Saturday, May 08, 2010

FORSCHUNG: Die stalinistischen Massenverfolgungen in Georgien 1937-1938. Die Perspektive der kaukasischen Peripherie (dhi-moskau.org)

Forschungsprojekt

Laufzeit: Februar 2010 bis Januar 2011

Fördernde Institution: Volkswagen Stiftung
Leitung: Prof. Dr. Bernd Bonwetsch;
Bearbeiter: PD Dr. Marc Junge
Kooperationspartner: Prof. Dr. Dali Kandelaki und Davit Jishkariani, Zentrum für Studien zu den russisch-georgischen Beziehungen an der staatlichen Universität Tiflis, Georgien; Polizeioberst Omar Tushurashvili, Archiv des Innenministeriums von Georgien
Beratung: Dr. Oliver Reisner, Europäische Kommission. Delegation für Georgien

Die Massenrepressionen
Am 31. Juli 1937 wurde der Befehl Nr. 00447 des Volkskommissars des Inneren Ežov vom Politbüro des ZK der KPdSU bestätigt. Der Befehl ordnete an, ehemalige Kulaken, Kriminelle, Anhänger von Religionsgemeinschaften, ehemalige Mitglieder politischer Parteien, Bürgerkriegsgegner der Bol‘ševiki („Weiße“), Kosaken und ehemalige Funktionsträger des zaristischen Staates in Lager oder Gefängnisse einzuweisen bzw. hinzurichten. Nach heutigem Kenntnisstand wurden ca. 800.000 Menschen im Rahmen dieser Operation, die von August 1937 bis 17. November 1938 andauerte, verurteilt, davon etwa 378.000 zum Tode und 389.000 zu Haftstrafen. Die Urteile wurden in Schnellverfahren von den berüchtigten außergerichtlichen Dreiergremien, den sog. „Trojki“, ausgesprochen.

Moskau und die Peripherie
Das oft beklagte generelle Defizit in der Erforschung der Auswirkungen der Herrschaft der KPdSU in den Provinzen der ehemaligen Sowjetunion gilt auch für das Thema „Großer Terror“. Die Forschung war bisher darauf gerichtet, die Massenverfolgungen aus der Sicht des Moskauer Zentrums (Stalin, Politbüro, NKVD) zu betrachten, dabei verblieben die Opfer in der Anonymität und waren nur als (kaum gesicherte) Zahlen anwesend. Ziel des vorliegenden Projekts ist es, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und Umsetzung und Auswirkungen der Massenverfolgungen „vor Ort“ zu untersuchen. Im Mittelpunkt stehen soll dabei die kaukasische Peripherie des sowjetischen Imperiums und zwar speziell Georgien. Die Erforschung der stalinistischen Massenverfolgungen in Georgien 1937-1938 verspricht vor allem deshalb neue Erkenntnisse, weil dieses Land zum einen eine große sozialdemokratisch-menschewistische Tradition hatte: Georgien war die einzige Region Russlands, in der die Men’ševiki bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung 1917 eine nennenswerte Stimmenzahl erreichten und dann auch bis zur Angliederung an die Sowjetunion 1921 die Regierung der selbständigen Republik unter Noe Žordania stellten. Zum anderen war Georgien eine von erheblichen interethnischen Problemen gekennzeichnete Republik. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass sich spezifische Abweichungen zum allgemeinen Muster der Massenrepression im „slawischen Kernteil“ der Sowjetunion ergeben. Außerdem ist zu analysieren, ob aus der Sicht der kaukasischen „Peripherie“ die Durchführung der Operation für die gesamte Sowjetunion differenzierter bewertet werden kann, da zumindest die größte Massenoperation, die Durchführung des Befehls Nr. 00447, zeigte, dass das Moskauer Zentrum im großen Rahmen Kompetenzen an die regionalen Eliten abgegeben hat.

„Nizovka“
Im Mittelpunkt stehen die Massenverfolgungen gegen das „Fußvolk“ (nizovka) (so im Befehl Nr. 00447). Bezüge zu den anderen Massenverfolgungen (gegen die Eliten, die Nationalitäten und gegen die sozial deklassierten im Rahmen der Miliztrojka) in Georgien werden dabei ebenfalls verfolgt.

No comments: