Friday, November 29, 2013

ASERBAIDSCHAN: Bakus schwarze Liste. Von Markus Bernath (derstandard.at)

(derstandard.at) Massentouristen weghören: Eine Reise nach Karabach kann unerwünschte Risiken und Nebenwirkungen haben – lebenslang Einreiseverbot für die Öl- und Gasrepublik Aserbaidschan.

Ausradiert: Ein Wegweiser aus Sowjetzeiten am Ausgang von Berg-Karabach. Die Straßenverbindungen von Baku, Lenkaran und Gence in Aserbaidschan nach Armenien sind während des Kriegs in den 1990er-Jahren ausgetilgt worden.Was haben Ewald Stadler, die Sopranistin Montserrat Caballe und meine Wenigkeit gemeinsam? Ein Bummerl auf der Liste des aserbaidschanischen Außenministeriums.

Sozusagen aus gegebenem Anlass, in Fortbetrachtung des jüngsten Treffens der Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans in der Wiener Hofburg, wo beide Herren über die Lösung des Karabachkonflikts meditierten, wollen wir den Blick auf die Eigentümlichkeiten einer Reise in diese doch recht entlegene, wenn auch landschaftlich ausnehmend reizvolle Berggegend im Kaukasus lenken.

Die Fahrt in die international (und auch von Armenien) nicht anerkannte Republik Berg-Karabach wird im allgemeinen mit dem Automobil zurückgelegt und erfordert ein Visum der Karabachisten in Eriwan sowie einen leidlich festen Magen für sieben holprige Stunden. Durch den Korridor von Lartschin – ein Streitpunkt bei einem hypothetischen phasenweisen Rückzug der armenischen Truppen aus den besetzten aserbaidschanischen Gebieten – gelangt man am leichtesten nach Stepanakert/Hankendi, der Hauptstadt, wiewohl Freunde des Off-Road und zeitlich flexibleren Kalenders auch andere Routen bevorzugen mögen. Und wer dann zurückkehrt und ein im weitesten Sinne geschäftliches Interesse mit seinem Besuch beim Volk von Berg-Karabach verfolgt hat, landet auf einer schwarzen Liste in Baku. Weil: „illegal in aserbaidschanisches Territorium gereist“.

Das ist allerdings Auslegungssache, denn ein „legaler Übertritt“ lässt sich in Ermangelung einer übertretbaren Grenze seit dem Waffenstillstand zwischen Aserbaidschan und Armenien 1994 nicht bewerkstelligen. Zur Waffenstillstandslinie im Süden Aserbaidschans, an der regelmäßig geschossen wird, können nur Beobachter der OSZE reisen; eine Einreise ist dort nicht möglich.

Baku hat im August dieses Jahres erstmals eine Liste der wegen einer Karabach-Reise unerwünschten Personen veröffentlicht. Unter diesen 331 Namen findet sich eine Reihe von Parlamentsabgeordneten, etwa aus Frankreich, Australien und Russland. Sie haben in der Regel Wahlen in der armenischen Enklave beobachtet und sind deshalb mit einem Einreiseverbot nach Aserbaidschan belegt. Das betrifft in ihren Ländern relativ bekannte Politiker wie den langjährigen deutschen CDU-Abgeordneten Wolfgang Börnsen, den französischen Senator Bernard Fournier oder EU-Parlamentarier, die u.a. mit Armenien befasst sind, wie der Rechtspopulist Ewald Stadler. Wichtige Kaukasusexperten wie Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sind ebenso „persona non grata“ wie ein Dutzend Studenten der Johns-Hopkins-Universität in Washington, die eine Reise ins Krisengebiet taten zu – richtig – Studienzwecken, Bernard Snow, der frühere Koordinator der Wirtschafts- und Umweltangelegenheiten der OSZE, oder gar Peter Semneby, von 2006 bis 2011 EU-Sonderbeauftragter für den Südkaukasus.

Ausländische Künstler mit Einreiseverbot nach dem „Karabach-Sündenfall“ gibt es mittlerweile einige – und ebenso Journalisten: die Russland-Korrespondenten von ORF und FAZ, Markus Müller und Michael Ludwig, stehen auf der Liste, viele russische, einige italienische Journalisten – ich halte derzeit Platz 156, denn die Liste wächst. Diskutieren ist sinnlos, Botschaft und Außenministerium hören keine Argumente an: Ein Zeitungsbericht stellt keine völkerrechtliche Anerkennung von Berg-Karabach dar, Redaktionen sprechen kein internationales Recht. Wer über einen Separatistenkonflikt schreibt – noch dazu über einen, der mittelfristig in einen neuerlichen Krieg münden könnte –, sollte besser auch einmal selbst vor Ort gewesen sein, die Topographie gesehen und zumindest mit Entscheidungsträgern gesprochen haben.

Bakus schwarze Liste ist, so wird bald klar, eine Zensurveranstaltung. Berg-Karabach soll so wenig Öffentlichkeit wie möglich bekommen. Erlösung von der Liste und Reinwaschung des Namens sind theoretisch möglich durch öffentliche Selbstkritik und nachfolgend „some good reporting“, wie es ein aserbaidschanischer Botschafter formulierte. Yes. This is what I always try to do. Hier ist meine Karabach-Geschichte im Standard vom Oktober 2006. (Markus Bernath, derStandard.at, 27.11.2013)

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