Edward Burtynsky hat eine erschütternde Bilderreise durch die Welt des Öls vorgelegt (edwardburtynsky.com)
Das letzte Bild, bevor in Edward Burtynskys prächtigem Bildband „Oil“ der Essay-Block beginnt, fällt etwas aus der Reihe. Ein Porträt ist es, für den forensisch vorgehenden Industrie-Landschaftsfotografen Burtynsky fast eine Nahaufnahme: In Chittagong, Bangladesh, stehen drei barfüßige Männer, geradezu eingezwängt zwischen verschmutzten Ölfässern. Der Boden ist eine einzige glänzende Oberfläche, Pfützen und Fußabdrücke in der dicken Schicht aus schwarzem Ölschlamm. Die drei Männer stehen vor einer Sickergrube, sie versuchen verdrecktes Altöl, mutmaßlich aus den ausgeschlachteten Tankern irgendwo im Rücken des Fotografen, wiederaufzuarbeiten. Die verdreckten Reste werden in die Erde geschüttet. Das Bild hat keinen Horizont, hinter einem Zaun und einer Baracke schließen Palmen und Bananenbäume das Blickfeld. Es scheint, als sei dieser grauenhafte Ort, in dem ein nun zum Gift gewordenes Naturprodukt der Natur selbst wieder zugeführt wird, ihr in täglicher Abwehr abgetrotzt.
Die Aufnahme korrespondiert mit dem ersten Bild des Bandes: Gewienerte Pipelines durchpflügen den kanadischen Wald bei Cold Lake, in der Provinz Alberta. Auch dies ist eine Landschaft, in der der Wald aus dunklen Nadelhölzern dominiert und zurückgetrieben wurde, dazwischen die Schneise mit dem erratisch anmutenden Muster der glänzenden Leitungen. Darüber türmen sich Wolken, auf den ersten Eindruck wirkt das Ensemble friedlich, es ist futuristisch, sauber und verspricht im Subtext Fortschritt, Wärme, Modernität. Erst weiter hinten, als gezackte Narbe erscheint eine Sandpiste wie ein Eingriff, der das Idyll stört: Die Pipelines selbst sind zur zweiten Natur geworden, der Kontrast entsteht durch das schmale Band, auf dem man schwere Lastwagen und geländegängige Autos vermutet. Ihr Motorenlärm, ihre Abgase sind es, die auf Arbeit hinweisen, auf Verschmutzung und Zerstörung.
Zwischen diesen beiden Aufnahmen hat sich Edward Burtynksy auf eine lange Reise mit dem Titel „Oil“ begeben, zwölf Jahre lang hat er um das Thema herum fotografiert, was ihm einfiel und was er mit dem Rohstoff verbinden konnte. Nun ordnet er die überwältigenden Bilder in dem vom Steidl-Verlag in Steidl-Qualität herausgegebenen, wuchtigen Band in drei Kapitel: „Produktion und Weiterverarbeitung“, „Transport und Motor-Kultur“, sowie „Das Ende des Öls“.
Der französische Philosoph Roland Barthes hat einmal bemerkt, dass Plastik „weniger eine Substanz als vielmehr die Idee ihrer endlosen Umwandlung“ sei und als solche „die sichtbar gemachte Allgegenwart“. Plastik sei stets mit dem Erstaunen vor dieser Umwandlung durchdrungen und als solches weniger Gegenstand im eigentlichen Sinn, sondern „die Spur einer Bewegung“. Wenn Plastik für Barthes die sublimierte Bewegung und zugleich fast substanzlos, weil beinahe unbeschränkt wandelbar ist, steht es ebenfalls in der sinnbildlich für den Erfindergeist und den Ausbeutungswillen der Moderne. Edward Burtynsky weist mit seinen großformatigen Aufnahmen von den Stätten der Produktion, den Modi des Verbrauches und den grauenhaften Beschädigungen beider auf das Substrat der Moderne hin. Die gewaltigen Förderanlagen, die zur eigenständigen Landschaft gewachsen sind und beinahe nicht mehr als Störung der Natur ein Menetekel bilden, die Raffinerieleitungen, die einen eigenen Urwald bilden, die Vorstädte, in denen man selbst zum Brötchenkaufen das Auto benötigt: Die Moderne, so kommentieren die Bilder von Burtynsky trocken, ist eine Lebensform der Vergangenheit, in ihrer Konsequenz noch präsent bis weit in die Zukunft hinein. Und außerdem: Diese Moderne ist eine amerikanische Welt. Grade der letzte Aspekt ist überdeutlich. Die kalifornischen Förderstätten des Erdöls verraten den Größenwahn ihrer Besitzer und den Überlegenheitsglauben der Nation selbst. In den dreckigen Hinterlassenschaften deutet sich die dünne Schicht der Zivilisation an, über die P.T. Anderson in seinem Film „There Will be Blood“ erzählt.
Edward Burtynsky hat bereits in drei vorhergehenden Bildbänden die Spuren der industriellen Bewegung, die von Menschen gemachten Landschaften beobachtet. Eher überraschend habe er den Kern seiner Arbeit, bereits tief in den Prozess der Arbeit selbst verwickelt, erzählte er einmal: Er habe sich einmal in Pennsylvania verfahren und sei in ein Kohlenstädtchen geraten. Eine Landschaft, komplett von Menschenhand gemacht, transformiert, ins Surreale verändert. Daraufhin habe er begonnen die Eingriffe der Industrie in die Natur zu betrachten, sie als Landschaft selbst zu entziffern. „Und das wurde zur Basis von dem, was ich tue.“
Burtynsky hat darüber einen Blick auf die Industrie, die Rohstoffe fördert oder Energie produziert entwickelt, der sehr nüchtern wirkt. „Mit fehlt die Verbindungs zwischen unserer Zivilisation und der Produktion ihrer Voraussetzungen,“ bemerkte er in einem Interview. Mit einer Bildsprache, die der Becher-Schule sehr nahe steht, will er diese Lücke schließen. Dafür steigt er auf Hebebühnen, Kräne und in Helikopter, um Steinbrüche, die Parkplätze mit frisch produzierten Neuwagen sowie surreale Landschaften aus abgenutzten Reifen zu vermessen. Der Blick ist geometrisch, gelegentlich erinnert er an die Industriefotografie der frühen Jahre: Menschen erscheinen als Anhängsel der Maschinen, sie sind in ihrer Funktion zum Objekt geworden.
Burtynsky schlägt einen Bogen zu den Auswüchsen der Überflussgesellschaft, jener Welt aus Plastik. In „Oil“ geht er auch einen entscheidenden Schritt weiter: Die stärksten Aufnahmen sind jene, von den verseuchten Flüssen, den ausgeschlachteten Autos, den stillgelegten Fabrikationsanlagen unserer Konsumgesellschaft. Hier verschwimmen die Perspektiven, die Moderne erscheint nicht mehr nur als Amerikanisch: Das verlassene Ölfeld ist ganz in der Nähe der weltweit ersten Stätte der Ausbeutung, in Baku, Aserbeidschan. Darauf folgen Aufnahmen von US-Kampfjets, die nie wieder fliegen werden. Auch die riesigen B-52, denen Stanley Kubrick in „Dr. No, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben“ auf der Spur war, sind für immer geparkt.
Der Interpretationsraum für diese Aufnahmen ist gewaltig. Die Städte zeigen das Bekenntnis zum Wachstum, zur Sorglosigkeit und zum Fortschrittsoptimismus. Das Ergebnis ist fatal: Eine schwerfällige Moderne haben wir uns gebaut, ein umständliches System, in dem sich nur zurechtfindet, wer Moral und Empathie vergessen kann, wer sich dem Erstaunen vor der Spur der Bewegung nicht zu lange hingibt. Heute sind wir genügend informiert über den Umstand, dass wir unsere eigene Lebensgrundlage zerstören, ein einziger Hinweis aus dem klugen Essay von Michael Mitchell macht dies deutlich: Wir verbrennen seit Mitte der 1990er-Jahre mindestens 24 Millionen Barrel Öl im Jahr, während wir weniger als zehn Millionen Barrel finden. In diesem Licht weisen Burtynskys Bilder in die Vergangenheit, die Produktion und die Verschwendung im Verbrauch als Matrix der Moderne. Sie sind atemberaubend nüchtern in ihrer eleganten Hoffnungslosigkeit und ihrer verschwenderischen Tristesse.
Andere Artikel:Die Matrix der Moderne (taz.de)
Tuesday, November 24, 2009
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