Politik, Kultur, Geschichte, Wirtschaft, Internet und andere Aspekte über den Süd-Kaukasus // Politic, Culture, History, Economy, Internet And Other Aspects About South-Caucasus // Re-Blogged & Posted By Ralph Hälbig
Monday, October 02, 2006
ESSAY: Meditationen in einem bedenkenswerten Garten
Fährt man in Georgien dorthin, wo Stalin ausgestellt ist, fragt man sich, was da getrieben wird. In Gori gibt es ein Stalin-Museum mit vielen Angestellten, ähnlich wie in einer Behörde. Drinnen waren wir nicht. Nur in der Stadt sahen wir einen Bus, der das Konterfei des georgischen Sohnes hinter der von Staub zerkratzten Scheibe herumfuhr. Das spartanische und hinfällige Geburtshaus auf dem Museumsgelände war umbaut und überdacht. Innen sahen die zwei kleinen Räume der Familie Dschughaschwili unter diesem steinernen Baldachin aus, wie die eines längst vergessenen Dorfdichters.
In dem Dorf Achal Sopeli nicht weit von Tbilisi gibt es eine ganz andere Anlage, die sich Stalin widmet. Dort hat Temur Kunelauri nicht nur seinen ganzen Garten, sondern auch sein bisheriges Leben diesem Führer der Sowjetunion gewidmet. Ein Lehrer war diesbezüglich sein Vorbild und er gab ihm auch den Impuls, seiner Verehrung Ausdruck zu verleihen. Eigentlich wurde es dann kein historischer Aufklärungsort, wie wir es im Westen gewöhnt sind. Doch Kult-Orte sind es auf den ersten Blick auch nicht mehr. Die Frage ist, was könnte dort schlummern? Rechnet man etwa damit, dass sich das Zeitgeschehen wieder dorthin verlaufen könnte? Hin zu einem Stalin-Kult? Da die Politik, wie hinlänglich bekannt, nicht ohne Kulte funktioniert, fragt man sich immer noch, was dieser konservierte Kult bedeuten soll? Für mich wirkte der Stalingarten wie ein aberwitziger Fetischismus, dessen Exponate irgendwie ein politisches Ensemble abbildeten, wobei die pflanzliche Überwucherung und die Gerüche eher an einen Friedhof und eine Gruft erinnern - und eben nicht an einen Garten. Solche Herrenmenschen-Rituale vermögen zur Zeit keine Energie zu spenden. Deswegen wirkt dieser Ort auch etwas lächerlich. Die Aura ihrer Herrschaft ist beschädigt. Macht kann hier in diesem Kleingarten nicht repräsentiert werden.
Vor diesem Hintergrund kann man einen Besuch des damaligen Präsidenten Eduard Shewardnadse zweierlei befragen. Was versprach sich Shewi davon, hierher zu kommen, obwohl dieser Ort als Gemeinschaftsfetisch überhaupt nicht mehr taugt? Und warum war der Fetischist seiner eigenen Erinnerungsstätte so stur, dem Präsidenten und seinen Leibwächtern an diesem nichtssagendem Ort keinen Einlass zu gewähren? Beharrt man in Georgien auf einem magischen Milieu in bestimmter Hinsicht?
Zumindest konnten wir keinen ek-statischen Vorgang bemerken. Die Einladung zur supra mit Geschlachtetem am Abend, umgeben von diesem Ambiente hatten wir ja abgelehnt. Wir waren und blieben auch hier Privatpersonen. Wir spürten keinerlei Bedürfnis nach einem übergreifenden mächtigeren Sein. Wir konnten einer fetischistisch-idolatrischen Situation nichts abgewinnen. Wir erlebten nichts! Wir waren selbstdistanziert und in Selbstreflexion befangen. Unsere eigene deutsche Vergangenheit beschwerte unsere Gedanken, denn auch wir hatten eine barbarische Witzfigur als Führer in unserer jüngeren Geschichte. Das wir an solchen Orten nichts empfanden, war für uns kein Verlust. Wir waren unnachgiebig und fühlten uns frei. Sicher wirkten wir westlichen Besucher blass mit unserer nicht immer smarten Reflexivität: ohne Verehrung, Begeisterung, Stärkung, Hochachtung, Erhabenheit, lustvolle Selbstpreisgabe, aber auch ohne Angst, Schauder, Erschütterung, die einhergeht mit einer vitalen und erregenden Körperlichkeit...
An solchen Orten ahnt man etwas davon, dass man bei einem Ritual etwas am eigenen Leib erfahren kann. Jedoch in diesem überwucherten, vermoderten Ambiente wird man eben nicht von einer euphorischen Welle erfasst. Man wird also nicht archaisch vereinnahmt, wenn man Distanz pflegt, sondern nur, wenn man den fetischistischen Akt mit vollzieht – erst dann wird Bedeutung real und erlebbar, was uns Europäern in emphatischer Weise kaum passiert. Dabei meine ich nicht die Freude an der neuen Sommermode.
Zugegeben, auch ich unterlag ab und an im Leben der Verführungskraft des einfachen und klaren Wortes, welches sitzt. Auch mir wurde schwindlig von den Rednern, die spielen und blenden. Die Sätze, die ins Herz fielen, leuchteten dann in meiner Vorstellungskraft und wurden unauslöschbar – galten bisweilen als weise, klar und prägnant. Zuweilen erlebte ich dann ein himmlisches Lebensgefühl, wo Größe und Bescheidenheit "verschmelzen", Tapferkeit und erstaunliche Humanität und Herzlichkeit sich nicht ausschließen, wo das beherrschte Leben sich mit Stolz vermengt. Je wahrhaftiger diese absolute und hymnische Lebensform ist, desto langweiliger und lebloser ist alles das, was daran nicht heranreicht.
Um so ergiebiger war für mich daher der Besuch in diesem stalinistischen Kleingarten, hinsichtlich der Tristesse dieser Landschaft, wo der Gottmensch Stalin gehuldigt wurde. Das macht Hoffnung auf eine Vielfalt ohne projektive Identifikation und narzistischer Verschmelzung. Bei diesen ranzigen Stalin-Devotionalien, konnte man ahnen, wie inspirierende Ekstase aus einer Ich-Schwäche heraus entstehen kann, wo Kleinheit und Angst in einem identifikatorischen Jubel gipfelt, jedoch bald in ihrer Erfülltheit durch ein Vorbild abgestraft werden
Ralph Hälbig
1 comment:
Anonymous
said...
Ralph, Du Schatz, Du hast es so wunderbar auf den Punkt gegebracht Letztes Jahr habe auch ich die Relikte einer für uns längst vergangen Zeit im Garten besucht. Fasziniert, wenn auch irritiert, von der fanatischen Faszination. Heute habe ich das Stalin Museum in Gori besucht - auch innen. Der Kult scheint etwas, woran man sich hier festhalten kann. Hier wo es so wenig offensichtlich erkennbaren Halt gibt, nicht in sich und nicht im Aussen. Zum Sieg, mein Freund. Patricia
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OAT Gallery and artcafe 144 stairs in Tbilisi
in old tbilisi
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Lohnenswert: Dokumentarfilm von Ruth OlshanWIE LUFT ZUM ATMENist eine Reise in ein kleines Land zwischen Asien und Europa, das zu unrecht zwischen den Grenzen der Kulturen vergessen wird: Georgien, das hier in seiner ganzen Schönheit, seinem Zauber und seiner Vielfältigkeit eingefangen ist. Der Dokumentarfilm von Ruth Olshan entdeckt vor allem die beeindruckende Musik Georgiens, in der die kulturelle Identität seiner Bewohner tief verwurzelt ist. In den fast verloren gegangenen und wieder entdeckten Gesängen und Tänzen, die die UNESCO auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt hat, meint man Stimmen und Lieder aus einer vergangenen Zeit zu hören.
Musik sei für sie so wichtig wie die Luft zum Atmen, erzählt eine Protagonistin im Film und man versteht sie sofort. Ruth Olshans vielschichtiges Porträt eines Landes, seiner Menschen und ihrer Musik zeigt, was das Besondere an der georgischen Musik ist: die Lebendigkeit der Folklore im Alltag, die aufrecht erhaltene Tradition, die in den Texten gespeicherten Mythen, das soziale Erleben der Musik, die regionale Unterschiedlichkeit der Kultur, und die Musiker, die die Musik heute auch in Pop- und Jazzbereiche weiterführen."Großartige Bilder, sympathische Protagonisten und schöne, unvertraute Musik!" (filmdienst)
"Ruth Olshan hat einen sehr feinen Musikfilm gemacht, der einen Ort 90 Minuten zum Klingen bringt" (zitty)
"Eine berückende Hommage an ein Volk, dessen große Kultur durchströmt wird von Gesang" (Rheinischer Merkur)
"Folklore kann ganz schön cool sein!" (Die Welt)
"Ein ‚Hit’ für musikbegeisterte Weltreisende im Kino!" (programmkino.de)
Ruth Olshan in her film portrays musicians who work with different approaches: a male choir searching and cultivating old folk songs in the Caucasus region, a female choir, a school dance company and musicians who enhance Georgian folk music. There is a common denominator that links the diverse protagonists in Olshan’s film: Singing, dancing and music are crucial elements of their lifestyle. Music is as important as “air to breath,” explains the director of the female choir . The subtle camera work discreetly catches moments and spontaneous encounters, showing that the rehearsals and the singing brings moments to these women where they are taken away from their normal course of life. For life in Rustavi, a small town near Tiflis, seems bleak. The industry is dead, the unemployment rate is enormous. You ask yourself how people can live. The choir women’s beauty and positive energy exude an affirmative sign of life, even in mournful moments. Men and women sing and dance both joy and sorrow off their chest. In Georgia, music seems to be omnipresent, almost existential. Even if a young singer does not think folk music is “sexy”, he still gets hooked. It gets under his skin. The film pays tribute to this fascination, vitality, and spiritedness.
1 comment:
Ralph, Du Schatz, Du hast es so wunderbar auf den Punkt gegebracht Letztes Jahr habe auch ich die Relikte einer für uns längst vergangen Zeit im Garten besucht. Fasziniert, wenn auch irritiert, von der fanatischen Faszination.
Heute habe ich das Stalin Museum in Gori besucht - auch innen. Der Kult scheint etwas, woran man sich hier festhalten kann. Hier wo es so wenig offensichtlich erkennbaren Halt gibt, nicht in sich und nicht im Aussen.
Zum Sieg, mein Freund. Patricia
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