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Fünf Tage zuvor war der eskalierende Konflikt um das abtrünnige Gebiet Südossetien in einen Krieg zwischen Georgien und Russland umgeschlagen. Die russischen Truppen brachten nicht nur Südossetien und das zweite abtrünnige Gebiet Abchasien unter ihre Kontrolle, sondern auch die Stadt Gori, die Ost-West-Route Georgiens sowie den Schwarzmeer-Hafen in Poti.
Die verbliebenen georgischen Streitkräfte hatten sich an den Rand der Hauptstadt Tiflis zurückgezogen. Die Informationslage war diffus. Trotz Erklärung eines Waffenstillstandes gab es Meldungen, die russischen Truppen würden in Richtung Tiflis vorrücken. Dies versetzte viele Menschen in der georgischen Hauptstadt in panische Angst.
Die Führung um Saakaschwili war in Endzeitstimmung. Der damalige Reintegrationsminister Temuri Jakobaschwili erinnert sich: "Es gab das Angebot, die Regierung in Sicherheit zu bringen. Wir lehnten ab. Wir entschieden: Wenn wir sterben, dann sterben wir in unseren Büros. Wir weichen nicht zurück." Saakaschwili glaubte, die Russen seien nur durch ein militärisches Eingreifen der Amerikaner zu stoppen. Als dies aber nicht geschah, behauptete er einfach, die US-Armee werde Häfen und Flughäfen Georgiens unter Kontrolle nehmen. USA wollten Konfrontation mit Russland vermeiden
Denn Saakaschwilis Behauptung war gelinde gesagt übertrieben. US-Präsident George W. Bush hatte lediglich humanitäre Hilfe an Bord von Schiffen und Flugzeugen der US-Armee angekündigt. Dies war geplant als fein austariertes Signal an die russische Regierung. Zwar hatte Bush mit einigen Kabinettsmitgliedern über die Option militärischer Hilfe für Georgien beraten. Doch war klar, dass dies auf eine direkte Konfrontation mit Russland hinauslaufen konnte. Dies wollte die US-Regierung verhindern. So beschrieb es der inzwischen verstorbene US-Diplomat Ron Asmus. Der damalige Chefberater für Europa im Nationalen Sicherheitsrat, Damon Wilson, bestätigt diese Version. Wilson zufolge hatten die US-Fregatten im Schwarzen Meer nur die übliche Bewaffnung an Bord. Saakaschwili behauptet bis heute, es hätten sich darauf auch schwere Raketenwerfer befunden.
Auf die Widersprüche in den Aussagen Saakaschwilis und der US-Regierung angesprochen, antwortet Jakobaschwili: "Details machen manchmal einen großen Unterschied." So habe zu der Zeit auf dem Flughafen von Tiflis ein amerikanisches Militärtransportflugzeug vom Typ C-17 gestanden. Die Russen hätten gefordert, es von dort zu entfernen, weil sie zwar den Flughafen angreifen, aber kein US-Flugzeug treffen wollten. Mit anderen Worten: Jakobaschwili sieht Saakaschwilis Behauptungen als legitim an, weil sie die Russen von einem weiteren Vormarsch abhalten sollten.
Doch dies hätte die Lage weiter eskalieren können, die nach Einschätzung von Fiona Hill bereits brandgefährlich war. Hill war von 2006 bis 2009 Russland-Beraterin des obersten US-Geheimdienstchefs. "Als ich die Ereignisse von Washington aus verfolgte, dachte ich an die Lage vor dem Ersten Weltkrieg. Als Studentin habe ich mich immer gefragt, wie eine solche Situation entstehen kann. In diesem Moment dachte ich: So passiert es."
Entstanden war die Situation aus einer schrittweisen Eskalation, die nicht Tage und Monate, sondern bereits Jahre zuvor begonnen hatte. Zu den eigentlichen Konflikten der Georgier mit den nach Unabhängigkeit strebenden Südosseten und Abchasen kamen wachsende Spannungen zwischen Tiflis und Moskau, bedingt durch sich widersprechende Einfluss- und Sicherheitsinteressen. Ein weiteres Element ist die tiefe persönliche Abneigung zwischen Wladimir Putin und Saakaschwili. Verschärft durch internationale Entwicklungen wie die Anerkennung des Kosovo und den NATO-Gipfel in Bukarest nahm die Eskalation Anfang 2008 ihren Lauf.
Bereits im Mai 2008 drohte ein Ausbruch offener Kampfhandlungen um die georgische Teilrepublik Abchasien. Direkte Verhandlungen zwischen Abchasen und Georgiern, teils unter Vermittlung Schwedens und der USA halfen, die Lage zu beruhigen, aber nicht zu klären. Auch der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier schaltete sich in Absprache mit den Amerikanern ein. Doch gab es Abstimmungsschwierigkeiten mit Washington. Die US-Regierung drängte auf ein Engagement der EU mit Beobachtern und Polizeiausbildern. Darauf ließ Brüssel sich aber nicht ein. Die Georgier misstrauten Steinmeier
Auch war das Misstrauen der Georgier gegenüber Steinmeier enorm. Jakobaschwili erzählt, Steinmeier habe bereits im Juli bei einem Treffen in Batumi das Szenario beschrieben, das sich Wochen später in Südossetien abspielen würde. Was als Warnung gemeint war, interpretierte die georgische Führung als Hinweis auf verdächtig enge Beziehungen Steinmeiers zu Moskau.
Auch Warnungen der US-Regierung kamen nicht an. US-Diplomaten wie Matthew Bryza beschwören, sie hätten Saakaschwili einerseits gewarnt, nicht in die russische Falle zu tappen. Andererseits hätten sie wiederholt in aller Deutlichkeit erklärt, dass die USA keine militärische Unterstützung leisten würden. Fiona Hill bestätigt indes, dass manche Personen Saakaschwili ermutigten, Namen und Herkunft will sie aber nicht nennen. So gab der georgische Präsident am 7. August den Befehl zum Angriff auf Südossetien, die russische Kriegsmaschinerie setzte sich in Gang.
Am 11. August forderte Russlands Außenminister Sergej Lawrow in einem Telefongespräch mit US-Außenministerin Condoleezza Rice nicht nur, dass die georgischen Truppen in die Kasernen zurückkehren und die Regierung in Tiflis einen Gewaltverzicht erklärt. Er verlangte auch, dass Saakaschwili zurücktritt. Rice beschreibt dies in ihren Memoiren als einen schweren Affront. In Washington rechnete man auch damit, dass die russische Armee in Tiflis einmarschieren und womöglich auch auf der ukrainischen Halbinsel Krim aktiv werden könnte. So fiel die Entscheidung für ein deutliches, aber begrenztes Signal an Russland: humanitäre Hilfe für Georgien an Bord von US-Militärschiffen und -flugzeugen.
Hill erzählt, dass es zu der Zeit praktisch nur noch einen Kommunikationskanal nach Moskau gegeben habe. Missverständnisse, widersprüchliche Informationen über die Lage im Konfliktgebiet und Fehlkalkulationen hätten die Lage erschwert. Dass aus dem kleinen Krieg am Rande Europas kein Flächenbrand wurde, sei letztlich einigen wenigen Personen mit klarem und nüchternen Kopf zu verdanken, sagt Hill. Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy habe mit seinem beherzten Eingreifen die Lage gerettet, auch wenn er für seine Vorgehensweise und die Vereinbarungen im ausgehandelten Waffenstillstand viel kritisiert worden sei. Am Ende führte Sarkozy herbei, was die EU zuvor immer abgelehnt hatte: Seit Oktober 2008 ist sie mit einer Beobachtersituation vor Ort. Die Beobachter tragen seither dazu bei, dass die Lage relativ ruhig geblieben ist.
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