Fährt man in Georgien dorthin, wo Stalin ausgestellt ist, fragt man sich, was da getrieben wird. In Gori gibt es ein Stalin-Museum mit vielen Angestellten, ähnlich wie in einer Behörde. Drinnen waren wir nicht. Nur in der Stadt sahen wir einen Bus, der das Konterfei des georgischen Sohnes hinter der von Staub zerkratzten Scheibe herumfuhr. Das spartanische und hinfällige Geburtshaus auf dem Museumsgelände war umbaut und überdacht. Innen sahen die zwei kleinen Räume der Familie Dschughaschwili unter diesem steinernen Baldachin aus, wie die eines längst vergessenen Dorfdichters.
In dem Dorf Achal Sopeli nicht weit von Tbilisi gibt es eine ganz andere Anlage, die sich Stalin widmet. Dort hat Temur Kunelauri nicht nur seinen ganzen Garten, sondern auch sein bisheriges Leben diesem Führer der Sowjetunion gewidmet. Ein Lehrer war diesbezüglich sein Vorbild und er gab ihm auch den Impuls, seiner Verehrung Ausdruck zu verleihen. Eigentlich wurde es dann kein historischer Aufklärungsort, wie wir es im Westen gewöhnt sind. Doch Kult-Orte sind es auf den ersten Blick auch nicht mehr. Die Frage ist, was könnte dort schlummern? Rechnet man etwa damit, dass sich das Zeitgeschehen wieder dorthin verlaufen könnte? Hin zu einem Stalin-Kult? Da die Politik, wie hinlänglich bekannt, nicht ohne Kulte funktioniert, fragt man sich immer noch, was dieser konservierte Kult bedeuten soll? Für mich wirkte der Stalingarten wie ein aberwitziger Fetischismus, dessen Exponate irgendwie ein politisches Ensemble abbildeten, wobei die pflanzliche Überwucherung und die Gerüche eher an einen Friedhof und eine Gruft erinnern - und eben nicht an einen Garten. Solche Herrenmenschen-Rituale vermögen zur Zeit keine Energie zu spenden. Deswegen wirkt dieser Ort auch etwas lächerlich. Die Aura ihrer Herrschaft ist beschädigt. Macht kann hier in diesem Kleingarten nicht repräsentiert werden.
Vor diesem Hintergrund kann man einen Besuch des damaligen Präsidenten Eduard Shewardnadse zweierlei befragen. Was versprach sich Shewi davon, hierher zu kommen, obwohl dieser Ort als Gemeinschaftsfetisch überhaupt nicht mehr taugt? Und warum war der Fetischist seiner eigenen Erinnerungsstätte so stur, dem Präsidenten und seinen Leibwächtern an diesem nichtssagendem Ort keinen Einlass zu gewähren? Beharrt man in Georgien auf einem magischen Milieu in bestimmter Hinsicht?
Zumindest konnten wir keinen ek-statischen Vorgang bemerken. Die Einladung zur supra mit Geschlachtetem am Abend, umgeben von diesem Ambiente hatten wir ja abgelehnt. Wir waren und blieben auch hier Privatpersonen. Wir spürten keinerlei Bedürfnis nach einem übergreifenden mächtigeren Sein. Wir konnten einer fetischistisch-idolatrischen Situation nichts abgewinnen. Wir erlebten nichts! Wir waren selbstdistanziert und in Selbstreflexion befangen. Unsere eigene deutsche Vergangenheit beschwerte unsere Gedanken, denn auch wir hatten eine barbarische Witzfigur als Führer in unserer jüngeren Geschichte. Das wir an solchen Orten nichts empfanden, war für uns kein Verlust. Wir waren unnachgiebig und fühlten uns frei. Sicher wirkten wir westlichen Besucher blass mit unserer nicht immer smarten Reflexivität: ohne Verehrung, Begeisterung, Stärkung, Hochachtung, Erhabenheit, lustvolle Selbstpreisgabe, aber auch ohne Angst, Schauder, Erschütterung, die einhergeht mit einer vitalen und erregenden Körperlichkeit...
An solchen Orten ahnt man etwas davon, dass man bei einem Ritual etwas am eigenen Leib erfahren kann. Jedoch in diesem überwucherten, vermoderten Ambiente wird man eben nicht von einer euphorischen Welle erfasst. Man wird also nicht archaisch vereinnahmt, wenn man Distanz pflegt, sondern nur, wenn man den fetischistischen Akt mit vollzieht – erst dann wird Bedeutung real und erlebbar, was uns Europäern in emphatischer Weise kaum passiert. Dabei meine ich nicht die Freude an der neuen Sommermode.
Zugegeben, auch ich unterlag ab und an im Leben der Verführungskraft des einfachen und klaren Wortes, welches sitzt. Auch mir wurde schwindlig von den Rednern, die spielen und blenden. Die Sätze, die ins Herz fielen, leuchteten dann in meiner Vorstellungskraft und wurden unauslöschbar – galten bisweilen als weise, klar und prägnant. Zuweilen erlebte ich dann ein himmlisches Lebensgefühl, wo Größe und Bescheidenheit "verschmelzen", Tapferkeit und erstaunliche Humanität und Herzlichkeit sich nicht ausschließen, wo das beherrschte Leben sich mit Stolz vermengt. Je wahrhaftiger diese absolute und hymnische Lebensform ist, desto langweiliger und lebloser ist alles das, was daran nicht heranreicht.
Um so ergiebiger war für mich daher der Besuch in diesem stalinistischen Kleingarten, hinsichtlich der Tristesse dieser Landschaft, wo der Gottmensch Stalin gehuldigt wurde. Das macht Hoffnung auf eine Vielfalt ohne projektive Identifikation und narzistischer Verschmelzung. Bei diesen ranzigen Stalin-Devotionalien, konnte man ahnen, wie inspirierende Ekstase aus einer Ich-Schwäche heraus entstehen kann, wo Kleinheit und Angst in einem identifikatorischen Jubel gipfelt, jedoch bald in ihrer Erfülltheit durch ein Vorbild abgestraft werden
Ralph Hälbig
Monday, October 02, 2006
ESSAY: Meditationen in einem bedenkenswerten Garten
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Achal Sopeli,
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Stalin
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1 comment:
Ralph, Du Schatz, Du hast es so wunderbar auf den Punkt gegebracht Letztes Jahr habe auch ich die Relikte einer für uns längst vergangen Zeit im Garten besucht. Fasziniert, wenn auch irritiert, von der fanatischen Faszination.
Heute habe ich das Stalin Museum in Gori besucht - auch innen. Der Kult scheint etwas, woran man sich hier festhalten kann. Hier wo es so wenig offensichtlich erkennbaren Halt gibt, nicht in sich und nicht im Aussen.
Zum Sieg, mein Freund. Patricia
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