Sunday, April 13, 2008

REPORTAGE (23): Reise ohne Wiederkehr

Text und Fotos von Patricia Scherer

Meine letzten Stunden in Tbilissi. Ich bin hin und her gerissen: Einerseits ist da die Freude auf Familie und Freunde, auf die vertraute Umgebung, auf Zuhause. Andererseits gehen die Menschen im Widerstand gegen die Staatsgewalt auf die Straße - nach diesem trägen Sommer, in dem es Tage gab an denen die Hitze wie zähes Gummi zwischen den Häuserschluchten lag. An diesem letzten Tag wache ich nicht in meinem eigenen Bett auf, sondern am Ende der Tabidzes Kutscha. Es ist sonnig und kühl. Mein Blick schweift über Vake, das wirkt, als wäre es sanft in Watte gebetet. Der Dunst steigt nur langsam nach oben. Ich habe mich in ein großes Laken gewickelt, sitze auf einer Freitreppe in der wärmenden Sonne und schaue den Bauarbeitern zu, die an einem mehrstöckigen Rohbau gegenüber ihr Tagewerk verrichten.


Mein Gastgeber und Freund Sultan hat Nachbar's Katze adoptiert. Sie streicht mir um die Beine und miaut mich fordernd an. Natürlich kann ich ihr nicht widerstehen, streichle sie und hole ihr etwas verdünnte Milch aus der Küche. Sultan schaut via Internet die Formel Eins, und ich merke, dass es Zeit ist zu gehen, Zeit sich von Tblissi zu verabschieden, Zeit für etwas anderes. Die meisten Menschen, die irgendwann einmal in Georgien gelandet sind bleiben hier verhaftet. Sie haben eine Art Band geknüpft, dass unlösbar scheint. Obwohl sie insgeheim fluchen über die auf Dauer einseitige Küche, über die Schlaglöcher in den Straßen, über die gierigen Behörden und die Georgier an sich, kommen sie doch immer wieder hierher zurück in dieses Land, welches der Sage nach einst zum Paradies gehörte. Ich bin weiß nicht, was ich empfinden soll. Diese Sehnsucht nach Georgien, sie hat mich nicht wirklich gepackt, und obwohl ich nun doch ein wenig wehmutig die leeren Straßen zurück in die Barnovis Kutcha laufe, haben mir die letzten Wochen hier eher eine kritische Distanz beschert. Die Faszination hat Kerben bekommen.

Am Nachmittag sitze ich im Café Kala und betrachte die Männer, die vorbei gehen, mit ihren Revolvern im Gürtel. Genauso ist es: es ist schön hier in Georgien, Du sitzt im Café, trinkst unbekümmert Deinen türkischen Kaffee und dann kommt sie unverhohlen vorbei: die Aggression, die Symbolik der Macht, die Angst. Ich glaube, dass könnte der Grund sein, warum ich Georgien nicht lieben kann. Mir liegt es nicht, diese Dinge einfach zu ignorieren. Irgendwie bin ich sogar neidisch auf die, die das können. Vielleicht sind sie glücklicher, ja zufriedener, sogar intakter als ich es je sein werde. Das dunkle in den Dingen fällt mir auf, es lässt mich nicht los bis ich Antworten für seine Existenz gefunden habe.

Noch vor ein paar Tagen war ich mit Freunden aus Deutschland bei einem Künstler namens Murtazi. Er gab eine herrliche Supra im Garten seiner Künstlerpension, mit Schaschlick und Hatschpuri und Salaten und Wein. Es waren viele andere Künstler da, die wirklich wunderbare und bemerkenswerte Arbeiten vollbringen für die sie in Europa und darüber hinaus durchaus bekannt sind. Es wurde diskutiert, getrunken, geweint, gesungen, geschrien, gelacht, gegangen.

Am Ende des Abends spazieren wir auf der Suche nach einem Taxi die Vascha Pschawela entlang durch diese Stadt, die irgendwie ungeschliffen ist. Es gibt kaum Strassencafés außer in der touristischen Altstadt. Die Straßen sind groß und breit. Manche könnten auch Landebahnen sein. Wir halten ein Taxi an, in das wir uns zu fünft hinein quetschen: einen alten Opel Kadett oder vielleicht ist es auch ein Ford. Die Stossdämpfer haben das Zeitliche gesegnet, die Bremsen quietschen. Hans steigt irgendwo an einer Straßenecke aus. Er hat ein bisschen zu viel getrunken, und wir alle sind noch müde von der vergangenen Nacht, die wir auf einer Supra am Schildkrötensee verbracht haben. Ich beobachte Hans durch das Fenster, wie er leicht wankend die einsame Straße hinunter läuft, durch den Schatten und das Licht der Straßenlaternen. Hans liebt Georgien. Da wird mir klar, dass er das Abenteuer liebt, den rechtsfreien Raum, das Unbändige. Obwohl er sich ein geregeltes Leben geschaffen hat, welches den deutschen Standards in nichts nachsteht, so ist er vielleicht doch hier um von der Freiheit zu kosten. Ich glaube, hier ist er so etwas wie ein Cowboy im wilden Westen. Das passt auch zu seiner neuen Reihe an Kunstwerken: wilde, unbändige Pferde, die durch die Stadt reiten. Es könnte genau das sein, was er liebt: das Unkalkulierbare, die ungezügelte Emotion, die hier aufkommt.


Alles hat so viel Intensität: Die Melancholie der Gedichte, die Freude beim Gesang, der Streit auf der Straße, das Umwerben einer Frau. Diese geballten Gefühle: sie erscheinen mir oft unwirklich und übertrieben, obwohl mich manche Menschen sicherlich als emotional beschreiben würden, als Pulverfass.

Ich kann nicht begreifen, wie man einerseits mit Tränen in den Augen ein trauriges Lied über verlorenes Land singen kann und andererseits weniger Empathie als ein Gummistiefel besitzt. Das bleibt mir fremd, das macht mich diesem Land fremd. Doch kann ich nachvollziehen, wie es sein muss ein echter Mann im wilden Osten sein zu dürfen. Ein Kerl, roh, unbändig, einsam auf dem mit Schlaglöchern übersätem Trottoir einer Stadt, in der man nur eine vage Ahnung davon hat, was morgen passiert könnte oder auch nicht. Das ist das Bild des Marlboro-Mann, dem jeder kleine Junge wohl in die Prärie folgen möchte um ein echter Kerl zu werden. Welche Vorbilder werden die Jungen in der Zukunft für diese selten gewordene Spezies haben, nun wo der Marlboro-Mann zunehmend von den Kinoleinwänden verschwindet? Welche Abenteuerspielplätze wird es für die erwachsen gewordenen Männer geben, wenn die rechtsfreien Räume dahin siegen und es kein Zeichen mehr von Männlichkeit ist, eine Waffe im Hosengürtel zu tragen?"

Ich bin kein Mann, und diese distanzierte, georgische, puppenhafte Schönheit der Frauen ist mir fremd. Sie fühlt sich für mich asexuell und unsinnlich an. So finde ich hier keine Idole, keine Vorbilder, keine Freiheit. Mein wildes Abenteuer besteht darin, meine Neugier zu stillen. Und ich hab mich ein bisschen satt gesehen an Georgien. An der Larmoyanz, an der euphorischen Melancholie. Sicherlich, ich weiß nicht alles, doch ich weiß genug um weiter zu ziehen. Vielleicht verliebe ich mich eines Tages in ein anderes Land, dem ich treu sein werde, in das ich immer mit Sehnsucht im Herzen zurück kehren kann. Doch nun, hier in Tbilissi, im Herbst des Protests, ist es Zeit meine Koffer zu packen und weiter zu ziehen.

Bis auf ein paar Geschenke weniger, ein paar Bücher mehr und die Tchemali-Soße, die mir Diana geschenkt hat, gehe ich, wie ich gekommen bin. Ich habe sie alle gesprochen: Ghia Nodia, Alexander Rondeli, GYLA, die UN, die EU, USAID, katholische, armenische, georgische Geistliche, Gewerkschaftsbosse und Politiker. Mein Bild ist zusammengefasst in 25 transkribierten Interviews auf 250 eng beschriebenen Seiten. Jetzt werde ich mich daran machen, die Ergebnisse meiner Arbeit zusammenzufassen. Und dann werde ich Georgien zu den Akten legen. Zumindest für einen langen Moment.

Diana, Sandro und ich verbringen die letzten Stunden vor dem nächtlichen Abflug gemeinsam in der Barnovis Kutscha. Der Strom ist ausgefallen und die einzige Kerze ist fast niedergebrannt. Wir hören Musik aus meinem Computer. Ich bin so müde, dass ich mich nach meinem Platz im Flugzeug sehne - nach Schlaf. Es ist drei Uhr nachts als ich auf der Rolltreppe die erste Etappe nach Deutschland zurück lege und meinen liebgewonnen Freunden Tato, Diana und Sandro zum Abschied winke, Luftküsse verteilend. Ich hoffe, sie werden mir nicht übel nehmen, dass ich so bald nicht wiederkehren möchte. "

Ich bin kein Mann, und diese distanzierte, georgische, puppenhafte Schönheit der Frauen ist mir fremd. Sie fühlt sich für mich asexuell und unsinnlich an. So finde ich hier keine Idole, keine Vorbilder, keine Freiheit. Mein wildes Abenteuer besteht darin, meine Neugier zu stillen. Und ich hab mich ein bisschen satt gesehen an Georgien. An der Larmoyanz, an der euphorischen Melancholie. Sicherlich, ich weiß nicht alles, doch ich weiß genug um weiter zu ziehen. Vielleicht verliebe ich mich eines Tages in ein anderes Land, dem ich treu sein werde, in das ich immer mit Sehnsucht im Herzen zurück kehren kann. Doch nun, hier in Tbilissi, im Herbst des Protests, ist es Zeit meine Koffer zu packen und weiter zu ziehen. Bis auf ein paar Geschenke weniger, ein paar Bücher mehr und die Tchemali-Soße, die mir Diana geschenkt hat, gehe ich, wie ich gekommen bin. Ich habe sie alle gesprochen: Ghia Nodia, Alexander Rondeli, GYLA, die UN, die EU, USAID, katholische, armenische, georgische Geistliche, Gewerkschaftsbosse und Politiker. Mein Bild ist zusammengefasst in 25 transkribierten Interviews auf 250 eng beschriebenen Seiten. Jetzt werde ich mich daran machen, die Ergebnisse meiner Arbeit zusammenzufassen. Und dann werde ich Georgien zu den Akten legen. Zumindest für einen langen Moment. Diana, Sandro und ich verbringen die letzten Stunden vor dem nächtlichen Abflug gemeinsam in der Barnovis Kutscha. Der Strom ist ausgefallen und die einzige Kerze ist fast niedergebrannt. Wir hören Musik aus meinem Computer. Ich bin so müde, dass ich mich nach meinem Platz im Flugzeug sehne - nach Schlaf. Es ist drei Uhr nachts als ich auf der Rolltreppe die erste Etappe nach Deutschland zurück lege und meinen liebgewonnen Freunden Tato, Diana und Sandro zum Abschied winke, Luftküsse verteilend. Ich hoffe, sie werden mir nicht übel nehmen, dass ich so bald nicht wiederkehren möchte.


Photos by Patricia Scherer (Set)

Patricia Scherer in Georgia (Caucasus) (Set)

Teil (24): Zuletzt Georgien ...

Teil (22): Mehr als good will?

1 comment:

Hans said...

Ich denke, Patricia ist schneller wieder hier, als sie glauben moechte ... Ich glaub ihr diesen Abschied von Georgien nicht ;-))