film, ohne Familie, ohne
Obdach, ohne Möglichkeit, auf eine Schule zu gehen. Irgendwann konnte
sie bei einer Frau unterschlüpfen, die aus Mitleid mit den
Straßenkindern in ihrer Stadt ein paar Etagenbetten aufgestellt hatte.
Lika bekam ein Bett oben, durfte endlich auf eine Schule gehen, besuchte
dort die Theatergruppe. So kam sie zum Casting für den Film von Dito
Tsintsadze, und der wählte das eigensinnige Kind mit dem feinen Gesicht
und dem burschikosen Auftreten für sein Projekt, machte Lika Martinova
zur Mignon im georgischen Großstadt-Dschungel.
Viele
Tage haben das Mädchen aus Tiblisi und Burghart Klaußner miteinander
gedreht. Ohne gemeinsame Sprache. Die beiden kommunizierten durch ihr
Spiel, lachten viel, verstanden einander durch Gesten, Blicke. "Ich habe
sie sofort sehr ernst genommen", sagt Burghart Klaußner,
"Kinderdarsteller sind für mich immer Kollegen." Intuitiv wusste
Martinova, was sie vor der Kamera zu tun hatte. "Ein Naturtalent",
sagten die Leute vom Film. "Ich will nicht zum Film", sagte Lika
Martinova. Für sie war mit den Dreharbeiten kein Märchen wahr geworden.
Sie hatte noch einen anderen Traum: malen.
Immer
wenn Martinova Farben ergattern konnte, brachte sie zu Papier, was in
ihr ist. "Früher habe ich oft mit Kreide gemalt", sagt sie. Stillleben
meistens, Blumensträuße in dunklen Farben, Vasen, wie sie in Georgien
getöpfert werden. Die Bilder bewahrte sie in einem Koffer unter dem
Bett, die schönsten hängte sie an die Wand in ihrer Zimmerecke. So
wurden die Bilder zum Zuhause, das sie nie hatte.
Einmal
hat das Mädchen ein paar Leute vom Filmteam dorthin mitgenommen,
Burghart Klaußner war darunter, auch die deutsche Filmproduzentin
Christine Ruppert. "Ich hab dir damals ein Bild abgekauft, weißt du
noch?", sagt Klaußner. "Ich hab es dir geschenkt", sagt Martinova, "dann
hast du mir Geld geschenkt, so war das." Die junge Frau mit dem
Pagenkopf lacht wieder, erzählt, dass sie sich freue, Klaußner nach
sieben Jahren wiederzusehen – und endlich mit ihm sprechen zu können,
auf Deutsch.
Das hat mit dem Besuch damals in
Martinovas Zimmer zu tun. Denn die Leute vom Film waren berührt von den
Bildern des Mädchens, sahen darin mehr als den Zeitvertreib einer
Heranwachsenden. Es war ein anderer Ernst in diesen Zeichnungen, eine
andere Tiefe. Und als das Kind dann noch sagte, es wolle gar nicht
Schauspielerin werden, sondern Malerin, da fasste Christine Ruppert den
Entschluss, dem Mädchen aus ihrem Film die Chance auf ein Kunststudium
zu eröffnen.
So kam Lika Martinova nach
Deutschland. Zunächst begleitete sie Dito Tsintsadze bei der
Premierentour seines Films, ging dann in die Heimat zurück, beendete die
Schule. Als sie 18 wurde, holte Ruppert sie für ein paar Monate nach
Deutschland, damit sie selbst testen konnte, ob sie in dem noch fremden
Land zurechtkäme. Die Filmproduzentin stand auch nach Jahren noch zu
ihrer Zusage an das Kind. Martinova fühlte sich wohl, kam ein weiteres
Mal wieder, diesmal für ein Jahr. Sie jobbte in Rupperts
Filmproduktions-Firma Tatfilm in Köln, lebte bei der Produzentin, später
bei einer Gastfamilie, lernte Deutsch, malte. Und als sie genug Bilder
für eine Mappe beisammen hatte, bewarb sie sich an den Kunstakademien in
Düsseldorf und München um einen Hochbegabten-Studienplatz – für sie die
einzige Möglichkeit, ohne Abitur zu studieren.
Freunde
in Düsseldorf hatten ihr zuvor Termine bei namhaften Künstlern unter
anderem von der Düsseldorfer Akademie verschafft. Die hatten die junge
Frau aus Georgien bestärkt, es an den Hochschulen zu versuchen. "Ich
fand es damals sehr schwierig, über meine Bilder zu sprechen", sagt
Martinova, "ich konnte nicht formulieren, warum ich meine Bilder male,
ich malte einfach."
Inzwischen liebt sie es, über
Kunst zu diskutieren. Sie wurde angenommen, gleich an beiden Akademien,
in München und in Düsseldorf. Das hat ihr Selbstvertrauen gegeben, denn
an den Hochschulen kannte niemand ihre Geschichte, musste allein ihre
Kunst für sie sprechen. Martinova entschied sich für Düsseldorf,
studiert im zweiten Semester, liebt den Austausch mit den anderen
Studenten im Kolloquium.
Die enervierenden Kämpfe
mit der deutschen Ausländerbehörde, die sie mit Hilfe ihrer deutschen
Freunde durchgestanden hat, versucht sie hinter sich zu lassen. Einmal
musste sie nach Georgien zurück und dort vier Monate auf das nächste
Visum warten, kostbare Studienzeit ging ihr verloren. Sie hat das
abgehakt, redet am liebsten gar nicht mehr darüber.
Inzwischen
ist sie als Studentin anerkannt, kann sich endlich auf die Malerei
konzentrieren. Sie lebt mit zwei anderen Studenten in einer WG, sucht
nur noch einen Nebenjob. Damit ist für sie nun doch ein Märchen wahr
geworden – ihr eigenes Märchen. Und als sie dann auch noch Burghart
Klaußner wiedersieht bei einer Filmparty der Filmstiftung NRW, schließt
sich ein Kreis. Irgendwann am Abend stehen die beiden im Hof der Kölner
"Wolkenburg", rauchen, lächeln noch immer ein wenig ungläubig, dass das
nun keine Filmszene ist, sondern Wirklichkeit.
"Ich
hab inzwischen alle Filme von Burghart Klaußner gesehen", sagt
Martinova, ",Das weiße Band' zum Beispiel – war der gut." Doch den
Entschluss gegen die Schauspielerei hat sie nicht bereut. "Ich bewundere
Schauspieler dafür, dass sie sich verwandeln können", sagt Lika
Martinova, "ich will niemand anders sein, ich will wahrhaftig sein in
der Kunst – darum male ich meine Bilder."
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