Von Walter Kaufmann
Am 2. November 2007 fand vor dem georgischen Parlament eine Großdemonstration statt, die den bisherigen Kulminationspunkt einer seit langem anwachsenden Polarisierung bildete zwischen der Regierung von Präsident Saakaschwili, die alle politischen und staatlichen Institutionen des Landes exklusiv kontrolliert, und einer heterogenen Opposition, deren Spektrum von Links- und Rechtspopulisten bis zu liberalen Bürgerrechtlern reicht. (Zu den Hintergründen dieser Polarisierung siehe meinen Artikel vom 2.11.2007 „Georgische Herbststürme“, auf http://www.boell.de/).
An dieser Großdemonstration nahmen nach Schätzungen zwischen 60.000 und 100.000 Menschen teil – soviel wie seit der „Rosenrevolution“ im Herbst 2003 nicht mehr. Die Veranstalter der Demonstration stellten vier Forderungen an die Regierung:
1. die Rücknahme einer Verfassungsänderung vom Dezember 2006, die die laufende Legislaturperiode um ein halbes Jahr bis Herbst 2008 verlängerte und damit die Rückkehr zum ursprünglich von der Verfassung vorgesehenen Termin für die Parlamentswahlen im Frühjahr 2008
2. die Änderung des ausgeprägten Mehrheitswahlrechts, das die Regierungspartei begünstigt
3. Änderungen bei der Besetzung der Wahlkommission, die vom Präsidenten mit Zustimmung des Parlamentes vorgenommen wird
4. sowie die Freilassung „politischer Gefangener“ (gemeint v.a. ein oppositioneller Politiker, der in einem umstrittenen Gerichtsverfahren zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde wegen abgehörter Telefonate, bei denen er einen aufständischen „Warlord“ gegen die Zentralregierung angestachelt habe).
Uploaded on November 9, 2007 by Alex Kedelashvili
Die Demonstration wurde vom landesweit sendenden privaten Fernsehkanal „Imedi“ größtenteils live übertragen. Er gehört mehrheitlich dem georgischen „Oligarchen“ Badri Patarkatsishvili, der sich den Besitz mit der „News Corporation“ des Medienmoguls Rupert Murdoch teilt. Patarkatsishvili ist ein enger Freund und Partner des Putin-Intimfeindes Boris Beresovski und verfolgt in Georgien seine eigene Agenda, die sich vermutlich v.a. am Wohlergehen seiner eigenen Geschäftsprojekte orientiert. So wie er seinerzeit die Rosenrevolution gegen Schewardnadze sponserte, verkündete er nun auf seinem Kanal, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die Regierung Saakaschwili zu Fall zu bringen. Schließlich trat er auch vor den Demonstranten auf mit der Botschaft, alles dafür tun zu wollen, um Georgien den Weg „zurück zur Demokratie“ zu bahnen.
Auf diese Demonstration reagierten Angehörige der Regierung am 2. November zunächst nur mit spöttischen Kommentaren („blasser Versuch eines Remake der Rosenrevolution“, „Badris Marionetten“, „Manipulation sozialen Protestes“); die von ihr kontrollierten Sender begannen nun, die angebliche „Steuerung der Demonstrationen durch russische Agenten“ breit zu thematisieren.
Schließlich nahm Parlamentspräsidentin Burdschanadse Gespräche mit Vertretern der Oppositionsallianz auf, die jedoch schnell an der fehlenden Kompromissbereitschaft beider Seiten zur zentralen Oppositionsforderung – frühere Parlamentswahlen – scheiterten.
Schnell kam es auf Seiten der Demonstranten zur Radikalisierung der Forderungen: Die liberalen Republikaner forderten nun ein „Georgien ohne Präsidenten“ und den baldigen Übergang zum parlamentarischen System. Andere verlangten einfach nur den „sofortigen Rücktritt des Präsidenten“. – in jedem Fall werde man „bis zur Erfüllung unserer Forderungen“ mit den Demonstrationen fortfahren. So ergab sich für die Tage nach der Großdemonstration des 2. November das folgende Bild: Anhaltende, doch deutlich abflauende Dauerdemonstrationen vor dem Parlament bei einsetzendem kühlen Regenwetter, Radikalisierung der Forderungen, deutlich anwachsende Schwierigkeiten der Oppositionsallianz, gemeinsame, eindeutige Botschaften zu formulieren.
Schließlich verkündeten einige der radikaleren Anführer des Protestes einen Hungerstreik und begannen mit der Errichtung von Zelten vor dem Parlament. Den meisten Beobachtern der Szene erschien es jedoch offensichtlich, dass es sich dabei nur noch um Ausläufer eines durch eigene Radikalisierung und Ignoranz der Regierung marginalisierten Protestes handelte.
Am Morgen des 7. November rollen Müllautos auf die ca. 200 vor dem Parlament ausharrenden Demonstranten zu. Hinter ihnen hervor springen drei Gruppen einer bewaffneten Polizei-Spezialeinheit: die erste stürzt sich auf die anwesenden Fernsehjournalisten und reißt ihnen die Kameras aus den Armen, die zweite kümmert sich um die Festnahme einer der Anführer der Proteste, des bis Sommer 2006 als Staatsminister für Konfliktregulierung amtierenden Giorgi Chaindrava. Die dritte Gruppe vertreibt die Hungerstreikenden und zerstört die Zelte. Der Rustaveli Prospekt wird wieder für den Verkehr freigegeben; auf beiden Seiten der Straße formieren sich massive Polizeikordons, die das Vordringen von Demonstranten auf die Fahrbahn verhindern sollen.
Die Nachricht von der Räumung der Demonstration vor dem Parlament verbreitet sich schnell. Viele strömen zum Parlament, um gegen die Polizeiaktion zu protestieren. Bis zum Mittag haben sich ca. 10.000 Demonstranten eingefunden; es kommt zu kleineren Rangeleien mit Polizisten alleine durch die physische Masse der Protestierenden, die auf den Rustaveli-Prospekt vor dem Parlament drängt.
Trotz zahlreicher – wegen Bauarbeiten – herumliegender Steine gibt es jedoch keine Gewalt aus der Menge. Gegen 13 Uhr beginnt die Polizei nach kurzer Vorwarnung eine massive Räumaktion: Von Autos und umliegenden Dächern werden Reizgas-Patronen auf die Demonstranten geschossen, nach wenigen Minuten sind Tausende von dichten Schwaden weißen Gases eingehüllt. Mit Schlagstöcken und Gummigeschossen verjagt die Polizei Demonstranten und verfolgt sie in Nebenstraßen, Hauseingänge und sogar in eine angrenzende Kirche. Hässliche Bilder von Polizisten, die auf am Boden Liegende einschlagen und eintreten, gehen durch die Medien. Nicht nur Imedi TV, auch die regierungsfreundlichen Sender übertragen die Szenen über Stunden live. Gas gegen Demonstranten vor dem Parlament – das ruft bei vielen Georgiern Erinnerungen wach an den 9. April 1989, als sowjetische Truppen an selber Stelle mit Kampfgas und Klappspaten eine Unabhängigkeitskundgebung auflösten und dabei zahlreiche Menschen zu Tode kamen.
Von den durch die Straßen gejagten Demonstranten versammeln sich am Nachmittag ca. 5000 erneut, diesmal am Ufer der Kura unterhalb der Altstadt. Es herrschen Schock und Empörung, radikale Losungen werden skandiert, einige verlangen den „Sturm auf Regierungsgebäude“. Auch diese zweite Demonstration wird von einem massiven Aufgebot an Polizei und Spezialtruppen des Innenministeriums gewaltsam aufgelöst; zahlreichen Journalisten werden die Kameras entrissen und zerstört. Diesmal fliegen auch Steine gegen Polizisten, einige Polizisten werden abgedrängt und von Demonstranten angegriffen.
Die Bilanz der Zusammenstöße sind über 500 Verletzte; zur Schwere der Verletzungen und sogar zu angeblichen Todesfällen gibt es zahlreiche informelle Berichte, aber keine überprüfbaren Quellen, da mit der Verhängung des Ausnahmezustandes am Abend des 7. November die Regierung das Informationsmonopol übernommen hat und dem Personal der Krankenhäuser streng untersagt worden ist, entsprechende Angaben unabhängig vom Gesundheitsministerium zu machen.
Schon kurz nach der Räumung der Demonstration vor dem Parlament treten Regierungsmitglieder vor die Kameras mit der Erklärung, hier habe ein Rechtstaat gehandelt, der das Gewaltmonopol des Staates gegen illegale Demonstrationen durchsetzen müsse – so wie das üblich sei auch in anderen europäischen Staaten.
Kaum mehr zu erfassen durch diese Erklärung sind dann aber die Geschehnisse am Abend: Bei laufendem Sendebetrieb stürmen bewaffnete und maskierte Einsatzgruppen der Polizei IMEDI TV. Die Zuschauer hören Lärm und einige „Abschiedsworte“ des Moderators, dann wird der Bildschirm schwarz. Die Journalisten des Senders werden zum Ausgang getrieben und stundenlang bei der Polizei festgehalten, ihre Mobiltelefone werden konfisziert. Für den Sendebetrieb zentrale Anlagen werden funktionsunfähig gemacht.
Erst über eine Stunde nach diesem Einbruch verkündet die Regierung die Ausrufung des
Ausnahmezustandes: Sie habe soeben den Versuch eines Staatstreichs niedergeschlagen. Ein weiterer – lokaler – Fernsehsender wird geschlossen, sämtliche Fernseh- und Radionachrichtensendungen werden verboten. Nachrichten sendet von nun an nur das staatliche „Georgian Public Broadcasting“. Wichtige Grundrechte – zuvorderst das auf Versammlungsfreiheit –werden für 15 Tage außer Kraft gesetzt. Teilweise wird auch die Ausstrahlung ausländischer Sender (BBC, Radio Free Europe) unterbunden.
In den folgenden Tagen nutzt die Regierung ihr Informationsmonopol, um die These vom „aus Russland gesteuerten Staatsstreich“ zu untermauern: Im Staatsfernsehen werden geheim aufgenommene Bilder gezeigt, die einzelne Oppositionelle im Gespräch mit Angehörigen der russischen Botschaft zeigen – die dazu gesendeten Töne der Gespräche besitzen wenig Aussagekraft. Auch angeblich abgehörte Telefongespräche werden gesendet, die die Spur nach Russland beweisen sollen. Keine dieser Informationen kann von unabhängiger Seite verifiziert oder widerlegt werden.
Manchen im Ausland mag es als mutiger Schritt aus der Krise erscheinen, als Saakaschwili am Abend des 8. November plötzlich vorgezogene Präsidentschaftswahlen ankündigt (mit biblischen Worten: „klopfet- so wird Euch aufgetan; ich öffne Euch die Tür sogar weiter, als ihr gefordert habt“). Doch ist das Risiko, das er damit eingeht, sehr begrenzt: Noch beherrscht – dank des Ausnahmezustandes, der voraussichtlich am 16. November aufgehoben wird – seine Regierung alle relevanten Informationskanäle. Die Opposition weiß sich nicht sicher vor strafrechtlicher Verfolgung wegen „Umsturzversuchs“ oder „Landesverrates“. Sie ist in sich gespalten und verfügt über keine charismatischen Führungsfiguren. Im Ergebnis wird es neben dem nun von der Oppositionsallianz aufgestellten Geschäftsmann Levan Gachechiladze mindestens drei weitere Oppositionskandidaten geben. Hinzu kommt, dass Saakaschwili mit seiner Regierungspartei „Nationale Bewegung“ alle politischen Institutionen des Landes kontrolliert. Nach den Ereignissen vom 7. November wird es nicht viele Mobilisierungsanstrengungen brauchen, um alle Angehörigen von Verwaltungen, Polizei etc. dazu zu bringen, sich maximal – selbst im Rahmen eines transparenten Wahlprozesses – für den Sieg des derzeitigen Präsidenten einzusetzen.
Das Bild, das sich bei den meisten Beobachtern verfestigt, ist das eines nun offen autoritär regierenden Präsidenten Micheil Saakaschwili , der im Kampf gegen seine politischen Gegner offenbar wenig Skrupel kennt, sich außerhalb bzw. über das geltende Recht zu setzen. Kennzeichnend ist eine Rede des Präsidenten vor georgischen Geschäftsleuten am 9. November, zwei Tage nach Einführung des Ausnahmezustandes: Hier lässt er den Führer der oppositionellen Labour Partei Shalva Natelashvili, der am Tag zuvor wegen Landesverrats und Spionage zur Fahndung ausgeschrieben wurde, wissen, „er könne nun aus seinem Keller herauskriechen und zur Präsidentschaftswahl kandidieren – wir werden ihn nicht verhaften.“ Demnach obliegt es der Entscheidung des Präsidenten, wer verhaftet wird und wer nicht. In derselben Rede lässt er seine Zuhörer wissen, er lasse sich nicht von „ausländischen Freunden“ instruieren, wann er den Ausnahmezustand aufzuheben habe – schließlich werde man ihn noch „in tausend Jahren“ daran messen, ob er die richtige Entscheidung für die Zukunft des Landes getroffen habe.
Eines haben die Ereignisse vom 7. November in aller Schärfe deutlich gemacht: Georgien ist noch ein großes Stück davon entfernt, ein demokratisch organisierter Rechtsstaat zu sein, der sich im Innern durch Repräsentation und Teilhabe großer Bevölkerungsgruppen konsolidiert. Institutionell gibt es keine funktionierenden Checks and Balances, die das Abgleiten einer unter Druck geratenen Regierung in autoritäre Herrschaftspraxis verhindern. Politisch-kulturell ist das Land tief gespalten: Auf der einen Seite das Lager des von der Überzeugung seiner historischen Mission und Größe durchdrungenen Präsidenten, der seine Vorstellungen von Modernisierung des Landes und Wiederherstellung territorialer Integrität ohne Dialog mit der Gesellschaft durchsetzen will. Zur politischen Mobilisierung rekurriert er auf nationalistische Rhetorik und die „Bedrohung durch den Feind im Norden“. Den Konflikt mit Russland nutzt seine Regierung weit über die real bestehenden großen Gegensätze hinaus, um innenpolitische Gegner als „Agenten Russlands“ zu kriminalisieren. Auf der anderen Seite steht eine gespaltene, in ihren Wirkungsmöglichkeiten eingegrenzte Opposition, deren liberal-bürgerrechtliche Bestandteile sich gegenüber Populisten von links und rechts nur schwer behaupten können. Auch sie kann nicht für sich beanspruchen, eine konsistente Programmatik zu vertreten, die von einer Mehrheit der Georgier unterstützt wird.
Endgültig unter die Räder gerät bei all dem die politische Kultur. Die Aussichten für die nächsten beiden Monate sind in dieser Hinsicht trübe – mit einem demokratischen Diskurs über die besten Wege zur Reform des Landes wird der nun anstehende Präsidentschaftswahlkampf wenig Ähnlichkeit haben.
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Walter Kaufmann
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