Wednesday, October 11, 2006

KUNST: Jörg Herold - eine erste Präsentation unserer Reise in den Kaukasus

Jörg Herold - bekannt für seine Reisen eines Dokumentararchäologen - hatte jetzt auf dem art forum in Berlin eine erste Präsentation unserer Reise in den Kaukasus vorgestellt...
Durch einen Briefwechsel wurde der Kontakt zu einer Georgierin, die Anfang der 90-iger Jahre aus Abkhasien vertrieben wurde, hergestellt...
Tbilisi, 2006-08-19

Lieber T.,


wie Sie sicher schon von unserer Dolmetscherin S. erfahren haben, suchen wir jemanden, der/die aufgrund des Bürgerkrieges aus Abkhasien Anfang der 90-iger Jahre vertrieben wurde und jetzt immer noch als Flüchtling in Tbilisi sozusagen als georgischer Vertriebener unter Georgiern lebt, wie es vielen ihrer Landsleute geht.

Der deutsche Künstler Jörg Herold arbeitet derzeit an einem Projekt „Reise eines Dokumentar-Archäologen in den Kaukasus“, wobei mehrere Aspekte in den Blick geraten. Eines davon soll eine umfassende Dokumentation eines abchasischen Flüchtlings in seiner Privatsphäre sein. Uns ist bewusst, dass diese Arbeit erklärungsbedürftig ist, da die „fotografische“ und „filmische“ Dokumentation sehr nahe geht, vor allem wenn es sich um eine Biografie handelt, die außerordentliches Leid erfahren hat.

Jörg Herold befasst sich schon sein Jahren mit dem Erinnerungsvorgang. Gerade als Künstler stellt er sich die Frage, wie man sich gesellschaftlich aber eben auch privat mit der Vergangenheit beschäftigt. Besonders beachtet er die Paradoxie des Erinnerns. Einerseits beschäftigte er sich mit Mahn- und Denkmälern die aufwendig inszeniert wurden, die die späteren Generationen jedoch kaum noch zu lesen verstehen. Andererseits interessiert er sich für den privaten Erinnerungsvorgang, wobei er diesen anonymisiert und respektvoll darstellt, bei dem gerade das zur Sprache kommt, was entweder nicht erzählt wird und überhaupt nicht bekannt ist. Gerade was nicht öffentlichkeitswirksam thematisiert wird, gilt sein Augenmerk. Hier ist Jörg Herold auch medienkritisch, doch dass ist nicht das Anliegen seiner künstlerischen Herangehensweise. Letztendlich arbeitet der Künstler weder moralisch, soziologisch, im engeren Sinne politisch oder gar historisch-wissenschaftlich. Jörg Herold nähert sich seinen Themen künstlerisch und nicht vordergründig kritisch. Er konterkariert damit die Stammbäume der Überlieferungen.

In seiner künstlerischen Arbeit möchte der Künstler dem abchasischen Bürgerkrieg und dem Leben als Flüchtling eine Chiffre des Alltags abgewinnen, weil gerade dort „unsichtbare Geschichten“ überliefert werden, die der Nachwelt erhalten bleiben sollen. Auch die Privatsphäre eines Flüchtlings Jahre nach dem Krieg ist dahingehend gefährdet, da die Spuren und Indizien solch eines Schicksals verschwinden werden, sobald diese Menschen an einem neuen Ort eine Heimat finden, oder vielleicht irgendwann zurückkehren. Die Einraumwohnung mit seinem Inventar wird es dann nicht mehr geben! Daher möchte Jörg Herold solch einen Raum vollständig inventarisieren, also jeden Gegenstand katalogisieren, fotografisch festhalten und beschriften. In der Vergangenheit gab es schon ähnliche Inventarisierungen in Deutschland (in Leipzig, in Wolfsburg). In Zukunft soll das Projekt auch international fortgeführt werden. Zudem würde er auch gern ein Video aufnehmen, bei der der Bewohner/die Bewohnerin zu einzelnen Gegenständen etwas sagt, ohne dass der Film dramaturgisch geschnitten wird oder er/sie gar zu sehen ist. Dadurch kann erreicht werden, dass die „Dinge selbst sprechen“, auch wenn eine Stimme zu hören ist. Interessant ist auch der Gedanke, wie in ferner Zukunft das ganze angesehen werden könnte.

Für die Arbeit benötigen wir zwei/drei Tage. Wir sind uns bewusst, dass es auch eine kulturelle Begegnung wird. Die Gastfreundschaft der Georgier haben wir kennen gelernt. Dennoch bitten wir darum, dass nichts geschönt bzw. für Gäste vorbereitet wird. Wir wollen gern einen Ort vorfinden, der weitestgehend den Alltag der/des georgischen Flüchtlings zeigt. Es könnte sein, dass manche Gegenstände sehr privat sind. Doch besonders wichtig für die Inventarisierung ist, dass jeder Gegenstand in das Projekt Eingang findet!

Wir wären sehr froh, wenn sie jemanden für diese Arbeit gewinnen könnten. Natürlich sichern wir auch eine finanzielle Unterstützung für die Mühe zu. Erst mal vielen Dank für ihre bisherige Arbeit!


Mit besten Grüßen, Jörg Herold & Ralph Hälbig



Tbilisi, 2006-08-19


Lieber Herr Jörg Herold,

T. erzählte mir von ihrer Arbeit und zeigte mir den Katalog. Ich beschloss, Sie zu unterstützen. In meiner Jugend studierte ich einmal Geschichte. Auch deswegen interessiert mich ihre Herangehensweise. Dann war ich die jüngste Schulleiterin Abkhasiens in Sukhumi bis der Bürgerkrieg begann und 250.000 Georgier 1992 fliehen mussten. Der Krieg dauerte etwas über ein Jahr. Es gab Kriegsverbrechen, viele tausend Tote. Viele sind auch bei der Winterüberquerung hoch oben in den Bergen gestorben. Es war grässlich. Dass Sie an der Problematik der georgischen Flüchtlinge aus Abchasien Interesse hegen, finde ich beachtenswert. Zumal unser Schicksal kaum Beachtung findet. Für viele ist es unmöglich in ihre Häuser und Gärten zurück zu kehren.

Auf jeden Fall werden sie, wenn sie zu mir hier an den Tbilisi-See kommen, sich ein Bild davon machen können, wie ich hier lebe. Am besten Sie nehmen ein Taxi. Es kann sein, dass nicht gleich der erste Fahrer sie hierher bringen wird. Einige meiden diesen Ort. Hier in diesem ehemaligen sowjetischen Sanatoriumsgebäude leben an die 800 Vertriebene aus Abkhasien auf engstem Raum. Manche Kinder sind hier groß geworden und haben Abkhasien nie kennen gelernt. Überhaupt sind die Flüchtlinge in Sanatorien und Hotels, die im Bürgerkrieg eh niemand brauchte untergekommen. Viele sind sehr arm. Das Leben miteinander ist im Großen und Ganzen sehr hilfsbereit.

Ich selbst lebe hier mit meinem Sohn, meinen beiden Töchtern und meiner 82-jährigen Schwiegermutter, die noch bis vor drei Jahren als Ärztin arbeiten ging, hier im vierten Stock auf demselben Gang. Mein Mann ist Mitte der Neunziger Jahre gestorben.

Wundern sie sich nicht. Das Leben findet hier auch auf dem Gang statt, so wie wir früher im wunderschönen Abkhasien an der Schwarzmeerküste auf den Straßen und auf den Plätzen in Nachbarschaft zusammenlebten. Ein Nachbar unterhält auf seinem engsten Raum ein kleines Lebensmittelgeschäft. Manche bauen Tomaten und Melonen draußen im Hof an. Ich selbst lebe in einem spartanisch eingerichteten Zimmer. Vieles was sie dort vorfinden wurde geschenkt oder war irgendwo übrig geblieben. So gut wie nichts konnte ich damals mitnehmen. Es gibt ein Bild, dass eine Freundin in Sukhumi damals gestickt hat. Es verkörpert für mich die Freiheit. Das Klavier wurde von meinem spärlichen Geld abgespart, damit meine Töchter mit Musik groß werden. Vor ein paar Jahren bekamen wir eine Wohnung. Doch diese haben wir vermietet, damit die beiden Mädchen eine gute Ausbildung bekommen. Sie werden sehen, dass man sich mit Ihnen gut in der englischen Sprache unterhalten kann.

Mein Sohn B. wird sie an der U-Bahn-Station …. abholen. Er wird sie begleiten uns sie zu uns hier außerhalb der Stadt führen.


Beste grüße, Ihre Frau B.




1 comment:

Hans said...

Ein Keks mit Sprengwirkung ? Was ist das für ein Galeriekeks ?